„Ich habe mir hier ein Leben aufgebaut“

Über die Lebenssituation von Rom_nja in Halle

von | veröffentlicht am 27.02 2018

Beitragsbild: Sharat Ganapati

Unsere Gastautorin führte Gespräche mit Rom_nja aus Halle. Wir veröffentlichen im Folgenden einige redaktionell bearbeitete Auszüge des Artikels „Ich wollte nicht mehr niedrig sein.“ – Erzählungen rumänischer Rom_nja aus Halle.




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„Ich habe dir doch gesagt, dass ich so angezogen nicht hierher kommen möchte. Das ist mir peinlich vor denen da…“, sagt Adriana Mitu und schaut in Richtung zweier Personen der Mehrheitsgesellschaft. „Wenn die Leute mich im Rock sehen, denken sie schlecht über mich.“ Sie möchte am liebsten wieder gehen, obwohl ihr der Besuch im Jobpoint vorher so wichtig war. Ihr Ziel ist es, nicht mehr auf der Straße zu sitzen. Wenn sie Arbeit hätte, müsste sie nicht mehr Passant_innen um Geld für ihre Familie bitten. Seit Januar 2014 gilt für rumänische Staatsbürger_innen in Deutschland die volle Arbeitnehmer_innenfreizügigkeit. Sie dürfen damit jede Stelle annehmen und sich zur Arbeitssuche unbeschränkt in Deutschland aufhalten. Allerdings haben EU-Bürger_innen laut Rechtsprechung nur mit einem Arbeitsvertrag oder einem gut funktionierenden Gewerbe Anspruch auf aufstockendes Arbeitslosengeld.

Der ungekürzte Artikel des Autor*innenkollaborativs Sarah Münch, Gabriela Constantin, Mariana Tudor, Tudor Marin, Alexandru Cociu, Adriana Mitu (Name geändert), Petruţa Spătaru, Nicuşor, Mircea Sandu (Name geändert) und Doina Spătaru ist auf der Seite „Weiterdenken“ des Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen e.V. erschienen und kann hier abgerufen werden.

Adriana Mitu stammt aus einem Städtchen im Süden Rumäniens und zog nach ihrer Heirat nach Bolintin-Vale. Ich lernte sie kennen, weil sie in der Innenstadt saß und wir uns öfter sahen, wenn ich mit anderen Rumäninnen vorüber ging. Wir treffen uns in einem Café, das ist ihr lieber, ihr Mann muss nichts von dem Interview erfahren. Wie das Leben in Rumänien für sie war, frage ich sie. Zusammen mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebte sie in einem Zimmer im Haus der Schwiegereltern, erzählt sie. Der tägliche Verdienst von 10 Euro aus dem Verkauf von Gemüse reichte für die Familie nicht aus. Den Unterschied zwischen Rumän_innen und Rom_nja kann sie deshalb genau beschreiben: „Als Rumänin findest du Arbeit, ziehst keine langen Röcke an, sammelst kein Altmetall. Roma dagegen sammeln Altmetall, verkaufen Gemüse und leben in Armut. Es hat mir nie gefallen so zu leben. Aber mir bleibt nichts anderes übrig, ich habe ja Kinder.“ Ihre Eltern hätten dagegen „wie Rumänen“ gelebt: Ihr Vater arbeitete in einem Gartenbaubetrieb, säte mit einem Traktor Saatgut aus und hatte nur rumänische Freunde, betont sie. Als Kind habe sie besser Rumänisch gesprochen als jetzt. In Bolintin dagegen lebten die Rom_nja anders, statt von festen Arbeitsstellen „von Schrott und Gemüse“ und blieben unter sich.

Im Jobpoint, einer Einrichtung des Jobcenters, hängen Stellenanzeigen aus. In einem kleinen Raum steht ein Telefon, um mit potentiellen Arbeitgeber_innen Vorstellungstermine zu vereinbaren. Immer wieder stocken die Gespräche jedoch an dem Punkt, an dem die Sprache auf die Staatsangehörigkeit der Bewerberin kommt. Auf einer Stellenanzeige wird eine Reinigungskraft in einer Mensa gesucht. Ich bin mit dem Vater von Gabriela Constantin hierher gekommen, der seiner Tochter helfen möchte, Arbeit zu finden. Ich rufe die auf der Stellenanzeige angegebene Nummer an und schildere Gabrielas Anliegen. Die Stimme am Ende der Leitung fragt: „Wenn sie nicht so gut Deutsch kann, woher kommt sie denn?“ „Aus Rumänien.“ „Klaut sie?“ Ich bin sprachlos. „Ähm, was ist denn das für eine Frage? Ich glaube nicht, dass ich darauf eingehen muss.“ Mein Gesprächspartner wird lauter. „Ich stelle Ihnen eine ganz normale Frage. Ich muss wissen, ob sie klaut!“ Wütend lege ich den Hörer auf. Als ich Gabrielas Vater die kurze Unterhaltung übersetze, winkt er enttäuscht ab und kann sich nicht einmal richtig aufregen, so sehr scheint er die Vorurteile gewohnt zu sein. Die Stellenanzeige hängt Monate später immer noch im Jobpoint. Die 21-jährige Gabriela findet wenig später zum Glück eine andere Stelle als Reinigungskraft. Ihr macht das Lachen und Reden mit den Kolleg_innen Spaß und sie ist froh, endlich ein sicheres Einkommen zu haben: „In Rumänien konnte ich keine Arbeit finden, in Deutschland habe ich sofort sehr einfach etwas gefunden“, sagt sie mir. Ob sie irgendwann einmal zurückkehren möchte? „In die Armut? Nie! Mir fehlt hier nichts; meine ganze Familie ist hier. Ich habe mir hier ein Leben aufgebaut.“

Heimat Rumänien: „So haben wir gelebt und überlebt“ Die Lebensgeschichten vieler meiner Gesprächspartner_innen begannen in Bolintin-Vale, einer Kleinstadt mit 13.000 Einwohner_innen westlich von Bukarest. Dort wohnte Gabriela Constantin mit ihrer Familie in einem kleinen Haus. Um sich zu waschen, trug sie das Wasser von der Pumpe auf der Straße nach Hause und erwärmte es auf dem Gasherd. Heute lädt die 21-Jährige mich zu unserem Gespräch in ihr neues Zuhause in Deutschland ein. Gabriela ist eine junge Frau, die weiß, was sie im Leben will und die hilfsbereit ist gegenüber anderen, die sich noch nicht so gut in Deutschland zurecht finden wie sie. Sie hat eine an Menschen *interessierten* und unkomplizierte Art. Die Wohnung, die sieim Moment zusammen mit ihren Eltern, Geschwistern und ihrer Tochter bewohnt, erscheint mir im Vergleich zu anderen deutschen Wohnungen eher leer. Im Fernsehen laufen gerade Video-Clips mit in Rumänien angesagter Rom_nja-Musik, Menschen tanzen und feiern ausgelassen. „Schau, wie fröhlich sie sind, dabei sind sie total arm“, meint Gabriela dazu und schüttelt den Kopf, als wollte sie sagen, dass es für sie in der Armut keinen Grund gibt fröhlich zu sein. Als ich ihr erkläre, dass mich die Situation von Rom_nja in Deutschland und in Rumänien interessiert und etwas unsicher hinzufüge, dass ich sie noch gar nicht gefragt habe, ob sie Romni sei, antwortet sie nachdenklich aber bestimmt: „Ich sage es dir ehrlich: Ich bin es und schäme mich nicht dafür.“

Drei Viertel der Rom_nja leben laut Statistiken in Rumänien in Armut, in der restlichen Bevölkerung ist es knapp ein Viertel. Eine feste Arbeit haben nur zehn Prozent. Die meisten Rom_nja in Bolintin-Vale verdienen ihren Lebensunterhalt mit prekären selbständigen Tätigkeiten oder Gelegenheitsarbeiten. „Muncă de jos“ – „niedrige Tätigkeiten“, wie es einer meiner Gesprächspartner zusammenfasst. Eine Haupteinnahmequelle ist das Sammeln von Altmetall, das mit einem Pferdewagen von den Kund_innen zu Hause abgeholt, nach Metallarten sortiert und zur Sammelstelle gebracht wird. Dort ist es ein paar Cent pro Kilo wert. Das Metallsammeln ist allerdings eine unsichere Lebensgrundlage: „An einem Tag findest du etwas, an einem anderen nichts. Du weißt nicht, was morgen oder übermorgen ist“, erinnert sich Gabriela. Erfahrungen mit Antiromaismus: „Sie sind aggressiv gegen uns“ Als ich Adriana Mitu frage, ob sie sich als Romni in Rumänien manchmal schlecht behandelt gefühlt habe, versteht sie meine Frage nicht. In Rumänien *sei* ihr so etwas nie passiert. Aber in Deutschland! Neben einigen netten Menschen gäbe es hier auch viele Nazis, klagt sie.

Neben verletzender Behandlung und institutioneller Diskriminierung haben viele Rumän_innen in Halle auch antiromaistische Gewalt und Bedrohungen erlebt. Als Familie Cociu noch in der Silberhöhe wohnte, ein Stadtteil im Süden von Halle, wurde ihr Auto bei einem Brandanschlag zerstört. Auch auf der Straße wurde die Familie angegriffen und regelrecht verfolgt. Ein Mann aus der Nachbarschaft schlug der schwangeren Tochter gegen den Bauch; ihr Kind kam einige Tage nach der Attacke zur Welt – sechs Wochen zu früh. Ihre anderen drei kleinen Kinder konnten über fünf Monate die Wohnung nicht verlassen. Sie saßen damit den ganzen Sommer in der Wohnung fest. Schließlich konnte die Familie mit der Hilfe der Mobilen Opferberatung von dort wegziehen. „Die Nachbarn waren zwar nett zu unseren Kindern und hinter dem Haus gab es gleich einen Spielplatz. Aber wir konnten ihn ja nicht nutzen“, erinnert sich Alexandru Cociu vier Monate später.

Auch Familie Suliman litt unter der Situation in Halle-Silberhöhe, als sie noch dort wohnte. Als Gabriela, die Tochter, in Deutschland ankam, erfuhr sie gleich am ersten Tag, dass es in der Nachbarschaft einen Mann gibt, der Rumän_innen verfolgt, bedroht und angreift. „Mir wurde gesagt, dass ich nicht raus gehen und mit meinem Kind nicht auf den Spielplatz dürfe. Ich habe mich gefragt: Bin ich nach Deutschland gekommen um die ganze Zeit in der Wohnung zu sitzen? Ich bin dennoch zum Einkaufen gegangen und auf einen anderen Spielplatz. Zum Glück bin ich dem Mann nie begegnet. Aber meine Brüder und meine Mutter haben ihn fast jeden Tag gesehen. Meine Mutter hatte den Eindruck, dass er ihr auflauert. Eines Abends war es sehr schlimm. Er stand mit 20 anderen Männern vor unserem Haus. Sie haben uns bedroht und aufgefordert, herunter zu kommen, um sich mit uns zu schlagen. Wir riefen die Polizei, aber zu denen waren sie ganz brav. Uns haben sie aber Zeichen gemacht, dass wir warten sollen, bis die Polizei weg ist. Der Mann wollte uns aus dem Viertel vertreiben. Und er hat es ja auch geschafft.“ Erst der Umzug hat die Erleichterung gebracht. „Es war sehr schrecklich, das ist doch kein Leben.“

Als Gabriela und ich an einem Tag durch die Innenstadt laufen und zufällig am Laden der Marke Thor Steinar vorbei kommen, macht die vor der Tür rauchende Verkäuferin ein Gesicht, als müsse sie sich übergeben und wendet sich ab. Als wir weit genug weg sind, erzähle ich Gabriela von dem Vorfall.„Was wollen die Nazis eigentlich?“, fragt sie mich daraufhin. „Sie wollen, dass nur Deutsche in Deutschland leben“, versuche ich eine Antwort. Gabriela entgegnet traurig: „Hm, vielleicht haben sie Recht.“ Ich als weiße Deutsche habe solche Ablehnung in Rumänien nie erlebt und widerspreche ihr deshalb: „Nein, sie haben nicht Recht! In Rumänien hat nie jemand zu mir gesagt, dass ich kein Recht hätte da zu sein.“- Gabriela wird wieder lebendig und lacht: „Nein, natürlich nicht, in Rumänien würde nie jemand auf so eine Idee kommen!“ Auch Mariana hatte immer mal wieder Probleme mit Nazis, aber mit einem war es besonders schlimm. Sie nennt ihn den „Blödmann“. In der Nacht ließ er sie nicht schlafen, klingelte Sturm, warf Steine, Eier und Glasflaschen gegen das Fenster, schickte die Polizei wegen einer angeblichen Waffe zu ihnen. Am Tag bedrohte er die Familie mit einem Stock, beschädigte das Auto und beschimpfte sie und ihre Kinder. Die Eierflecken sind noch immer an Wand und Decke zu sehen. „Ich war damals sehr nervös, als das passierte. Wenn der Blödmann uns nachts weckte, habe ich die Krise bekommen. Es war, als würde ich gar nicht mehr richtig leben.“ Für sie war es Glück, dass sie irgendwann Kontakt zur Mobilen Opferberatung bekommen hat, sagt sie. „Vorher haben wir uns ja nicht mal getraut, die Polizei anzurufen.“ Alle Gesprächspartner_innen berichten, dass sie noch nie vorher antiromaistische Gewalt erlebt haben, auch nicht in Rumänien.

Petruţa Spătaru erzählt, dass sie von dem gleichen Mann mit Steinen beworfen wurde und dass er ihren Kinderwagen angezündet hat. „Alle wussten, welcher Mann das war. Wir haben sogar ein Handyfoto zum Beweis gemacht. Aber die Staatsanwaltschaft hat uns mitgeteilt, dass nicht herausgefunden werden konnte, wer der Täter ist und dass sie deshalb die Ermittlungen einstellen. Aber es ist doch völlig klar, wer es war! So etwas verstehe ich nicht. Das Rote Kreuz (sie meint die Mobile Opferberatung, S.M.) hat uns wenigstens den Schaden für den Kinderwagen ersetzt.“ Das Auto habe sie vorsorglich verkauft, noch ehe es zerstört werden konnte. Ihr Sohn sammelt jetzt mit dem Fahrrad Schrott, obwohl das wenig Ertrag bringt. Doch auch in ihrem jetzigen Wohnviertel gäbe es „Verrückte“, die sie auf der Straße beleidigten. Sie ignoriert solche Menschen: „Was kümmert es mich, was jemand anders gegen mich hat? Überhaupt nichts!“, sagt sie. Warum sie denke, dass die Leute sie angriffen? „Das interessiert mich nicht.“

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.