„Damit die Pflege nicht auf der Strecke bleibt!“

Interview mit dem „Bündnis gegen Pflegenotstand Mansfeld-Südharz“

von | veröffentlicht am 26.10 2018

Beitragsbild: Pflegebündnis MSH

Im Juli 2018 gründete sich das „Bündnis gegen Pflegenotstand Mansfeld-Südharz“, um auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen im Pflegesektor aufmerksam zu machen und konkrete Verbesserung zu erzielen. Im Bündnis engagieren sich neben Menschen, die im Pflegebereich arbeiten, auch linke Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen. Wir haben uns mit dem Bündnisgründungsmitglied Florian Fandrich zum Interview getroffen.




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Transit: Wer seid ihr und wie kam es zur Gründung des Bündnisses?

Florian: Unser Bündnis besteht aus Menschen, die in der Pflege arbeiten, sowie Personen, die dies nicht tun, aber – wie eigentlich alle – indirekt von Pflege bzw. den miesen Arbeitsbedingungen in der Pflege betroffen sind. Im Kern sind wir rund zehn Personen, die eigentlich zu jedem Treffen kommen: Pflegekräfte und Auszubildende aus den Helios-Kliniken oder anderen Pflege- und Altenheimen, Betriebsräte, Studierende und Menschen, die Angehörige zuhause pflegen. Alterstechnisch sind wir eigentlich gut durchmischt. Die Idee zur Gründung kam uns, weil wir fast alle Menschen in unserem persönlichen Umfeld haben, die zum Teil unter richtig beschissenen Arbeitsbedingungen in diesem Bereich arbeiten und dementsprechend überlastet sind. Das geht uns ja alle an. Ich will nicht von einer Person gepflegt werden, die eigentlich selbst fast aus den Latschen kippt, weil sie den vierzehnten Tag in Folge auf Arbeit steht, um dann mal zwei drei Tage frei zu haben, die in keinster Weise zur Erholung reichen. Es kann ja nun wirklich nicht sein, das Pflegende mit Mitte 20 ein Burnout haben, weil sie auf Arbeit komplett verheizt wurden.


„Wir es sehr wichtig, den Gewerkschaften beizutreten und der Gewerkschaftsbürokratie Druck von Unten zu machen.“


Transit: Wieso habt ihr ein Bündnis gegründet und engagiert Euch nicht im Rahmen der Dienstleistungsgewerkschaft „ver.di“? Wie ist generell das Verhältnis zu Gewerkschaften oder anderen potenziellen Bündnispartner*innen?

Florian: Manche von uns sind in ver.di und/oder in der Linken organisiert. In beiden Organisationen spielt Pflege eine große Rolle und hat auch in der Kampagnenarbeit eine hohe Aktualität. Uns war das Bündnis dennoch wichtig, weil wir so auch Menschen einbeziehen können, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind bzw. noch nicht. Für viele Menschen ist es eine riesige Überwindung in eine Organisation einzutreten. Dieses Bündnis schließt aber keine Gewerkschaft aus, im Gegenteil finden wir es sehr wichtig, den Gewerkschaften beizutreten und der Gewerkschaftsbürokratie Druck von Unten zu machen, schließlich sollen die auch was tun für ihr Geld. Wir denken auch, dass mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in den einzelnen Kliniken und Heimen mehr erreicht werden kann. Ich würde immer empfehlen in eine Gewerkschaft einzutreten, aber eben auch sich dort aktiv zu beteiligen.

Transit: Wie genau ist die Situation im Pflegebereich? Wieso glaubt ihr, dass dort dringender Handlungsbedarf besteht?

Florian: Die Arbeitsbedingungen sind zum Teil echt katastrophal. Es fängt damit an, dass Auszubildende teilweise als volle Kräfte eingesetzt werden, was ja rechtlich absolut nicht erlaubt ist. Diese Menschen sind ja nicht ohne Grund in der Ausbildung. Aber auch die Ausbildenden haben oftmals, auf Grund von Unterbesetzung, überhaupt keine Zeit sich um die Azubis zu kümmern. Nachtschichten werden meist von nur einer Person pro Station gestemmt. Da denke ich mir, wie soll eine Pflegekraft,die wahrscheinlich nur die Hälfte von mir wiegt, mich wieder in ein Bett heben, wenn ich da rausfalle, während am anderen Ende der Station eine andere Person den Rufknopf drückt, weil sie ziemliche Schmerzen hat?


„Wir denken, dass Pflege nicht krank machen darf.“


In den Einrichtungen werden fast jeden Tag Überstunden gemacht. Ich habe keine Ahnung wie Jens Spahn auf die Idee kommt, dass es eine Lösung sein könnte, „Pflegekräfte zu Mehrarbeit zu motivieren“. In der ambulanten und häuslichen Pflege dagegen würden die Leute oftmals gern länger arbeiten, bekommen aber nur Arbeitsverträge über 30 Stunden pro Woche. Da brauchen die sich sicher nicht von so einem Kerl, der vermutlich noch nicht mal ein Pflaster vernünftig aufkleben kann, anhören, wie sie ihren Job richtig zu erledigen haben.
Wir denken, dass Pflege nicht krank machen darf. Deswegen müssen sich die Bedingungen verbessern. Wir alle können in die Situation kommen, auf Pflege angewiesen zu sein. Da kann ja jeder für sich selbst die Frage beantworten: Will ich lieber auf motiviertes und gut ausgebildetes Personal oder auf völlig überarbeitete Pfleger und Pflegerinnen treffen?

Transit: Welche Ziele verfolgt ihr mit eurer Kampagne? Gibt es einen definierten Endpunkt oder Meilensteine auf diesem Weg?
Florian: Aktuell haben wir uns kein Ende unserer Kampagne gesetzt. Wir denken, dass es ein langwieriger Prozess sein wird. In unserem Fall konzentriert sich ja großer Teil der Arbeit auf HELIOS und die sind nun wirklich nicht für ihre Freundlichkeit bekannt. Ein Meilenstein wäre, wenn die Pflegedienstleitung mal zu unseren Treffen kommen würde. Das würde nun wirklich noch nichts verändern, aber wir würden mal ein bisschen Bereitschaft zur Veränderung sehen. Aber auch wenn sich ein Großteil des Betriebsrates mal auf seine eigentliche Arbeit besinnen würde, wäre das ein echter Meilenstein.

Transit: Habt ihr da auch ganz konkrete Ziele?
Florian: Ja, auch die haben wir: Übernahme der Azubis, mehr Personal, Dokumentationszeit als Arbeitszeit anrechnen, Ausbildende sollen deutlich mehr Zeit für Azubis bekommen, keine Nachtschichten mehr allein, Minimum zwei Personen im Dienst, besserer Pflegeschlüssel, Azubis nicht als Fachkräfte.

Die nächsten Bündnistermine

Transit: Am meisten würden uns die Erfahrungen bei den Stammtischen interessieren. Wie kamen die an?
Florian: Wir wechseln für jedes Bündnistreffen den Ort und waren schon in Hettstedt, Eisleben und Sangerhausen. Die Treffen liefen super! Endlich sehen die Pflegenden, dass man sich für sie interessiert und sie nicht mit ihren Problemen alleine sind. Auch sprechen wir regelmäßig Arbeitskämpfe aus anderen Bereichen an, denn im Prinzip ist es für uns ein riesiges Ziel, diese Kämpfe miteinander zu verbinden. Man merkt aber auch jedes Mal, wie froh die Leute sind, wenn sie einfach mal den Druck und Frust ablassen können.

Transit: Was habt ihr bisher in Sachen Öffentlichkeitsarbeit gemacht?
Florian: Wir hatten direkt zum zweiten Treffen „PunktUm“ eingeladen, das ist der lokale TV-Kanal in Mansfeld-Südharz. Auch eine Pressemitteilung zur Gründung des Bündnisses war in der Mitteldeutschen Zeitung. Ansonsten funktioniert unsere Öffentlichkeitsarbeit am besten über Facebook. Aktuell erstellen wir einen Blog und wir freuen uns auch immer über Interesse weiterer Medien. Außerdem gab es vor jedem Bündnistreffen Flyeraktionen bei den Einrichtungen in der entsprechenden Stadt. Wir wollen außerdem einen allgemeinen Flyer erstellen, der über unsere Arbeit aufklärt.

Transit: Am 30.10. plant ihr eine Demonstration in Eisleben. Was kann man da erwarten?
Florian: Mit der Demo in Eisleben wollen wir lokal ein Zeichen setzen, das im Idealfall eine Strahlkraft entwickelt, um andere Menschen zu ermutigen ähnliche Bündnisse zu gründen. Wir haben mehrere Redebeiträge vorbereitet und erwarten auch ein paar Grußworte. Beginnen wollen wir auf dem Marktplatz, denn es ist auch Markttag. Das bedeutet, dass so oder so Leute auf dem Marktplatz in Eisleben sind und wir von Anfang an die Aufmerksamkeit auf unserer Seite haben werden.

Transit: Was wünscht ihr Euch? Wie kann man Euch unterstützen?
Florian: Wir wünschen uns, dass sich mehr Leute unserem Bündnis anschließen und gemeinsam mit uns für bessere Bedingungen in der Pflege streiten, unsere Treffen regelmäßig besuchen, aber auch mit uns kreativ werden oder uns bei Flyeraktionen unterstützen. Vor allem streben wir natürlich die Umsetzung unserer Ziele an. Damit Pflege nicht auf der Strecke bleibt!

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.