Die Baseballschlägerjahre wirken ins Heute

Eine verspätete Auseinandersetzung mit rechter Gewalt

von | veröffentlicht am 22.04 2021

In Obhausen (Saalekreis) gab es am 24. April 1993 einen Angriff von Neonazis auf eine Diskothek bei dem mehrere Personen schwer verletzt wurden, der damals 23-jährige Matthias Lüders erlag daraufhin am 27. April 1993 seinen Verletzungen. Bereits im letzten Jahr gab es vom RATS Bestrebungen an den Angriff und den Tod von Matthias Lüders zu erinnern.




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Seit Anfang 2020 gibt es in Obhausen im Saalekreis das RATS-Kulturzentrum. Transit berichtete von der Eröffnung.

In Obhausen gab es am 24. April 1993 einen Angriff von Neonazis auf eine Diskothek bei dem mehrere Personen schwer verletzt wurden, der damals 23-jährige Matthias Lüders erlag daraufhin am 27. April 1993 seinen Verletzungen. Bereits im letzten Jahr gab es vom RATS Bestrebungen an den Angriff und den Tod von Matthias Lüders zu erinnern.

Wir haben die Gedenkaktivitäten als Anlass genommen, um mit dem RATS-Kulturzentrum über ihre Erinnerungsarbeit zu reden.

 

Wieso haltet ihr es für wichtig sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und Erinnerungsarbeit vor Ort zu leisten?

Allein im Saalekreis gibt es drei Todesopfer rechter Gewalt (Willi Worg, Matthias Lüders, Hans-Werner Gärtner), aber in den meisten Orten gibt es kein Gedenken an diese Menschen und demzufolge auch keine Auseinandersetzung mit den Motiven und den gesellschaftlichen Problemen denen sie entspringen. Das wollten wir wenigstens für Obhausen mit der Gründung des RATS aufbrechen.

 

Was habt ihr dazu im letzten Jahr umsetzen können?

Wir haben im Jahr 2020 im April eine Online-Gedenkaktion gemacht, bei der wir vom 24. April bis 27. April jeden Tag ein selbstproduziertes Video veröffentlicht haben. Die Videos beschäftigen sich mit dem Angriff und der Rolle der Behörden. Am 27. April installierten wir einen temporären Gedenkort vor dem Obhäuser Kulturhaus, dem Ort des Angriffs. Eigentlich wollten wir bereits im April eine Kombination aus Graffiti- und Gedenk-Workshop veranstalten, was uns aber aufgrund der Pandemie-Situation nicht möglich war. Das konnte dann im Oktober nachgeholt werden. Dabei entstanden von den Teilnehmenden gemalte Transparente, die wir dann eine Woche am Kulturhaus in Obhausen ausstellten.

 

Ihr habt von einem inhaltlichen Workshop gesprochen, habt ihr diesen selbst erarbeitet?

Bei unseren Recherchen zum Fall sind wir auf das Bildungsmaterial der “Mobilen Opferberatung” gestoßen, www.rechte-gewalt-sachsen-anhalt.de. Dort gibt es zu allen Todesopfern rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt, leider noch nicht für Jana Lange und Kevin Schwarze, die bei dem antisemitischen Terror-Anschlag am 09. Oktober 2019 in Halle ermordet wurden, Bildungsmaterial mit dem ein Workshop zur Auseinandersetzung mit dem Geschehen möglich ist. Die Materialien sind so ausgearbeitet, dass es uns sogar möglich wäre einen Workshop damit durchzuführen ohne sich vorher groß in die Thematik einzuarbeiten.

 

Mit wem arbeitet ihr dabei zusammen?

Was die Recherche zum Thema angeht, arbeiten wir mit der “Mobilen Opferberatung” zusammen, die uns dahingehend auch mit reichlich Material versorgt hat, wie z.B. die gesamten Presseberichte aus der Zeit der Angriffs und der Verhandlung gegen die Täter. Die für den Workshop im letzten Jahr entstandenen Kosten konnten wir über den Jugendfonds der Partnerschaft für Demokratie “Weltoffener Saalekreis” abdecken.

Wir sprechen unsere Aktionen am Kulturhaus immer mit der Gemeinde und der Bürgermeisterin von Obhausen ab und wurden bisher bei unseren Anliegen unterstützt.

 

Was habt ihr für dieses Jahr geplant?

Wir werden in diesem Jahr wieder vom 24. bis 27. April eine Online-Gedenkaktion durchführen und am 27. April einen temporären Erinnerungsort für Matthias Lüder schaffen. Dazu haben wir auch die örtliche Bevölkerung eingeladen, individuell am Gedenken teilzunehmen.

Inhaltlich planen wir des Weiteren eine Auseinandersetzung mit der Berichterstattung zum Fall, sozusagen mit dem was nach dem Angriff und während der Verhandlung in der Presse geschrieben wurde. Dazu wird dann ein Text veröffentlicht.

Wir haben jetzt aktuell einen Aufruf zur Mitarbeit und Unterstützung veröffentlicht, da unsere Mitglieder zu jung sind um Anfang der 90er Jahre bereits bewusst Neonazi-Strukturen in der Region wahrzunehmen. Demnach verlassen wir uns zurzeit nur auf Zeitungsartikel und wenige Berichte aus antifaschistischen Veröffentlichungen zu der Zeit. 

Wir bitten alle Menschen, die zum Zeitraum des Angriffs im Saalekreis politisch oder antifaschistisch aktiv waren, an der Gedenkdemonstration für Matthias Lüders in Querfurt am 30. April 1993 teilnahmen, etwas über Schutzgeldaktivitäten von Neonazi-Gruppen zur damaligen Zeit berichten können oder gar den Angriff miterlebt haben oder andere wichtige Informationenen beisteuern können, mit uns Kontakt aufzunehmen. Wir sind per rats.ephc@gmail.com zu erreichen oder über unsere Social-Media-Accounts.

 

Könnt ihr schon eine Einschätzung der Berichterstattung geben?

Es gibt dabei mehrere auffällige Erzählungen, die immer wieder auftauchen.
Die politische Dimension des Ganzen wird nicht ernsthaft behandelt. Das mag aber für diese Zeit üblich gewesen sein und begegnet uns ja auch aktuell noch bei diversen Neonazi-Angriffen oder selbst bei rechtem Terror wie Hanau und Halle. Auch der Angeklagte, der wegen Mordes an Matthias Lüders vor Gericht stand, hat selbst wenig zu seiner politischen Gesinnung offenbart bzw. eher noch versucht diese zu verschleiern.

Es findet sich immer wieder die Erzählung des “völlig Unbeteiligten” im Bezug auf Matthias Lüders, das bezieht sich auf den Fakt, dass der Angriff der Neonazis am 24. April 1993 eine Racheaktion auf eine Schlägerei zwischen nichtrechten Jugendlichen und Personen aus der Neonazi-Gruppe war. Bei dieser war Matthias Lüders in der Woche vor dem Angriff nicht beteiligt. Aber diese Art des Framings hat den faden Beigeschmack, dass wenn es eine Person getroffen hätte, die sich aktiv eine Woche zuvor gegen die Neonazis gestellt hätte, es sich dann um keine unschuldige Person mehr gehandelt hätte. Eventuell würde sie dann sogar die Schuld tragen.

Auffällig ist auch, dass sich in der Auseinandersetzung viel auf das Thema Schutzgelderpressung fokussiert wurde. In der Berichterstattung gibt es häufiger die Erzählung davon, dass die “Skinheads”, wie sie dort genannt werden, bereits kurz nach dem Angriff dem damaligen Betreiber der Disko “Skin-Schutz” angeboten hätten. Die Darstellung der Schutzgelderpressung als Motiv hat sich dabei auch stark in der Bevölkerung etabliert. Wir wollen nicht abstreiten, dass die Neonazi-Gruppen in Schutzgelderpressung verstrickt waren oder diese aktiv in der Region betrieben haben, jedoch kann auch davon auf die rechte Gesinnung geschlossen werden. Gewalt ist nun mal ein großer Teil nazistischer/faschistischer Ideologie und wenn dabei noch die Ansicht vertreten wird, dass das Leben von nichtrechten oder anderen Personen, die nicht zur eigenen Gruppe gehören, weniger wert ist, ist es einfacher Schutzgeld zu erpressen oder Menschen zu verletzten.

 

Wie sieht die Resonanz der Bevölkerung von Obhausen und dem Umland aus?

Das meiste, was wir dazu mitbekommen, ist durchaus positiv. Es gibt aber auch immer wieder den Versuch über Kommentarspalten die politische Dimension in Abrede zu stellen. Das hält sich aber in Grenzen, wobei auch innerhalb des Dorfs die reine Schutzgelderzählung sehr stark vertreten ist. Gerade jetzt zum Aufruf zur Mitarbeit hat sich dazu mal wieder ein Paradebeispiel rechter Rhetorik zur Diskreditierung von Erinnerungsarbeit abgespielt. Dabei wird dann alles über “Wart ihr dabei?”, “Ihr müsst allen Opfern von Gewalt gedenken!” oder “Kanntet ihr Matthias überhaupt?” abgespult.

 

Welche Ziele habt ihr dahingehend für die Zukunft?

Ein Ziel wäre auf jeden Fall ein ständiger Erinnerungsort am Kulturhaus in Obhausen, der an den Angriff und Matthias Lüders erinnert. 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.