Verein auf Abwegen?

Der Mieterrat in Halle

von und | veröffentlicht am 03.06 2020

Beitragsbild: Transit

In Halle gibt es seit 2019 einen Mieterrat. Wie dieser agiert und politisch einzuordnen ist, beleuchtet dieser Gastbeitrag.




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Mieterrat – das klingt basisdemokratisch und progressiv. Der Name legt nahe, hier würden sich Mieter*innen zusammenschließen, um gemeinsam ihre Interessen zu vertreten. Und in vielen Städten ist das auch der Fall. Nicht aber in Halle: hier dominieren kommunale Politiker oder, wie die Vergangenheit zeigt, sogar Immobilienunternehmer den Mieterrat.

Denn bei genauerer Betrachtung der Aktionen und Forderungen des Mieterrats fällt v.a. dessen Nähe zur Stadtregierung auf. Dies macht sich nicht nur anhand der inhaltlichen Positionen bemerkbar, sondern auch an der engen Zusammenarbeit mit Oberbürgermeister Bernd Wiegand, die schließlich zur Erhebung eines Mietspiegels in Halle führte. In weniger als sechs Monaten nach seiner Gründung gelang es dem Mieterrat diese seine zentrale Forderung durchzusetzen. Außerdem wird deutlich, dass der Mieterrat kein Akteur linker Stadtpolitik ist, sondern rechtspopulistische Kampagnen betreibt, die solidarischen Kämpfen in Halle entgegenstehen.

Schwerfallende Abgrenzung nach rechts

Pünktlich zur Oberbürgermeisterwahl im September 2019 konstituierte sich der Mieterrat. Bernd Wiegand leitete mitten im Endspurt des OB-Wahlkampfs die Gründungssitzung des Vereins. Seit Beginn zeigt sich eine enge personelle Verflechtung mit Wiegands Unterstützerorganisation Hauptsache Halle. So wird die Facebook-Seite des Vereins von Mathias Nobel betreut. Nobel ist nicht nur Mitglied von Hauptsache Halle und Betreiber des Heidebades, sondern arbeitete dieses Jahr zumindest zeitweilig auch im Oberbürgermeister-Büro von Bernd Wiegand. Mit Johannes Menke, Stadtrat und Vorsitzender der Freien Wähler Halle, ist eine weitere lokale Politikprominenz im Vorstand des Mieterrats vertreten, der formal von Peter Scharz geführt wird.

Betrachtet man die einzelnen Akteure aus dem Umfeld des Mieterrats, erscheint es wenig verwunderlich, dass der Mieterrat immer wieder mit Rechten zusammenarbeitet. Johannes Menke ist ehemaliger Chef der WerteUnion Sachsen-Anhalt; die später von ihm in Halle aufgebauten Freien Wähler positioniert er zwischen CDU und AfD. Als einziger Mandatsträger der Freien Wähler im Stadtrat schloss er sich mit dem ehemaligen AfD-Politiker Gernot Nette zusammen. Auf den öffentlichen Infoveranstaltungen des vorläufigen Mieterrats, welche die Autoren besuchten, kam es mehrfach zu abfälligen und latent rassistischen Äußerungen gegenüber Geflüchteten.

Zusammenarbeit mit der AfD

Aber auch die Wählervereinigung Hauptsache Halle um OB Bernd Wiegand scheint nicht gewillt zu sein, sich überzeugend von der AfD abzugrenzen. In der Stichwahl gegen Henrik Lange (Die Linke) distanzierten sich weder Hauptsache Halle, noch Wiegand selbst von der Wahlunterstützung seitens der AfD. Hinzu kommt es im Stadtrat immer wieder zur Zusammenarbeit mit der Partei, durch die es der AfD gelingt, gegen die Blockade der meisten Stadtratsfraktionen eigene Anträge durchzubringen.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch die letzte Aktion des Mieterrats Halle, die wiederholt für Irritationen und Kritik gesorgt hat, wenig überraschend. Am Samstag, dem 15. Februar 2020, organisierte er unter dem Motto „Packen wir´s an“ eine Aufräumaktion im Südpark, an der sich auch die AfD mit ihrer „Initiative für Halle“ beteiligte. Mit dabei waren unter anderem Jonas Jung, Stadtrat Rene Schnabel (AfD) und Donatus Schmidt. In einer Pressemitteilung kritisierte die Partei Die Linke Halle: „Der Oberbürgermeister, der ‚Mieterrat‘ und Hauptsache Halle sollten sich endlich überlegen, ob sie für einen antifaschistischen Grundkonsens einstehen oder nicht. Es kann nicht sein, dass Donatus Schmidt als offener Antisemit erst aus dem Beirat der Stadtmarketing GmbH gewählt wird, nur um dann öffentlich von Beiratsmitglied Mathias Nobel gelobt zu werden.“

Die Einführung des Mietspiegels – Eine progressive Forderung?

Wie bereits erwähnt, kann der Mieterrat in seiner jungen Geschichte einige Erfolge verzeichnen. Auf einem Bild vom 28. Januar dieses Jahres posierte der Vorsitzende Peter Scharz freudestrahlend mit Karl-Herin Gobst, dem Vorsitzenden von Haus & Grund Halle, der Vereinigung zum Interessenschutz der halleschen Wohnungseigentümer. Ein Tag vor der Abstimmung des Stadtrats über die Bereitstellung von 200.000 Euro für die Erhebung eines Mietspiegels wollten beide geschlossene Zustimmung von Mieter*innen und Eigentümer*innen zeigen. Der Mietspiegel solle zu einer „Beruhigung und Sicherung des sozialen Umfelds führen“. Aber was steckt hinter der Forderung?

Als das Wohnimmobilienunternehmen Grand City im Frühjahr 2019 massenhaft Mieten in der Neustadt um bis zu 20 Prozent erhöhen wollte, traten Peter Scharz und Johannes Menke durch zwei Info-Veranstaltungen in Erscheinung. Grand City ist eines der größten europäischen Immobilienunternehmen mit Sitz in Luxemburg. Im Eigentum der Firma befinden sich auch einige der großen Neustädter Wohnblocks. Im Frühjahr 2019 wollte das Unternehmen die fehlende Transparenz auf dem halleschen Wohnungsmarkt nutzen, um seine Mieteinnahmen massiv zu steigern.

Dabei begründete Grand City die Mieterhöhungen mit vermeintlich höheren Vergleichsmieten. Jedoch konnte Johanes Menke nachweisen, dass die von Grand City herangezogenen Wohnungen entweder hinsichtlich ihres Zustandes nicht vergleichbar waren oder die Mietkosten die ortsübliche Miete überstiegen. Als Folge der Recherchen nahm Grand City alle Mieterhöhungen wieder zurück.

Mieterrat und Vermieter*innenlobby Hand in Hand

Seit diesem Vorfall war die Wiedereinführung eines Mietspiegels eines der zentralen Kampagnenziele des Mieterrats, das auf Social Media unter #stopptdenmietenwahnsinn verbreitet wurde. Das Problem der fehlenden Transparenz des Wohnungsmarkts könne, so das Argument, mittels der Erhebung eines Mietspiegels behoben werden. Bis zur Einführung des amtlichen Mietspiegels müssen Vermieter*innen bei Mieterhöhungen mindestens drei Vergleichsmieten vorlegen, die die ortsübliche Miete repräsentieren. Das würde sich mit der Etablierung eines Mietspiegels erübrigen, da dieser die jeweiligen Durchschnittsmieten abbildet.

Der hier dargestellte Fall von Grand City zeigt, dass davon durchaus auch Mieter*innen profitieren können. Allerdings kann der Mietspiegel auch ein zweckdienliches Instrument von Vermieter*innen sein, um ohne viel Aufwand unterdurchschnittliche Mieten zu erhöhen. Hinzu kommt, dass die Ermittlung der jeweiligen Durchschnittsmieten mittelfristig zu Mieterhöhungen führen wird. Denn in die Berechnung des Mietspiegels fließen nur Neuvermietungen der letzten sechs Jahre ein. Bestandsmieten werden nicht berücksichtigt und in der Folge verzerrt der Mietspiegel mittelfristig das tatsächlich Mietniveau einer Stadt nach oben. Die Preise bei Neuvermietungen dürfen sogar bis zu 20 Prozent über dem Mietspiegel liegen, auch wenn sich an dem Zustand der Wohnung nichts geändert hat.

Mietspiegel dienen also kaum der Begrenzung der Mietpreisentwicklung, sondern helfen letztlich Mietsteigerungen zu legitimieren. Kritiker*innen bezeichnen ihn daher als Mieterhöhungsspiegel. So ist es nicht verwunderlich, dass sich neben dem Mieterrat vor allem die Immobilienwirtschaft in Halle über diesen Beschluss freute. Dabei fällt auf, dass der Mieterrat Halle seit dem Beschluss des Stadtrats im Januar, einen amtlichen Mietspiegel einzuführen, keine weiteren politischen Forderungen mehr erhoben hat.

Klientelismus in der Neustadt – die Vorläufer des Vereins

Der Name „Mieterrat Halle“ kommt nicht von ungefähr. Er klingt nicht nur seriös, sondern er knüpft auch an eine Tradition an, die es für kurze Zeit bereits in Halle gegeben hat. Denn Ende der 90er Jahre gründete der Immobilienunternehmer Ulrich Marseille einen Mieterrat in Halle. Zuvor hatte der Unternehmer für insgesamt 75 Millionen Mark der kommunalen GWG den aktuellen Grand-City-Bestand abgekauft. Eben dieser ehemalige Mieterrat sei, so Peter Scharz, Vorbild für den aktuellen Verein. Jedoch diente der damalige Mieterrat vorrangig den persönlichen und kommerziellen Interessen Ullrich Marseilles. Dazu passt die Erinnerung einer ehemaligen Mieterin von Marseille: Der Rat sei völlig von Marseille abhängig gewesen, erinnerte sie sich auf einer Veranstaltung des Recht-auf-Stadt-Bündnisses Halle im Sommer 2019, und habe keine „eigenen Kompetenzen besessen“.

Aber wieso gründet ein Immobilienunternehmer einen Mieterrat und welchen Nutzen sollte er daraus ziehen können? Der Kauf der Scheiben in der Neustadt erwies sich im Nachhinein für Marseille als Fehlinvestition. Durch Druck auf die GWG und mithilfe von Spenden von über 40.000 Mark an die CDU versuchte der Unternehmer den Deal neu zu verhandeln. Nachdem dies scheiterte, verklagte er die GWG auf 115 Millionen Mark Schadensersatz. Währenddessen baute er die zur Stadtratswahl 1999 neugegründete Mieter- und Bürgerliste auf und finanzierte sie mit bis zu 420.000 Mark. Während er sich mit der kommunalen GWG in einem Millionenrechtsstreit befand, attackierte die Liste im Wahlkampf das kommunale Unternehmen.

Die Liste wurde mit knapp sieben Prozent der Stimmen als viertstärkste Kraft in den Stadtrat gewählt. Vor allem in der Neustadt war sie mit klientelistischen Angeboten zur Aufwertung des Stadtteils erfolgreich. Marseille betonte zwar, dass sich die Liste aus den vermeintlichen Mieterräten der Neustadt entwickelt hätte, jedoch fand der Spiegel Journalist Hans-Jörg Vehlewald 1999 heraus, dass vier der sieben Gründungsmitglieder bei Marseille angestellt waren.

Ulrich Marseille oder mindestens seine Mieterräte sind nicht nur Vorbild von Peter Scharz. Der ehemalige Unternehmensberater und frühere Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung Halle stand in einem engen Verhältnis zu Marseille. Vermutlich war Scharz auch im damaligen Mieterrat involviert, vor allem aber sind beide in einen Bestechungsfall verwickelt. Laut MZ wurde Ullrich Marseille 2010 für die Bestechung der damaligen Lebensgefährtin von Scharz vom Landgericht Halle zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Fazit

Vor diesen Hintergründen ist es fragwürdig, ob der „Mieterrat Halle“ daran interessiert ist, sich für mehr Gerechtigkeit auf dem halleschen Wohnungsmarkt einzusetzen. Jedenfalls ist er seit dem Beschluss zur Einführung eines Mietspiegels nicht mehr mit mietenpolitischen Forderungen aufgefallen. Der positive Bezug auf den ehemaligen Mieterrat und die Verflechtung mit Oberbürgermeister Bernd Wiegand und den Freien Wählern legen eher die Vermutung nahe, beim Mieterrat Halle handle es sich um einen Satelliten – formal unabhängig, aber eigentlich mit der Funktion, in geeigneten Momenten Wähler*innenstimmen zu mobilisieren oder zivilgesellschaftliche Zustimmung zu suggerieren. Damit wird ein hallesches Phänomen fortgeführt, durch scheinbar unabhängige Vorfeldorganisationen eigene politische oder, wie im Falle von Marseille, kommerzielle Interessen durchzusetzen.

Aus linker Perspektive ist es wichtig, sich mit der Struktur und dem Kontext wirksamer stadtpolitischer Akteure auseinanderzusetzen, besonders wenn diese suggerieren, sich uneigennützig und progressiv für die Interessen benachteiligter Stadtteile einzusetzen. Stellen sich diese als rechtspopulistische Mobilisatoren heraus, müssen Überlegungen folgen, wie dem entgegenzutreten ist.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.