Maaz-los – ein Psychoanalytiker dreht frei

Wie die Leipziger Volkszeitung ihrem Namen mit einem vermeintlichen Ostvolk-Experten alle Ehre macht

von | veröffentlicht am 07.09 2018

Beitragsbild: Foto: Transit/Künstler: Buenocaos

In dieser Polemik lässt unser Autor ein Interview zwischen Leipziger Volkszeitung und dem halleschen Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz durch den Filter seiner eigenen Ungläubigkeit Revue passieren und fördert dabei erstaunliche Erkenntnisse über “die Sachsen” zu Tage.




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Als wären die letzten Wochen nicht allein schon ernüchternd bis erschütternd genug, setzt die Leipziger Volkszeitung (LVZ) noch einen oben drauf, indem sie Hans-Joachim Maaz, einem früher mal relativ bekannten Psychoonkel aus Halle, das Wort erteilt um die Ereignisse in Chemnitz und überhaupt im Freistaat Sachsen ins rechte Licht zu rücken.

Eingeführt wird der frühere Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Evangelischen Diakoniewerk Halle als jemand, der wisse, “wie die Ostdeutschen ticken”. Da könnte man eigentlich schon aufhören zu lesen, denn wer weiß das schon und wer sind eigentlich “die Ostdeutschen”, doch die Schlagzeile “Die Kritiker der Sachsen gehören auf die Couch” verspricht zumindest gute Unterhaltung.

In der Medizin wird etwas euphemistisch vom “Kunstfehler” gesprochen, wenn bei einer Behandlung mal ein Fehler unterläuft. Übertragen auf den Journalismus darf man schon bei der Auswahl des Interviewpartners einen schweren Kunstfehler unterstellen, obgleich die LVZ sich sicher für ihren vermeintlichen Kunstgriff gelobt haben wird. Als Mediziner und gleichzeitig irgendwas mit Psycho, ja und sogar auch noch Buchautor, wird Maaz in den Weißkittel eines glaubwürdigen Experten eingekleidet.

Doch weit gefehlt: Maaz mag sich im Laufe seines Berufslebens sicher eine enorme Expertise erarbeitet haben, das soll an dieser Stelle gar nicht bestritten werden, doch spätestens auf seine alten Tage scheint er vom rechten Pfad abgekommen zu sein. Stattdessen wandelt er auf rechtspopulistischen Wegen: So gehörte er in diesem Jahr zu den prominenteren Unterzeichnern der “Erklärung 2018”, die seit März eine angebliche “illegale Masseneinwanderung” beklagt (Transit berichtete).

Doch nicht nur das: Auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise kritisierte Maaz Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview für ihr „Wir schaffen das“ und bescheinigte ihr eine „narzisstische Grundproblematik“ – ein „psychischer oder psychosomatischer Zusammenbruch“ stünde ihr bevor. Diese Narzissmus-These durfte er Anfang 2018 bei der „Wissensmanufaktur“ im Gespräch mit Ex-Tagesschausprecherin Eva Herman und “Manufaktur”-Chef Andreas Popp auf „die meisten Spitzenpolitiker“ ausweiten. 2015 ließ er sich von der Jungen Freiheit zum Phänomen der PEGIDA-Demonstrationen interviewen.

Man darf Maaz deshalb wohl eine gewisse Befangenheit unterstellen, wenn er auf die unschuldigen Fragen der LVZ zum doch so unverhältnismäßigen Sachsen-Bashing antwortet: “Ich finde es bedenklich, wenn die Vorfälle in Chemnitz jetzt auf die rechtsextreme Schiene geschoben werden.” Denn schließlich wisse man jetzt, dass da gar nix gewesen sei. Dass zahlreiche Videos und Berichte ein anderes Bild von den rechten Aufzügen zeichnen, bleibt unerwähnt (auch dem Ministerpräsidenten muss dies irgendwie entgangen sein). Vielleicht will man an dieser Stelle des Gespräches eine Diskussion über das Wort “Lügenpresse” lieber vermeiden.

Stattdessen erfährt man, dass PEGIDA und die AfD eine Ausdrucksform der Kritik an der aktuellen Politik (“besonders die Migration, der Umgang mit dem Islam und an der Euro-Politik”) sowie der “Unzufriedenheit mit den Folgen der Wiedervereinigung” seien – schließ seien insbesondere “die Sachsen und die Ostdeutschen” viel kapitalismuskritischer. Als wer? Fragt man sich da. Ohne Antwort. Und was Kapitalismuskritik jetzt mit PEGIDA, AfD, Migration und dem Islam zu tun hat, erfährt man ebenfalls nicht. Dafür wird man fürs tapfere Weiterlesen schließlich mit der schlagzeilenwürdigen Weisheit belohnt, nicht diejenigen Sachsen, die am rechten Rand recht umtriebig sind, gehörten “auf die Couch” (also in Therapie), sondern deren Kritiker.

Nun könnte man von einem erfahrenen Psychiater erwarten, dass er eine Psycho-Pathologisierung ganzer Bevölkerungsgruppen, egal welcher, für eher weniger sinnvoll hält, weil das erstens ethisch ziemlich fragwürdig ist und es zweitens Dank der Kassenärztlichen Vereinigung und Krankenkassen schon jetzt nicht genügend Sofas in der Republik gibt. Doch weit gefehlt. Der Mann scheint das ernst zu meinen (Gut, er hat ja auch die Kanzlerin für klinikreif erklärt und seine Schriften sind voll von Pathologisierungen.) und die LVZ schien darin auch keinen Grund zu sehen, das Gespräch lieber abzubrechen und sich jemand anderen zu suchen.

Immerhin scheint sich Maaz hier und da bemüßigt zu fühlen, sich von “diesem Protest aus Sachsen” zu distanzieren. Doch bleibt ihm der Blick darauf verschlossen, dass die eigentlich Leidtragenden in Sachsen nicht die entfesselten Wutbürger*innen sind, sondern deren Ziele: vor allem Geflüchtete, aber auch andere Migrant*innen, die dafür herhalten müssen, dass sich “die Ostdeutschen”, die da protestieren, als unverstandene Außenseiter, “Omegas”, fühlen. Bei allem Verständnis für psychologische Prozesse: Wem das entgeht, der schaut halt maximal mit einem halben Auge hin.

Verheerend sei dann deshalb auch folgerichtig nicht die Hetze gegen schutzbedürftige Minderheiten, sondern “diese mediale Hetze gegen die Sachsen”. Denn da gebe es nur eine klare Minderheit, die rechtsextrem sei. Die Mehrheit sei hingegen in der Mitte zu verorten. Wie das rechnerisch aufgehen soll, wenn man sich bspw. die letzten Bundestagswahlergebnisse anschaut und da von der Gesamtpopulation den bösen links-grün-versifften Teil und den heroischen blau-schwarzen rechten Teil abzieht, bleibt ein unlösbares Rätsel der Mathematik – wenn man so schäbig ist, dem blau-schwarzen Teil die Tendenz zur Mitte abzusprechen.

Zum Schluss traut sich die LVZ dann doch noch an das rechte Schlagwort “Lügenpresse” heran und findet auch hier in Maaz einen kompetenten Ansprechpartner. Nicht nur bei der Berichterstattung zu Chemnitz, sondern auch zu Ungarn, Polen und Trump solle es nicht nur darum gehen, “ausschließlich über das Schlechte zu berichten”, sondern auch darüber, was “verständlich und richtig” ist. Dafür, dass es vielen Medien in Deutschland zum Glück immer noch schwer fällt, an der Diskriminierung von Minderheiten und der Ersetzung von Demokratie durch autoritäre Herrschaft etwas “verständlich und richtig” zu finden, scheint Maaz wenig Verständnis zu haben: Dann “ist tatsächlich der Vorwurf der ‘Lückenpresse’ nicht von der Hand zu weisen”.

Mit eben diesen Worten endet auch endlich das Interview, das der Fragende dann selbstbewusst mit seinem Namen unterzeichnet – möge er sich irgendwann mal dafür schämen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.