Vor geschlossener Tür

Über das Clubsterben in Leipzig

von | veröffentlicht am 06.01 2019

Beitragsbild: Transit

Nicht nur in Halle gibt es derzeit Diskussionen um das Verschwinden sozio-kultureller Räume. Gerade in Leipzig hat ein massiver Verdrängungsprozess zahlreiche Kulturbetriebe ins Aus befördert. Der folgende Beitrag skizziert diese Entwicklung am Beispiel des ehemaligen 4Rooms im Leipziger Osten.




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Im Sommer 2018 traf ich T. für ein Interview über das Ende seines Kulturbetriebes „4Rooms“. Er war so freundlich ein wenig über die Entwicklung zu erzählen, die er im Leipziger Osten direkt vor seiner Tür beobachten konnte. Und was diese für einen Einfluss hatte: auf seine Gäste, auf das Quartier, auf seinen Veranstaltungsbetrieb und auf ihn. Gemeinsam sprachen wir auch darüber, auf welcher Seite der Gentrifizierung er eigentlich steht.

„Eigenes Grab geschaufelt“

Sich selbst und seinen Club sieht T. als Bestandteil des Aufwertungsprozesses in Leipzig, auch wenn er seine Rolle als „kleinen Baustein von vielen“ bezeichnet. Die zunächst günstigen Mieten hätten den Kulturschaffenden genutzt „um sich was aufzubauen und damit den Stadtteil natürlich attraktiver zu machen“. Der Leipziger Stadtteil Plagwitz im Westen der Stadt habe beispielsweise lange als Künstlerviertel gegolten. „Und jetzt ist es das nicht mehr“. T. sieht sich und andere als Teil einer Art Kreativwirtschaft, „die es eben nur in einem Bereich gibt, wo auch Platz ist. Wo Leute wohnen, die es nicht so damit haben, dass nachts um Eins die Musik ausgemacht werden muss.“ Wer da nebenan gewohnt hat, der habe es als Teil des Stadtteils akzeptiert, dass „es da auch mal laut sein darf“. Und: „Natürlich haben wir da mitgeholfen, den Stadtteil zu verändern und cooler zu machen – und letztendlich haben wir unser eigenes Grab mit geschaufelt.“

Die Geschichte des 4Rooms ist unmittelbar verwoben mit der Stadtteilentwicklung des Leipziger Ostens. Als T. die Kulturkneipe mit Freunden gründete, ist es dort wenig hip, aber günstig. Im Jahr 2005 gab es in Reudnitz außer der Kneipe Substanz noch nicht viel. Die Vergangenheit des Viertels sei „dunkel, dreckig, Reudnitz“ (T. bezieht sich dabei auf einen gleichnamigen Blog) gewesen. „Es gab einen Haufen Baulücken und viele unsanierte Häuser, viele WG-Häuser und wesentlich mehr günstigen Wohnraum.“ Mit der Zeit wurde der Leipziger Osten zunehmend beliebter. Spürbar beispielsweise am „stetig steigender Umsatz“ im Kulturbetrieb.

Ganz aktuell erfreut sich der Bezirk um die Eisenbahnstraße großer Beliebtheit, wegen der Innenstadtnähe sowie der günstigen Mieten. Trotz des kriminellen Images wird darin ein unglaubliches Potential erkannt. Der Leipziger Osten ist damit derzeit ein „subkultureller Hotspot“, wie es der Stadtsoziologe Andrej Holm 2009 in seinem Aufsatz „Auf dem Weg zum Bionade-Biedermeier“ über (sub)kulturelle Aufwertungslogiken in Gentrifizierungsprozessen ausdrückte. Er hat sich, um bei Holm zu bleiben, von einem „sozialen Brennpunkt hin zum Image eines alternativen Eldorado“ entwickelt. Einige Bereiche des Leipziger Ostens gelten zwar nach wie vor als sozialer Brennpunkt, den steigenden Zuspruch scheint dies aber nur wenig negativ zu beeinflussen.

Das 4Rooms wurde zu einer Zeit gegründet, in der die Aufwertungsprozesse in der Entstehung waren. Mit seinem Kulturbetrieb leistete T. dabei quasi Pionierarbeit. Günstige Mieten und Freiräume lockten weitere Menschen an, die sich dort niederlassen und entfalten wollten. Im Laufe der 13 Jahre die das 4Rooms existierte, änderten sich nach und nach die Nachbarschaft, das kulturelle Angebot, aber auch der Mietspiegel. Als das 4Rooms im Februar 2018 schließen musste waren die Aufwertungsprozesse immer noch in vollem Gange. Der damals neue Besitzer der Immobilie kündigt dem Kulturbetrieb und verkaufte später das Haus an die Stadt. Eine Schule sollte dort eingerichtet werden, denn in einer wachsenden Stadt und in einem wachsenden Bezirk und angesichts der allgemeinen demographischen Entwicklung werden Schulen in Leipzig dringend benötigt.

Innerhalb der Stadtteilentwicklung nimmt sich T. weder als „Täter“ noch als „Opfer“ wahr, sondern sieht sich irgendwo dazwischen. Er beobachtet die Geschehnisse, reflektiert sie kritisch, sieht sich aber ohnmächtig gegenüber deren Einfluss, den er selbst mit verursacht und unterstützt habe. Er resümiert ironisch, er hätte damals lieber „zwölf Eigentumswohnungen im Leipziger Osten kaufen sollen.“

Clubsterben in Leipzig

Das 4Rooms ist nur einer von vielen Kulturbetrieben, die in jüngster Zeit in Leipzig geschlossen wurden. Da es sich häufig um subkulturelle Betriebe handelt, die geschlossen wurden, wurde in der Tagespresse nur wenig darüber berichtet. Das Szene-Veranstaltungs-Portal „frohfroh“ berichtete hingegen über die meisten Clubschließungen.

Das Superkronik auf der Karl-Heine-Straße wurde 2011 geschlossen, gefolgt von der Industriehalle in der Erich-Zeigner-Allee im Jahr 2015 und dem Pferdehaus im Westwerk ebenso auf der Karl-Heine-Straße im Jahr 2017. Die Damenhandschuhfabrik in Plagwitz schloss im August 2018. Bis Ende Januar 2019 soll das Kulturzentrum So&So in der Theresienstraße zumachen und der TV-Club erwartet die Nicht-Verlängerung des Mietvertrages. Selbst die Distillery, der älteste Technoclub Ostdeutschlands, und das bekannte sozio-kulturelle Zentrum Werk2 am Connewitzer Kreuz befinden sich auf prekärem Standort, an dem eine Kündigung jederzeit möglich zu sein scheint.

Oft sind es neue Immobilienbesitzer, die nach dem Erwerb der Grundstücke und Gebäude den Kulturbetrieben kündigen, um eigene Interessen zu verfolgen. Manche Projekte verstanden sich als Zwischennutzungen, manche wurden gegründet, um zu bleiben – mit hohen Investitionen und viel Engagement. Die Zahl der geschlossenen Clubs übersteigt mittlerweile um ein Vielfaches die Zahl der Neugründungen. Derzeit versucht der Verband IG Livekommbinat als regionaler Vertreter des Bundesverbandes Livekomm sich für den Schutz und Erhalt der Clubkultur stark zu machen.

Manche Clubschließungen gehen mit Protesten einher, bei anderen, wie dem 4Rooms, nicht. Im Sommer 2018 konnte nicht nur die Sperrstunde in Leipzig aufgehoben werden, es wurde auch mehrfach für den Erhalt der Freiräume und den Schutz der Clubkultur demonstriert. Auf der „GSO – Global Space Odyssee“ und auf der Tanz-Demo anlässlich der drohenden Schließung des So&So kamen mehrere Tausend Menschen auf die Straße. Andere Initiativen, wie „Leipzig für alle“ und „Stadt für alle“ machen mit Demonstrationen auf die Verdrängung von Mieter_innen aufmerksam. An vielen Stellen übt man das Aufbegehren – es wird sich zeigen, inwieweit dies Erfolg haben wird.

Zur Autorin

Kordula Kunert, fast am Ende des Masterstudiums der Kulturwissenschaften, versucht ihre Praxis aus der Clubkultur mit der Theorie aus dem Studium zu verbinden. Zum Beispiel im ehrenamtlichen Engagement im Leipziger Clubverband „IG Livekommbinat“. In der Uni zählen zu ihren Forschungsschwerpunkten Netzwerktheorien, Subkultur, Clubkultur, Gentrifizierung, Qualitative Sozialforschung und Organisationssoziologie. Nach der Uni Kellnern in der Moritzbastei und Arbeiten im Institut für Zukunft (IfZ).

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.