Homophobie tötet

In Gedenken an Sarah Hegazi und alle, die nie gehört wurden und werden

von | veröffentlicht am 01.07 2020

Am 14. Juni 2020 nahm sich unsere Genossin Sarah Hegazi in ihrer Wohnung in Toronto, Kanada, das Leben. Nicht nur eine starke Depression und eine posttraumatische Belastungsstörung, sondern das homophobe, islamische Regime und die Gesellschaft in Ägypten haben sie dazu gebracht.




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Eigentlich wollte Sarah Hegazi 2017 nur das Konzert von Mashrou‘ Leila, deren Frontmann offen homosexuell lebt, in Kairo besuchen. Vermutlich hatte sie dort eine gute Zeit und hat ein Bild von sich mit einer Pride-Flag veröffentlicht. Einige Tage nach dem Konzert wurde eine Razzia durchgeführt, bei der mindestens 75 Personen auf Grund von „Ausschweifungen“ verhaftet und für bis zu sechs Jahre inhaftiert wurden. Sarah wurde drei Monate lang im al-Qanatir-Frauengefängnis gedemütigt, isoliert, missbraucht und gefoltert. Sprich: Ihr wurde psychische und physische Gewalt angetan.

Als Feministin, Kommunistin und LGBT-Aktivistin war sie nicht Teil ihrer Gesellschaft, sondern sie war ein Feindbild eben dieser. Nach der Entlassung aus dem Knast hat sie ihren Job als Software-Entwicklerin wegen Widerstand gegen das Sisi-Regime verloren und wurde von einigen Familienmitgliedern verstoßen. In Kanada suchte sie politisches Asyl. Ihre Wunden scheinen dort nie verheilt zu sein. Und was dann folgte, ist uns bereits schmerzlich bekannt.

Dass Menschen auf Grund ihrer Sexualität verfolgt, misshandelt und sogar getötet werden, ist nicht neu. Sarah Hegazi ist nicht die erste Person, die sich aus diesen Gründen das Leben genommen hat. Zu viele queere Menschen werden nicht gehört oder können ihre Stimme nicht erheben. Auch wenn Ägypten im aktuellen Gay Travel Index auf Platz 181 von 202 liegt, bedeutet das nicht, dass in den Ländern, die die Plätze darüber belegen, alles in Ordnung wäre. Deutschland liegt auf Platz 10 – während im Nachbarland Polen zur Zeit übrigens LGBT-freie-Zonen eingerichtet werden – doch auch hier sind queere Menschen von Diskriminierung betroffen und erfahren psychische und physische Gewalt.

Welche Konsequenzen können wir als politisch aktive Menchen nun daraus ziehen? Das Problem liegt keineswegs nur in konservativen Gesellschaften und denen, die nicht zur „westlichen Welt“ gehören. Ja, Ägypten ist durch den Islam geprägt und in konservativen Strömungen sind bis heute religiöse und politische Radikalisierungen zu bemerken, die zu Homophobie führen. Das Problem beginnt aber bei der Machtstruktur Patriarchat, das ein weltweites Problem ist und unabhängig von Religionen existiert.

Man muss nur einen Blick in die eigene Szene werfen: Antifa-Gruppen sind meistens cis-männlich und heterosexuell geprägt, es sei denn, es handelt sich explizit um feministische oder queere Gruppen. Dasselbe Bild findet sich viel zu oft in Hausprojekten, bei Partys, politischen Veranstaltungen und Aktionen. Auch wenn, oder besser obwohl Menschen im Grunde dieselben Ansichten vertreten, wird darüber diskutiert, welche Menschen dazugehören und um wessen Rechte und Freiheiten gestritten wird. Wenn du dich auf Grund deines Geschlechts oder deiner Sexualität ausgegrenzt fühlst, auch wenn man das „natürlich nicht beabsichtigt“, ist das eine Form psychischer Gewalt.

LGBT-Rechte sind Menschenrechte. An jeder Stelle muss in der Linken immerzu betont werden, dass man sich für eine freie, emanzipierte Gesellschaft einsetze. Bevor man jedoch eine Gesellschaft ändert, sollte man besser in der eigenen Bubble anfangen: Antifa heißt Nazis boxen. Antifa heißt aber auch hinhören und sich unterstützen, denn Schweigen bedeutet Tod. Oder wie ihr sicher selbst schon oft genug gerufen habt: Wer schweigt, stimmt zu. Die Veränderung beginnt mit uns! Aus diesem Grund denken wir an Sarah Hegazi und alle anderen queeren Genoss*innen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.