I belong to the (late) DT64 generation

Via Ostradio zu Ost-(Post)-Punk (und mit jenem selbst ins Radio). Eine audiobiografische UKW-Wegskizze.

von | veröffentlicht am 19.09 2018

Beitragsbild: Corax

DT64 startete beim DDR-Rundfunk als Jugendsendung und wurde später ein eigenständiger Sender. Für Alexander Pehlemann war DT64 das Überlebenstaktsignal seines Daseins als verbannter Provinzpunk.




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1970 startete bei “Stimme der DDR” eine Sendung, die Zeichen dafür war, dass der Umgang mit Pop, in diesem Fall mit dem seit 1965 de facto gebannten Beat, sich wieder lockern würde: die Beatkiste. Eine Art Hitparade, abgekoppelt von tatsächlicher Pop-Ökonomie, moderiert vom Jungstar Frank Schöbel und in den ersten Jahren stark durchsetzt mit Importsounds aus den (Waffen-)Bruderländern des Warschauer Pakts, die für den DDR-Gebrauch eingedeutscht wurden. Schöbel tat sich dabei mit einer (ziemlich guten) Variante eines auch westlich populären Hits der ungarischen Megastars Omega hervor (den zuletzt Kayne West samplete – was für Kreisläufe!).

„Man hatte relativ plötzlich beschlossen, zu den Weltfestspielen der Jugend 1973 in Berlin, Hauptstadt der DDR, eine eigene, natürlich formal wie inhaltlich domestizierte Soz-Pop-Kultur zu erschaffen und es mangelte eklatant an einheimischem Material.“

Man hatte relativ plötzlich beschlossen, zu den Weltfestspielen der Jugend 1973 in Berlin, Hauptstadt der DDR, eine eigene, natürlich formal wie inhaltlich domestizierte Soz-Pop-Kultur zu erschaffen und es mangelte eklatant an einheimischem Material. Das sorgte bis Mitte der Siebziger für vermehrte osteuropäische Beat- und Rock-Klänge in der DDR, sowohl im Radio, das selbst produzierte, als auch auf Platte, vor allem in der „Hallo“-Reihe von AMIGA.

Der eklektische Kosmos des Parocktikum

Ende 1986, als die Umstände mich vom bereits gen Schrägklang orientierenden Spektrum Westberliner Ausstrahlung  ins vorpommersche Nichts nahe Polen und damit in die Abhängigkeit von DDR-Wellen zurückschleuderte, hieß der Moderator der Beatkiste (noch) Lutz Schramm und seine mehrstündige Silvesterselection, die von Stimme der DDR wie von seinem nächsten Sender, dem zum Fastvolltagsradio ausgebauten DT64 ausgestrahlt wurde, öffnete mir Welten: den eklektischen Kosmos des Parocktikum. Diese  Sendung wurde mit ihrem Senderhythmus zum Überlebenstaktsignal meines Daseins als verbannter Provinzpunk. Wobei Punk schon mindestens eine Dekade alt war und hier der Post-Punk-Fächer extrem breit aufgezogen wurde. Was zur Besonderheit der Show wurde, waren die oft (noch) illegalen Sounds aus dem DDR-Souterrain – wobei eingestuft (also „normalisiert“) oder nicht kein Auswahlkriterium war – und anfangs auch viel Material aus dem Ostblock: Maanam, Lady Pank, Beatrice, Bikini oder die tollen A.E. Bizottság.

„Was zur Besonderheit der Show wurde, waren die oft illegalen Sounds aus dem DDR-Souterrain – wobei eingestuft oder nicht kein Auswahlkriterium war.“

Dass sie stets mit dem aus der Schule bekannten Lied „Katjuscha“, eingespielt als destruktive Krach-Variante  der Berliner Band Hardpop begann, kontextualisierte die Sendung zudem stets neu östlich. Wobei ich viel später erst erfuhr, dass die von den Deutschen ob ihres infernalischen Krachs „Stalinorgel“ getauften Katjuscha-Raketenwerfer der Roten Armee nach diesem Song hießen, der auch kein Volkslied war, sondern ein volkstümelnder Estraden-Hit des Jahres 1938, also stalinistisches Entertainment zur Terror-Primetime. Dessen kriegerischer Ur-Text wurde auf Deutsch arg abgemildert. Hier konzeptionell antistalinistische Dekonstruktion zu vermuten, wäre jedoch zu viel zugetraut. Ein kritischer Ostblick war zumindest Zeitgeist, denn es leuchteten ja Perestroika und Glasnost herüber.

Underground im Staatsrundfunk?

Während allerdings auch für Lutz Schramm das Ost-Material letztlich wohl nur Lückenfüller war und entsprechend der Anteil schwand, also wie zuvor im Mainstream-Sektor einheimische Gegenkultur die der Bruderländer verdrängte, ging es beim DT64-Kollegen Holger Luckas wesentlich fundierter zu. Dessen Ost(post)punk vorstellende Radio- und Magazin-Beiträge beruhten aber eben auch teils auf Recherchen vor Ort. Sein Bericht vom Warschauer Marchewka-Festival 1988 zum Beispiel infizierte mich mit dem Armia-Virus und stellte mit Swuki Mu erstmals Sowjetunderground vor, sein mutiger Einsatz von Laibach gab ganz neue Marschrhythmen wie -richtungen aus. Er setzte dabei auf eine Art Vorbildwirkung: Warum sollte, was nun sogar in der die Leitbilder liefernden Sowjetunion möglich war, nicht endlich auch hier passieren – die Schaffung einer relativ repressionsfreien staatlichen Spielwiese für den (dann eben ehemaligen) Underground, mit Festivals, Klubs und Platten?!

„Warum sollte, was nun sogar in der die Leitbilder liefernden Sowjetunion möglich war, nicht endlich auch hier passieren – die Schaffung einer relativ repressionsfreien staatlichen Spielwiese?“

Wie wir wissen, kam es nicht mehr dazu. Aber mit dem Systemwechsel begab ich mich, derart geködert und dabei vielleicht auch ausweichend in nicht komplett westlich vordefinierten Subkulturräumen, auf eine anhaltende Suche hinterm ehemaligen Eisernen Vorhang: ab 1993, also seit 25 Jahren nun schon, mit dem Publikationsvehikel ZONIC, nicht zufällig begründet im Umfeld der Greifswalder DT64-Hörerinitiative, und seit 2002 zudem mit der dazugehörigen Radio Show.

Womit sich der Kreis geschlossen hätte.


Dieser Beitrag kann Spuren des Prologs des ZONIC-Spezials „Go Ost! Klang – Zeit – Raum. Reisen in die Subkulturzonen Osteuropas“ enthalten. Erschienen wie das aktuelle ZONIC-Spezial „Warschauer Punk Pakt. Punk im Ostblock 1977–1989“ im Ventil Verlag.

PUNK

Punk is dead …

… “Movements are systems and systems kill, Movements are expressions of the public will” – so sangen es Crass bereits 1978 auf ihrem Album The Feeding of the 5000. Darin kommt zum Ausdruck: eines der Wesenszüge von Punk ist dessen Negativität, er ist so negativ, dass er sich zuweilen selbst für tot erklärt. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger, Gespenster kehren wieder und die Kraft der Negation ist mitunter eine äußerst lebendige – in welcher Form auch immer, denn Punk weigert sich, ein kanonisierter Stil zu sein. Auch bei Radio CORAX ist diese Kraft äußerst lebendig. Musikalisch ist Punk im Programm des halleschen Senders einigermaßen präsent. Grund für ihn, ihm eine Ausgabe seiner Programmzeitung zu widmen. Dafür sollte, es liegt nahe, das Verhältnis von Punk und Radio beleuchtet werden. Punk in der Ost-Zone, in arabischen Ländern und die Riot-Grrrls sollten eine Würdigung erfahren. Und außerdem wurden ProtagonistInnen von CORAX-Punksendungen nach ihrem Verhältnis zu diesem Gespenst gefragt.

Zum Autor

Alexander Pehlemann lebt in Leipzig und ist Autor, Kurator, DJ, Kompiler, Journalist und Netzwerker. Er ist Herausgeber des “ZONIC – Magazin für kulturelle Randstandsblicke und Involvierungsmomente”. Er moderiert die ZONIC-Radio Show, die auf mehreren freien Radios zu hören ist. Bei CORAX an jedem zweiten Montag und Mittwoch ab 22:00 Uhr.

Der Beitrag erschien erstmals in der 2018er August+September-Ausgabe der Programmzeitschrift von Radio Corax.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.