Ein Leben fürs Zuhause?

Betroffene berichten vom Mietstreit mit der HWG

von | veröffentlicht am 19.02 2023

Beitragsbild: Adam

Mit einem „Zuhause fürs Leben“ wirbt die Hallesche Wohnungsgesellschaft (HWG) für sich als eines der größten Wohnungsunternehmen Mitteldeutschlands. Doch nun wurde eine Mietgemeinschaft von der HWG vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Wohnungen sollten erst geräumt und umfangreich saniert werden, dann wird das Verfahren auf unbestimmte Zeit verschoben. Versuche der Mieter*innen, mit der HWG Absprachen zu treffen und konkrete Auskünfte zu bekommen, blieben seitens der Vermietung lange unbeachtet. Ein Betroffenenbericht.




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Mit einem „Zuhause fürs Leben“ wirbt die Hallesche Wohnungsgesellschaft (HWG) für sich als eines der größten Wohnungsunternehmen Mitteldeutschlands. Rund 17.800 Wohnungen werden über die HWG in Halle vermietet. Beim eigenen Internetauftritt wird die Sanierung der Wohnbestände mit einem jährlichen Kostenpunkt von 30 Millionen Euro erwähnt.

Die Mietgemeinschaft der Adolfstraße 11/12, Ernst-Schneller-Straße 10/10a/12 und der Kohlschütterstraße 4 in der Nähe des Reilecks erfreut sich einer guten, lebendigen und unterstützenden Nachbarschaft. Hier ist viel Platz für Austausch und gemeinschaftliche Aktionen wie Flohmärkte, Tischtennisrunden und offene Feiern. Der im Innenhof gelegene Garten wird durch die Bewohnenden bepflanzt und gepflegt, sodass auf dem Grundstück ein kleiner “Urban-Gardening-Park” entstanden ist. Er wird nicht nur durch die Mieter*innen des Hauses, sondern auch von zahlreichen Tieren, wie Igeln, Insekten und Vogelarten sowie Wildbienen bewohnt. Die zu beobachtenden Veränderungen der sozioökonomischen Strukturen in der Nachbarschaft des Giebichensteinviertels, zum Beispiel Gentrifizierung, mit der die Mietenden eng verbunden sind, greifen nun auch auf den Wohnraum von Adam und Haru über.

„Es wird schnell unglaublich beängstigend, wenn es um den privaten Raum geht“ (Haru)

Als direkt Betroffene berichten sie von einer unsicheren Zeit über eineinhalb Jahre, in der seitens der HWG die Räumung und Sanierung der Mietwohnungen in Aussicht gestellt wurde. Adam wohnt seit 2014 hier und kümmert sich neben seinen künstlerischen Tätigkeiten hauptsächlich um die Instandhaltung des Gartens. Als Rückzugsmöglichkeit mietet Haru ihre Wohnung seit 2019 hier. Auch ihre Kinder sind oft mit vor Ort. Die gemeinschaftliche und vertraute Nachbarschaft schätzen alle sehr wert. Adam erhält genau wie die anderen Mietenden am 27. Oktober 2021 ein Ankündigungsschreiben der HWG: aufgrund der bevorstehenden Räumung und anschließender Sanierung wird nach einem möglichen Einzeltermin gefragt. Dafür ist geplant, dass zwei Mitarbeitende das Gespräch mit den Bewohner*innen in ihrem privaten Wohnraum suchen. Da fast in jeder Wohnung nur eine Person lebt, erscheint es Adam sinnvoll, in seiner Antwort im Namen aller Mietenden einen gemeinschaftlichen Termin vorzuschlagen. Diese und weitere Fragen seines Schreibens vom Dezember 2021 bleiben seitens der Vermietung lange unbeantwortet. Er weist auch auf das gemeinschaftliche Interesse der Mietenden hin, den gemeinsam gestalteten und als harmonisch empfundenen Lebensraum nicht endgültig aufgeben zu wollen. Weder der durch die Bewohner*innen geäußerte Wunsch, für den Austausch gesammelt in den Räumlichkeiten der HWG zu erscheinen, noch die Frage nach Online-Terminen (in Zeiten des Lockdowns) finden Beachtung.

So werden Einzelgespräche in privatem Wohnraum geführt, die besonders die Erörterung möglicher Ausweichwohnungen während der Sanierungsarbeiten beinhalten. Auf Nachfrage konnte Haru dieses Gespräch in Räumlichkeiten der HWG führen, da sie ungern fremde Personen in den privaten Wohnraum einlädt. Bei anderen Fragen, die für die Mieter*innen von Interesse sind, wird vonseiten der HWG auf fehlende Informationen oder eine nicht gegebene Zuständigkeit verwiesen. Teilweise wird auf die Frage nach zukünftigen Mietpreisen der zu sanierenden Wohnungen dahingehend geantwortet, dass diese womöglich nicht mehr den finanziellen Möglichkeiten/Vorstellungen der betreffenden Mieter*innen entsprächen. Während Adam gegenüber der Vermietung gleich zu Anfang deutlich machte, einen endgültigen Auszug nicht in Betracht zu ziehen, kommunizierte Haru nach dem Ankündigungsschreiben ihre Entscheidung gegen einen endgültigen Auszug erst später. Beide würden Sanierungsarbeiten in ihren Räumlichkeiten begrüßen – um sich weiterhin dort zuhause zu fühlen. Doch das Vorhaben der HWG scheint eng verknüpft mit der Idee, die bestehenden Mietverhältnisse aufzulösen und die Mietenden in andere Wohnungen zu vermitteln. Haru erinnert sich, wie versucht wurde, ihr den möglichen Umzug in andere HWG-Bestände attraktiv zu verkaufen. Zunächst sei ihr deutlich vermittelt worden, dass ihre jetzige Wohnung nach den Sanierungsarbeiten so nicht mehr existiert und zum Nachbarhaus gehören wird. Der Hinweis seitens HWG-Mitarbeitender, dass es weitaus attraktivere Wohnungen zu höheren Mietpreisen gebe, gibt Haru das Gefühl, in eigener Beurteilungskraft und Entscheidungsfähigkeit nicht ernst genommen zu werden. Diese Empfindung teilt auch Adam, als ihm und anderen Mietenden alternativer Wohnraum in Halle-Trotha oder Heide Nord nahegelegt wird, obwohl vorher die Präferenz zum Wohnen in jetzigem Stadtteil deutlich gemacht wurde.

Ein Blick in den Garten des Innenhofs | © Adam

Durch den von Adam aufgebauten Emailverteiler tauschen sich die Mietenden über ihre Erfahrungen aus. Ihre Unsicherheiten werden bestärkt, als sie feststellen, dass in den Einzelgesprächen unterschiedlich hohe Mietpreise pro m2 genannt werden. Einige der Bewohner*innen sind Mitglied im Mieterbund Halle und informieren sich hier über ihre Rechte. Die Mietgemeinschaft formuliert daraufhin erneut ein Schreiben an die HWG und macht nochmals auf ihren Anspruch als langjährige Mieter*innen aufmerksam, in die Planungsprozesse mit einbezogen zu werden. Weiterhin fordern sie eine Stellungnahme bezüglich der Selbstverpflichtung „Bezahlbare Mieten und soziale Wohnungsversorgung“ der HWG. Als den „größten Skandal“ bezeichnet Adam die zahlreichen, leerstehenden Wohnungen aus dem Bestand der HWG, die teilweise nur gering beschädigt und ohne großen Aufwand herzurichten seien. Seitens der Vermietung wird auf die bestehende, freiwillige Selbstverpflichtung zur Bereitstellung von angemessenen Mietpreisen hingewiesen, die nach Angaben der HWG jedoch nicht im Giebichensteinviertel Anwendung finde. Ab dem Frühjahr 2022 nehmen schließlich einige der Bewohner*innen, vor allem jene mit Kindern oder im Seniorenalter, die finanzielle Unterstützung der HWG von 500 Euro an und beziehen neue Wohnungen. Die Verunsicherung und das beklemmende Gefühl, das sie möglicherweise zu der finalen Entscheidung bewog, können Adam und Haru gut nachvollziehen. Auch sie berichten von ihrer Empfindung, dass durch zahlreiche gentrifizierende Maßnahmen die Bewohner*innen Halles räumlich nach sozioökonomischem Status getrennt werden. In den jetzigen Räumlichkeiten der Mietgemeinschaft sowie den leerstehenden Wohnungen sehen beide viel Potential für offene Freizeitaktivitäten, soziale Vernetzung oder gemeinnützige Veranstaltungen. Stattdessen wird leerer Wohnraum auf Anordnung der Vermietung unbewohnbar gemacht, in dem der Boden aufgerissen wird. Die Begründung seitens der HWG sei die Überprüfung auf Schimmelvorkommen. Seit Mitte 2022 können die Mietenden im Giebichensteinviertel auf eine Veränderung hoffen. Sie erhalten die Information durch die Vermietung, dass sich die Sanierungsarbeiten verzögern. Nach einigen ungenauen Angaben äußert sich die HWG dann im September 2022 genauer: die angekündigten Baumaßnahmen werden bis auf Weiteres abgesagt. Doch noch immer leben die Bewohner*innen mit einer Ungewissheit, da nicht klar ist, wie endgültig dieser Beschluss gedeutet werden kann. Die bestehenden Mietverhältnisse sind derzeit also nicht akut gefährdet. Ob jene ehemalige Bewohner*innen bis Sommer 2022 ausgezogen wären, wenn diese Information eher kommuniziert worden wäre, ist fraglich.

Der deutliche Hinweis einer erheblichen Mietpreiserhöhung seitens der Vermietung hat nicht nur bei den Mietenden zu mehr Verunsicherung geführt, sondern ist auch rechtlich gesehen sehr begrenzt umsetzbar. Auf der eigenen Website präsentiert sich die HWG als „kommunales Wohnungsunternehmen“, das es sich zur Aufgabe macht, „eine sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung für breite Bevölkerungsschichten zu gewährleisten“. Diese so engagiert und vorbildlich dargestellte Intention scheint sehr konsequent nur in den abgesteckten Teilen Halles zu den eigens verzeichneten Erfolgen zu gehören, wenn nicht weit davon entfernt andere Mietende der HWG-Wohnbestände eher gegensätzlich zu diesen „sicheren und sozial verantwortbaren“ Vorstellungen behandelt werden. So erhalten die langjährigen Mieter*innen der Adolfstraße, Ernst-Schneller-Straße und Kohlschütterstraße, die sich für den ökologischen Wohnraum vor Ort engagieren, lange keine Antwort auf berechtigte Fragen und erleben die Kommunikation mit der Vermietung als sehr undeutlich. Auf Nachfrage der Transit-Redaktion bezieht die HWG per Mail dazu Stellung: mit den Mietenden seien die geplanten Baumaßnahmen von Anfang an kommuniziert und nun aufgrund der „unsicheren energiepolitischen Lage, der rasant gestiegenen Bauzinsen, der weiterhin hohen Baupreise in Kombination mit einer unsicheren Materialverfügbarkeit“ vorerst verschoben worden.

“Wie können wir auf uns aufmerksam machen?” (Adam)

Haru und Adam empfinden Enttäuschung und Verständnislosigkeit, sie sehen großes Potential in den zahlreichen, leerstehenden Grundstücken der HWG, die durch mögliche Nachbarschaftsangebote, ökologische Maßnahmen zur Unterstützung von städtischer Flora und Fauna und dem Aufbrechen sozioökonomisch separierter Wohnsituationen hier in Halle wirklich zu sozial verantwortbaren Veränderungen verhelfen könnten. Hier in der Mietgemeinschaft sind bis jetzt sowohl räumliche als auch die zeitlichen Kapazitäten der Mietenden da, solche Angebote zu realisieren. Im Zuge der unsicheren Zeit versuchten sie durch zahlreiche Aktionen auf ihre Situation aufmerksam zu machen. So wurden beispielsweise Flohmärkte und ein „Off-Programm“ zum Tag der Stadtnatur organisiert, bei dem der Innenhof geöffnet wurde. Hier konnten Samenbomben kreiert, Kaffee und Kuchen gegessen und zu aufgelegter Musik getanzt werden. Im Zuge dieser Aktion konnte auch der Kontakt zur Organisation Food Forest hergestellt werden, die der Mietgemeinschaft einen Baum (für eine Summe von 300 Euro) spenden wollte. Die Umsetzung scheiterte an der nicht erteilten Erlaubnis seitens der HWG. Durch die zahlreichen Aktionen konnten die Mietenden bereits auf sich und ihre Situation aufmerksam machen.

Ein Blick in den Garten des Innenhofs | © Adam

Wie geht es weiter?

Auch, wenn momentan keine Sanierungsarbeiten geplant sind, schreibt die HWG in der Antwort an Transit ausdrücklich, die Vorhaben wieder voranzutreiben, „sobald es die Rahmenbedingungen zulassen“. Haru und Adam wünschen sich mehr Handlungsmöglichkeiten. Auch, weil die Unterstützung durch den Mieterbund als nicht besonders engagiert empfunden wurde, überlegen die Mietenden, wie sie selbst mehr Wissen über die eigenen Rechte im Mietverhältnis erlangen können. So könnte beispielsweise ein Symposium mit Expert*innen und Menschen, die ähnliche Erfahrungen mit der eigenen Wohnsituation teilen, stattfinden. Das zöge einerseits Aufmerksamkeit auf die Problemlage vieler Mietenden in Halle und würde eine Plattform für Austausch auch in überregionaler Perspektive schaffen. Trotz des Engagements der Mietenden beinhalten alle Ideen viel Arbeit, die, gepaart mit Unsicherheit und Anspannung, mit ihrem privaten Wohnraum verknüpft würde. Haru und Adam wünschen sich für ihre derzeitige Wohnsituation vielleicht nicht gleich endgültiges „Zuhause fürs Leben“. Doch in den eigenen vier Wänden wollen sie statt Stress und Pflichtgefühl ein Leben in Ruhe und einer sozial als solidarisch empfundenen Atmosphäre verbringen- kein Leben, in dem das eigene Zuhause verteidigt werden muss.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.