32, feministisch, lesbisch, mit unerfülltem Kinderwunsch – Teil 1

Ich wollte meinen besten Freund als Samenspender

von und | veröffentlicht am 29.06 2022

Beitragsbild: Magdalena Gatz

Kindermagnet wurde ich früher genannt. Schon im Grundschulalter war ich immer am Start, wenn kleine Kinder von Freund*innen meiner Eltern zu Besuch waren. Ich spielte mit ihnen, kümmerte mich und wollte vielleicht auch einfach mal ‚die Große` sein. Als Schwester von zwei powervollen älteren Schwestern, die allein durch ihre Präsenz in meiner Wahrnehmung schon gut und gern den Raum erfüllt haben. Ich liebe und bewundere meine Schwestern, ich konnte durch ihre Anwesenheit sowohl Orientierung finden als auch Autonomiekämpfe kämpfen. Unsere Mutter hat sehr jung ihre erste Tochter bekommen und sorgte sich, dass ich einen ähnlichen Weg gehen würde. Ihre Worte 'Warte mindestens bis du 18 Jahre alt bist' sind mir noch deutlich im Ohr. Darüber muss ich aus heutiger Sicht – 32 und mit unerfülltem Kinderwunsch – schmunzeln. Ich frage mich auch, wie diese frühe Prägung mein Rollenbild der Frau - als die Fürsorgliche, die 'Care-Arbeiterin’ – verfestigt hat. Dankbar bin ich für meine feministische Entwicklung, die sowohl dieses eindimensionale Bild von Frauen, als Care-Arbeiter*innen in Frage stellt, als auch die Abwertung dieser Arbeit aufhebt. Meine Mutter hat vier Kinder, alleine in der Hauptsorge, ins und durchs Leben begleitet. Dabei lebten wir in privilegierten Verhältnissen und die finanzielle Versorgung für unsere Familie war mitunter durch Alimente meines Vaters gesichert. So musste meine Mutter neben der Vollzeitcarearbeit nicht auch noch Lohnarbeiten gehen.




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Den Wunsch, ein eigenes Kind auf diese Welt zu bringen und zu begleiten, verspürte ich im Erwachsenenalter schon sehr lange. In mir gibt es eine Ambivalenz, die hinterfragt: „Warum ist der Kinderwunsch so groß? Was willst du damit kompensieren – Einsamkeit? Sinnsuche? Langeweile?“ Will ich das gesellschaftliche Rollenbild von Frauen erfüllen? Diese Fragen kommen immer wieder in meinem Kopf. Sie sind verletzend, weil ich selber mein Gefühl in Frage stelle und keine plausible Antwort finde. Diese Fragen zwingen mich aufs Neue zu prüfen, was ich will. „Warum adoptierst du nicht ‚einfach‘ – als alleinstehende oder in einer homosexuellen Partner*innenschaft lebend – ein Kind? Du könntest deine privilegierten Verhältnisse damit einem Kind zur Verfügung stellen. Kümmere dich doch ‚einfach‘ um die Kinder in deinem Nahumfeld – das ist progressive Care-Arbeit. Warum muss es ein Eigenes sein, das ist doch ziemlich egoistisch, vor allem vor dem Hintergrund einer akuten Klimakrise! Jedes Kind weniger auf der Welt verbraucht weniger Ressourcen und hinterlässt keine weiteren 60 Tonnen CO2, wie es die Lund-Studie aus dem Jahr 2017 besagt. Wir sollten uns als Gesellschaft erst mal um die Probleme kümmern, die die Menschheit bereits verursacht hat, bevor sich alle ihren privaten Sehnsüchten widmen.“ Die moralischen Rufe in mir zerreißen mich beinahe – ich bin nicht stolz auf diese Stimmen in mir. Im Gegenteil, sie machen mich eher traurig, weil sie so abwertend meinen eigenen Bedürfnissen gegenüber sind. Wenn eine*e gute Freund*in diese Bedürfnisse hätte, würde ich nie so mit ihr*ihm sprechen. Ich mache die Gedanken an dieser Stelle transparent, weil ich mich mit diesen häufig sehr alleine fühle und ich mich gefreut hätte, von anderen zu lesen oder zu erfahren, dass sie sich mit ähnlichen Fragen und innerer Zerrissenheit beschäftigen. Nach Außen habe ich meinen Kinderwunsch nie negiert, wenn mich jemensch danach gefragt hat. Und am Ende meiner Selbstbefragung bleibt: Ich möchte einfach richtig gern ein Kind gebären und mit diesem zusammenleben.

Magdalena

schreibt öfter für Transit. Wenn du mit ihr zu dem Thema in Kontakt treten willst, dann schreib ihr bei Instagram. @gatzmagdalena

Heteronormativität

In meiner ersten ernsthaften heterosexuellen Beziehung versuchte ich bereits über einen Zeitraum von anderthalb Jahren schwanger zu werden. Ich erinnere mich, wie ich in unserer damaligen Wohnung im Badezimmer regelmäßig Schwangerschaftstests machte. Und ich erinnere mich an den kleinen Schmerz und die Traurigkeit bei jedem Einzelnen, der mit einem negativen Ergebnis im Badezimmermülleimer landete. Ich sage „kleiner Schmerz“ – weil ich damals vielleicht noch sehr hoffnungsfroh und optimistisch meinem Kinderwunsch gegenüberstand. Schließlich hatte ich bis zu dem Zeitpunkt alles genau so gemacht, wie es mir vorgelebt wurde. Eine Dreiraumwohnung in einem gutbürgerlichen Stadtteil einer kleinen Großstadt. Heterosexuelle Beziehung mit zwei Vollzeitberufstätigen und doppelt Mayo. Was dann kommen musste war ja klar – Schwangerschaft und Elternschaft. Dass ich mich damals ziemlich eingeengt fühlte, in den vier Wänden, in diesen Konventionen, in meiner Partner*innenschaft, sah ich nicht als strukturelles Problem, welches mir durch gesellschaftliche Bilder und Machtstrukturen indoktriniert wurde. Ich sah vielmehr die Schuld bei mir, nicht zufrieden zu sein, nicht dankbar genug zu sein, nicht in der Lage zu sein, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Es musste einfach etwas kaputt sein mit mir, mit meinem Körper. Ich war wie gelähmt und hielt mich lange an dem Bild fest, dass ich es irgendwie hinbekommen musste, in dieser Beziehung klarzukommen. Mein damaliger Freund trennte sich schließlich von mir. Ich erlebte eine Mischung aus Erleichterung und Verzweiflung. Im Nachhinein bin ich dankbar dafür, dass mir nochmal einige Jahre geschenkt wurden, um vieles über mich, meine Bedürfnisse und meine idealen Vorstellungen von Beziehung, gemeinschaftlichem Wohnen und dem Verhältnis von Arbeit und Leben zu verstehen. Es ist jedoch nicht so, dass ich mit diesen Fragen und Erkenntnissen schon zu einem abschließenden Ergebnis gekommen wäre.

Die Suche

Es folgten einige Jahre, in denen ich meine Autonomie und mein Singleleben genießen konnte und durch Weiterbildungen, Freund*innenschaften, Reisen, politischen Aktivismus, Sport und Feierei mein Leben bereicherte. Dennoch blieb die Sehnsucht nach einer romantischen Beziehung und dem damit verbundenen Wunsch einer Elternschaft oder Mutterschaft. Auch an dieser Stelle trieb mich eine gelernte Vorstellung, dass Elternschaft an eine Liebesbeziehung gebunden sein muss. In meiner Vorstellung gab es nur die Möglichkeit, entweder werde ich alleine Eltern oder in einer romantischen Beziehung. Mir fehlte die Vorstellung oder das Vertrauen, dass freund*innenschaftliche Beziehungen so viel Verbindlichkeit, wie es in meiner Wahrnehmung für eine Elternschaft braucht, reicht. Wenn ich Männer datete, spukte die Frage nach einer potenziellen Elternschaft immer in meinem Hinterkopf herum. Auch wenn ich das verinnerlichte Bild einer heteronormativen Familie ideologisch in Frage stellte, gab es weiterhin diese Fantasie, darin Glück und Zufriedenheit zu finden. Ich glaube dieses Bild war viel mehr für mein Handeln verantwortlich, als meine Bedürfnisse danach, geliebt zu werden, einem anderen Menschen nah zu sein, Intimität und Sexualität zu leben und Vertrautheit zu spüren. Viele Kontakte mit Männern verfolgte ich gar nicht erst weiter, wenn sie keinen Kinderwunsch hatten. Dass sich Wünsche im Laufe des Lebens ändern könnten, ließ ich als Möglichkeit gar nicht zu und dass ich mich zu vielen der potenziellen Männer selber gar nicht hingezogen fühlte, war sekundär. Es fühlte sich an, wie in einem Tunnel unterwegs zu sein und den Menschen, die ich traf, mit einer sehr eingeschränkten Wahrnehmung zu begegnen. Für mich gab es in Beziehungsfragen nur ein Ziel.

Das Bild bröckelt

Dann feierte ich an einem Frühsommerabend mit einer Freundin zusammen in ihren Geburtstag rein. Es war noch eine weitere gemeinsame Freundin dabei und wir lagen an einem See unter dem Sternenhimmel – ganz romantisch also. Ich wusste, dass unsere gemeinsame Freundin sich auch ein Kind wünscht und dass sie, so wie ich, nicht in einer Liebesbeziehung lebte. Sie erzählte davon, dass wir ja einfach zusammen ein Kind bekommen könnten. Und in der Tat war dies ein Schlüsselmoment für mich. Erstens ist diese gemeinsame Freundin eine tolle Aktivistin, die ich sehr für ihren Mut, ihre Entschlossenheit schätze und die sich dabei nicht in den Vordergrund drängt, nur um gesehen zu werden. Ich war ihr dankbar, dass sie so ehrlich zu ihrem Kinderwunsch steht, da ich in einigen linken und feministischen Kreisen das Gefühl habe, dass ich mich für diesen Wunsch schämen müsste, weil ich damit patriarchale Strukturen reproduziere In diesen wird Frauen die Rolle als Fürsorgerin zugeschrieben. Diese Rolle würde sich in einer lesbischen Beziehung auflösen. Außerdem fiel mit der Möglichkeit, ein Kind zusammen mit der Freundin zu bekommen, sprichwörtlich in mir ein Kartenhaus zusammen, welches ich mit Krampf und Kleister zu erhalten versuchte. Ich kann meinem Kinderwunsch nachgehen, ohne erst eine*n Partner*in finden zu müssen und womöglich die Beziehung erst einige Jahre auf ihre Tauglichkeit zu prüfen – Waaaa wie toll war das denn!? Es fiel eine Schwere von mir ab und ließ mich mit ganz neuer Hoffnung in die Welt schauen.

Das Beste mit dem Besten

Von dem eben beschriebenen Moment an, überlegte ich, wen ich aus meinem Nahumfeld fragen könnte, um mich in meinem Kinderwunsch mit einer Samenspende zu unterstützen. Als erstes fragte ich meinen besten Freund Arne. Ich vertraute ihm, mit meinem Wunsch und meiner Anfrage wertschätzend umzugehen. Dennoch hatte ich große Angst – Was, wenn diese Frage oder auch eine mögliche Samenspende oder sogar Co-Elternschaft unsere Freund*innenschaft gefährdet und womöglich beendet? Die Vorstellung, ihn als Freund zu verlieren, konnte ich kaum aushalten. Seine Reaktion überraschte mich jedoch zunächst. Er war der Anfrage gegenüber sehr offen eingestellt, weil er sich selbst Kinder wünscht und zu dem Zeitpunkt nicht in einer eigenen romantischen Beziehung lebte. Letzteres änderte sich noch während des Prozesses des Sprechens über eine gemeinsame Elternschaft. Ich merkte dabei, dass mein Bild von einer Familie, wie ich sie mir wünsche, stark von einer traditionellen Familienkonstellation geprägt ist. Die Vorstellung, dass wir gemeinsam ein Kind haben könnten, aber nicht in einer Paarbeziehung sind, ließ sich kognitiv schneller ablegen, als ich es emotional zulassen konnte.

Nicht nur Arne ging eine neue Liebesbeziehung ein, während wir weiterhin gemeinsam über Elternschaft sprachen. Auch ich lernte meine jetzige Partnerin kennen und begann mit ihr meine erste homosexuelle Partnerinnenschaft zu leben. Schon relativ früh ließ ich sie von dem Prozess mit Arne wissen. Es stellte sich heraus, dass sie ebenfalls ein Bild von Familie mit Kindern in einer romantischen Beziehung hatte, wie ich. Das freute mich sehr. Gleichzeitig stellte es mich vor die Frage, wie ich in dem Prozess, meinen Kinderwunsch jenseits meiner Liebesbeziehung zu planen, weiter machen sollte. Ich wollte ihn nicht einfach aufgeben, weil ich Hoffnung hatte, dass es mit meinem besten Freund tatsächlich etwas werden könnte.

Im Laufe des Prozesses zur gemeinsamen Elternschaft mit Arne wuchs in mir die Angst, dass unsere Freund*innenschaft leiden könnte. Was ist, wenn ich ihm vertraue, wenn ich meine Hoffnung daraufsetze, dass er der Samenspender für mein Kind sein könnte und dann kurz vor Schluss einen Rückzieher machte? Könnte ich diese Verletzung ertragen? In diesem Satz löste sich für mich ein Großteil der Irritation, warum der Prozess sich als so zäh erwies. Ich wollte meinen besten Freund als Samenspender und suchte keinen Vater für mein Kind. Es war schmerzhaft und klärend zu sehen, dass ich sein Bedürfnis mit einem eigenen Kinderwunsch in diesem Prozess eigentlich keinen Raum gelassen hatte. Wir beendeten unsere gemeinsame Auseinandersetzung und nachdem ich die Traurigkeit darüber, dass er dennoch die einzige reale Hoffnung für die Erfüllung meines Wunsches gewesen war, überwunden hatte, konnten wir uns unbeschadet wieder als Freund*innen begegnen. Auch jetzt noch begleitet er mich emotional darin, meinem Kinderwunsch nachzugehen und ich bin sehr dankbar für unsere Freund*innenschaft.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ich immer noch alleine dabei, eine Lösung zu finden. Die Beziehung mit meiner Freundin Klara war noch viel zu frisch, um über eine gemeinsame Elternschaft nachzudenken. Dennoch wollte ich nicht aufhören, meinen Wunsch zu verfolgen. Dann eben erst mal ohne sie – mit dieser Vereinbarung waren wir beide einverstanden. Auch wenn sie sich natürlich meine Gedanken und Überlegungen immer anhörte und auch an vielen Punkten mitdachte. Ich stöberte viel im Internet nach Erfahrungsberichten und Möglichkeiten zur privaten Insemination (Samenübertragung). Ich las mir Anzeigen von potenziellen Samenspender*innen durch, die eine schnelle Umsetzung mit oder ohne Geschlechtsverkehr versprachen. Eine Samenspende von einer unbekannten und unvertrauten Person wollte ich mir als Möglichkeit offenhalten. Doch die Vorstellung, dass das Kind keinen Kontakt zu seinem*seiner Erzeuger*in haben könnte, fühlte sich für mich schwer an. Am liebsten sollte es nach meiner Vorstellung eine Person sein, die mir vertraut ist und die von dem Kind kontaktiert werden könnte. Eine Person, die in dem Leben des Kindes auftreten könnte, jedoch keine Verpflichtung oder Verantwortungen eingehen würde.

Redigiert von Luisa Schönfelder.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.