Historische Aufarbeitung politischer Gewaltherrschaft in der Sowjetunion

Veranstaltungshinweis: Ein Podiumsgespräch in der Gedenkstätte Roter Ochse Halle

von | veröffentlicht am 29.01 2019

Beitragsbild: Transit

Am 31. Januar findet in der Gedenkstätte Roter Ochse Halle ein Podiumsgespräch zur historischen Aufarbeitung politischer Gewaltherrschaft in der Sowjetunion statt. Mit dabei ist das bei der heutigen russischen Regierung ungeliebte Netzwerk „Memorial“.




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In einem Aufruf der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ aus dem Jahr 2008 heißt es unter anderem: Russland […] hat einen eigenen Weg gefunden, die posttotalitäre Bürde zu erleichtern. Statt ehrlichem Bemühen, die Geschichte des 20. Jahrhunderts in ihrer ganzen Tragik und Tragweite aufzuarbeiten, statt einer ernsthaften Auseinandersetzung des Landes mit der sowjetischen Vergangenheit erleben wir hier, wie der sowjetische, patriotische Großmachtmythos nur leicht verändert wieder aufersteht – ein Mythos, der die Geschichte unseres Landes als eine Abfolge ruhmreicher heroischer Leistungen sieht.“

In diesem Mythos sei „weder Platz für Schuld, noch für Verantwortung, noch auch nur für die Anerkennung der Tragödie. Aus Heroismus und Aufopferung aber erwächst keine staatsbürgerliche Verantwortung.“ Viele Bürger*innen Russlands seien daher nicht in der Lage, sich die historische Verantwortung der Sowjetunion gegenüber den heutigen Nachbarländern Russlands und das Ausmaß der Katastrophe für Russland selbst bewusst zu machen. Das Land verweigere die Erinnerung und ersetzt sie durch das holzschnittartige Bild eines Imperiums.

Das Netzwerk „Memorial“ ist neben dem Moskauer „Sacharow-Zentrum“ die wichtigste Stimme aus der russischen Zivilgesellschaft, die Einspruch gegen diesen Geschichtsnihilismus erhebt und dafür kämpft, die Erinnerung sowohl an die Opfer als auch an die Täter politischer Verbrechen in der Sowjetunion wach zu halten – Grundvoraussetzung dafür, dass sich Politik und Gesellschaft der daraus erwachsenen Verantwortung nicht entziehen können. „Memorial“ selbst stellt sich dieser Verantwortung seit seiner Gründung dadurch, dass es den Überlebenden des GULag-Systems hilft, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten und ihre oft elende soziale Situation zu verbessern.

„Memorial“ ist zugleich auch eine Menschenrechtsorganisation. Das interregionale „Rechtszentrum“ (Правозащитный центр) sammelt und veröffentlicht Material zur Menschenrechtslage in Russland und gibt Betroffenen, darunter in den letzten Jahren auch Flüchtlingen aus anderen Staaten, unentgeltliche juristische Beratung und Unterstützung. Für „Memorial“ zu arbeiten, egal ob als Historiker oder als Menschenrechtler, erfordert Mut – nicht erst, seit der russische Staat das Netzwerk als „ausländischen Agenten“ diskreditiert.

Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig die historische Reflexion für die Orientierung im Hier und Jetzt ist. Erinnerung gehört zum Glück zur politischen Kultur unserer Gesellschaft. Wie notwendig das ist, wissen wir nicht erst seit AfD und Pegida, seit Gauland oder Höcke. Letztere haben immerhin gründlich mit der Illusion aufgeräumt, dass die geschichtspolitische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus eine temporäre Aufgabe ist, die sich in absehbarer Zeit erledigt hat. Was mitunter fast schon in Ritualen und Symbolhandlungen zu erstarren drohte, ist wieder zu einer breiten und kontroversen Debatte geworden.

Die Gedenkstätte „Roter Ochse“ – Haft- und Hinrichtungsstätte im Nationalsozialismus, Haftanstalt für politische Gefangene während der sowjetischen Besatzungsherrschaft und in der DDR – trägt dazu seit Jahren durch eine engagierte Aufklärungsarbeit, eine Vielzahl von Veranstaltungen, aber auch durch anspruchsvolle Forschungsprojekte bei. Es gibt in Halle sicher keinen besseren Ort, um ein deutsch-russisches Gespräch über die Verantwortung des Erinnerns zu führen.

Die Veranstaltung findet am 31. Januar um 18:15 Uhr in den Räumen der Gedenkstätte Am Kirchtor 20b statt. Zu Gast ist Prof. Konstantin Morozov aus Moskau, Historiker und Mitglied der Leitung des Forschungs- und Informationszentrums von „Memorial“ und Leiter verschiedener Forschungs- und Aufklärungsprogramme von „Memorial“ in Moskau. Mit ihm sprechen die Slavistin Dr. Anke Giesen, Mitglied des Vorstandes von Memorial Deutschland e.V., Michael Viebig, Leiter der Gedenkstätte Roter Ochse, sowie Prof. Yvonne Kleinmann vom Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Uni Halle. Die Moderation übernimmt Dr. Hartmut Rüdiger Peter, Historiker und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Halle.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.