Zur Ökonomisierung des Designs

Das Bauhaus als Vordenker einer fragwürdigen Sachlichkeit

von | veröffentlicht am 09.04 2019

Beitragsbild: Corax

Noch heute gilt das Bauhaus als Wegbereiter eines modernen Designbegriffs. Er besagt im Kern, dass die industrielle Gestaltung dem Gebot einer rein sachlichen Funktion folgt – und indem das Design den Leitsatz „form follows function“ umsetzt, wird sie gleichzeitig zu einer bedürfnisgerechten Gestaltung. Diese Vorstellung einer funktionalistischen Gestaltung wird bis heute gepflegt – sie verschweigt allerdings geflissentlich, wer da eigentlich für wen funktional ist.




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Um sich dem Phänomen zu nähern, lohnt es sich, kurz die drei großen Widersprüche der Forderung eines funktional-sachlichen Designs zu beleuchten: (1) Ein Gebrauchsgegenstand kann seiner Funktion nicht nicht entsprechen. Ein Messer, das nicht schneidet, hört schlicht auf, Messer zu sein. Die Vorstellung einer Gestaltung, die der Funktion gar nicht gerecht wird, ist nach dieser Seite hin also eine Tautologie. (2) Die Vorstellung einer Funktion, die eine bestimmte Formgebung rechtfertigen würde, reduziert alle möglichen Funktionen auf eine einzig richtige. Eine Zitronenpresse soll nicht nur Zitronen ausquetschen können, sondern gleichzeitig gut ins Regal passen, ihre Designerin als große Formgeberin erscheinen lassen (man erinnere sich an Philippe Starcks silbrige Spaceship-Presse) und die Besitzerin solch erlauchter Gegenstände als Kennerin der Materie ausweisen; die Presse soll zudem umweltschonend, materialsparend und letztlich auch chic sein. Wer kann in diesem Sammelsurium unterschiedlicher Funktionen die identifizieren, die funktionaler ist als all die anderen? (3) Selbst aus nur einer einzigen dieser Funktionen eine ganz bestimmte Form eindeutig abzuleiten – ganz zu schweigen von einer sachlich-ornamentlosen, wie sie die Bauhäusler so oft propagierten (siehe wieder Philippe Starck) – ist nicht möglich. Noch aus jeder der genannten Funktionen ergeben sich eine Vielzahl von möglichen Formen, die alle eine oder mehrere dieser Funktionen erfüllen. [1]

Wenn sich also die Prinzipien des Funktionalismus und der Sachlichkeit, auf die die Macherinnen des Bauhauses so programmatisch geschworen haben, tatsächlich aus keiner bestimmten Funktion des Designs ergibt – was ist es dann, was so attraktiv für die Bauhäusler war?

Walter Gropius, meine Damen und Herren:

“Der moderne Mensch, der sein modernes, nicht ein historisches Gewand trägt, braucht auch moderne, ihm und seiner Zeit gemäße Wohngehäuse mit allen der Gegenwart entsprechenden Dingen des täglichen Gebrauchs.” [2]

Einerseits, so Gropius, sei Design dem Bedürfnis seiner Nutzerinnen gemäß. Das ist für sich genommen eine sehr selbstgenügsame Angelegenheit: was immer die gewünschten Funktionen erfüllt, ist gutes Design. Aber das allein genügt Gropius nicht. Er verlangt von Design im selben Atemzug andererseits auch, dass es ‚seiner Zeit gemäß‘ ist. Schon hier könnte der Leserin das Passungsverhältnis auffallen, in das Gropius das Design stellt: Nur solche Gestaltung ist menschengemäß, die auch den Erfordernissen der Zeit gerecht wird. Was denn nun, könnte man sich fragen, – soll Design bedürfnisgerecht sein oder zeitgemäß? Gropius lässt im ersten Absatz noch offen, ob nun die Erfordernisse der Zeit das Design bestimmen oder die Erfordernisse der Menschen – allerdings hat er schon an dieser Stelle programmatisch einen neuen Maßstab für das Design eingeführt, an dem es sich zu bewähren hat: die Gebote der Gegenwart.

Was diese Gebote konkret beinhalten, führt Gropius dann so aus:

“Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, dass es richtig funktioniert — ein Gefäß, ein Stuhl, ein Haus — muß sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zweck vollendet dienen, d. h. seine Funktionen praktisch erfüllen, haltbar, billig und „schön“ sein.

Diese Wesensforschung führt zu dem Ergebnis, daß durch die entschlossene Berücksichtigung aller modernen Herstellungsmethoden, Konstruktionen und Materialien Formen entstehen, die, von der Überlieferung abweichend, oft ungewohnt und überraschend wirken.”

Wer dem Wesen der modernen Gebrauchsgegenstände, die zu gestalten sind, gerecht werden möchte, muss erkennen, dass sie ihren Zweck erfüllen, wenn sie nicht nur praktisch, sondern darüber hinaus auch haltbar, billig und schön sind. Als moderner Marketingexperte weiß Gropius, dass neben der ansprechenden und zweckdienlichen Form auch der niedrige Preis ein Gebot der Zeit – und damit des modernen Designs – ist. Völlig klar ist Gropius, dass seine Wesensforschung die kapitalistische Produktion quasi-natürlich mit einschließt – mit ihrer permanenten Umwälzung von Produktionsverfahren und Materialien zum Zwecke eines marktfähigen Preises und ihrem permanenten Hunger nach neuen und ungewohnten Formen zum Zwecke der Steigerung des Absatzes. Darin nun ist die Formgebung – und mit ihm das Bedürfnis der Leute – kongenial integriert. Aus heutiger Sicht scheint das alles sehr normal: Erst und nur als Ware, marktbewährt durch Preis und Form, kann und will es dem Menschen praktisch dienen und seinem Bedürfnis gerecht werden. Aber vernünftig, im Sinne von bedürfnisgerecht ist das nicht.

Wie funktional modernes Design damit immer auch für die Industrie ist, zeigt sich abermals in Gropius’ Schrift. Er versteht Design ganz unzweideutig als Grundlage des modernen Massenkonsums und das Bauhaus als Laboratorium, das diesem dient, indem es Prototypen für die industrielle Produktion entwirft [3]. Dass Design immer das Bedürfnis eines Fabrikanten nach Gewinn erfüllen muss, bevor es einer einzigen Nutzerin nützlich sein kann, macht das funktionalistische Design funktional für eine sehr auserwählte Gruppe. Was sich mit Gropius’ Forderung nach billig-muss-es-sein einschleicht, ist nur bedingt als Dienst an den Konsumentinnen gemeint, es ist keine kritische Reflexion auf deren schmalen Geldbeutel. Denn allein wenn sie es bezahlen können, heißt es nicht, dass sie es nicht bezahlen müssten. Noch den schönsten Gebrauchswert des preiswertesten Designs muss man bezahlen können.

Gropius‘ programmatische Forderung klärt in dieser Hinsicht auf: Design muss ein industrielles Geschäft sein, damit es als schöne Form für alle existieren kann. Diesem Diktum hat sich das Bauhaus verschrieben und mit der „entschlossenen Bejahung der lebendigen Umwelt der Maschinen“ nichts Geringeres als dem Design seine moderne kapitalistische Form gegeben. Das ist die „neue Werkgesinnung“ die Gropius dem Bauhaus Dessau und seinen Gestalterinnen verordnet hat – und die bis heute in aktuellen Debatten um Design und business value [4] ungebrochen widerhallt.


[1] Immerhin feuert die Tatsache einer prinzipiell offenen Gestaltung in der Marktwirtschaft das bunte Treiben der Konkurrenz um die Kaufkraft der lieben Kundinnen an und sichert der ein oder anderen Designerin ihr Einkommen.

[2] Gropius, Walter: Grundsätze der Bauhausproduktion. In: Walter Gropius, L. Moholy-Nagy (Hg.): Bauhausbücher 7. Neue Arbeiten der Bauhauswerkstätten. München: Albert Langen Verlag. 1925, S. 5-8, hier S. 5f. Das gesamte Buch als PDF findet man unter: http://tinyurl.com/coraxbauhaus

[3] Gropius selbst gründete die Bauhaus GmbH, um Verträge mit Fabrikanten schließen zu können, die jene Prototypen dann produzierten und verkauften. Die Gestalterinnen werden dann durch Lizenzen vergütet. Dieses Verfahren hat sich bis heute in bestimmten Bereichen des Produktdesigns, namentlich des Autorendesigns, erhalten.

[4] www.mckinsey.com/business-functions/mckinsey-design/our-insights/the-business-value-of-design

Bauhaus und Gegenwart

100 Jahre Bauhaus – schon wieder ein Jubiläum. Dass eine Sache bereits 100 Jahre alt ist, sagt nichts darüber aus, ob diese Sache gut oder schlecht ist. Unsere Ausgabe macht deshalb klar: Das bloße Lob würde dem Bauhaus nicht gerecht werden. Es war selbst kontrovers, und innerhalb dieser Kontroverse versuchen die Beiträge der aktuellen Programmzeitung von Radio Corax Position zu beziehen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.