AfD: Die Partei für die weniger Intelligenten?

Über die gefährliche Behauptung des Zusammenhangs zwischen Intelligenz und Wahlverhalten

von | veröffentlicht am 23.03 2018

Beitragsbild: per.spectre

Am 6. März verbreitete sich, auch in Sachsen-Anhalt, via Facebook und Twitter ein Text des Onlinemagazins Telepolis. Der Beitrag mit dem Titel “AfD: Die Partei für die weniger Intelligenten?” behauptet, dass eine “breite empirische Erhebung” einen “eindeutigen Zusammenhang zwischen niedrigerem Intelligenzquotient und rechter Gesinnung” aufzeige. Diese Behauptung ist nicht nur in vielerlei Hinsicht falsch, sondern ebenso Ausdruck eines auch in linken Kreisen verbreiteten Klassismus'.




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Von wissenschaftlicher Studie kann nicht die Rede sein

Laut einer “Studie”, die den Zusammenhang zwischen einem IQ-Testwert und dem Wahlverhalten zur Bundestagswahl 2017 ermittelt haben will, kommen AfD-Wähler*innen im Vergleich zu den Anhänger*innen der anderen Parteien im Bundestag im Schnitt auf den geringsten Testwert, während Wähler*innen der Partei DIE LINKE den vergleichsweise höchsten Durchschnittswert aufwiesen. So verbreitete es Anfang März das Onlinemagazin Telepolis der Heise-Gruppe, das “über die gesellschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen und kulturellen Aspekte des digitalen Zeitalters” informiere, so die Eigendarstellung.

Die “breite empirische Erhebung” auf die sich der Autor des Artikels bezieht, entpuppt sich mit wenigen Klicks schnell als Online-Test des Portals www.mein-wahres-ich.de der Berliner Firma Fabulabs GmbH. Unter der Überschrift “Der große IQ Test!” werden Besucher*innen durch rund 50 Aufgaben geführt, in denen sie unter Zeitbegrenzung verschiedene Fragestellungen zum schlussfolgernden Denken lösen sollen. Weder auf dieser Seite, noch in der von der Firma bereits Ende November 2017 veröffentlichten Presseerklärung finden sich Angaben zu den Gütekriterien des verwendeten Tests, geschweige denn zur Methodik der “Studie” oder zu deren Auswertung. Von einer ernstzunehmenden wissenschaftlichen Untersuchung kann schon allein deswegen nicht gesprochen werden.

Und es gibt weitere Gründe, warum die Ergebnisse des Onlinetests und alle darauf basierenden ernsthaften Schlussfolgerungen in die Papiertonne gehören: Onlinetests, wie jener der Firma Fabulabs GmbH, finden in der Regel nicht unter kontrollierten Bedingungen statt. Während es für die Durchführung wissenschaftlich fundierter Testverfahren strenge Kriterien und dicke Handbücher gibt, ist bei Online-Tests jede*r sich selbst überlassen. Es klingelt das Telefon dazwischen, jemand isst nebenbei, im Hintergrund läuft Musik. Ein, zwei Fehler aufgrund solcher und anderer Ablenkungen und schon ist das Ergebnis wissenschaftlich disqualifiziert. Da diese Fehlerquellen allerdings niemand unter denjenigen wissen kann, die am Ende diesen Online-Test auswerten, gehen auch bei einer Teilnahmezahl von angeblich 100.000 Personen zahlreiche verzerrte Ergebnisse in die Auswertung mit ein und machen das Resultat wissenschaftlich wertlos.

Viel schwerer wiegt allerdings das Wagnis, von ein paar Logikaufgaben, die man mal eben schnell am Bildschirm erledigt, auf Intelligenz zu schließen. Intelligenz ist ein Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit von Menschen, der wissenschaftlich nicht unumstritten ist. Mit herkömmlichen Intelligenztests werden in der Regel vor allem logisches Schlussfolgern, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnisleistung und allgemeiner Wissensstand erfasst – also eher leistungsbezogene Bereiche, deren Ausprägung auch davon abhängt, wie leistungsorientiert der Entwicklungskontext des getesteten Menschen war. Soziale oder emotionale Intelligenz spielen zudem kaum eine Rolle. Und so sind selbst die Ergebnisse klassischer Intelligenztestverfahren trotz wissenschaftlicher Güte und sorgfältiger Normierung mit Vorsicht zu genießen, bevorzugen sie doch Menschen aus dem sogenannten Bildungsbürgertum.

Nicht zuletzt ist zu kritisieren, dass trotz der hohen Teilnahmezahl, von der die meisten Sozialwissenschaftler*innen nur träumen können, die Auswahl an Personen, die an dem in Rede stehenden Online-Test teilgenommen haben, sehr selektiv sein muss – denn wer findet überhaupt den Weg auf diese Seite und nimmt sich tatsächlich die Zeit, ein paar Knobelaufgaben zu lösen, die etwas über die eigene Intelligenz verraten sollen? Angesichts dieser vielen Fragezeichen ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ergebnisse von den meisten Medien gar nicht erst aufgegriffen wurden.

Verbreitung von grobem Unfug

Erst mit der Telepolis-Veröffentlichung im März erfuhren die Ergebnisse eine gewisse Aufmerksamkeit. Und auch der Beitrag über die Testergebnisse steckt analog zu seiner Primärquelle voller “alternativer Fakten”. Er behauptet bspw. einen Zusammenhang zwischen einem “niedrigen” Intelligenzquotienten und “rechter Gesinnung”. Selbst wenn man einmal ganz viel Milde walten lässt und der vermeintlichen Studie zubilligt, tatsächlich einen Intelligenzquotienten (IQ) gemessen zu haben, so ist der für die AfD-Wähler*innen angegebene Durchschnittswert von 93 keinesfalls niedrig, sondern befindet sich wie diejenigen Werte der anderen Parteien und schätzungsweise 68 Prozent der Gesamtbevölkerung im Durchschnittsbereich zwischen 85 und 115 IQ-Wertpunkten.

Ebenfalls falsch ist der behauptete Zusammenhang mit “rechter Gesinnung”, denn eine solche Gesinnung wurde überhaupt nicht gemessen. Der Autor des Textes geht hier ungeprüft und ohne sonstige Belege davon aus, dass alle AfD-Wähler*innen eine rechte Gesinnung hätten, was als politische These zwar irgendwie legitim wenn auch nicht unbedingt korrekt sein mag, aber im Zusammenhang mit der Verbreitung von zweifelhaften Ergebnissen einer zweifelhaften Untersuchung als wissenschaftliche Tatsachen nur noch groben Unfug ergibt.

Doch damit nicht genug: Am Ende  seines Beitrages versteigert sich der Autor sogar in die ebenso kühne wie menschenverachtende Annahme, dass die AfD “nicht einfach ein sozialer Magnet” sei, “der geringere Intelligenz anzieht”, sondern auch “eine Art politische Verdummungsfabrik, die den IQ der Betroffenen langsam, aber sicher in den Keller treibt”. Mal abgesehen davon, dass Intelligenz nicht mit Dummheit gleichzusetzen ist, stellt diese Aussage eine Abwertung einer großen Bevölkerungsgruppe dar, die in ihrer Qualität der Abwertung von Minderheiten durch Menschen mit “rechter Gesinnung” gleichkommt. Eine Gruppe von Menschen wird in eine Schublade – “die mit geringerer Intelligenz” – gesteckt und pauschal mit abwertenden Eigenschaften versehen: “lässt sich von der AfD aufgrund ihrer Dummheit anziehen und wird in den Fängen der AfD noch dümmer”. Oder anders ausgedrückt: Wer weniger intelligent ist, ist dumm und sympathisiert eher mit der AfD. Wer mit der AfD sympathisiert, ist eher von geringerer Intelligenz und dumm. Menschenwürde ade.

Das Problem heißt Klassismus

Und trotz all dieser fragwürdigen Offensichtlichkeiten verbreiteten sich diese Aussagen nach dem Aufgreifen durch Telepolis am 6. März recht schnell in den sozialen Medien – unter anderem mit prominenter Unterstützung von Menschen wie Karl Lauterbach, bekannt als Gesundheitsexperte und SPD-Bundestagsabgeordneter, “der noch selbst tweetet”. Und auch der Landesverband der Partei DIE LINKE in Sachsen-Anhalt verbreitete den Artikel über seine Facebookseite – zog ihn nach relativ kurzer Zeit und deutlicher Kritik jedoch schnell und ohne dies transparent zu machen wieder zurück.

Die Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski bezeichnete ein solches Verhalten treffend als “nach unten treten”, und zwar “auf Kosten von Schwächeren”. Also zum Beispiel zum Nachteil von armen Menschen, wie es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) getan hat. Oder auf Kosten von Menschen mit Behinderungen oder mit prekärer Beschäftigung durch den Populärwissenschaftler Manfred Spitzer. Und eben zum Nachteil von Menschen, die bei Logikaufgaben vielleicht nicht ganz so gut abschneiden wie der Bevölkerungsdurchschnitt, durch Karl Lauterbach.

Was sich hier beobachten lässt, ist eine spezifische Form von Klassismus, derer sich auch linke Kreise immer wieder bedienen. Die Diskriminierung ergibt sich in diesem Fall nicht aus unterschiedlicher sozialer Herkunft bzw. gesellschaftlichem Status, sondern aus der Zuschreibung verschiedener intellektueller Voraussetzungen: AfD-Wähler*innen seien halt mit weniger Intelligenz ausgestattet. Im Umkehrschluss, und daraus machte der schon etwas schadenfreudige Facebook-Post der Linken in Sachsen-Anhalt keinen Hehl: “Wir sind die Schlauen”. Und es ist doch schön, wenn sich diese Annahme in vermeintlich wissenschaftlichen Untersuchungen auch bestätigt. Eine Untersuchung, die den Magdeburger*innen im Übrigen einen Durchschnitts-IQ-Wert von 86 bescheinigt. Schon allein vor diesem Hintergrund hätte man auch ohne Psychologiekenntnisse auf die Idee kommen können, dass die zitierte Quelle der eigenen Überlegenheit nicht wirklich seriös ist.

Man kann AfD-Sympathisant*innen ja für vieles kritisieren und es gibt weitaus klügere und damit auch nützlichere Analysen über die AfD und deren Wähler*innen, zum Beispiel dass die Partei im Bundesschnitt ausgerechnet bei Besserverdiener*innen gut ankommt. Damit lässt sich dann auch verstehen, dass die AfD nicht an letzter Stelle eine Partei des Klassenkampfes von oben ist. Und dagegen braucht es starke links-progressive politische Kräfte. Klassismus ist jedoch keine angemessene Antwort auf die AfD und deren rassistische Gesinnung. Das Recht auf Emanzipation hört ja nicht unterhalb eines IQ von 85 auf. Eine solidarische Politik und, wenn man in der Opposition festsitzt, zumindest eine solidarische Haltung wären eine angemessene Antwort.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.