#FightEveryCrisis

Nationalismus und Neoliberalismus sind keine Antworten auf die aktuellen Krisen

von | veröffentlicht am 18.05 2021

Beitragsbild: Ende Gelände Halle

Die aktuelle Pandemie zeigt nicht nur die ökologischen und sozialen Missstände einer globalisierten Weltgesellschaft auf. Es wird auch deutlich, welche politischen Kräfte (nicht) in der Lage sind, mit dieser Situation umzugehen. Angefangen bei den lokalen Herausforderungen in Sachen-Anhalt.




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Die Landtagswahlen in Sachen-Anhalt stehen vor der Tür und selbstverständlich dominiert das Thema Corona die politische Debatte, wie auch den aktuellen Wahlkampf. Die Krise ist allgegenwärtig, ob in Talkshows, Zeitungsartikeln oder auf socialmedia. Über nichts wird gerade so viel diskutiert und gestritten wie über die allgemeine Coronapolitik. Doch ist es wichtig, bei den gesundheitspolitischen Debatten und der notwendigen Kritik am fahrlässigen Handeln der Regierungen eine andere Krise nicht aus dem Blick zu verlieren: Die Klimakrise. Denn der Klimawandel macht während der Pandemie keine Pause. Der Anstieg des globalen CO2-Ausstoßes und die damit verbundenen sozioökologischen Verwerfungen (dürrebedingte Nahrungsmittelknappheiten, ansteigender Meeresspiegel etc) verschärfen sich stetig. Dieser Punkt zielt jedoch nicht einfach auf einen banalen Whataboutism à la „auch andere Krisen verdienen Beachtung“. Vielmehr dient der Vergleich von Klima- und Coronakrise einem besseren Verständnis der Ursprünge derzeitiger gesellschaftlicher Problematiken, und hilft uns mögliche Lösungsansätze zu entwickeln. Denn es bestehen Zusammenhänge zwischen den beiden Krisen, sowohl was deren kausale Verknüpfung angeht, als auch bezüglich des angestrebten Krisenmanagements.

Ende Gelände Halle ist eine lokale Gruppe aus Aktivisti, die sich für Klimagerechtigkeit und gegen jede Form von Ausbeutung und Unterdrückung einsetzen. Finden Braunkohle und Kapitalismus eher nicht so gut. Organisiert in der Bundesweiten Struktur Ende Gelände.

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In der wissenschaftlichen Gemeinschaft herrscht mittlerweile weitestgehend Konsens darüber, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Zunahme von pandemischen Situationen bzw. dem Entstehen neuer Infektionskrankheiten und dem Klimawandel besteht. Die Klimakrise und die mit ihr verbundene Biodiversitätskrise führen zu einer stetigen Verkleinerung von Lebensraum für Tiere, was letztlich dazu führt, dass Mensch und Tier auf zunehmend engem Raum miteinander koexistieren müssen. So kommt es vermehrt zu Übertragungen von tierischen Erregern auf den Menschen (so auch bei Covid-19). Wenn wir der Klimakrise nicht mit angemessenen Maßnahmen begegnen, werden die Pandemien in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit erhöhter Regelmäßigkeit auftreten. Das gilt es für Politik und Zivilgesellschaft zu verhindern.

Doch auch über dieses kausale Verhältnis hinaus besteht ein Zusammenhang zwischen den Krisen. In beiden Fällen haben wir es mit globalen Phänomenen zu tun. Ob Erwärmung des Erdklimas oder die Pandemie in einer globalisierten Welt, die Auswirkungen sind weltweit spürbar. Weder die Klimakrise noch die Pandemie machen an nationalstaatlichen Grenzen halt. Diese Ausgangslage macht ein geschlossenes, einheitliches, überstaatliches Handeln unabdingbar. Wir können den Krisen nur begegnen, wenn wir nationale Ressentiments zurückstellen und uns stattdessen einer kooperativen und international koordinierten Krisenpolitik zuwenden. Der Bezugspunkt vernünftiger politischer Entscheidungsprozesse hat sich somit auf die Ebene der globalen und internationalen Politik verlagert, was jedoch zeitgleich mit wesentlichen Perspektiven unserer nationalstaatlichen Demokratie kollidiert.

Aktionswoche

In der Aktionswoche „Fight every crisis: Zwei Krisen ein Problem – Shutdown Capitalism“ will Ende Gelände Halle im Zuge der Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt auf die Zusammenhänge zwischen Corona- und Klimakrise aufmerksam machen. Beide Krisen müssen im Kontext ihrer gesellschaftlichen Ursachen betrachtet und gelöst werden. Am 21.05. wird dazu um 18 Uhr eine Kundgebung auf dem Marktplatz in Halle stattfinden.

Außerdem ist klar: obwohl wir es in beiden Fällen mit globalen Phänomenen zu tun haben, treffen die Krisen nicht alle Menschen gleichermaßen. Dieser Unterschied zeigt sich am Beispiel der Klimakrise vor allem daran, dass die Staaten des globalen Nordens, die einen Großteil der ursächlichen CO2 Emissionen zu verantworten haben, bis dato die geringste Last an den Folgen der Krise tragen. Währenddessen sind Menschen des globalen Südens schon jetzt massiv von der Krise und ihren Folgen bedroht. Eine Zunahme extremer Wetterereignisse, Dürren und der steigende Meeresspiegel verwandeln schon jetzt ganze Landstriche in unbewohnbare Gebiete und zwingen die dort Lebenden Menschen in Hunger, Armut, Tod bzw. zur Flucht. Auch die Coronapandemie zeigt deutlich bestehende globale bzw. nationale Ungleichheiten auf. Im globalen Süden kann der Krise nicht mit denselben Ressourcen begegnet werden wie im globalen Norden. Es fehlen Kapazitäten für Tests, Intensivbetten und fundamentale medizinische Infrastruktur. Auch der Zugang zu Impfstoff wird von den Ländern des globalen Nordens durch die Restriktion der Patentfreigabe bzw. dem Vorrecht auf Verteilung der Vakzine behindert (hierbei spielt u.a. der deutsche Staat eine nichtt zu unterschätzende Rolle). Den finanziellen Interessen der Pharmaindustrie und einer ignoranten „wir zuerst“-Logik wird dadurch mehr Berechtigung zugesprochen als dem Kampf um die Gesundheit der Weltbevölkerung und einer konsequenten Bekämpfung/ Eindämmung der Pandemie.

Auf der bundesdeutschen Ebene sieht es leider nicht besser aus. Hier befeuern die generellen gesellschaftlichen Ungleichheiten auch eine Ungleichheit bezüglich der Krisenlast. Vor allem FLINTAs, Arbeiter*innen und rassifizierte Menschen sind besonders von der Coronakrise betroffen. Sie leisten vermehrt Care-Arbeit, arbeiten in prekären Beschäftigungsverhältnissen (meist ohne adäquaten Infektionsschutz), können in der Sammelunterkunft die Hygienemaßnahmen nicht befolgen und müsen so um ihre Gesundheit fürchten. Die Menschen, die sowieso schon von den ökonomischen bzw. gesellschaftlichen Verhältnissen benachteiligt werden, sind in Krisenzeiten auch noch einer zusätzlichen Mehrbelastung ausgesetzt. Das verschärft die bestehenden Ungleichheiten massiv. Gleiches gilt für die Klimakrise: Überall dort wo gesellschaftliche Zusammenhänge erodieren, sind Menschen in prekarisierten Lebensverhältnissen besonders betroffen.

Die Parallelen setzen sich fort, wenn wir das herrschende Krisenmanagement unter die Lupe nehmen. Anstatt konsequente Krisenpolitik zu betreiben so z.B. im Rahmen der Klimakrise einen sofortigen Kohleausstieg zu beschließen, die Verkehrswende voranzutreiben und einen wirtschaftlichen Degrowth zu forcieren, verlieren sich die Verantwortlichen auf Seiten der Regierung in einem ineffektiven Scheinaktivismus. Es werden halbherzige Maßnahmen beschlossen, welche die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung nur selten zu Rate ziehen und stattdessen wirtschaftliche Interessen hofieren.

Diese Ähnlichkeiten sind kein Zufall. Sie verweisen vielmehr auf ihren Ursprung in einer gemeinsamen Problematik. Politik und Wirtschaft sind in einem neoliberalen Gesellschaftssystem miteinander verflochten. Politische Entscheidungen werden unter dem Paradigma von wirtschaftlichem Nutzen getroffen sowie die Wirtschaft zugleich direkten Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse nimmt. Außerdem ist der Nationalstaat selbst Player im globalen Markt und muss sich als solcher, gegen die Konkurrenz mit anderen Staaten behaupten. Das verunmöglicht einerseits eine Politik, welche den Menschen als Maxime ihrer Handlungen begreift und andererseits einen koordinierten Internationalismus, der die Bekämpfung globaler Krisenzustände ermöglichen würde. Die neoliberale Ausprägung des Kapitalismus und die nationalistische Orientierung als zentrale Charakteristika des modernen Staates verhindern somit ein konsequentes Krisenmanagement.

Auch in der Landespolitik in Sachsen-Anhalt sind die Auswirkungen der neoliberalen und nationalistischen Ausrichtung der Politik spürbar. AfD und CDU können dabei als hervorstechendste Vertreter*innen einer neoliberal-kapitalistischen und nationalistischen Ideologie begriffen werden. Auch hier lassen sich Parallelen im Umgang mit Corona- und Klimakrise aufzeigen.

 

Die AfD wählt dabei (was keine Neuheit ist) den rechtspopulistischen Weg der Verleugnung des faktischen Tatbestandes. So tut sich der AfD Abgeordnete Robert Farle durch eine Leugnung des Zusammenhanges von CO2 Emission und Erderwärmung sowie der anthropogenen Ursachen für eben jenen CO2 Anstieg hervor. Es wird auf dubiose wissenschaftliche Quellen verwiesen und Klimapolitik und -wissenschaft als „Ideologie“ bezeichnet.1 Auch hier wird jedoch des Weiteren auf die Interessen der Wirtschaft verwiesen die, laut AfD, einer überzogenen Klimapolitik geopfert würden. In Bezug auf die vorangegangene Argumentation ist der Grund dafür klar. Auf dem ideologischen Fundament der AfD aus völkischem Nationalismus und Neoliberalismus ist einer Krise wie der Klimakrise letztlich nicht zu begegnen. Die Problematiken erfordern (wie oben ausgeführt) eine internationalistische Perspektive, die im Stande ist, fundamentale Paradigmen von Marktwirtschaft in Frage zu stellen. Dies ist aus Sicht der AfD nicht möglich, da es mit den Eckpfeilern ihrer Ideologie kollidiert. So bleibt ihnen letztlich nur die Möglichkeit die Realität der Krise in Zweifel zu ziehen, um sich der Frage nach der Lösung nicht stellen zu müssen.

Auch bei Corona lässt die AfD in Sachsen-Anhalt ähnliche Argumentationsmuster erkennen. Hier werden PCR-Tests als „von der Politik missbrauchtes Instrument zur Panikmache“ bezeichnet, ihre Wirksamkeit – erneut unter Rückgriff auf dubiose „wissenschaftliche“ Erkenntnisse – in Frage gestellt. All dies dient dem Zweck der Verharmlosung. Zwar will man die Realität des Virus nicht leugnen, jedoch die reale Gefahr, die von der Pandemie ausgeht (was letztlich auf dasselbe hinaus läuft). Die Argumentation weist eklatante Parallelen zum Umgang mit der Klimakrise auf. Die Realität einer Krise wird fundamental in Frage gestellt. Folgen werden verharmlost, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht anerkannt und letztlich die Interessen der Wirtschaft gegen diese scheinbar marginale Gefahr ausgespielt.2

Doch nicht nur die AfD als populistische und offen faschistische Partei versagt in puncto Krisenmanagement. Auch die CDU in Sachsen-Anhalt bedient sich gerne der oben angeschnittenen Argumentationsmuster. Hier stellt der Abgeordnete Andreas Schuhmann schon auch mal den Zusammenhang von anthropogenem CO2 Ausstoß und Klimakrise in Frage.3 Man möchte sich zwar nicht in die Ecke der Leugner*innen stellen, unterscheidet sich jedoch in der Argumentationslinie nur marginal von dem Standpunkt der extremen Rechten. Auch hier ist es vor allem der wirtschaftliche Schaden, den die CDU fürchtet. Die Kapitalinteressen werden gegen die Interessen der Bevölkerung aufgewogen, der realpolitische „Kompromiss“, welcher letzten Endes herauskommt, stellt ein sinnloses Konglomerat ineffektiver Scheinmaßnahmen dar, die alle am Gang der Krise nichts wesentlich verändern.

Auch im Falle der Coronakrise tut sich die CDU in Sachsen Anhalt besonders durch eine devote Haltung gegenüber den Interessen von Wirtschafts- und Unternehmerverbänden hervor. Anstatt mit konsequenten befristeten Schließungen die Inzidenz unten zu halten, Menschenleben zu retten, Kapazitäten im Gesundheitssystem zu schonen, und langfristigen körperlichen Folgen wie Long-Covid vorzubeugen, wird lieber mittels halbherziger und inkonsequenter Maßnahmen eine stetige Eskalation des Infektionsgeschehens provoziert. Solidarische Antworten auf die Krise? Fehlanzeige. Stattdessen lieber maximale Einschränkung im Privaten und uneingeschränkte Privilegien für die Wirtschaft. Ein kapitalistisches Dystopia wie es im Buche steht.

Gründe die AfD nicht zu wählen gibt es viele: sie ist eine neofaschistische, offen rassistische und populistische Partei. Besonders rassifizierte Menschen bzw. alle die nicht in das Wahnbild einer homogen weißen Gesellschaft passen sind durch ihre Politik bedroht. All dies ist mit unserem Verständnis einer offenen Gesellschaft nicht vereinbar. Eine Bewegung die sich Klimagerechtigkeit auf die Fahnen schreibt muss sich notwendigerweise konsequent antifaschistisch positionieren. Doch außerdem hat sich letztlich am Beispiel von Corona- und Klimakrise gezeigt, dass wir mit AfD und CDU kein effektives bzw. adäquates Krisenmanagement erwarten können. Wenn die Krisenerscheinungen in einer neoliberalen Wirtschaftspolitik wurzeln (Wachstumspolitik, privatisiertes Gesundheitssystem) und Lösungsansätze eine Kollision mit wirtschaftlichen Interessen voraussetzen, wenn des Weiteren eine überstaatliche Perspektive in der Lösung globaler Problematiken notwendig wird, können uns nationalistisches Denken und alternativloser Glaube an die Paradigmen kapitalistischer Marktwirtschaft nicht weiter helfen. Wir brauchen Akteure, die bereit sind wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre politische Entscheidungsfindung mit einzubeziehen und auch die Transformation fundamentaler gesellschaftlicher Funktionslogiken letztlich nicht scheuen.

Somit ist es nicht egal wer im Juni die neue Regierung bildet. Die Landesregierung wird den Kurs für das gesellschaftliche Klima der nächsten Jahre, wie auch den Umgang mit Corona- und Klimakrise maßgeblich mitbestimmen und prägen. Eine konsequente Krisenpolitik, so hat sich gezeigt, funktioniert nur abseits von Neoliberalismus und Nationalismus und somit nur abseits von CDU und AfD.

Letztlich entsteht jedoch grundsätzlicher gesellschaftlicher Wandel nicht einfach in den Parlamenten. Es ist einer unserer festen Grundsätze als außerparlamentarische Linke, dass Veränderungen in der Zivilgesellschaft beginnen. Unsere Aufgabe darf nicht darin bestehen, auf die Transformation gesellschaftlicher Realitäten durch parlamentarische Politik zu hoffen, sondern wir müssen es schaffen mittels Basisorganisation und emanzipativem Protest Mehrheiten für eine konsequente linke Antwort auf die systemischen Krisen unserer Zeit zu generieren. Wir brauchen einen system change und das geht eben nur wenn wir diesen als Zivilgesellschaft selbst in die Hand nehmen. Und doch sind wir von dem Ziel einer tatsächlichen Mehrheit für einen fundamentalen sozioökologischen Wandel noch weit entfernt. Die Landesregierung stellt die Weichen für die gesellschaftlichen Umstände, unter welchen wir in den kommenden Jahren außerparlamentarische Politik machen werden. Deshalb muss für uns als Gesellschaft klar sein: Das gute Leben für alle Menschen kommt nicht aus den Parlamenten, doch mit CDU und AfD sind wir in jedem Fall schlechter dran.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.