Zentrum der Rätebewegung?

Kurzes zur Geschichte der Novemberrevolution in Halle und Umgebung

von | veröffentlicht am 22.10 2018

Beitragsbild: Corax

Auch Halle wurde Ende des Jahres 1918 von der Novemberrevolution ergriffen. Einen Blick auf den Verlauf dieser Ereignisse in Halle zu werfen lohnt sich insofern, als dass sich hier einerseits zahlreiche Anhänger einer Weiterführung der Revolution, basierend auf der Vorstellung eines Rätesystems, fanden. Andererseits lässt sich in Halle nachverfolgen, dass die Revolution auch entschiedene Gegner hatte und im Verlauf auch Widersprüche innerhalb des revolutionären Lagers stärker wurden.




diesen Beitrag teilen

Die Radikalisierung des Proletariats

Um die Jahrhundertwende war Halle-Merseburg zu einem bedeutenden Industriezentrum geworden. Die Schnelligkeit und Brutalität der Industrialisierung und die Arbeitsmigration aus dem ganzen Reich führten bald zu einer Radikalisierung des noch im Entstehen begriffenen Proletariats. Halle hatte eine sehr mitgliederstarke Organisation der SPD, die über großen Einfluss in den Belegschaften verfügte und dem linken Flügel der Sozialdemokratie angehörte. Die hallische SPD hatte enge Kontakte zu Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Franz Mehring und solidarisierte sich mit denjenigen Abgeordneten der SPD, die gegen die Kriegskredite gestimmt hatten. So wie diese aus der Reichstagsfraktion wurde die hallische Bezirksorganisation im März 1916 aus der SPD ausgeschlossen. Kurz darauf trat die heimatlose hallische Parteiorganisation nahezu geschlossen der USPD bei, die von den Kriegsgegnern innerhalb der SPD gegründet worden war. Auch innerhalb der USPD galt der hallische Verband als besonders links und es bestanden Kontakte zur 1914 gegründeten „Gruppe Internationale“ (ab 1916 „Spartakusbund“). Trotz der Nähe dieser Fraktionen innerhalb der Arbeiterbewegung gründete sich auch in Halle 1919 ein Ortsverband der KPD, woraufhin USPD und KPD in einem Konkurrenzverhältnis standen.

Die Entstehung des Rätesystems

Schon vor dem Ende des Weltkriegs waren Halle und Umgebung in Bewegung. Am 15. August 1917 nahmen im Bezirk Halle-Merseburg zehntausende Arbeiter an einem Antikriegs-Streik teil. Am 7. November 1918 wurde eine große Antikriegs-Kundgebung zum Auftakt der Novemberrevolution in Halle. Am 6. November hatten die ersten Nachrichten vom Kieler Matrosenaufstand Halle erreicht. Noch am selben Tag wählten Arbeiter im ganzen Großbezirk eigene Arbeiterräte. Am darauffolgenden Tag entwaffneten in Halle stationierte Soldaten ihre Offiziere und verbrüderten sich mit in der Stadt demonstrierenden Arbeitern. In Halle konstituierten sich ein Arbeiter- und ein Soldatenrat, die gemeinsam die Macht in Halle übernahmen und bald einen gemeinsamen Vollzugsrat bildeten. In den folgenden Tagen fanden Massenkundgebungen in Halle statt und Dozenten und Studenten versicherten den beiden Räten ihre Loyalität.


„Gestützt auf den starken Parteiapparat der USPD, erlangte die Rätebewegung im mitteldeutschen Raum ‚eine organisatorische Festigkeit und politische Wirkung wie sonst nirgendwo.“


In den ersten Wochen nach dem Umsturz stand in Halle die Konsolidierung des Rätesystems im Vordergrund, was zunächst von einer Mehrheit getragen zu werden schien. „Gestützt auf den starken Parteiapparat der USPD, erlangte die Rätebewegung im mitteldeutschen Raum ‚eine organisatorische Festigkeit und politische Wirkung wie sonst nirgendwo‘.“ (Schmuhl)

Die Eigentumsfrage als Grundsatzfrage

Wie im ganzen Reich führte aber bald auch in Halle eine Grundsatzfrage zum Konflikt: Sollte zunächst eine parlamentarische Demokratie eingeführt werden, in deren Rahmen die Eigentumsordnung unangetastet bliebe und die sich auf die Nationalversammlung stützte, oder sollte im Schwung der Ereignisse die „halbe Revolution“ fortgeführt werden, was den Machtanspruch der Arbeiter- und Soldatenräte wie die Sozialisierung der Produktionsmittel implizierte? Letztere Forderung wurde vehement in den Belegschaften des mitteldeutschen Industriereviers vertreten, die ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen auch nach dem Ende des Kriegs kaum verbessert fanden. Auch der hallische Arbeiterrat vertrat diese Position. Innerhalb des Soldatenrats war sie jedoch nicht unumstritten. Die MSPD – also die „Mehrheitssozialdemokratie“, von der sich USPD und KPD abgespalten hatten – bemühte sich um ein Bündnis mit der bürgerlichen Deutschen Demokratischen Partei und dem gemäßigten Teil des Soldatenrats. Rechts davon standen in Halle die Deutsche Volkspartei und die Deutschnationale Volkspartei, die im Dezember 1918 Ortsgruppen bildeten, sowie regierungstreue Garnisonen.


„So ergab sich in der Folge in Halle eine Art Pattsituation.“


 

So ergab sich in der Folge in Halle eine Art Pattsituation: Arbeiter- und Soldatenrat hatten faktisch die Macht inne. Magistrat und Oberbürgermeister Rive waren gezwungen, diese Macht anzuerkennen, behielten sich jedoch vor, Weisungen von der Reichsregierung zu empfangen, die die Nationalversammlung gegen den Machtanspruch der Räte durchsetzen wollte. Die USPD schwankte in der Frage der Räterepublik und hatte zudem nur eine Mehrheit im Arbeiterrat inne. Innerhalb der Arbeiterbewegung war man sich uneinig, auf welche Weise welches Ziel erreicht werden sollte – gleichzeitig hatten gegenrevolutionäre Kräfte Zeit, sich zu sammeln.

Zusammenstöße zwischen regierungstreuen Kräften und Revolutionär*innen

Der Januaraufstand in Berlin (bekannt als „Spartakusaufstand“) brachte noch einmal Wirbel in die Stadt. Am 7. Januar 1919 besetzten bewaffnete Arbeiter den hallischen Bahnhof, um regierungstreue Truppenverbände auf dem Weg nach Berlin zu entwaffnen. Gleichzeitig demonstrierten Soldaten und Arbeiter für Karl Liebknecht. In diesem Zuge kam es in Halle zu Straßenschlachten und Übergriffen auf bürgerliche Parteien – auch ein Toter war zu beklagen. Am 10. Januar 1919 mobilisierten bürgerliche und konservative Kräfte zehntausende Menschen zu einer Demonstration gegen den Januaraufstand, auf der schwarz-rot-goldene und schwarz-weiß-rote Fahnen zu sehen waren – auch infolgedessen kam es zu Zusammenstößen.

Auch wenn die Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung in Halle ruhig verliefen (die hier ein großer Erfolg für die USPD waren), waren die revolutionären Bestrebungen damit nicht vorbei. Der Ruf nach einer Sozialisierung der Produktionsmittel blieb an der Basis, in den Betrieben im ganzen Bezirk, ungebrochen präsent. Als Schritt dorthin galten die Betriebsräte, die Baustein einer betrieblichen Demokratie werden sollten. Um dies durchzusetzen wurde gestreikt. Im Februar 1919 kam es in ganz Mitteldeutschland zum Generalstreik, von dem auch Halle ergriffen wurde, wo am Höhepunkt des Streiks mit etwa 50.000 Arbeitern die größte Demonstration der Stadtgeschichte stattfand – mit Parolen für eine Räterepublik und die Weltrevolution und gegen die SPD-Regierung. Diese reagierte auf den (wohlgemerkt friedlichen) Streik wie überall: Einerseits griff sie das Stichwort von der „Sozialisierung“ in den eigenen Parolen auf, andererseits schickte sie Reichswehr und Freiwilligenkorps. Über die Frage des bewaffneten Widerstands gegen diesen Eingriff waren sich Arbeiterparteien und die Räte in Halle uneinig – Halle wurde belagert und unter dieser Belagerung bröckelte der Generalstreik bald.


„Im Zuge dieses mitteldeutschen Generalstreiks sind zwei Ereignisse in die Stadtgeschichte Halles eingegangen.“


Im Zuge dieses mitteldeutschen Generalstreiks sind zwei Ereignisse in die Stadtgeschichte Halles eingegangen: Nachdem es im Zuge der Kämpfe bereits 29 Tote gegeben hatte, ergriff am 2. März eine wütende Menge den Generalmajor Klüber, verprügelte ihn, warf ihn schließlich in die Saale und erschoss ihn dort. Am 13. März 1919, bereits nach Beendigung des Streiks, folgte die Rache der Freikorps: sie verschleppten den Arbeiterführer Meseberg, schossen ihn nieder und warfen ihn schwer verwundet in die Saale, wo er starb. Die Trauerfeier für Meseberg im Volkspark am 26. März war die vorerst letzte Großdemonstration der hallischen Arbeiterschaft. Zu diesem Zeitpunkt waren die roten Fahnen am hallischen Rathaus bereits durch schwarz-weiße und schwarz-weiß-rote Fahnen ersetzt.

Trotz Niederschlagung der Revolution: Die Geschichte ging weiter

Eine unmittelbar aus der Novemberrevolution folgende weiterreichende Revolution war damit vorerst beendet – nicht aber revolutionäre Bestrebungen und politische Streiks. Der Generalstreik gegen den Kapp-Putsch 1920 und die Mitteldeutschen Märzkämpfe 1921 gehören zur Folgegeschichte der Novemberrevolution. Diese Kämpfe hatten in der Industrieregion um Halle ein Zentrum und haben auch die Geschichte der Stadt geprägt, bis sich schließlich das kommunistische und das deutschnational-völkische Lager in Halle unversöhnlich gegenüberstanden. Dazu ein andermal. In beiden Fällen lohnt sich eine Spurensuche in der Stadt.

• die historischen Abläufe, die in diesem Text geschildert werden, sind weitestgehend dem Buch „Halle in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus“ von Hans-Walter Schmuhl (Halle 2007) entnommen

• der autobiographische Roman “Ruhe und Ordnung” von Ernst Ottwald (Halle 2014) schildert die Folgeereignisse der Novemberrevolution in Halle aus Perspektive eines Freikorps, der später Kommunist wurde

• Feature über die Mitteldeutschen Märzkämpfe 1921 und Radiosendung über Max Hölz: http://audioarchiv.blogsport.de/2017/04/19/die-mitteldeutschen-maerzkaempfe-von-1921/

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.