Stimmen aus dem systemrelevanten Sektor

Studierende berichten von ihren Erfahrungen während der ehrenamtlichen Hilfe in Gesundheitsamt, Fieberambulanz, Bürgertelefon und Krankenhaus

von | veröffentlicht am 12.05 2020

Beitragsbild: wikimedia.org | CC-BY-SA 4.0

Um dem Personalmangel entgegen zu wirken haben viele Studierende der Medizin in Halle ihre Hilfe in der medizinischen Versorgung angeboten. Sintoma - Medizin und Gesellschaft hat die Kommiliton*innen nach ihren Erfahrungen in den Einrichtungen gefragt. Die Berichte zeigen, dass es - neben guten Erfahrungen - einen großen, nicht eingelösten Wunsch nach Wertschätzung und Anerkennung gibt - nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten. Deutlich wird, dass es aufgrund von Sparmaßnahmen an Material und Personal mangelt.




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Gesundheitsamt: Aus den gegenwärtig gemachten Erfahrungen lernen

„Anfang März gehörte ich noch zu den Entspannten mit dem obersten Ziel der Verhinderung einer Panik anstatt einer Pandemie. Naja, Mitte März wurde mir dann langsam klar, dass Letzteres doch eintreten würde – mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens und Quarantäne. Natürlich wollte ich auch gerne helfen. Also fragte ich die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA) an, schrieb mich in Online-Listen ein. Da schien man aber – trotz mehrfacher Nachfragen – wenig Bedarf zu haben. Am Ende rief ich das Gesundheitsamt Halle an und hier war man tatsächlich froh über das Angebot zu helfen.

Am nächsten Tag stellte ich mich vor und wurde grob eingewiesen. Auch im Amt war vieles unklar bezüglich der Abläufe, Vergütung und Bedarf – verständlicherweise. Zuerst sollte ich in der Telefonhotline arbeiten. Das machte ich dann auch für ganze zwei Stunden, in denen ich wie die meisten meiner Kolleg*innen überfordert war.

Dann brauchte man jemanden für Abstriche vor der Haustür der Personen in Quarantäne. Ich meldete mich gern dafür. Mit einem pensionierten Arzt fuhr ich durch Halle, navigierte vor allem und beschriftete Röhrchen. Diese Aufgabe beschäftigte uns für zwei Tage.

Dann richtete die KVSA einen offiziellen mobilen Abstrichdienst ein. So wurde ich dem Team zugeordnet, welches Kontakte von Infizierten ermittelte. Hier war der Einstieg hart, da ich mich zuerst einmal selbst durch all die Anordnungen kämpfen musste. Oft rief ich Infizierte mehrere Male zurück, um nach Rücksprache mit den Vorgesetzten die richtigen Informationen zu bekommen und weiterzugeben. Dabei merkte ich, dass die hohe Anzahl der Anrufe die Betroffenen nicht störte. Wichtig war es, mit etwas Empathie den Leuten zu begegnen, gerade wenn sie die Nachricht der Quarantäne und deren Konsequenzen verarbeiten mussten. Ich empfand es als sehr angenehm, dass ich nie wirklich Zeitdruck hatte und so mit den Leuten besprechen konnte, wer Einkäufe übernehmen oder die Post holen könnte.

Nun nimmt die Anzahl der Neuinfizierten pro Tag immer weiter ab und Arbeitsabläufe werden routinierter. Dadurch gibt es beim Ermitteln nicht mehr genug zu tun und oft stelle ich nun Bescheinigungen der Quarantäne aus und pflege endlose Excel-Listen.

Zusammenfassend ist das Spannendste für mich das Kennenlernen der Arbeit des Gesundheitsamtes hautnah, auch wie dieses für Krisen eingerichtet ist. Ansonsten ist es ein Wühlen durch die deutsche Bürokratie mit sehr netten Kolleg*innen. Ich würde mir wünschen, dass Rahmenbedingungen und konkrete Aufgaben schon eher feststehen würden. Vielleicht könnten jetzt gebildete Kommunikationswege mit Studierenden für etwaige kommende Krisen noch offener und flexibler mit konkreten Aufgaben gestaltet werden. Eine gute und ausführliche Einweisung, auch zu meinen Rechten und Pflichten, sowie Teilhabe an Besprechungen fände ich wichtig.“

Fieberambulanz: Notlösung auf Kosten des ehrenamtlichen Engagements

„Die Arbeit in der Poli-Reil macht Spaß. Wenn man als Studi aushilft, hat man keine Aufgaben, die einen überfordern. Wir nehmen Leute auf, fragen nach Beschwerden und erklären den Ablauf. Das bringt den Patient*innen etwas mehr Sicherheit. Es ist ein gutes Gefühl, wenn man einen Beitrag zur Bewä um die Lage soweit zu entspannen, dass hoffentlich bald wieder mehr Normalität einkehren kann. Allerdings führt so eine Pandemie zu ganz schönen Organisationsturbulenzen. Es gab anfangs keinen klaren Dienstplan, was dazu führte, dass oft statt zwei Studierende, auch mal drei oder vier, in der Ambulanz saßen und wieder nach Hause geschickt wurden. Inzwischen gibt es aber einen fixen Dienstplan.

Für uns Medistudis ist es außerdem eine frohe Botschaft, dass das Landesprüfungsamt zugesagt hat, uns die Zeit als Praxisfamulatur – also einer Art Praktikum um die Studierenden mit der ärztlichen Patientenversorgung in Einrichtungen der ambulanten und stationären Krankenversorgung vertraut zu machen – anzurechnen.

Ansonsten ist die Lage ähnlich der an anderen Einsatzstellen: wie in fast allen medizinischen Bereichen ist die Schutzkleidung mangelhaft. Als Studi hat man einen OP-Mundschutz pro Tag und Handschuhe.

Leider ist auch die Bezahlung ein ziemliches Ärgernis. Die Fieberambulanz wurde anfangs nur für kurze Zeit angedacht – unentgeltlich und auf freiwilliger Basis. Mittlerweile hat sie sich aber unter diesen Bedingungen richtig etabliert. Das Semester fängt wieder an, es ist schon lange keine Notlösung mehr. Und die Studis arbeiten hier weiterhin neben ihren Onlinekursen – auch am Wochenende und an Feiertagen. Manchmal wird man am Vorabend erst angerufen, ob man tags darauf einspringen kann. Bisher haben wir keinen Lohn erhalten. Die Stadt Halle hat immerhin fünf Euro pro Stunde in Aussicht gestellt. Das ist aber nicht mal Mindestlohn.“

Bürgertelefon: Aushilfskräfte arbeiten für fünf Euro in den Nachtstunden und am Wochenende

Eine Kommilitonin arbeitet seit Anfang April beim Bürgertelefon. Das Bürgertelefon wird von der Stadt als Corona-Hotline genutzt. Dort können rund um die Uhr Fragen zu den Maßnahmen bezüglich Corona gestellt werden.

Eine ausführliche Einarbeitung hat es nicht gegeben, ebenso keinen Arbeitsvertrag, damit auch keine Versicherung der Aushilfskräfte. Eine Aufwandsentschädigung von 5€ pro Stunde, die von den Stadtwerken Halle und der Sparkasse übernommen wird, ist vorgesehen. Das System hat Acht-Stunden-Schichten, rund um die Uhr, auch am Wochenende. Die Angestellten des Bürgeramtes übernehmen meist die Vormittagsschichten. Abends, nachts und am Wochenende arbeiten überwiegend die Aushilfskräfte.

Am häufigsten stellten Bürger*innen Fragen zu Ausgangsbeschränkungen, Besuchen und mittlerweile zur Maskenpflicht. Entgegen der Ankündigung durch die Leitung wurden die Anfragen nicht aufgeteilt in solche mit und solche ohne Bezug zu medizinischen Themen. Daher erreichten die Medizinstudentin auch viele Nachfragen zu Verwaltungs- und Behördenvorgängen.

Bei medizinischen Fragen oder Corona-Verdachtsfällen wird empfohlen, sich bei einer der bekannten Teststellen vorzustellen oder sich telefonisch beim Hausarzt, beim Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst oder beim Gesundheitsamt zu melden.

Da scheint es schon etwas kurios, dass für die Hilfe explizit Medizinstudierende gesucht wurden, auch weil das Personal des Bürgeramtes nicht medizinisch vorgebildet ist. Informationen zu neuen Verordnungen und Veränderungen der Lage wurden nicht täglich aktualisiert. Sie hätte sich täglich neu durch die Medien informieren müssen, um zu wissen, was sie den Anrufer*innen raten könne, so die Kommilitonin.
Ihr Resümee ist, dass sie ein nettes Arbeitsumfeld gehabt habe. Allerdings hätte sie sich mehr Wertschätzung und fairere Arbeitsbedingungen gewünscht.

Universitätsklinikum: „Am meisten beunruhigt mich der Materialmangel.“

„Die Corona-Krise erreichte Deutschland, und die medizinische Fachschaft rief dazu auf, „unser Uniklinikum“ personell zu unterstützen. Natürlich meldete ich mich, genauso wie viele anderer meiner Kommiliton*innen, und kehrte nach Halle zurück.
Doch während ich im Krisenmodus angekommen war, mich innerlich darauf eingestellt hatte, mehr oder weniger direkt nach der Ankunft im Krankenhaus eingesetzt zu werden, begann stattdessen eine Auseinandersetzung mit der deutschen Bürokratie.

Nach einiger Wartezeit und diversen ausgefüllten Formularen später ging es dann endlich los. Ich bekam den lang ersehnten Anruf, dass ich mich am nächsten Tag pünktlich auf einer Station mit intensivmedizinischem Bereich melden sollte.
Das überraschte mich dann doch. Ich hatte bis auf das obligatorische Pflegepraktikum keinerlei Erfahrungen in der Pflege, geschweige denn auf einer Intensivstation. Entsprechend groß waren meine Unsicherheit und mein Respekt vor dem ersten Tag.

Etwas holprig ging es dann auch los. Was kannst du? Hast du dies oder jenes schon einmal gemacht? Wie weit bist du im Studium? Die meisten meiner Antworten ernüchterten sowohl jene, die mich anleiten sollten, als auch mich selbst.
Denn de facto lernt man im Medizinstudium kaum etwas über die Arbeit der Pflege. Weder wie komplex und fordernd diese ist, noch wie unfassbar schön sie auch sein kann, gerade im zwischenmenschlichen Bereich.

Bis jetzt gibt es für mich Tage, die sowohl körperlich als auch geistig einfach nur erschöpfend sind. Viele Erlebnisse finden ihren Weg zu mir nach Hause, obwohl mir immer gesagt wird, ich soll alles im Krankenhaus lassen. Nur wie ich das genau mache, konnte mir noch keiner verraten.

So fällt es mir beispielsweise schwer, mit dem Besuchsverbot klar zu kommen. Egal wie sehr ich die medizinische Notwendigkeit sehe, menschlich ist es einfach traurig zu wissen, dass die Patient*innen auf Station gerade allein um ihre Gesundheit kämpfen müssen. Noch dazu auf einer Intensivstation, wo ich nicht unbedingt Menschen begegne, die in drei Tagen wieder nach Hause gehen können. Die meisten von ihnen können nicht mal eben telefonieren, geschweige denn skypen oder ähnliches. Es täte ihnen mehr als gut, wenn mal jemand vorbeikäme, ihnen die Hand hielte und mit ihnen redete.
Von pflegerischer Seite fehlt dazu an den meisten Tagen leider die Zeit inmitten des typischen Arbeitspensums. Da wünsche ich mir manchmal schon ein, zwei, drei mehr ausgelernte Pflegekräfte auf der Station. Nicht nur in Zeiten der Krise, sondern dauerhaft.

In der Corona-Krise selbst beunruhigt mich mit am meisten der Materialmangel. Wie kann es in einem so reichen, wirtschaftlich so gut vernetzten Land, sein, dass im medizinischen Bereich viele Sachen kaum noch zu beschaffen sind und oftmals dann auch nur zu horrenden Preisen? Wieso soll ich mit einem Mundschutz über acht Stunden hinweg arbeiten, obwohl ich ihn alle zwei bis drei Stunden wechseln müsste, damit er effektiv ist? Warum schaffen wir es gerade nicht, beispielsweise Schläuche für Dialysemaschinen zu besorgen, so dass nierenkranke Patient*innen diese deutlich länger als empfohlen nutzen müssen? Wie kann es sein, dass Teile von Zugangssystemen, über die Medikamente gegeben werden, deutlich seltener gewechselt werden, als sie sollten, weil die Befürchtung besteht, dass sie knapp werden könnten? Eine Mitarbeiterin sagte sehr treffend: ‚Am Ende retten wir einen Patienten vor Corona und ein anderer stirbt dafür an einer Sepsis.‘ Hoffentlich nicht.

Dennoch würde ich mich wieder melden, definitiv. Es ist ein Privileg, in solchen Zeiten nicht nur viel Menschliches, sondern auch Fachliches zu lernen. Dabei eigene Perspektiven zu hinterfragen und manchmal auch neue zu finden. Das eigene Gesundheitswesen noch mehr als sonst zu schätzen, aber auch zu kritisieren.

Es ist für mich ein Privileg, gerade etwas tun zu können, helfen zu können. Fähigkeiten zu besitzen, in der aktuellen Situation zu arbeiten und etwas zur Verbesserung der Situation beitragen zu können und nicht nur solidarisch zu sein, indem ich zuhause bleibe und soziale Kontakte meide.

Es gibt so viele Menschen in Deutschland, die jeden Tag für die Gesundheit anderer ihr Bestes geben, auf die verschiedensten Arten und Weisen. Oft gehen sie dafür weit über die eigenen Grenzen hinaus. Dann frage ich mich immer, ob das sein muss. Ob ein Gesundheitswesen nicht für alle da sein kann, auch die darin Arbeitenden. Und zwar nicht erst, wenn sie es für sich selbst in Anspruch nehmen müssen.

Ich finde es beeindruckend, dass durch die Corona-Krise solche Fragen wieder mehr eine Rolle in gesellschaftlichen Diskussionen spielen. Und ich hoffe, dass der angestoßene Dialog mit Ende der Krise nicht abbricht, dass der Applaus für die alltäglichen, aber oft vergessenen Helfer*innen nicht abreißt, aber mehr durch Taten ersetzt wird.“

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.