Volksbegehren gegen den Lehrkräftemangel

Ein Volksbegehren wirbt für eine nachhaltige Problemlösung

von | veröffentlicht am 30.08 2020

Die Coronakrise überschattet eine für das Bildungssystem noch viel größere Krise: den Lehrkräftemangel. Was im "Lernen auf Distanz" nicht mehr so stark zum Vorschein kam, dürfte nun mit Beginn des neuen Schuljahres und der Wiederaufnahme des Regelunterrichtes wieder ins Bewusstsein vieler Eltern und Schüler*innen geraten. Ein Volksbegehren fordert hierzu nun einen langfristigen Strategiewechsel.




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Vor wenigen Tagen titelte die “Mitteldeutsche Zeitung” schon mit dem Ende des Volksbegehrens gegen den Mangel an Lehrer*innen und pädagogischen Mitarbeiter*innen. Der wahre Kern dieses Titels ist die Tatsache, dass es tatsächlich unwahrscheinlich wird, in den verbleibenden knapp drei Wochen noch auf die benötigten über 160.000 Unterschriften zu kommen. Nichtsdestotrotz lohnen sich Unterschrift und Einsatz für das Volksbegehren weiterhin. 

Denn das Problem, das die Initiative “Den Mangel beenden – unseren Kindern Zukunft geben” adressiert, wird Sachsen-Anhalt noch jahrelang begleiten: Auf Landesebene liegt die Unterrichtsversorgung bei unter 100 Prozent, also fallen selbst dann Stunden aus, wenn alle Lehrer*innen immer voll einsatzfähig sind. Da das natürlich nicht der Fall ist und die Lehrkräfte von Region zu Region und Schule zu Schule ungleich verteilt sind, fällt für manche Schüler*innen der Unterricht schon ganz regulär aus. Bei den pädagogischen Mitarbeiter*innen sieht die Situation nicht viel besser aus. Von einer akzeptablen Versorgung ist man hier weit entfernt. 

Deshalb will die Initiative ein Volksbegehren für eine Änderung des Schulgesetzes erzwingen, welche die benötigte Anzahl von Lehrer*innen und pädagogischen Mitarbeiter*innen im Verhältnis zur Anzahl der Schüler*innen gesetzlich festschreibt. Das ist vor allem eine Misstrauensbekundung gegenüber der Bildungspolitik der vergangenen Jahre, die sich unter dem bestehenden Bildungsminister Marco Tullner (CDU) fortsetzt. Denn die Landespolitik hat es in den letzten zehn Jahren zuerst versäumt Stellen auszuschreiben und dann für Nachwuchs zu sorgen. Man war offensichtlich davon überzeugt, dass das Bundesland ohnehin aussterben wird, und hat die Schulen deshalb lieber gleich geschrumpft. Das Ergebnis ist bekannt: Etliche Schulen wurden geschlossen und die Altersstatistik der jetzt in Massen in Rente oder Pension gehenden Lehrer*innen wurde ignoriert. 

Zwar schreibt das Land jetzt hunderte Stellen aus, kann diese aber nicht besetzen. Der Bildungsminister selbst versucht sich mit Stundenkürzungen aus der Affäre zu ziehen, weshalb an den Sekundar- und Gemeinschaftsschulen weniger Deutsch und Mathe gelehrt wird. Es ist dabei kein Wunder, dass ein CDU-Minister lieber bei den ungeliebten Gemeinschaftsschulen kürzt und nicht an den Gymnasien. 

Das Volksbegehren soll zeigen, dass es zu dieser Politik eine Alternative gibt. Zwar wird ein geändertes Schulgesetz weder Lehrer*innen noch pädagogische Mitarbeiter*innen herbeizaubern können. Ein erneutes Fiasko dieser Art würde durch einen positiven Entscheid aber verhindert. Denn erst seit 2017 wird ernsthaft darüber geredet, die Kapazitäten für die Lehramtsausbildung an der Universität Halle-Wittenberg zu erhöhen und Quereinsteiger*innen gewinnen zu wollen. Nur durch zähe Verhandlungen konnte sich das Land damals dazu durchringen, die Erhöhung der Kapazitäten von vorerst ungefähr 500 auf 700 der ohnehin unter Hochschulkürzungen leidenden Uni Halle überhaupt zu finanzieren. Die Kürzungen sind auch ein Grund dafür, dass die Lehramtsstudierenden über ihre Ausbildung klagen: Während es an den Schulen einen Lehrer*innenmangel gibt, leiden die angehenden Lehrer*innen an fehlenden Dozent*innen. Generell lässt sich die heutige Situation nicht von den bis in die Gegenwart anhaltenden Kürzungsorgien der Landespolitik trennen, denn es wurde einst politisch durchgedrückt, dass die Uni Halle die einzige Lehramtsausbildung jenseits der Berufsschulen im Land anbieten darf.

So kämen zwar auch bei einem Erfolg des Volksbegehrens harte Zeiten auf die Schulen zu, eine Lösung wäre aber wenigstens in Sicht. Eine gut ausfinanzierte Hochschullandschaft könnte für den dringend benötigten Nachwuchs sorgen, denn es gibt grundsätzlich mehr Interessent*innen als Studienplätze. Wer sich zum Beispiel an der Uni Halle umhört, wird etliche Studierende finden, denen die Ambitionen auf ein Lehramtsstudium entweder durch die schlechten Bedingungen oder den hohen Numerus Clausus aktiv ausgetrieben wurden. Gute Arbeitsbedingungen in den Schulen würden dafür sorgen, dass die angehenden Lehrer*innen auch bei ihrem Beruf bleiben.

Das Gute am Volksbegehren ist, dass es langfristig wirken würde: Ist das Schulgesetz erst einmal geändert, muss jede Regierung, die im Juni 2021 gewählt wird, ein entsprechendes Programm vorlegen. Es wäre vorbei mit dem Versteckspiel des Bildungsministers, der schlicht auf seine ausgeschriebenen Stellen und auf fehlende Zauberkünste verweist. Deshalb wird es den Aktivist*innen, die aus einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften, Fachverbänden, Elternvertretungen, Schülerräten und der Linkspartei  kommen, auch unnötig schwer gemacht. 

Zuerst wurde die Frist aufgrund der Corona-Pandemie bis zum 18.08.2020 verlängert, was kaum die Hälfte der Corona-bedingten Auszeit ersetzen konnte. Die Initiative ging dagegen vor Gericht und bekommt nun noch Zeit bis zum 16. September. In diesem Kontext ist auch das Agieren des Landesschulamtes zu sehen, welches jede Befassung mit dem Volksbegehren per Knebelbrief an den Schulen untersagt hat. Die Folge davon ist, dass gerade die betroffenen Einrichtungen damit von der Landesregierung an einer kritischen Auseinandersetzung mit der Schulsituation gehindert werden.

Egal wie die Unterschriftensammlung letztendlich ausgeht, die sicher zusammen kommenden zehntausenden Stimmen sind auch eine Absage der Betroffenen an diese Form der Politik, die jahrelang kurzfristig für die “Schwarze Null” gekürzt hat und jetzt eine nachhaltige Problemlösung boykottiert. Wenn Regierungsmitglieder die Problem schlicht zu unlösbaren erklären, dann sagt die Initiative: Doch, sie sind lösbar. Ihr wollt es nur nicht!


Informationen zur Abgabe von Unterschriftenlisten und zu weiteren Aktionen zum Volksbegehren finden sich auf der Seite des Stadtelternrates: https://www.stadtelternrat-halle.de/volksbegehren/index.php 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.