Verwaltungs- statt Gestaltungspolitik

Die politische Debatte im Vorfeld der Kommunalwahlen kommt nur schwer in Gang

von | veröffentlicht am 22.05 2019

Beitragsbild: Transit

Die geringe Wahlbeteiligung an Kommunalwahlen gilt als scheinbares Naturgesetz. Alle fünf Jahre wiederholt es sich: Nicht nur um die Stimmen wird geworben, sondern um den Wahlgang überhaupt. Das diesjährige StäZ-Wahlforum, das am 17. Mai in der Theatrale stattfand, lässt auf keine Verbesserung hoffen. Alles zu komplex, die Steuern zu hoch oder "die da oben" böse, so der durchgehende Tenor, der auf dem Podium vertretenden Kandidatinnen und Kandidaten. Sachzwang statt politischer Ideen, Eliten-Bashing statt ökonomischer Kritik.




diesen Beitrag teilen

Gleich am Anfang hatte ein Zuschauer via Facebook-Livestream die Frauenquote auf dem Podium kritisiert. Sie lag anfangs bei bestechenden elf Prozent. Mit Melanie Ranft hatten lediglich die Grünen eine Frau in die Debatte geschickt. Dr. Detlef Wend (SPD) antwortete prompt. Nicht die Parteien, nein, die Frauen selbst, seien für diese Quote in die Verantwortung zu nehmen! Schließlich hindere niemand Frauen daran politische Ämter auszufüllen. Ganz im Gegenteil. Das sei sogar erwünscht! Die SPD sucht händeringend Mitglieder! Strukturelle Benachteiligung oder Diskriminierung? Davon war hier keine Rede.

Jedoch: unüberlegtes und dominantes Redeverhalten erscheint nicht nur bei der SPD als Problem. Bevor Melanie Ranft als einzige Frau auf dem Podium zu Wort kommen konnte, mussten erst eine Reihe von Männern ihre Sicht darlegen. Obwohl sie alle mehr oder weniger das Gleiche sagten, kam niemand auf die Idee, sein Rederecht abzugeben. Zu belanglos war das Gesagte, als dass es hätte zurückgehalten werden können. Und auch sonst kam die politische Debatte nur schwerfällig in Gang.

Alte Ideen in neuem Gewand

Unbedingt herausstechen wollte Marco Kanne (Team Schrader). An einer inhaltlichen Diskussion war er gleichwohl nicht interessiert. Seine durchsichtigen Profilierungsversuche bestätigten allerdings seine konstante ideologische Verbundenheit zur AfD und völkischem Gedankengut. Auch wenn er sich redlich im Kaschieren übte, gelingen wollte ihm das nicht. Wer von „Inzestbande“ spricht und ein homogenes, „wahres“ Volk konstruiert, das von einer bösen Elite gelenkt und verraten wird, zeigt wo er herkommt und wo er hinwill. Die anderen Parteien vermochten es gut, diese protofaschistischen Äußerungen ins Leere laufen zu lassen.

Abgesehen von einigen bewussten und müden Ausrutschern, der ein oder anderen Stichelei, blieb es auch weitestgehend höflich. Hervorgetan hat sich diesbezüglich Sven Thomas (Hauptsache Halle). Viel sagte er zwar nicht, aber dafür bedankte er sich nach jedem seiner Statements.

Mehr zu sagen hatten FDP und Freie Wähler. Für sie ist eine Sache klar: Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s allen gut. Hier und da ein bisschen Steuersenkungen, weitere Privatisierungen und Schwups gibt’s Gewerbesteuereinnahmen wie in Magdeburg (nämlich doppelt so hoch!). Als neue Kraft, mit neuen Ideen gibt sich die FDP. Bleibt nur die Frage: Wo steckt das Neue? Im Design ihrer Wahlplakate? Denn die Ideen sind so alt wie die FDP selbst.

Debatte statt Sachzwang-Logik

Leider konnte oder wollte niemand auf die sozialen Folgen neoliberaler Stadtpolitik hinweisen. Von einem rot-rot-grünem Bündnis, das den nächsten Oberbürgermeister stellen möchte, hätte da ein wenig mehr kommen müssen. Vielmehr waren die Unterschiede zwischen Mitbürgern und CDU einerseits und Linken, SPD und Grünen andererseits graduell. Sie alle ruhten sich auf angeblicher Realpolitik aus. Sicher sind die Möglichkeitsräume kommunaler Politik begrenzt. Die Parteien aber blieben eine Aushandlung politischer Fragen schuldig.

Zugegebenermaßen wäre es falsch den Parteien zu unterstellen, sie unterschieden sich nicht. Die Linke fordert eine autofreie Innenstadt, die CDU möchte lieber ohne Verbote Lösungen finden. Die Freien Wähler denken über Privatisierungen nach, die SPD spricht sich dagegen aus. Doch als Zuschauer konnte man den Eindruck gewinnen, bei Kommunalpolitik ginge es mehr um das gemeinsame Verwalten des Bestehenden und weniger um einen Streit politischer Ideen.

Die Kompetenzen von Städten sind begrenzt. Viele politische Entscheidungen und Maßnahmen liegen einfach nicht in ihren Zuständigkeitsbereichen. Aber wieso sollten nicht auch in der kommunalen Politik grundsätzliche politische Fragen und Forderungen debattiert werden? Schließlich sind Parteien überregionale Zusammenschlüsse und auch die Städte nutzen Interessenverbände wie den Städtetag als Sprachrohr für Bundes- und Landespolitik.

Die schwarze Null, erzwungene Einsparungen durch das Landesverwaltungsamt – das alles sind politische Positionen, die weder naturgegeben sind, noch in einem Vakuum entstehen. Ganz im Gegenteil, sie sind das Ergebnis von Debatten und Gesetzen. Anstatt sich hinter einer Sachzwang-Logik zu verschanzen, müssen diese Fragen demokratisch verhandelt werden. Denn die stattfindende Entpolitisierung hochgradig politischer Fragen ist gefährlich und falsch.

Doch es scheint dazu niemand gewillt oder in der Lage zu sein. Wenn statt Gestaltungspolitik nur Verwaltungspolitik zur Wahl steht, bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Wahl gegen Rechts genügend Menschen motivieren wird, ihren Wahlgang zu unternehmen. Das Auftreten der Parteien und Wählervereinigungen tut es wahrlich nicht.

Die StäZ-Wahldebatte ist kostenlos hier einsehbar. Die Städtische Zeitung ist eine unabhängige, Abo-finanzierte Lokalzeitung aus Halle.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.