Die ewige Wiederholung des Immergleichen

Die Reproduktion der Geschlechtscharaktere durch die Elternschaft

von | veröffentlicht am 02.03 2021

Beitragsbild: Radio Corax

Das Ideal der Gleichberechtigung scheitert letztendlich an der Realität. Man kann ihm sicherlich mit sehr viel Reflektion auf die geschlechtsspezifischen Strukturen, auch innerhalb herrschender Verhältnisse näher kommen, aber letztendlich wird dies für die meisten Frauen ein ewiger Kampf bleiben, der kaum zu gewinnen ist. 




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Caroline Rosales war eine aufstrebende Journalistin, Ende 20, als sie Mutter wurde, ihren Job an den Nagel hing und für vier Jahre eine Hausfrau aus dem Prenzlauer Berg wurde. Das war so nicht geplant. Sie war da vielmehr so reingerutscht. Der Job in Afrika, auf den sie sich beworben hatte, war mit Kind nicht machbar; dann eben Vollzeitmama mit allem Drum und Dran. Irgendwann, so berichtet sie in ihrem Buch „Single-mom“, kam das zweite Kind, das Haus im Grünen. Aber was nicht kam, war das Glück. Vielmehr folgten Überforderung und Isolation: Mit verschleppter Bronchitis kämpft sie sich völlig erschöpft durch den Tag, der aus Windeln, wischen und Essen-machen bestand. Hilfe hat sie keine, kann aber auch keine annehmen. Der Mann ist immer erst gegen 20:30 Uhr zu Hause, die Herkunftsfamilie weiß immer alles besser, und die Freundinnen wohnen zu weit weg. Irgendwann hat sie sich in ihrer Überforderung einen so rigiden Alltagszeitplan eingerichtet, dass jeder andere menschliche Kontakt von ihr nur noch als Störung wahrgenommen wird, und sie immer mehr das Gefühl hat, alleine gehe alles am besten, denn da kommen die Schlafzeiten der Kleinen nicht durcheinander und man muss nicht auch noch für Besuch aufräumen. Das Bild von der perfekten Mutter, die die Bedürfnisse der Familienmitglieder immer im Blick hat, die ihrer Familie ein gemütliches Heim bietet, und dabei immer ein fröhliches Lächeln auf den Lippen hat und für ihren Mann attraktiv bleibt, bleibt weiter virulent. Egal, ob die Mütter nun arbeiten gehen oder nicht: Die Fallhöhe ist hoch und wenn man es nicht alleine schafft, dann hat man versagt.

Caroline Rosales ist da kein Einzelfall. Die vermeintlich emanzipierte Gesellschaft in der BRD hat das Hausfrauenmodell nur scheinbar auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen, denn selbst wenn die meisten Menschen heutzutage postulieren, dass ihnen ein gleichberechtigtes Verhältnis in der Partnerschaft wichtig sei, und sich die Männer aktiv in die Kindererziehung und Haushalt einbringen wollen, sieht das in der Realität oftmals anders aus. Denn auch wenn im Gegensatz zu den 60er bis 90er Jahren in der BRD die meisten Frauen mit kleinen Kindern arbeiten, so übernehmen sie nichtsdestotrotz weiterhin den Großteil der Hausarbeit und vor allem die Organisation des Haushaltes. Die Männer leisten die Zuarbeit.
Erst als Caroline Rosales aus dem goldenen Käfig ausbrach und alleinerziehend wurde, konnte sie von dem Perfektionismus absehen. Da der Schein ohnehin schon nicht mehr aufrechtzuerhalten war, mussten notgedrungen Alternativen gefunden werden. Rückblickend reibt sie sich die Augen und fragt sich mittlerweile, wie sie in eine solche Hausfrauenrolle hineinschlittern konnte.

Der stumme Zwang der Verhältnisse
Es ist beileibe kein Geheimnis, dass die Kleinfamilie für Frauen eine Zumutung ist und das Kinderhaben das Leben von Frauen oft komplett umkrempelt: Trotzdem fühlen sich Frauen oft überrumpelt, wenn sie nach der Geburt feststellen, dass ihre eigenen Bedürfnisse ab sofort keinen Raum mehr haben, und zwangsläufig nur noch die Bedürfnisse des Kindes zählen. Denn das ehrliche Reden über das Leben mit Kindern ist beileibe nicht so verbreitet, wie es eigentlich sein müsste. Das reale Leben von oftmals einsamen, überforderten Müttern mit Wochenbettdepression wird überlagert von Bildern mit niedlichen Babysocken und strahlenden Kinderaugen. In den letzten Jahren sind deshalb einige Podcasts oder Elternblogs entstanden, wo es darum geht, das wahre Leben mit Kindern an die Öffentlichkeit zu bringen – zum Beispiel den sehr zu empfehlenden Podcast auf Bayern 2 vom Kristina Weber „Eltern ohne Filter“. Jedoch scheinen sich die meisten Frauen erst dann damit auseinanderzusetzen, wenn das Baby schon da ist. Viele Männer nicht mal dann. Die Frauen denken in der Regel – da die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau mittlerweile gesellschaftlich durchgesetzt ist –, dass der Mann bei Kind und Haushalt ebenso mitmachen würde, wie sie selbst, und sehen sich dann meistens getäuscht. Es scheint für den Mann in heterosexuellen Familienkonstellationen naheliegend zu sein, dass, wenn die Frau stillt, sie auch sonst alle rund ums Kind anfallenden Aufgaben am besten erledigen könne. Vor allem natürlich, wenn er in der Zeit arbeiten geht und sie zu Hause bleibt. Schleicht er sich so immer mehr aus der Beziehung zum Kind heraus, so hat er auch in späteren Zeiten mehr so den Wochenendpapa-Status, und kümmert sich nur dann, wenn gerade sonst nichts anfällt. Männer sind ohnehin ähnlich erfinderisch wie Teenager darin, sich vor der Hausarbeit zu drücken, wie die Autorin Jacinta Nandi in dem Buch „Die schlechteste Hausfrau der Welt“ eindrücklich darlegt: Manche arbeiten einfach immer bis spät abends. Gegen den Arbeitgeber können sie sich nicht abgrenzen, gegenüber der eigenen Frau jedoch schon. Oder sie behaupten einfach, sie könnten nicht putzen, kochen etc., oder sie fänden es nicht so wichtig, und hätten eben andere Sauberkeitsstandards. Der Freund der Autorin selbst ist besonders dreist, aber dafür ehrlich: Er wäre Professor und würde nicht staubsaugen. Obwohl er selber fast nie etwas im Haushalt macht, beschwert er sich andauernd, dass sie zu schlampig sei. Er arbeite schließlich draußen, sie drinnen. Allerdings bedeutete dies klassischerweise auch, dass der Mann die Frau finanziert. Entweder bekam sie Haushaltsgeld oder, in fortschrittlichen Varianten, hatten beide Eheleute gleichsam Zugriff auf’s Konto, denn die Finanzierung der Hausfrau im Lohn des Mannes war im Familienlohn des Mannes mit eingerechnet. Doch in Zeiten des Individualismus hat die Ehe als Versorgungsgemeinschaft ihre Bedeutung für die Individuen verloren. Jeder und mittlerweile auch jede muss sich über Lohnarbeit selber finanzieren – aber die Frau muss, sobald Kinder da sind, zusätzlich noch die Hausarbeit und die Kindererziehung übernehmen.

It´s the economy, stupid! 
Doch warum ist das so? Warum übernehmen die Frauen, wenn sie Mütter werden, notgedrungen die Hauptlast der Hausarbeit und der Kindererziehung, während die Männer sich als Väter oftmals so erfolgreich darum drücken können? Für Mütter ist das Kümmern um ihre Kinder und Hausarbeit eine moralische Verpflichtung, der sie sich nur schwer entziehen können. Sie sind in der gesellschaftlichen Verantwortung, wenn etwas schief geht oder auch nur der Boden nicht einwandfrei gewischt ist. Der Mann nicht! Die Frauen bleiben das auch, wenn sie einen Vollzeitjob haben und der Mann arbeitslos zu Hause sitzt. Für den Mann kann vielmehr das Gegenteil gelten: Die Arbeit im Haushalt oder die alltägliche Arbeit mit Kindern widerspricht der männlichen Identität, die auf Abgrenzung von Weiblichkeit und mütterlichen Eigenschaften aufgebaut ist. Um ein richtiger Mann zu sein, dürfen Männer zwar mittlerweile bei Hausarbeit und Kindererziehung mithelfen, aber es darf nicht bestimmend für ihre Identität werden, denn sonst wird ihre Männlichkeit in Frage gestellt, die auf Gelderwerb, Konkurrenz und Durchsetzungsfähigkeit aufgebaut ist und sie werden total verunsichert. Zugeben, dass der Grund für ihre Unzuverlässigkeiten und Faulheit in ihrer patriarchalen Subjektstruktur liegt, können sie aber auch nicht, da dies nicht mehr dem modernen Selbstverständnis eines Mannes entspricht. So sind entweder die Frauen Schuld, die die Mithilfe der Männer zu wenig einfordern, oder ohnehin alles in die Hand nehmen, oder die Schuld wird den äußeren Verhältnissen angelastet: Den Arbeitsbedingungen, dem Chef …

Dass diese Verhältnisse auch nach der Aufhebung unmittelbar patriarchaler Strukturen nicht aufgehoben worden sind, hängt mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zusammen, die sich mit der Implementierung kapitalistischer Verhältnisse und ihrer Trennung in Privat und Öffentlich durchgesetzt hat. Für die Herausbildung des Geschlechterverhältnisses ist hierbei besonders relevant, dass der Kapitalismus wesentlich durch die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft zur Profitmaximierung bestimmt ist. Doch muss die Ware Arbeitskraft immer wieder reproduziert werden. Jeden Morgen müssen wieder eine ausreichende Anzahl an Arbeitern und Arbeiterinnen in so ausreichender quantitativer wie qualitativer Form vorhanden sein, so dass der Arbeitsprozess ungestört voranschreiten kann. In der kapitalistischen Produktionsweise ist die Produktion von der Reproduktion getrennt, auch wenn beide Sphären aufeinander bezogen bleiben. In dieser Trennung liegt der zentrale Grund der Geschlechtertrennung, die damit tatsächlich primär keine biologische ist, sondern sich aus der Stellung zum Produktions- bzw. Reproduktionsbereich ergibt, die jeweils zwei unterschiedliche, sich gegenseitig ausschließende Charaktereigenschaften notwendig macht, und die bis heute immer wieder reproduziert werden. Zwei vermeintlich von Natur aus unterschiedliche Geschlechtscharaktere, die die jeweiligen Aufgabe gut erledigen konnten, wurden hier durch erst geschaffen, und sind leider nicht durch einen Fingerschnipp zu dekonstruieren, weil sie die Integrität der jeweiligen Personen ausmachen.

Seit Jahrzehnten haben Frauen versucht, die Männer zu ändern, aber damit erreichen sie oftmals nur, dass sie mit ihren Männern im Dauerstreit liegen und ständig frustriert sind, weil diese dann doch nur schlecht gelaunt sind, nur noch mehr Chaos anstellen und zusätzlich noch ihre Energie mit Streiten vergeudet haben. Auch der Staat hat im Rahmen seiner Einflussmöglichkeiten, wie zum Beispiel durch das Elterngeld versucht, Einfluss auf die Männer zu gewinnen. So gibt es zwei Monate mehr Geld, wenn beide Elternteile Elternzeit nehmen, oder sogar vier Monate mehr, wenn beide Elternteile vier Monate Vollzeitnah arbeiten und damit dem Ideal der gleichberechtigten Beziehung am nächsten kommen.

Dieses Ideal scheitert letztendlich aber i.d.R. an der Realität. Man kann ihm sicherlich mit sehr viel Reflektion auf die geschlechtsspezifischen Strukturen, auch innerhalb herrschender Verhältnisse näher kommen, aber letztendlich wird dies für die meisten Frauen ein ewiger Kampf bleiben, der kaum zu gewinnen ist.
Sinnvoller als das ewige Reformieren an der heterosexuellen Kleinfamilie wäre tatsächlich deren Überwindung zu forcieren und damit gleichwohl die Überwindung der herrschenden ökonomischen Verhältnisse, die auf ihr aufgebaut sind.

Über die Autorin

Andrea Trumann hat zusammen mit Lilly Lent das Buch „Kritik des Staatsfeminismus: Oder: Kinder, Küche, Kapitalismus (Sexual Politics)“ (Berlin 2015) geschrieben, in dem einige dieser Themen noch einmal genauer betrachtet werden.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.