Das vergessene KZ

Zur Gedenkstätte des KZ Wansleben

von | veröffentlicht am 24.10 2019

Die Geschichte des KZ Wansleben wurde weitestgehend verdrängt. Ein ehrenamtlicher Verein setzt sich gegen das Vergessen und für die Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft im Mansfelder Land ein.




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Auf der Fahrt von Halle auf der B80 in Richtung Eisleben fährt man an einem unscheinbaren Ort namens Wansleben am See vorbei. Dort existierte eines der Außenlager des KZ Buchenwald. Dies wissen viele Menschen in der Umgebung nicht, ob nun Städter*innen aus dem gar nicht so weit entfernten Halle oder die Dorfbewohner*innen selbst. Man könnte meinen, dass dies beispielhaft für die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit der deutschen Bevölkerung steht. Jedoch gründete sich im Jahr 2006 der „Verein zur Aufarbeitung der NS-Gewaltherrschaft Neu-Mansfeld/Georgi e.V.“. Ziel des Vereins ist die Herrichtung und Erhaltung einer Gedenkstätte für die Verfolgten des NS-Regimes auf dem ehemaligen Lagergelände.

Vom Bergbau zum Lager

Das Mansfelder Land ist stark von der Geschichte des Bergbaus geprägt. In Wansleben befanden sich die Bergbauschächte Georgi und Neumansfeld. Der Georgi-Schacht wurde von 1898 bis 1925 bis 400 Meter in die Tiefe abgeteuft, der Neumansfeld-Schacht von 1911 bis 1925 bis auf 300 Meter. Da die Förderung des Kalisalzes schon 1925 beendet wurde, standen diese Schächte bis 1942 leer. Ab diesem Jahr wurden sie zu sogenannten „Heeres-Schächten“ durch die „Heeresmunitionsanstalt“ des 3. Reichs umfunktioniert. Die stillgelegten Schächte trugen die Codenamen „Wilhelm“ sowie „Biber“. Hier lagerten Waffen und Munition. Zudem gab es Produktionsräume für deren Herstellung.

Das Außenlager trug den offiziellen Namen „Außenkommando Wansleben am See – Georgi Schacht“. Beide Schächte lagen innerhalb des Ortes ca. vier Kilometer auseinander, waren aber in einer Tiefe von 350 bis 450 Meter miteinander verbunden. Im März/April 1944 wurde das Gelände von der SS beschlagnahmt und Heinrich Himmler verlegte direkt einen SS-Führungsstab dorthin. Dieser kooperierte zusammen mit der damaligen Firma „Christian Mansfeld GmbH“ aus Leipzig. Ziel dieser Kooperation: Das Errichten bombensicherer Produktionsanlagen für die Rüstungsindustrie unter Tage, da sich zu diesem Zeitpunkt alliierte Luftangriffe auf Produktionsstätten der deutschen Rüstungsindustrie häuften. Die Häftlinge errichteten daraufhin in fast 400 Meter Tiefe durch Bau- und Montagearbeiten große Produktionshallen. Unter unvorstellbar schlechten und harten Bedingungen schlugen sie buchstäblich die Hallen ins Salz. In diesen Hallen wurden bei 50 bis 55 Grad Celsius Stücke für die „V1“ und „V2“, Granatzünder sowie Flugzeugteile hergestellt. Diese Teile wurden in den Montagehallen über Tage zusammen montiert und von der Reichsbahn abtransportiert, welche ein Anschlussgleis auf dem Lagergelände hatte.

Bis zur Befreiung durch US-amerikanische Truppen am 10. April 1945 waren im „Wilhelm-Schacht“ ca. 600 Häftlinge eingesetzt. Im „Biber-Schacht“ hingegen waren ungefähr 1390 Häftlinge im Einsatz. Sie kamen aus Auschwitz, Buchenwald, Flossenbürg, Groß-Rosen, Neuengamme sowie Sachsenhausen, die meisten waren in besserer physischer Verfassung als der Großteil der Inhaftierten dieser KZs.  Insgesamt sollen es bis zu 2000 Menschen unterschiedlichster Nationen gewesen sein, die in diesem Außenlager arbeiten und leben mussten. Die meisten von ihnen waren aus Polen, Frankreich, Tschechien und Russland. Wie auch in anderen KZs üblich, wurden die Häftlinge gekennzeichnet. Ein roter Winkel auf der Kleidung hieß „politischer Häftling“, ein grüner Winkel bedeutete „krimineller Häftling“, während die Namen der Menschen durch Nummern ersetzt wurden.

Katastrophale Lebensbedingungen

Die Versorgung der Inhaftierten war katastrophal. So berichtet ein ehemaliger Insasse über die Verpflegung, dass es morgens eine Tasse Kaffee und eine Scheibe Brot gegeben habe, mittags einen halben Teller Suppe mit Wasser und abends eine weitere Tasse Kaffee. Diese Rationen sollten für 10-12 Stundenschichten ausreichen. Gearbeitet wurde in zwei Schichten. Geschlafen wurde auf vier-stöckigen Pritschen, die sehr kurz und eng übereinander angeordnet waren. Es gab eine Krankenstation, die von einem russischen Lazarettgehilfen, einem tschechischen Zahnarzt sowie einem polnischen Tierarzt geleitet wurde. Dieser russische Lazarettgehile war auch Teil einer Widerstandsgruppe, die versuchte die Rüstungsproduktion zu sabotieren. Leider wurden sechs Mitglieder Ende Februar/Anfang März 1945 von der Hallenser Gestapo enttarnt und festgenommen.

Viele Häftlinge starben in der Gefangenschaft. Die häufigsten Todesursachen waren: Herzschlag, Lungenentzündung, Vergiftung, Schädelbruch, Tod durch Unfall, Zertrümmerung des Gesichts. Wie die genannten Todesursachen schon erahnen lassen, gab es massive Gewalt des Wachpersonals gegen die Häftlinge und dies auch völlig willkürlich und ohne ersichtlichen Grund. Manchmal dauerten die Appelle mehrere Stunden bei Regen oder Schnee, bei angenehmen Temperaturen hingegen nur wenige Minuten. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch wurden alle Beteiligten in der Werkhalle neben dem Salzbergwerk vor den Augen der Mithäftlinge erhängt.

Terrorisiert wurden die Häftlinge insbesondere durch SS-Sturmscharführer Hermann Helbig, dem Kommandaten des Außenlagers. Ab 1938 war Helbig in Buchenwald tätig und laut eigenen Aussagen von März 1943 bis Mai 1944 Leiter des Krematoriums des KZ Buchenwald. In dieser Zeit war er nach eigener Aussage für die Hinrichtung von insgesamt 250 Häftlingen verantwortlich. Von ehemaligen Insassen des Außenlagers in Wansleben wird er als Sadist bezeichnet. 1948 wurde Helbig nach einem Verfahren durch die Alliierten hingerichtet.

Kurios sind mehrere Augenzeugenberichte, die behaupten, dass hochrangige Funktionäre von SS und Wehrmacht kurz vor der Evakuierung des Lagers hochwertige Gemälde, Porzellan sowie andere Kunstgegenstände in den Schächten eingelagert hätten. Nach Kriegsende wurde davon allerdings nichts gefunden. Lediglich die Stasi fand 1962 bei einer Prüfung der Schächte Akten der SS

Am 11./12. April 1945 wurde das Lager evakuiert. Nach 12 Stunden Apellstehen mussten sich 2000 Häftlinge zu Fuß auf den Weg Richtung Schönebeck begeben. Die Verpflegung bestand aus anderthalb Laib Brot sowie einem Würfel Margarine und einer Fleischkonserve für je zwei Personen. Die Strecke nach Schönebeck führte über Angersdorf, Zöberitz, Niemberg, Weißandt, Gölzau, Arensdorf, Köthen und Quellendorf. Menschen, die nicht mehr mithalten konnten, wurden am Ende des Zuges erschossen, doch gibt es keine Zahlen zu den Opfern des Marschs. Wenigstens die Invaliden wurden nach der Intervention des Lagerältesten auf der Krankenstation gelassen. Allerdings erlebten nur noch 30 von ihnen die Befreiung am 14. April, als gegen 14 Uhr die 3. US-Army in Wansleben erschien. Elf Wochen später marschierte die Rote Armee ein.

In Vergessenheit geraten

Aber wieso ist das KZ Wansleben niemandem ein Begriff? Vermutlich durch die allgemeine und kollektive Verdrängung der Gräueltaten des NS-Regimes. Wenn die Weimarer Bevölkerung nichts von Buchenwald gewusst haben will, kann das in einem Ort wie Wansleben ähnlich sein.

Die sowjetischen Truppen haben alle industriellen Maschinen und Geräte abgebaut und abtransportiert, Gerüchten zufolge sollen die Sowjets im ehemaligen Lager Nazi-Funktionäre aus der Umgebung interniert haben. Ende 1945 wurden die meisten Gebäude um den Georgi-Schacht gesprengt und die Staatssicherheit behielt ihr gesammeltes Wissen unter Verschluss.

Heute existieren noch zwei Gebäude, unter anderem das Maschinenhaus der Förderanlage. Der Eingang in den Bunker, der vor Luftangriffen schützen sollte, wurde mit Kalisalz schon zu NS-Zeiten überschüttet, um ihn unauffälliger zu gestalten. Dieser Eingang wurde erst 2006 entdeckt und seitdem wird die Geschichte des Konzentrationslagers Wansleben mehr in den Blick genommen. Vorher fragte niemand nach der Geschichte oder forschte nach. Erst als nach über 50 Jahren, als ein Bauunternehmer das Gelände umgestalten wollte, schalteten sich die Behörden ein und stießen dabei auf die alte Bunkeranlage. Der Unternehmer intervenierte beim damaligen Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts (Böhmer, CDU), da das Land selbst am Bauprojekt beteiligt war.  Des Weiteren wollte der Bauherr vorbeugen, sich in Zukunft nicht mit Vorwürfen konfrontiert zu sehen, wieso er ein unerforschtes KZ-Gelände zerstört hätte. So entwickelte sich dann der Verein zur Pflege und Erhaltung des ehemaligen Außenlagers.

Ich kann den Leser*innen nur den Besuch der Gedenkstätte ans Herz legen. Auf der Homepage des Vereins kann man sich nach einer Führung erkundigen. Die Ehrenamtlichen vor Ort sind sehr engagierte Menschen. So oder so bleibt man aber ungläubig mit der Frage zurück, wie so viel Leid und Elend ohne große Aufmerksamkeit während des Krieges und auch danach verhallen konnte.


Zum Weiterlesen: „60 Jahre nach Kriegsende erhellen neuaufgetauchte Stasi-Unterlagen ein dunkles Kapitel der Nazi-Zeit: Es geht um ein altes Salzbergwerk, um versteckte Kunstschätze – und um ein kaum bekanntes unterirdisches Konzentrationslager.“ – ein Beitrag von Sven Röbel und Nico Wingert aus dem Spiegel 38/2005.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.