Walk of Care

Ein Bericht über die Demonstration für eine bessere Pflege

von | veröffentlicht am 18.05 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

Am 12. Mai fand in Halle anlässlich des Internationalen Tags der Pflege der „Walk of Care“ statt. Laut Veranstalter*innen zogen 400 Personen bei der Demonstration unter dem Motto „Pflexit? Nicht mit uns!“ durch die Stadt.




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Bundesweit sind am Donnerstag Pflegende und solidarische Menschen für eine gesetzliche Personalbemessung, für menschenwürdige Pflege, politische Mitsprache und eine gemeinnützige Finanzierung in mehreren Städten auf die Straße gegangen. Nicht nur in Halle, auch in vielen weiteren Städten fanden Aktionen und Demonstrationen statt.

Dani Luiz

ist Teil der Transit-Redaktion.

Weitere Eindrücke von der Demo finden sich hier.

Genug geklatscht!

Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Belastung von Arbeiter*innen in der Pflege war zu Anfangszeiten der Corona-Pandemie zwar vorhanden. Jedoch ist in den letzten Monaten viel geklatscht, aber zu wenig getan worden. Der Bund hat einmalig einen „Pflegebonus“ von bis zu 550€ ausgezahlt, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt wurden. Dies reicht jedoch nicht aus, da die Pflege an chronischer Überbelastung leidet und sich die schlechten Arbeits- und Rahmenbedingungen seit Beginn der Pandemie keineswegs verbessert haben.

In der Gruppe „Walk of Care Halle“ haben sich Studierende, Auszubildende sowie Aktive aus dem Bereich der Pflege und der Physiotherapie zusammengeschlossen. Mit fünf Forderungen wollen sie sich bundesweit auf politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene für eine bessere Gesundheit engagieren. Dabei soll deutlich werden, was die Pflege alles ist und was Beschäftigte in Gesundheitsberufen jeden Tag leisten. Mit der Aktion #gibuns5 fordern sie eine gesetzliche Personalbemessung orientiert am Pflegebedarf, eine gute Ausbildung, eine Fort- und Weiterbildungsordnung, eine gerechte Finanzierung des Gesundheitssystems und der Pflege sowie mehr politisches Mitspracherecht für alle Gesundheitsfachberufe.

„Wir wollen mehr“

Hunderte Personen sammelten sich am Donnerstag Nachmittag am Steintor. Nach einigen Redebeiträgen zog die Demonstration lautstark die Ludwig-Wucherer-Straße zum August-Bebel-Platz. Begleitet wurde der Aufzug mit Musik vom „Unterdruckkollektiv“ und von „Beat Per Motion“.
Auf dem August-Bebel-Platz fand eine Zwischenkundgebung statt. Immer wieder sprayten einzelne Teilnehmer*innen mit Sprühkreide und Schablonen Botschaften auf die Straße. Überall hinterließ die Demonstration Schriftzüge wie „Walk of Care“ oder „Pflexit? Nicht mit uns!“.
Nach der Zwischenkundgebung ging es über die Bernburger Straße und den Mühlweg zur Ziegelwiese, wo die Abschlusskundgebung stattfand.
Als die Demonstration im Mühlweg an der Diakonie vorbeilief, grüßten einige Pfleger*innen von Balkonen und aus den Fenstern. Die Teilnehmer*innen reagierten mit lautstarken Sprechchören, wie beispielsweise „Wir wollen mehr!“, „Einer guten Pflege steht Profit im Wege“ und „Pflexit? Nicht mit uns!“.

In den Redebeiträgen wurden verschiedene Themen angesprochen. Im Mittelpunkt stand immer wieder das Gesundheitssystem, welches dringend verändert werden müsse.
Die Teilnehmer*innen kritisierten die Profitmaximierung und sprachen sich gegen das DRG-System aus. Das System der “Diagnosis Related Groups” (diagnosebezogene Fallgruppen) wurde 2003 bis 2004 in Deutschland eingeführt, um stationäre Krankenhausbesuche statistisch zu erfassen und zu klassifizieren. Im profitorientierten Gesundheitswesen wird es genutzt, um Kosten zu optimieren, indem Fallkosten für Krankheitsbilder pauschal berechnet werden. Die Folge ist eine strukturelle Unterfinanzierung, die zu Lasten der Pflegenden und Patient*innen geht.
In einem Redebeitrag forderte der „Walk of Care Halle“ eine Umverteilung der verfügbaren Gelder: „der Fokus darf nicht auf Gewinnmaximierung liegen“.

 

Berufspolitisches Engagement

Eine Rednerin berichtete, dass es nicht immer leicht sei, politisch aktiv zu sein und zu bleiben, denn der Stationsalltag raube viel Kraft.
„Die Wut ist verraucht und dem alltäglichen Stress des Stationsalltags gewichen. Einfach nur fertig werden, durch die Zimmer düsen, Angehörige, Ärzt:innen, Physio, Casemanagement connecten, dem permanenten Klingeln des Telefons zum Trotz vor der Übergabe noch schnell die Anordnungen ausarbeiten und dokumentieren und dann währenddessen merken, dass man die Patient:innen eigentlich kaum gesehen hat. Uff. So wollte ich nie werden. Bin ich aber.“
Das System ziehe einen schnell mit rein und nach Feierabend möchte sie, wie viele andere auch, einfach nur an etwas anderes denken. Dazu kämen zahlreiche frustrierende Nachrichten aus der Berufspolitik: „Die Caritas verhindert einen einheitlichen Tarifvertrag für die Altenpflege, Kommerzialisierung und Pflexit, Niedersachsen und Schleswig-Holstein lösen ihre Pflegekammern auf.“ Diese Nachrichten führen zu Überforderung und dazu, dass schnell der Überblick verloren geht. Aber die Rednerin meinte, es sei auch nicht notwendig, den kompletten Überblick zu haben, denn die Probleme in der Pflege müsse und könne sie nicht alleine lösen. Die Mitgliedschaft in Gewerkschaften oder im Berufsverband sind einfache Maßnahmen, um sich zu organisieren. Gewerkschaften könnten viel mehr Schlagkraft entfalten, wenn viel mehr Menschen mitmachen würden. Denn aktuell hätten Gewerkschaften ein großes Mitgliederproblem.

Tatsächlich waren laut einer Umfrage des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung 2017 nur 11% der Pflegenden gewerkschaftlich organisiert.
„Je mehr Mitglieder eine Gewerkschaft hat, desto mehr Druck können Gewerkschaften in Tarifverhandlungen gegenüber den Arbeitgeber*innen aufbauen. Denn Gewerkschaften sind auch die einzigen, die berechtigt sind, kollektive Arbeitsverweigerungen zu organisieren, also Streiks.“

„Wir haben uns über das Klatschen beschwert, wir haben uns über den Umgang mit uns während der Pandemie beschwert“, sagte die Rednerin, doch an dieser Stelle müssten sich die Pflegenden auch mal selbst an die Nase fassen.

„Die Pflege - ein Frauenberuf. So ist es in unserer Gesellschaft verankert."

Ein Redebeitrag vom „Walk of Care Halle“ machte auf die Herausforderungen der Gleichstellung in der Pflege aufmerksam. In der Gesundheits- und Krankenpflege, sowie in der Altenpflege liegt der Anteil an Frauen bei etwa 80 Prozent. Sexismus und sexuelle Belästigung im Pflegeberuf würden ein großes und alltägliches Problem darstellen. „Wieso wird ein männlicher Kollege automatisch für einen Arzt gehalten? Wieso wird die Frau an seiner Seite als eine Pflegekraft wahrgenommen?“, fragt eine Rednerin. Die fehlende Wertschätzung in der Gesellschaft mache sie stutzig. „Die Gesellschaft muss aufhören, den Stereotyp der Pflegekraft in der Öffentlichkeit in den veralteten Rollenbildern darzustellen. Denn wir sind längst nicht mehr Krankenschwestern, sondern professionelle Pflegefachkräfte.“ Die Pflege stellt eine eigene Profession dar und sei schon lange nicht mehr nur „eine Berufung von aufopfernden Frauen“.

 

„Bildet multiprofessionelle Banden!“

Ein Auszubildender für Physiotherapie betonte in einem Redebeitrag die Wichtigkeit von interdisziplinärer Arbeit. Es sei wichtig, auf der Demonstration mit verschiedenen Fachbereichen des Gesundheitswesens zusammenzustehen, um gemeinsam für eine bessere Pflege zu kämpfen. Dafür müssten die unterschiedlichen Akteur*innen, die mit und an Patient*innen arbeiten, mehr in Kontakt miteinander treten. Erste Schritte dafür wären einfache Gespräche auf dem Stationsflur und regelmäßige Termine, wo medizinische Pflege- und Therapiemaßnahmen besprochen und diskutiert werden könnten. Dies wäre ein wichtiger Schritt, um die Versorgung der Patient*innen zu verbessern.
„Lasst uns miteinander statt nebeneinander arbeiten und uns klar werden, dass keine Fachrichtung ohne die andere arbeiten kann. Wir, als Teile des Gesundheitssystems, welches so viele Ecken und Kanten hat, sollten uns vereinen, um gemeinsam stark zu sein“. Mit diesem Appell beendete der Redner seinen Beitrag.
Anschließend daran zeichnete eine Medizinstudentin die Vision einer verbesserten interdisziplinären Zusammenarbeit bei einer Krankenhausschicht. Sie machte darauf aufmerksam, dass es zu keinen weiteren Kürzungen in der Pflege kommen dürfe, da Pflegekräfte bereits jetzt einen stressigen Stationsalltag hätten.
„Wir alle müssen für eine bessere Pflege einstehen, uns dafür stark machen, laut werden und vor allem überzeugt sein, dass es besser werden kann.“
Ein angehender Gesundheits- und Krankenpfleger ergänzte: „Wir arbeiten alle in einem System, das uns immer öfter dazu zwingt, unsere Patient*innen nur noch abzufertigen, ohne tatsächlich auf Bedarfe und Bedürfnisse der Menschen dahinter eingehen zu können.“
Eine Verbesserung könne nur erreicht werden, wenn „wir beginnen, uns auf Augenhöhe zu begegnen und uns mit Respekt zu behandeln“. Der Kampf für eine starke Pflege und ein gerechteres Gesundheitssystem brauche den Schulterschluss der unterschiedlichen Professionen.

Die Klimakrise ist eine Gesundheitskrise

Auch die Ortsgruppe Halle von Fridays for Future hielt einen Redebeitrag und machte darin auf die massiven Auswirkungen der Klimakrise auf die Pflege und das Gesundheitssystem aufmerksam. Sogenannte „vulnerable Gruppen“, wie hochbetagte, chronisch Kranke, Patient*innen nach schweren Operationen und andere sind durch die Klimakrise besonders stark gefährdet. Somit werde mit zunehmender Klimaerwärmung auch die Auslastung der Krankenhäuser steigen.
Extreme Hitze führte im Jahr 2018 in Deutschland zu über 20.000 Todesfällen. Doch Hitze ist nicht das einzige zu erwartende Wetterextrem, dass durch die Klimakrise verstärkt zu einer Überbelastung des Gesundheitssystems führen kann. Auch Pandemien werden durch die Klimakrise zunehmen. Die Klimabewegung und der „Walk of Care“ seien demzufolge eng verbunden, denn die Klimakrise ist auch eine Gesundheitskrise.
Aus den genannten Gründen forderte Fridays for Future umfassende Schutzmaßnahmen im Falle von Extremwettern und eine konsequente Bekämpfung der Klimakrise: „Es wurde schon viel zu lange gewartet. Jetzt ist höchste Zeit zu handeln“.

„Noch können wir gar nicht realisieren was am 12. Mai passiert ist. Es war der Wahnsinn!“, schreibt „Walk of Care Halle“ in einem Rückblick auf Instagram und bedankt sich für die zahlreiche Teilnahme und die gute Stimmung.
„Gemeinsam sind wir stark! Für eine bessere Pflege!“

 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.