Reproduktive Rechte in Zeiten von Corona

Zur aktuellen Situation von ungewollt Schwangeren in Halle

von | veröffentlicht am 08.05 2020

Beitragsbild: Transit

Die aktuelle Situation erschwert die ohnehin komplizierten Bedingungen für ungewollt Schwangere. Die Autorinnen* sind Teil der studentischen Gruppe „Awareness für (H)alle“ und haben sich intensiv mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch unter den derzeitigen Umständen und geltenden Auflagen auseinandergesetzt.




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Ein Anstoß für unsere Beschäftigung mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch in Zeiten der Corona-Pandemie waren die Pressemitteilung und der offene Brief von „Doctors for Choice“, einem deutschlandweiten Netzwerk, in welchem vor allem Ärzt*innen und Medizinstudierende vertreten sind. Darin werden sämtliche Probleme, die nun zu einem in Deutschland ohnehin komplizierten Vorgang des Schwangerschaftsabbruches noch hinzukommen, aufgezählt.

Um uns ein eigenes Bild von der Situation zu machen, haben wir Kontakt zu Beratungsstellen, gynäkologischen Praxen und Krankenkassen aufgenommen. In unserem Text werden wir auf den Ablauf eines Schwangerschaftsabbruches eingehen und die durch aktuelle Auflagen entstandene Situation konkret für Halle schildern. Damit wollen wir auf die reproduktiven Rechte von ungewollt Schwangeren aufmerksam machen.

Um in Deutschland einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, muss eine Pflichtberatung absolviert werden. Zwischen der Beratung und dem Schwangerschaftsabbruch müssen mindestens 3 Tage liegen. Parallel dazu muss gegebenenfalls die Krankenkasse kontaktiert werden, um einen Antrag für die Kostenübernahme (meist persönlich) zu stellen. Gleichzeitig muss die Feststellung der Schwangerschaft durch eine gynäkologische Untersuchung erfolgen, sowie eventuell die Überweisung zu einer anderen Praxis, die den Eingriff durchführt. Dort gibt es dann ein Vorgespräch, einen Termin für den Abbruch (operativ oder medikamentös) und eine Nachuntersuchung. Prinzipiell muss bei Personen, die selbst kein oder nur wenig Deutsch sprechen, fast überall ein*e Übersetzer*in mitkommen, da sowohl Beratungsstellen als auch Frauenärzt*innen in seltensten Fällen mehrsprachig aufgestellt sind.

Das sind sehr viele Schritte und Kontakte, die durch Einschränkungen in Beratungsstellen, Praxen und Kliniken sowie Zugangsprobleme durch die Ausgangssperre noch schwieriger zu realisieren sind als sonst. „Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nunmehr akut gefährdet“, liest es sich in der Pressemitteilung von Doctors for choice. Befürchtet wird dabei ganz konkret, dass ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der legalen Frist von 12 Wochen nicht mehr möglich ist und Betroffene „zu ‚unsicheren Abtreibungsmethoden‘ greifen mit der Gefahr von gesundheitlichen Schäden wie Entzündungen, Sterilität, Blutungen, bis hin zum Tod“. Eine weitere Sorge ist, dass „es zu mehr unerwünschten Schwangerschaften infolge der Zunahme häuslicher Gewalt, sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen als Folge der Ausgangsbeschränkungen“ kommt.

Die Situation in Halle
Pro Familia hat in ihrem kostenlos zugänglichen Informationsdokument zum Schwangerschaftsabbruch als ersten Schritt den Termin bei einer staatlich anerkannten Beratungsstelle genannt. Unsere Recherche hat ergeben, dass die AWO in Halle auf telefonische Beratung – mit oder ohne Video – umgestiegen ist. Die Beratungsbescheinigung muss dann, unter Beachtung des Mindestabstandes, persönlich abgeholt werden. Da die Räumlichkeiten dort groß genug sind, kann bei dringlichem Wunsch auch eine kontaktlose Beratung im Büro erfolgen.

Die Antragstellung für die Kostenübernahme durch die Krankenkassen erfolgt normalerweise durch ein persönliches Gespräch. Aufgrund der aktuellen Situation wird der Antrag bei der KKH (Kaufmännische Krankenkasse) in Halle nun postalisch oder per E-mail übermittelt, eine Präsenz ist hier nicht nötig. Der ausgefüllte Antrag, inklusive Bescheinigung der Beratungsstelle und der letzten 3 Gehaltsnachweise, muss dann postalisch an die zentrale Stelle geschickt werden. Im Gespräch mit anderen Krankenkassen, zum Beispiel der Techniker Krankenkasse und der AOK, konnten wir Ähnliches feststellen. Die AOK Halle wird ab dem 27. April, bei vorher vereinbartem Termin, für dringende Fälle wieder Beratungen vor Ort anbieten. Schwangerschaftsabbrüche zählen weitgehend als solch dringliche Angelegenheiten. In diesem Fall ist es dann möglich, dass bei Vorlage der oben genannten Dokumente eine unmittelbare Prüfung geschieht und die Bescheinigung für die Kostenübernahme direkt ausgestellt werden kann. Es bleibt ein hoher bürokratischer Aufwand, doch kommt es durch die Corona-Pandemie wohl nicht zwangsläufig zu Verzögerungen.

Flächendeckend bestätigten uns gynäkologische Praxen aus Halle, dass der Betrieb nicht eingeschränkt sei. Für Halle konnten wir nach Telefonrecherchen zwei Praxen ausfindig machen, welche Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Der einzige uns gegenüber genannte Unterschied zum herkömmlichen Vorgehen ist, dass eine der beiden Praxen nun auf einen medikamentösen Abbruch verzichtet und nur einen operativen Schwangerschaftsabbruch durchführt. Bei der medikamentösen Variante müsse die Patientin mehrfach in die Praxis kommen und dies wolle man vermeiden.

Zusätzlich wurden wir auf das Universitätsklinikum und die Tagesklinik Silberhöhe verwiesen. Auf der offiziellen Liste der Bundesärztekammer ist jedoch keine dieser Stellen zu finden – die Eintragung dort erfolgt freiwillig und bleibt den Ärzt*innen überlassen. Die Beratungsstellen werden jedoch selbstverständlich auf die betreffenden Praxen verweisen.

All dies hinterlässt uns mit gemischten Gefühlen. Zum Einen sind wir auf eine Art und Weise erleichtert, dass hier in Halle nach wie vor Schwangerschaftsabbrüche möglich sind und Betroffene nicht hunderte Kilometer fahren müssen, um überhaupt eine Praxis für den Eingriff zu erreichen. Jedoch sind wir uns der inakzeptablen Lage im Allgemeinen bewusst. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nach wie vor gesetzlich als Straftat definiert. Dieser Fakt verursacht rechtliche Hürden und einen großen zeitlichen Aufwand, der im Fall eines ländlichen Wohnsitzes wächst.

Gerade unter den aktuellen Auflagen und in Situationen, in denen sich Betroffene alleinerziehend und/oder im Homeoffice und/oder als Teil der Risikogruppe wiederfinden, ist die Belastung enorm hoch. Wir schließen uns der Forderung von Doctors for Choice an, dass auch in Deutschland der medikamentöse Abbruch mit ,home-use‘ zugelassen wird. Dieser sollte unter telemedizinischer Begleitung bis zum Ende der 9. Schwangerschaftswoche entsprechend den Richtlinien der WHO ermöglicht werden. Um den Zugang auch unter den Pandemiebestimmungen zu gewährleisten, müssen Schwangerschaftsabbrüche als notwendige medizinische Leistungen anerkannt werden.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.