„Wohnen gut, alles gut“

Über das Ende eines "Wohnprojekts" in Halle

von | veröffentlicht am 17.09 2020

Beitragsbild: LuLu

Mit dem "Schiefen Haus" in der Breite Straße verschwindet womöglich ein weiterer Ort in Halle, in dem ein Leben jenseits gewöhnlicher Wohn- und Mietverhältnisse möglich schien. Quextrott Feeper gibt im Auftrag des "Oi!-Konvoi" einen Einblick in die Geschichte des Hauses und beschreibt den aktuellen Konflikt zwischen BewohnerInnen und neuem Vermieter.




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„Wie ihr hier sitzt, seht ihr aus wie ein Sinnbild von Freiheit und Glück“ – so äußerte es ein Passant an der Ecke Breite Straße / Laurentiusstraße, als dort an einem sonnigen Sommervormittag ein paar Gestalten vor dem Eckhaus saßen und dabei nichts taten, als Kaffee zu trinken, Zigaretten zu rauchen und sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Freiheit und Glück haben keine festen Refugien, lassen sich nicht auf Inseln oder in „Freiräumen“ dingfest machen – sie sind in den Verhältnissen, in denen wir leben, flüchtig und situativ. Vielleicht sind es aber gerade deshalb flüchtige und unverbindliche Zusammenhänge, in denen sie als Momente häufiger zu finden sind.

 

Ein Kommen und Gehen

In einer gewissen Subszene, einem losen Netzwerk von sich überschneidenden Freundeskreisen, ist das „Schiefe Haus“ in Halle durchaus bekannt. Viele kennen es von Hauskonzerten, von Film- oder Hörspielabenden, Flohmärkten vor dem Haus, Diskussionsveranstaltungen oder einfach nur von offenen Zusammenkünften, die durchaus vom Umtrunk geprägt waren und sich bis in die Morgenstunden hinziehen konnten. Das Erdgeschoss mit den großen Schaufenstern, die von der Vergangenheit als Gebrauchswarenladen zeugen, hat dieses Haus für solche Zusammenkünfte einladend gemacht. Viele MusikerInnen haben hier übernachtet, Mancher hat hier ein zwischenzeitliches Domizil für ein paar Tage oder Wochen gefunden, auch wenn er nicht zum festen Kreis der MitbewohnerInnen zählte, etwa weil er oder sie sich auf Wohnungsssuche in Halle befand oder für eine gewisse Zeit aus den eigenen Wohnverhältnissen fliehen musste. Pläne für größere Reisen sind hier geschmiedet worden, Bands sind hier gegründet worden, Kunstwerke und große Singspiele sind hier geplant worden, Punksongs sind geschrieben und Musikvideos gedreht worden, Radiosendungen sind live aus dem Haus über den Äther gegangen, Singchöre haben sich hier zum Proben getroffen. Viele haben sich über das Haus gewundert – war es doch nicht leicht einzuordnen: kein politisches Hausprojekt, kein offizieller Veranstaltungsort, keine Kneipe aber doch irgendwie mehr als eine WG, vielleicht ein bisschen von alldem, irgendwie eine Clique, die nicht richtig greifbar zu sein scheint. Tatsächlich war und ist die BewohnerInnenschaft aus sehr unterschiedlichen Leuten zusammengesetzt: Burg-StudentInnen und Burg-DozentInnen, normale Malocher, Harzer, Hänger, Radio-AktivistInnen und sonstige Aktive, Hippies und immer wieder irgendwie diese Kunst-Punks. Bisher war es ein Kommen und Gehen.

Eine eigentümliche Konstellation auf Zeit

Das „Schiefe Haus“ ist in seiner jetzigen Konstellation vor über 10 Jahren von einer Hand voll KünstlerInnen und BastlerInnen erschlossen worden. Zunächst zeitlich befristet, um die Räume des Hauses als Atelier nutzen zu können, seit 2008 auch offiziell als Wohnraum. Seither leben hier 5 bis 7 Leute als WG zusammen – in immer wieder neuer Zusammensetzung. Aber die Geschichte des Hauses als sozialem Ort reicht länger zurück. Es gibt Gerüchte darüber, dass in der DDR hier eine Kantine gewesen ist – Manche erzählen, dass hier zeitweilig eine lesbische WG zu Hause war – nach der Wende war hier längere Zeit ein Treffpunkt der anonymen Alkoholiker. Manche derer, die das Haus von dieser Vergangenheit her kennen, sind immer wieder hierher zurückgekehrt, haben Kontakt zu den BewohnerInnen aufgenommen, wodurch einzelne Kontakte über die Generationen entstanden sind. Viele BesucherInnen haben sich über diese eigentümliche Offenheit gewundert: das Erdgeschoss, halb Wohnzimmer, halb öffentlicher Raum, in dem Kommen und Gehen herrscht. Manche Ex-BewohnerInnen sind gegangen, weil dies im Wohnen oft wenig Ruhe bedeutet hat. Andere sind gekommen, weil sie genau dies anziehend fanden. Weil es oft Besuch gab, sind zahlreiche Kontakte über Halle hinaus entstanden – für viele Leute war das Haus deshalb immer wieder ein Anlaufpunkt.

Der Mietvertrag, den die erste Generation der jetzigen WG-Konstellation ausgehandelt hat, bot Grundlage für einen eigentümlichen Komfort: Eine Menge Platz, Fachwerk-Ambiente, ein Wohnzimmer, das sich bis auf die meist unbefahrene Kreuzung erstreckt, Raum für eine Zusammenkunft jenseits von Mietskaserne und herkömmlicher Klein-WG, und das alles für eine auch für Hallische Verhältnisse sehr günstige Grundmiete. All das zu dem Preis, einige ungewöhnliche Rahmenbedingungen des Wohnens in Kauf nehmen zu müssen: hier hat mindestens seit den 90er Jahren keiner mehr saniert. Das heißt: immer wieder ausfallende Elektrik, pfeifende Kälte durch löchrige Wände und undichte Fenster im Winter (dadurch überdurchschnittlich hohe Nebenkosten, die immer mal wieder mit Flohmärkten o.ä. kompensiert werden mussten), eine Heizungsanlage immer wieder voller Luft, Zimmerwände, lärmdurchlässig wie Seide, tropfende Wasserhähne, warmes Wasser nur durch Boiler an einer Dusche und an einer Badewanne, ein sich langsam auflösender Betonboden im Wohnzimmer, speckige Kunstlamellen an der Wand, regelmäßig tropfende Blattlausplagen am Hollunder im Hinterhof und mehr. Alle Mängel, alles was durch jahrelange Nutzung kaputt ging, musste von den BewohnerInnen selbst repariert werden – der Grad des Sporadischen hing von den handwerklichen Fertigkeiten der jeweiligen WG-Konstellation ab. So war es mit den damaligen Eigentümern abgemacht, die sich durch eine kleine Immobilien-Verwaltung vertreten ließen, mit der ein freundliches Auskommen bestand und die den stetigen Wechsel der BewohnerInnenschaft unkompliziert ermöglichte. Eine Begegnung mit den Eigentümern hat jenseits eines regelmäßigen Weihnachtsgrußes per Postkarte nie stattgefunden. So wurde das Haus über einen langen Zeitraum warm gehalten und vorm gröbsten Verfall bewahrt. Und dafür waren eben all die anderen Dinge möglich. Es gibt eine Werkstatt und einen Lagerschuppen im Hinterhof, der ebenfalls immer wieder Ort diverser Zusammenkünfte war, gemeinsame Bibliothek und „Wissenschaftszimmer“, eine Menge Pennplätze, und Gerüchte erzählen von einer selbstgebauten Sauna. Vor allem war es aber ein Ort, in dem eben viele Dinge möglich waren, die in einer normalen Wohnung nicht möglich sind – Treffpunkt und Ort, an dem sich immer wieder Momente von Freiheit und Glück ereignet haben. Nicht zuletzt der selten glückliche Umstand, so ein kleines Häuslein so nah an der Innenstadt einfach für sich haben zu können.

All das Schöne, das in dieser Konstellation liegt, basierte aber darauf, dass es zeitlich begrenzt war. Eigentümer, die sich selbst über die Verwendung von Haus und Grundstück im Unklaren sind – dazu eine denkmalgeschützte Fassade, die irgendwann gemacht werden muss, eine mittelalterliche Elektrik, die irgendwann vollständig erneuert werden muss, das Fachwerk, das zumindest teilweise erneuert werden muss, usw. Die Leute, die das Haus 2008 als Wohnhaus erschlossen haben, waren sich von Anfang an darüber im Klaren, dass es hier eine zeitliche Begrenzung gibt – manche der früheren BewohnerInnen haben sich gewundert, dass die Konstellation doch so lange Bestand gehabt hat. Vielleicht kamen viele der schönen Momente gerade daher, dass es genau diese zeitliche Begrenzung gab – vielleicht lag gerade in der häufigen Fluktuation, in einer gewissen Unverbindlichkeit ein Moment von Freiheit. Aber so kam es, wie es eben kommen musste – das „Schiefe Haus“ ist im Herbst 2018 verkauft worden, die Eigentümer haben gewechselt. So oder so war damit klar, dass das „Schiefe Haus“, wie es bis dahin bestand, bald Geschichte sein würde. Dass es so enden würde, wie es jetzt endet, haben sich die BewohnerInnen zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen können.

Eine Zeitenwende mit neuen Eigentümern

Neuer Eigentümer des „Schiefen Hauses“ ist das Wohnungsunternehmen „Wohnprojekte Herold“, das sich auf seiner Homepage unter dem Motto „wohnen gut alles gut“ vorstellt. Zum Eigentum des Unternehmens gehören etwa zehn Immobilien in Halle und Umgebung. Dass das „Schiefe Haus“ an dieses Unternehmen gefallen ist, schien zunächst Anlass zur Hoffnung zu sein, denn Dirk Herold – manchen auch als Sprecher der AnwohnerInnen-Initiative gegen Lärm am August-Bebel-Platz bekannt – ist geschätztes Mitglied im AK Innenstadt, ein Verein, der sich seit der Wende um den Erhalt von Altbau in Halle kümmert und der eine gewisse soziale Verpflichtung als Vereinsziel hat. Herolds selbst haben sich den BewohnerInnen als Freunde von ungewöhnlichen Wohnkonzepten vorgestellt und zunächst versichert, dass sich an der jetzigen Wohnkonstellation in den nächsten fünf bis zehn Jahren nichts ändern solle. Man wolle das Haus eventuell später als Alterswohnsitz in Anspruch nehmen – in der Zwischenzeit sollten die BewohnerInnen so wenig wie möglich von den neuen Eigentümern hören. Aber es kam anders. Natürlich musste es zu einer Verhandlung darüber kommen, ob die günstige Grundmiete bestehen bleiben kann. Wer ein Kredit zum Kauf eines Hauses aufnimmt, will, dass sich die Investition mit der Miete verrechnet. Die neuen Eigentümer schienen es aber nicht einberechnet zu haben, dass es nicht im Interesse der BewohnerInnen ist, einer dreihundert-prozentigen Mieterhöhung freiwillig zuzustimmen. Dass es hier zu längeren Verhandlungen über eine Vermittlung von gegensätzlichen Interessen kommen muss, nahmen sie (eben nicht als sachlichen Interessenskonflikt, sondern:) persönlich.

Zum offenen Ausbruch kam der Konflikt, als im Frühjahr 2019 – in diesem Jahr ein sehr kalter Frühling – die Heizungsanlage kaputt ging. Die Kontaktaufnahme der BewohnerInnen mit den neuen Eigentümern, um eine Reparatur der Heizung zu veranlassen, schlug fehl, ein hitziges Telefonat führte zum Abbruch der Gespräche über die weitere Zukunft der WG. „Wohnprojekte Herold“ zogen alle Karten, die Eigentümer ziehen können, um BewohnerInnen das Leben schwer zu machen. Der Streit darüber, wer die Kosten der Heizungsreparatur, die die BewohnerInnen nach knapp drei Monaten kalten Gemäuern selbst in Auftrag gaben, übernehmen sollte, zog ein Bombardement von willkürlich gestellten Rechnungen und Abmahnungen nach sich. Ein unkomplizierter BewohnerInnenwechsel in der WG war nicht mehr möglich. Im Herbst 2019 ging dann ein Toilettenabflussrohr kaputt, was dazu führte, dass die Fäkalien in den Innenhof gedrückt wurden und sich dort anstauten. Weder die Frage, was das für die hygienischen Verhältnisse in einem Wohnhaus bedeutet, noch, was es für die Bausubstanz bedeutet, schien für Herolds ein Argument zu sein. Die BewohnerInnen wurden für den Defekt eines altertümlichen Tonrohrs, der zunächst schlicht bezweifelt wurde, selbst verantwortlich gemacht, eine Reparatur verweigert, die letztlich erst Anfang 2020 durch die Einigung in einem einstweiligen Verfügungs-Verfahrens und auch danach erst mit erneuter anwaltlicher Drohung erzwungen werden konnte. Und nun im Herbst 2020 – nachdem Herolds den Vertrag über die Wasserversorgung bei den Stadtwerken, der bis vor Kurzem noch über die BewohnerInnen selbst lief, ohne Rücksprache gekündigt haben – haben sie die Wasserversorgung für das Haus abstellen lassen. Kurz vor Veröffentlichung dieses Textes ist die Wasserversorgung, mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung, nach acht Tagen ohne Wasser in Zeiten von Corona (Händewaschen!), wieder hergestellt worden.

Die Kündigung

Das Entscheidende aber: im Zuge des Streits darüber, wer die Kosten für die reparierte Heizung nun übernimmt, wurde der Mietvertrag gekündigt. Begründung: Eigenbedarf. Die BewohnerInnen haben die Begründung der Kündigung nicht anerkannt und sind erstmal drin geblieben. Denn, dass sie die Karte des Eigenbedarfs ausspielen würden, hatten Herolds schon in den anfänglichen Gesprächen angedroht, als eine einvernehmliche Lösung noch möglich schien. Wir denken, der Eigenbedarf ist vorgeschoben – er ist für Eigentümer ein Hebel im Mietrecht, bei dem die MieterInnen meist das Nachsehen haben. Zwischenzeitliche Versuche der erneuten Aufnahme von Verhandlungen und einer Konfliktvermittlung schlugen fehl. Die inzwischen erfolgte Räumungsklage wird am 1. Oktober um 11:00 Uhr vor dem Amtsgericht verhandelt. Wie die Verhandlung ausgeht, ist ungewiss – man sollte sich nicht allzu große Hoffnungen machen. Aber wer lässt sich schon freiwillig so rausschmeißen?

Bedingungen des Unglücks

Wenn das Flüchtige, Unverbindliche, zeitlich Begrenzte Bedingung für Momente von Freiheit und Glück sein kann, so kann es auch Grundlage für eine gehörige Portion an Unglück sein. Die BewohnerInnen sind in der jetzigen Situation nicht besonders gut aufgestellt. Ohnehin: Was bedeutet es für einen Alltag, der doch auch bei den BewohnerInnen des „Schiefen Hauses“ von Lohnarbeit, Studium, Jobberei, Selbständigkeit, Projekte-Huberei und dem ganzen gewöhnlichen Huzzle des Überlebens geprägt ist, wenn dazu auch noch das Gerenne zum Anwalt, zum Amtsgericht, zum Mieterbund, zu diversen anderen Stellen geprägt ist – wenn man sich Papierkrieg liefern muss, den man nicht will und den man eigentlich auch nicht kann – wenn man sich auf einmal selbst regelmäßig treffen muss, um mit so unterschiedlich veranlagten Leuten über Bürokratie, Rechtsfragen und Strategien diskutieren zu müssen – wenn dazu noch tage-, wochen- oder monatelang wahlweise die Heizung nicht funktioniert, das Klo unbenutzbar ist oder kein Wasser fließt und man dabei zu spüren bekommt, wie abhängig und verletzlich man qua der Eigentumsverhältnisse ist – wenn man sich ärgert, dass man es nicht richtig schafft, sich besser aufzustellen, sich zu wehren, die Sache öffentlich und politisch anzugehen – wenn man sich dabei noch untereinander in die Haare kriegt, weil diese Konstellation für diese Auseinandersetzung von Anfang an nicht gemacht war. Ihr könnt es euch vielleicht vorstellen, kurz: man ist gefickt. Jetzt ist es zumindest öffentlich.

Unabhängig davon, wie die Gerichtsverhandlung am 1. Oktober ausgeht – die Tage des „Schiefen Hauses“ sind gezählt. Man kann traurig darüber sein – aber wer trauern kann, muss sich irgendwann vom Objekt des Verlustes lösen. Es bringt nichts, sein Herz an ein Haus und an einen begrenzten Zeitabschnitt zu hängen. Und vielleicht führt die hier gemachte Erfahrung dazu, dass in Halle bald etwas Neues entsteht. Aber Grund zur Wut gibt es schon: Das „Schiefe Haus“ ist einer von vielen Orten in der Hallischen Innenstadt, die Stück für Stück und meistens leise und in Vereinzelung verschwinden. Von jenen Orten, die etwas anders sind als die gewöhnliche Mietwohnung in der Innenstadt für die besseren Einkommensklassen. Wenn ihr mit dem Haus verbunden seid, kommt in den nächsten Wochen (vielleicht sind’s dann doch auch wieder Monate?) nochmal vorbei und zeigt den BewohnerInnen, dass sie nicht alleine sind. Wenn alles gut geht, habt ihr dazu Gelegenheit am Samstag den 19. September – der Freundeskreis plant ab 14:00 Uhr eine kleine Kundgebung. Wenn ihr Herolds kennt, fragt sie doch mal danach, wie ihr Eigenbedarf eigentlich aussieht und ob die Altbau-Liebhaberei wichtiger ist als die, die drin wohnen. Und wenn euch dieser Text nachdenklich gemacht hat: die Grundlage des Unglücks ist es, dass im Kapitalismus auch das Wohnen eine Ware ist und nach den Maßstäben der Geldvermehrung organisiert wird. Eine Investition muss sich rechnen – und das Bedürfnis nach Wohnen wie Freiheit und Glück ist dieser Rechnung untergeordnet. Wie unangenehm das sein kann, das kann man nicht nur in Konfrontationen mit bösen Miet-Haien oder großen Immobilien-Trusts erfahren. Es reicht im Zweifel auch ein geschätztes Mitglied des AK Innenstadt.

Oi!

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.