Keine Radiosendung für Sexisten

Salty Soundz veranstalten Konzert mit dem Frauenfeind "Frauenarzt"

von | veröffentlicht am 17.04 2019

Das wunderbare Radio Corax dürfte den meisten Leser*innen bekannt sein. Es steht für Subkultur, Gegenöffentlichkeit und klare Haltung. Aktuell gibt es aber ein Problem: Die HipHop-Crew und Sendungsmachenden „Salty Soundz“ veranstalten ein Konzert mit dem Frauenhasser „Frauenarzt“. Eine Widerrede.




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Corax mon amour

Ganz Halle liebt Radio Corax – zumindest der Teil, der diese Zeilen hier liest. Sag ich jetzt einfach mal so. In jedem Fall tue ich es! Seien es die Antifa-Nachrichten mit Infos über alte und neue Nazis sowie antifaschistische Gegenaktivitäten, SUBjektiv, das Punkerradio für alle Zottels und Krusten und diejenigen, die es nur (noch) im Herzen sind, die Irrläufer, bei denen ich immer denke: „Das will ich auch machen!“, das Gesundheitsmagazin (!), bei dem ich mich frage, wie viele Chefärzte es eigentlich in Halle gibt, das tagesaktuelle Programm, das – soweit ich weiß – in der Dimension kein anderes freies Radio hinbekommt und das deswegen vollkommen zu Recht in andere Städte (Berlin! Hah!) übertragen wird, oder die Common Voices, bei denen Geflüchtete richtig gutes Radio machen. Ach, eigentlich ist es quatsch, einzelne Sendungen herauszuheben, denn allzu oft zaubern mir die nur zu gut bekannten Stimmen ein Lächeln ins Gesicht. Und selbst wenn nur Baustellengeräusche, tibetanische Chöre oder nicht näher zu bestimmendes Klangwirrwarr übern Äther läuft: thats it.

Die Möglichkeit, selbst Radio zu machen, immer eine offene Tür zu finden und Nischenthemen zu bearbeiten, die in vielen Fällen keine Nische sein sollten, weiß ich sehr zu schätzen. Eine Gegenöffentlichkeit mit Lokalbezug und die Möglichkeit, marginalisierten Personengruppen eine Stimme zu geben: Das war das, was wir uns bei Gründung des Transit-Magazins auch vorgenommen haben. Fest steht: Ohne die 95,9 wäre Halle ein ganzes Stück langweiliger.

Verbunden ist die Radiomacherei mit einer klaren politischen Haltung, die laut Redaktionsstatut „Diskriminierung von Personen oder Gruppen, wie Sexismus, Homophobie, Transphobie, Rassismus und Antisemitismus“ aus Programm und der Struktur des Radios ausschließt. An der Haltung des Vereins gibt es keine Zweifel, das zeigt sowohl das Radioprogramm wie auch die Lösung vergangener Konflikte, die zum Beispiel zum Ausschluss eines DJs führten, der sich im nahen Umfeld eines bekannten Hallenser Rechtsextremisten bewegte. Dennoch ist die aktuelle Auseinandersetzung mit Sendungsmachenden wenig erfreulich.

Probleme gabs auch schon in der Vergangenheit

Warum die Salty Soundz überhaupt noch einen Sendeplatz auf Radio Corax haben, ist eigentlich unerklärlich. Die hallesche HipHop Combo hat schon in der Vergangenheit bewiesen, dass sie nicht verstanden haben, um was es bei Radio Corax eigentlich geht. So spielten sie in ihrer Sendung schon häufiger Texte mit sexistischem Inhalt. Dass die daraufhin erfolgten Gespräche, die vor allem für diejenigen nervig und anstrengend sind, die dem Männerhaufen Sexismus erklären müssen, mehr oder weniger für die Füße waren, zeigt der neuerliche Vorfall: Am 10. März kündigten die Salty Soundz auf Facebook ein Konzert im „Klub Drushba“ mit dem frauenverachtenden Rapper „Frauenarzt“ an.

Nun ist es in der Hip-Hop-Szene, insbesondere im Battlerap, leider häufig nicht unüblich, sexistisches und homophobes Vokabular zu benutzen. Meinetwegen lässt sich über die Grenzziehungen im Einzelfall trefflich streiten und nicht jede sexistische Aussage macht aus einem Rapper einen Sexisten. Bei „Frauenarzt“ erübrigt sich allerdings definitiv jede Diskussion, da er sich explizit und ausschließlich über seine Frauenverachtung definiert und ohne sie nichts mehr von ihm übrigbliebe. So feiert er in seinen Texten Vergewaltigung und Sexismus und positioniert sich – natürlich – explizit antifeministisch.

Selbstkritik? Fehlanzeige.

Als in den Sozialen Medien eine Diskussion um die Ausgestaltung des Konzerts aufflammte, ließen die Salty Soundz jegliche Selbstkritik vermissen. Die Spitze der Ekelhaftigkeit wurde erreicht, als sie das Konzert dadurch rechtfertigten, dass sie ja auch ein Konzert mit der linken und feministischen Rapperin Haszcara veranstalten würden. Was diese davon halten mag, als Rechtfertigung für die Einladung eines widerlichen Frauenhassers herhalten zu müssen, dürfte sich jeder denken.

Vermutlich sehen sich die Salty Soundz nun eher als Opfer einer Zensur, vielleicht „ist auch alles gar nicht so gemeint“ oder überhaupt seien die Texte nur „ironisch“ zu lesen. Alltagssexismus, Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen sind jedoch real und alltäglich. Einen Soundtrack dafür zu liefern bzw. dafür zu sorgen, diesen Soundtrack vor hunderten Menschen in Halle auftreten zu lassen, ist widerlich. Dass sich die Salty Soundz offensichtlich nie mit Sexismus beschäftigt haben, spricht für einen falschen Freundeskreis, einen Bierdeckelhorizont, geringes Reflexionsvermögen und Unwissenheit, darüber hinaus aber auch vor allem für das Privileg, dass sie als rein männliche Combo nie zu einer solchen Auseinandersetzung gezwungen waren.


Alles andere als eine Absage des Konzertes sollte keine Diskussionsgrundlage für den Verbleib im freien Radio Corax bzw. für einen Sendeplatz sein.


Umso erfreulicher ist der Vorfall zu bewerten, dass die letzte Sendung der Salty Soundz gekapert wurde, um auf diese Weise gegen die Einladung des Rappers „Frauenarzt“ zu protestieren. Dabei wird es aber nicht bleiben. In den nächsten Tagen wird es zu einem Radioplenum kommen, zu dem alle Sendungsmachenden und Corax-Redaktionen eingeladen sind und auf dem der Vorfall und mögliche Konsequenzen diskutiert werden sollen. Alles andere als eine Absage des Konzertes sollte keine Diskussionsgrundlage für den Verbleib im freien Radio Corax bzw. für einen Sendeplatz sein. Damit man auch zukünftig „aufstehen, Radio Corax hören, [sich] wieder hinlegen“ kann.

Loti Gimpel, Radio Corax Fan und passives Vereinsmitglied

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.