Hilfe für ungewollt Schwangere aus Polen

Leipziger Aktivist*innen unterstützen Menschen aus Polen bei einem Schwangerschaftsabbruch. Dabei stellt sie die deutsche Gesetzeslage vor große Hürden.

von | veröffentlicht am 26.06 2019

Beitragsbild: Jakub Hałun | CC-BY-SA 4.0

Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas. Die Gruppe „Kumpela“ will deshalb ungewollt Schwangeren aus Polen Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch in Leipzig ermöglichen.




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Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch wird momentan weltweit debattiert. Während Frauenrechtsaktivist*innen in Irland eine Legalisierung erfolgreich erkämpft haben, wird in Argentinien nach einem Scheitern im vergangenen Jahr neu Anlauf genommen. Andernorts gibt es gravierende Rückschritte – wie zuletzt in mehreren US-Bundesstaaten, wo ein Abbruch nun selbst nach einer Vergewaltigung strafbar ist.

In Deutschland wird die Debatte zunehmend von selbsternannten Lebensschützer*innen dominiert, einem Konglomerat aus christlichen Fundamentalist*innen, Unions- und AfD-Politiker*innen sowie rechten Verschwörungstheoretiker*innen, die durch ihren gemeinsamen Antifeminismus verbunden werden. Sie vergleichen nicht nur Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust und verklagen Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen und darüber informieren. Ihr Einfluss auf den öffentlichen Diskurs hat sich nicht zuletzt auch im faulen GroKo-Kompromiss zur Reform des §219a niedergeschlagen. Auch wenn das sogenannte Werbeverbot nun leicht gelockert wurde – die grundsätzliche „Pflicht zur Austragung“ der Schwangeren besteht weiterhin. Ihre Verletzung bleibt nur in klar umrissenen Fällen straffrei. Diese Einschränkung der sexuellen Selbstbestimmung durch den §218 StGB wird in Deutschland zurzeit kaum infrage gestellt.

In Polen hat die rechte Regierung 2016 versucht, das ohnehin äußerst restriktive Abtreibungsrecht weiter einzuschränken. Abbrüche sollten nur noch möglich sein, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist – andernfalls sollten ihr bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen. Die auf diese Ankündigung folgenden Czarny-Proteste, denen sich in Polen und anderen europäischen Ländern hunderttausende Menschen anschlossen, konnte die Gesetzesverschärfung zwar verhindern. Dennoch ist die Situation für ungewollt Schwangere äußerst prekär – nur im Fall von Vergewaltigung oder aus medizinischen Gründen ist ein Abbruch erlaubt.

Ist keine dieser Bedingungen erfüllt, sind Betroffene also gezwungen, ins Ausland zu gehen. In Berlin hat sich daher schon vor längerer Zeit die Initiative „Ciocia Basia“ gegründet, die Polinnen organisatorisch, finanziell und emotional bei einem Schwangerschaftsabbruch in Deutschland unterstützt. Seit Kurzem gibt es mit „Kumpela“ eine solche Gruppe auch in Leipzig. Im Interview spricht ein*e Vertreter*in der Gruppe über ihre Arbeit. Dabei wird deutlich, wie das deutsche Abtreibungsrecht das Engagement erschwert.

 

„Kumpela“ hat sich im Jahr 2017 gegründet. Seit kurzem bietet ihr Unterstützung bei Schwangerschaftsabbrüchen an. Welche Arbeit musstet ihr im Vorfeld erledigen? Auf welche Schwierigkeiten seid ihr dabei gestoßen?

Kumpela: Die Vorbereitung ist und war der Hauptteil unserer bisherigen Arbeit. Wir mussten uns eine Menge Wissen zu verschiedensten Themen aneignen: Unter welchen Bedingungen ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland möglich? Wie ist die Gesetzeslage in Polen genau organisiert? Wir dachten, wir wüssten Bescheid, aber sobald man sich in die bürokratischen Abläufe einfuchsen möchte, tun sich immer mehr Details auf.

Ein weiterer Teil unserer Vorbereitung bestand darin, Strukturen aufzubauen, auf die die schwangeren Personen zugreifen können. Wir haben eine Schlafplatzbörse aufgebaut, bei der uns wichtig war, dass wir die anbietenden Menschen kennenlernen. Außerdem ist nicht für jede Person jeder Schlafplatz geeignet – wir haben uns einen Überblick verschafft, welche Wohnungen barrierefrei zugänglich sind, in welchen auch Menschen mit Kindern willkommen sind oder wo wir vor Tierhaaren warnen müssen. Uns ist wichtig, dass die schwangeren Personen einen Rückzugsraum finden können, wenn sie ihn brauchen.

Und klar, es musste Geld rankommen. Wir haben Schnäpse verkauft, was das Zeug hält. Und natürlich Netzwerken – wie kann eine Gruppe vertrauenserweckend wirken, wenn niemand in Polen sie kennt und sie einfach nur als eine Facebookseite auftaucht? Gerade momentan ist das eine unserer Hauptaufgaben: wir sind in Kontakt mit verschiedenen Gruppen und versuchen, unsere Flyer in Polen so weit zu verteilen wie möglich. Daran anschließend: Wie müssen wir unsere Flyer designen, damit wir seriös wirken, aber nicht wie eine öffentliche Institution?

Unsere Hauptvorbereitung war aber die Arbeit mit den Sprachmittler*innen. Nicht alle von uns sprechen polnisch. Die, die es tun, übernehmen den Löwenanteil an Kommunikation. Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Aufgaben so einzuteilen, dass das gut funktionieren kann.

Dann gibt es natürlich noch viele andere Aufgaben, auf dich ich gar nicht einzeln eingehen kann: Fragen, wie wir möglichst sicher mit Daten umgehen können, über den Umgang mit emotionalem Druck bis hin zur Entscheidung für einen guten Namen. Es war und ist ein Haufen Arbeit!

Eine schwangere Person möchte einen Abbruch in Leipzig durchführen lassen. Wie kann sie Kontakt zu euch aufnehmen und wie geht es dann weiter?

Kumpela: Nachdem uns eine Person kontaktiert, schicken wir ihr eine Liste mit Fragen. Die wichtigste Frage ist die der Schwangerschaftswoche: Dadurch entscheidet sich erst, ob innerhalb der deutschen Gesetzeslage ein Abbruch möglich ist. Wir sind auch mit verschiedenen Gruppen in unterschiedlichen Ländern vernetzt, an die wir bei Bedarf weitervermitteln können.

Ist dieser Punkt geklärt, geht es mit Detailfragen weiter. Nicht jede Person möchte einen Schlafplatz, nicht alle brauchen finanzielle Unterstützung oder Sprachmittlung. Sollte dazu Bedarf bestehen, stellen wir detailliertere Fragen zu den jeweiligen Bereichen.

Kann die Person kommen, machen wir Termine mit Beratungsstellen und Ärzt*innen aus. Bei Bedarf helfen wir mit Zug- und Bustickets oder bei der Recherche der Reiseroute. Wir kontaktieren eine passende Schlafgelegenheit aus unserer Schlafplatzbörse. Vor der Abfahrt verschicken wir noch einmal eine Liste mit Dingen, die die Person mitbringen soll, wenn sie nach Leipzig kommt.

Die Person soll am Bahnhof empfangen und zum Schlafplatz begleitet werden. Der Beratungstermin findet mit Unterstützung von Sprachmittler*innen statt. Drei Tage lang muss dann gewartet werden. Diese Dreitagesfrist ist in Deutschland gesetzlich verpflichtend. Sie ist nicht nur für schwangere Personen aus Polen eine Barriere, die medizinische Leistung eines Abbruchs in Anspruch zu nehmen. Gerade auch Menschen, die im ländlichen Raum in Deutschland wohnen, müssen sowohl zu Beratungsstellen, als auch zu Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, lange Fahrtwege auf sich nehmen. Zu dem Abbruch selbst begleitet wieder ein*e Sprachmittler*in. Je nachdem, ob es sich um einen operativen oder medikamentösen Abbruch handelt, verändern sich dann die Abläufe. Für ersteren braucht es zumeist z.B. eine Narkose.

Welche Kosten kommen auf die schwangere Person zu? Könnt ihr sie dabei unterstützen?

Kumpela: Die Preise für Schwangerschaftsabbrüche variieren stark von Ärzt*in zu Ärzt*in und je nach Methode, die gewählt wird. Man bewegt sich im Bereich von 300 bis 800 Euro. Fahrtkosten kommen natürlich dazu, und die Zeit, in der die Person eventuell nicht ihrer Lohnarbeit nachgehen kann. Wir haben die Möglichkeit die Personen finanziell zu unterstützen, aber durch die immensen Summen, über die wir hier sprechen, kann unser Budget gar nicht groß genug sein.

Wie viele Anfragen erhaltet ihr im Durchschnitt? Könnt ihr den Bedarf abdecken oder übersteigen die Anfragen eure Kapazitäten?

Kumpela: Vor einigen Wochen sind wir online gegangen, da gab es erste Anfragen. Wir sind aber noch stark in der Netzwerkphase. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen in Polen sicher sein können, dass hinter unserer Facebookseite keine fanatischen Abtreibungsgegner*innen stehen. Deswegen übersteigen momentan die Anfragen keineswegs unsere Kapazitäten.

In Deutschland sind zurzeit rechte Abtreibungsgegner*innen auf dem Vormarsch. Wie macht sich das in eurer Arbeit bemerkbar?

Kumpela: Was sich vor allem in unserer Arbeit bemerkbar macht, sind die restriktiven Abtreibungsgesetze, die es in Deutschland gibt. Die Beratungspflicht und die Drei-Tages-Frist sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass Menschen sich gegen einen sicheren Abbruch in Deutschland entscheiden, weil sie es sich nicht leisten können, solange von zu Hause wegzubleiben.

Zudem ist es Ergebnis der Einschüchterungsmethoden von Abtreibungsgegner*innen, dass wir nicht einfach von den Websites von Ärzt*innen gute Informationen über die möglichen Abtreibungsmethoden und -preise beziehen können. Auch die Tatsache, dass viele Ärzt*innen sich dagegen entscheiden, überhaupt Abtreibungen anzubieten, ist ein gemeinsamer Verdienst von §218, §219a und dem Druck von Abtreibungsgegner*innen.

In Leipzig haben wir im Vergleich zur restlichen Bundesrepublik Glück, da mehr als eine handvoll Ärzt*innen diese medizinische Leistung anbieten. Vergleichen wir es aber mit der Anzahl an Gynäkolog*innen, die es vor Ort gibt, sind es wiederum lächerlich wenige.


Weitere Informationen über die Arbeit von Kumpela findet ihr hier.

 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.