Die Hochschule muss etwas ändern

Nachbericht zur Vollversammlung im Rahmen der Debatte über rassistische Diskriminierungsvorfälle an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle

von | veröffentlicht am 13.02 2024

Beitragsbild: BURG / Adrian Parvulescu

Knapp drei Wochen ist es jetzt her, dass ein offener Brief, unterzeichnet von über 350 Studierenden, den Senat der Kunsthochschule in Halle erreicht hat. Darin ist von „anhaltenden und ungelösten“ Problemen die Rede. Konkret bezogen wird sich auf rassistische Vorfälle im Umgang mit Dozierenden, das Ausbleiben einer Reaktion in Folge der desolaten Ergebnisse der LaKoG-Umfrage zu Diskriminierung an den Hochschulen Sachsen-Anhalts sowie das Fehlen von Anlaufstellen für Betroffene und mangelnde Diversität unter den künstlerischen Mitarbeiter*innen und Professor*innen.




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Die Veröffentlichung der Vorfälle durch den Verfasser des Briefes, Andrew Moussa, bewegte die Hochschulleitung zu einer Stellungnahme, in der von Vorwürfen die Rede ist, zu denen man sich zunächst nicht näher äußern wolle. Bedauern, Aufarbeitung und jahrelange Bemühungen klingen erstmal nach einem erfolgreichen Medientraining. Zumindest scheinen hier unterschiedliche Perspektiven auf die Zustände an der Burg aufeinanderzutreffen. Umso notwendiger, dass das Thema nur wenige Tage später ins Zentrum einer Senatssitzung gestellt wurde. Die Beteiligung von rund 120 Studierenden verdeutlicht den Bedarf an einer Auseinandersetzung mit Diskriminierung an der Hochschule und zeigt die Bereitschaft, den angestoßenen Prozess mitzugestalten. Zudem wird eines spätestens jetzt deutlich, „dass es sich bei den Vorwürfen nicht um einen Einzelfall, sondern um ein strukturelles Problem handelt“ (Lea Argirov, studentische Senatsvertreterin). Noch in der gleichen Woche wurde eine Vollversammlung einberufen, organisiert durch den Studierendenrat. Thema war die kritische Auseinandersetzung mit den Forderungen der Studierenden, welche sich an 15 Fragen konkretisieren, die dem Senat zuvor zugeschickt wurden.

Streitlinien der Vollversammlung

Der Raum ist voll, knapp ein Drittel der Menschen muss stehen. Anwesend sind Hochschulleitung und -verwaltung, Senatsmitglieder und viele Studierende. Die Diskussion wird entlang der 15 Fragen entwickelt. Diskutiert werden unter anderem die Evaluation von Lehrveranstaltungen durch Studierende, der Abbau von Barrieren bei der Erbringung von Studienleistungen, die Abweichung von der Unterrichtssprache Deutsch, die Einrichtung von Anlaufstellen bei Diskriminierungserfahrung sowie eine diversere Aufstellung des Lehrpersonals. Entlang dieser Punkte werden immer wieder zwei grundlegende Streitlinien deutlich: Liberalisierung oder Institutionalisierung? Und: Struktureller Wandel oder Individuelles Engagement?

Der erste Konflikt bezieht sich vor allem darauf, dass der Abbau von Hürden nicht ausreiche, um eine Gleichstellung von marginalisierten Gruppen zu erreichen. Bei Einstellungsverfahren stellt sich hier die Frage der Einrichtung einer Quote. Auch das aktive Zugehen auf Kandidat*innen für neue Lehrstellen wird thematisiert. Auf die Herkunft „gucken wir natürlich nicht“ heißt es von Prof. Sara Burkhardt, Dekanin im Fachbereich Kunst. Diese Haltung wird von einigen Studierenden in Frage gestellt. Bezogen auf das Thema der Evaluation von Lehrveranstaltungen geht es um eine Verpflichtung der Dozierenden zum Einholen von anonymen Feedback, anstatt einer Freiwilligen-Regelung, wie es bisher der Fall ist. Seitens der Studierenden wird die Forderung laut, die Zentrierung nicht-Weißer1 Perspektiven als Grundlage für den weiteren Prozess zu verstehen, anstatt sich darauf zu beschränken, potenzielle Mitgestaltungsmöglichkeiten zu schaffen.

Die zweite Streitlinie wird vor allem in Bezug auf die Beteiligung der Studierenden sichtbar. Stimmen aus dem Senat berichten von einem geringen Engagement in den bestehenden Gremien. So lag zum Beispiel die Wahlbeteiligung bei den letzten Hochschulwahlen bei knapp 15%. Der Senat arbeite sehr intensiv mit engagierten Studierenden zusammen, es seien nur immer dieselben, die Verantwortung übernehmen würden und derer nicht genug. Als Gegenargument wird die schlechte Kommunikation von Beteiligungsmöglichkeiten vorgebracht sowie auf die Barrieren für hochschulpolitisches Engagement hingewiesen. Hier spiele nicht nur die Sprachbarriere eine Rolle, sondern auch die Abhängigkeit von bestehenden Hierarchien. Es gäbe bereits aktive Netzwerke unter Studierenden, aber es müsse ein sicherer Raum geschaffen werden, um eine kritische Auseinandersetzung mit den Institutionen der Hochschule zu ermöglichen, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Kleine Klassenverbände und enge Beziehungen zwischen Lehrenden und Studierenden sind nur zwei Beispiele für etablierte Strukturen an Kunsthochschulen, die anonymisierte Kritik erschweren und Machtmissbrauch begünstigen können.

Zweiter Teil und Fazit

Im zweiten Teil des Treffens bleiben die Studierenden unter sich. Es werden Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themenbereichen gebildet, die der Organisation des weiteren Prozess dienen sollen. Hier können Fragen diskutiert, persönliche Erfahrungen geschildert und Initiativen geplant werden. Was jedoch bereits durch die Diskussionen deutlich wurde ist, dass es sich bei den meisten Punkten nicht um ein Entweder-oder handelt: Strukturelle Veränderungen, individuelles Engagement, institutionalisierte Förderung von Gleichstellung und Abbau von Barrieren für marginalisierte Gruppen – es braucht all das zusammen, um den angestrebten Wandel zu vollziehen. Die Vollversammlung kann als eine Art Grundsteinlegung betrachtet werden: Die Probleme liegen jetzt offen auf dem Tisch. Wenn auch vieles noch unkonkret bleibt – es kann darüber gesprochen werden. Jetzt kommt es darauf an, den Worten Taten folgen zu lassen.

Am Ende bleibt eine Erkenntnis für alle deutlich im Raum stehen: Die Hochschule muss etwas ändern. An ihrer Unterrichts- und Bewertungspraxis, an ihrem Personal, an ihrer Kommunikation, ihrer Evaluation sowie ihren Entscheidungs- und Mitbestimmungsgremien. Daneben stehen zwei Fragen, die in der Ausgestaltung des hier angestoßenen Prozess beantwortet werden müssen: Was wird sich konkret ändern? Und: Wer ist das überhaupt – „die Hochschule“?

1Die Groß- und kursiv-Schreibung von Weiß kennzeichnet, dass es sich nicht um Farbe oder Hautfarbe handelt, sondern das gesellschaftliche Konstrukt von Rasse/ race gemeint ist.

 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.