„Dem Rechtsruck widersetzen“

Demonstration gegen rechte Vertreibungspläne am 20.01.

von | veröffentlicht am 18.01 2024

Beitragsbild: Dani Luiz

Nach den kürzlich veröffentlichten Recherchen von "Correctiv" zu einem Treffen von AfD-Funktionsträger*innen, Neonazis, Mitgliedern von CDU, Werteunion, Vereinen und Unternehmer*innen im brandenburgischen Potsdam fanden in den letzten Tagen bundesweit Demonstrationen gegen die AfD und den gesellschaftlichen Rechtsruck mit zehntausenden Teilnehmer*innen statt. 
Für den 20. Januar ruft das zivilgesellschaftliche Bündnis "Halle gegen Rechts" zu einer Demonstration um 14 Uhr auf dem August-Bebel-Platz auf.




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Rechte Vertreibungspläne

Am 10. Januar veröffentliche „Correctiv“ eine Recherche über ein Treffen von extremen Rechten, bei dem Pläne zur massenhaften Vertreibung von deutschen Staatsbürger*innen, die als politische und gesellschaftliche Gegner*innen der AfD gelten, sowie Migrant*innen mit und ohne deutschen Pass geschmiedet wurden. Laut den Enthüllungen durch „Correctiv“ gehe es darum, Millionen Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen und diese dann in einen nordafrikanischen „Musterstaat“ zu deportieren.

Dass die AfD gemeinsam mit der „Identitären Bewegung“ und Neonazis Strategien erarbeitet und zu einem Zentrum rechter Organisierung in Deutschland geworden ist, war auch schon vor den Recherchen bekannt. Beispielsweise hatte der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider sein Büro im ehemaligen Hausprojekt der „Identitären Bewegung“ in der Adam-Kuckhoff-Straße in Halle. Weitere Verbindungen wurden in der Vergangenheit auch beim „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda sichtbar. Immer wieder kommen Politiker*innen der AfD zu Veranstaltungen und Tagungen der neuen Rechten in das im Saalekreis liegende Dorf.
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke äußerte vor einiger Zeit, dass er sein „geistiges Manna“ in Schnellroda beziehe.

Verbindungen, die Expert*innen, Antifa-Recherche-Gruppen und Interessierten teilweise bereits bekannt waren, sorgen nun nach der Veröffentlichung von „Correctiv“ für einen breiten gesellschaftlichen und politischen Aufschrei. Während im Internet und offline viele Menschen ihr Entsetzen über die Recherche kundtaten, sind andere nicht besonders überrascht. David Bergrich vom „Miteinander e.V.“, ein wichtiger Experte für Rechtsextremismus besonders in Ostdeutschland, schrieb auf Twitter: „Geheimplan? Lest die Bücher, die Konzepte, die Reden aus dem rechtsintellektuellen Umfeld der AfD! Liegt alles offen zutage!“
Besonders angesichts der anstehenden Wahlen beschäftigt Viele die Bedrohung von Rechts. Durch die Recherchen wurde besonders deutlich, wie ernst die AfD und Neue Rechte am Umsturz dieser Gesellschaft hin zu einem ihrer Ideologie entsprechenden „ethnisch homogenen“ Staat arbeiten.

Studierendenrat: „Auch Halle spielt eine Rolle“

Teilweise hat die veröffentlichte Recherche einen lokalen Bezug. Ulrich Siegmund, AfD-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Sachsen-Anhalt, sprach sich laut Bericht von „Correctiv“ dafür aus, Druck auf ausländische Restaurants auszuüben, um Menschen das Leben in Deutschland „so unattraktiv wie möglich“ zu machen.
Aufgrund seiner Teilnahme an besagtem Treffen und seinen getroffenen Aussagen plant die Regierungskoalition, ihn als Vorsitzenden des Sozialausschusses abzuwählen. Nicht nur Sachsen-Anhalt, auch konkret Halle spielt eine Rolle, wie der Studierendenrat der Martin-Luther-Universität (MLU) in einem Beitrag auf Instagram deutlich macht.
Mario Müller, ebenfalls ein Teilnehmer des geheimen Treffens in Potsdam, war Student an der MLU und setzte sich beispielsweise für die extrem rechte Burschenschaft HLB Germania ein. Bundesweit bekannt wurde er besonders durch den Versuch der Etablierung eines rechtsextremen Hausprojekts der „Identitären Bewegung“ in der Adam-Kuckhoff-Straße in Halle, der jedoch an starkem zivilgesellschaftlichen Engagement und ständigem Protest scheiterte (siehe Interview mit „Kick them out“). 

Eine weitere Verbindung nach Halle ist der habilitierte Jurist Ulrich Vosgerau, der in den Jahren 2014 und 2015 Lehraufträge an der MLU übernommen hat und ebenfalls am Treffen teilnahm. Er hielt beispielsweise Vorlesungen für Europarecht, Völkerrecht und Allgemeine Staatslehre an der juristischen Fakultät. Zudem ist er Mitglied im Kuratorium der Desiderius-Erasmus-Stiftung und tritt immer wieder als Vortragsredner auf. 

Gesellschaftliche Normalisierung

Seit Jahren lässt sich in der Gesellschaft eine zunehmende Entwicklung nach Rechts beobachten. Nicht nur an steigenden Umfragewerten auch an der Übernahme rechter Positionen in vielen demokratischen Parteien ist dies erkennbar. Auch die Grünen sprechen sich mittlerweile offen für mehr Abschiebungen aus und übernehmen migrationspolitische Forderungen des rechten Randes. Immer offener werden in letzter Zeit Inhalte der extremen Rechten von demokratischen Parteien übernommen und in die Praxis umgesetzt. 

Bei einer zentralen Demonstration von tausenden Landwirt*innen am 15. Januar in Berlin hielt Finanzminister Christian Lindner (FDP) eine Rede, voll von rechtspopulistischer Rhetorik (siehe Analyse vom Volksverpetzer). Er äußerte Verständnis für den vor ihm stehenden „fleißigen Mittelstand“ und hetzte gegen Menschen, die „Geld bekommen fürs Nichtstun“. Zudem sprach er von einer „linksextremen“ Unterwanderung der Klimaproteste und appellierte unter anderem an „die Medien“, dass diese doch die Sachbeschädigungen von Klimaaktivist*innen verurteilen sollten und nicht Befürchtungen über die Eskalation und rechte Unterwanderung der Proteste von Landwirt*innen äußern sollten. Diese Übernahme rechtspopulistischer Agitation hilft letztendlich vor allem dem rechten Rand. Besonders einige Tage nach den Veröffentlichungen von „Correctiv“ zeigte sich hier beispielhaft die gesellschaftliche und politische Entwicklung nach Rechts. 

Auch in der medialen Berichterstattung findet sich die Normalisierung von rechter Sprache wieder. Zahlreiche Berichte über die „Correctiv“-Recherchen verwendeten den rechten Kampfbegriff „Remigration“ in Überschriften oder als Hashtag auf Social Media. Anstatt deutlich zu machen, was dieser Kampfbegriff aussagt – und zwar massenhafte Deportation und Vertreibung – wird so rechte Rhetorik normalisiert. 

Doch nicht von allen wird diese Entwicklung kommentarlos hingenommen. Nach den Veröffentlichungen gingen in ganz Deutschland Zehntausende spontan auf die Straße. Dies ist ein notwendiges Zeichen, um dem Rechtsruck in der Gesellschaft zu begegnen und die Zivilgesellschaft zu stärken, jedoch reichen Demonstrationen alleine nicht aus, um diesen gesellschaftlichen Prozessen entgegenzuwirken. 

Zahlreiche Menschen haben in den letzten Wochen Petitionen für ein Verbot der AfD oder dem Entzug der Grundrechte für Thüringens AfD-Chef Höcke unterschrieben. Auch darüber hinaus werden bis in die Politik die Forderungen nach einem AfD-Verbot immer lauter. 

Breites Bündnis mobilisiert zur Demonstration in Halle

Am 20. Januar soll nun auch in Halle eine Demonstration unter dem Motto „Dem Rechtsruck widersetzen! Solidarisch. Vielfältig. Demokratisch.“ stattfinden.
Das zivilgesellschaftliche Bündnis „Halle gegen Rechts“ hat innerhalb von 48 Stunden mehr als 70 verschiedene Organisationen hinter dem Protestaufruf versammelt. Zahlreiche Vereine, Initiativen und Gruppen aus Halles Zivilgesellschaft rufen gemeinsam dazu auf, sich gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck und die AfD zu positionieren. 

Auch aus Leipzig wird für den Protest Unterstützung erwartet: Das zivilgesellschaftliche Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ ruft zur gemeinsamen Anreise nach Halle auf.
Am Montag hatten dort laut Veranstalter*innen 10.000 Menschen an einer Demonstration gegen Rechts teilgenommen.

Gemeinsam fordern die über 70 Organisationen Solidarität mit allen Betroffenen menschenfeindlicher Ideologien, die konsequente und ernsthafte Prüfung eines AfD-Verbots sowie die Trockenlegung rechter Strukturen und ihrer Geldgeber*innen. Zudem wird ein Ende der Normalisierung rechter Positionen, insbesondere durch demokratische Parteien, und die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft gefordert. Im Aufruf heißt es: „Die AfD ist nicht nur parlamentarischer Arm der extremen Rechten, sondern arbeitet aktiv gegen die Demokratie und die plurale Gesellschaft. Sie ist eine ernsthafte Gefahr für die Würde eines jeden Menschen“. 

Trotz aller Unterschiedlichkeit sei es deshalb wichtig, dass sich möglichst viele Menschen an der Demonstration beteiligen und sich auch darüber hinaus gegen die extreme Rechte engagieren. Denn eines sei klar: diese gesellschaftliche Entwicklung und das Erstarken rechter Positionen lassen sich nicht mit einer einzelnen Demonstration bekämpfen. 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.