Zieh aufs Land, sonst macht’s ein Nazi!
Eine Fahrradtour durch das Wahlkampfgebiet der „Freien Sachsen“
Neben den Europawahlen stehen dieses Jahr auch einige Kommunal- und Landtagswahlen an. Während in Halle, Leipzig und Dresden alle auf die AfD schauen und Sicherheitskonzepte zum Aufhängen von Wahlplakaten entwerfen, etabliert sich im ländlichen Raum Sachsens eine rechtsextreme Splitterpartei: Die „Freien Sachsen“ sind das Sammelbecken für alle, denen die AfD zu links ist. Andere Wahlplakate findet man hier überhaupt nur noch selten. Warum Linke wieder aufs Land ziehen sollten und warum ihr Engagement gerade jetzt gebraucht wird.
Es ist Anfang Mai, ich besuche meine Schwestern und meine Eltern. Um den Bauernhof zu erreichen, auf dem ich aufgewachsen bin, fährt man von Leipzig aus 35 Minuten mit dem RE50 bis nach Oschatz und dann noch einmal 17 Kilometer mit dem Fahrrad. Bei Rückenwind dauert das dann 45 und bei Gegenwind 95 Minuten. Oder man fährt mit dem Zug von Leipzig nach Leisnig. Die Zugfahrt dauert zwar 55 Minuten, ist aber dafür die deutlich schönere Strecke. Denn nach 30 Minuten Fahrtzeit verlässt der RB 110 endlich die Leipziger Tieflandsbucht und die Landschaft beginnt entlang des Flusses Mulde hügeliger zu werden.
Trotz all der Schönheit und des Deutschlandtickets komme ich aber auch von Leisnig aus nur mit dem Fahrrad zu dem Hof meiner Eltern. Die aus dem Zug noch bewunderten malerischen Erhebungen – Kenner*innen sprechen auch von der sächsischen Toskana – machen das ganze aber zu einer viel schwitzigeren Angelegenheit als von Oschatz aus. Da die Sonne scheint, entscheide ich mich nicht für den direkten Weg entlang der Schnellstraße S31, sondern fahre auf der sogenannten Obstlandroute einen Umweg.
Am 9. Juni sind auch in Mittelsachsen Europa- und Kommunalwahlen. Wahlplakate hängen Anfang Mai aber nur für die Leisniger Stadtrats- und Kreistagswahl. Der Leisniger Stadtrat besteht aktuell noch aus Mitgliedern der CDU, Wählervereinigung Stadt und Land Leisnig, Linke, SPD und Grüne (in dieser Reihenfolge). Plakate dieser Parteien sehe ich auf meiner 20 Kilometer langen Radtour bis auf ein Plakat der Linken und zwei der CDU, keine. Aber egal ob ich durch Klosterbuch, Altenhof, Naunhof, Börtewitz, Zschockau, Dobernitz, Doberquitz, Doberschwitz fahre, überall sehe ich die hellgrünen Wahlplakate der Freien Sachsen mit Slogans wie „Säxit“ oder „Handschellen müssen klicken“.
Die Freien Sachsen gibt es seit 2021, bisher sind sie aber vor allem im Zuge von Anti-Corona Protesten in Erscheinung getreten. Selbst der sächsische Verfassungsschutz beschreibt die Freien Sachsen als rechtsextremistische Kleinstpartei deren circa 1000 Mitglieder sich aus Neonazis, darunter viele ehemalige NPD- Mitglieder, zusammensetzen. Aber Wahlplakate der Freien Sachsen sehe ich zum ersten Mal.
Nicht zum ersten Mal sehe ich das Gesicht von Christian Fischer, welcher als Spitzenkandidat der Freien Sachsen für den Leisinger Stadtrat ins Rennen geht.
Christian Fischer (41) lebt mit seiner Familie in Zschokau auf einem alten Vierseiten- oder Dreiseitenhof (genauer habe ich beim Vorbeifahren nicht hingeschaut). Er ist vom Beruf Schlosser und wirbt damit, für Leisnig ein familienfreundliches Klima zu schaffen. Bekannt ist er für sein Engagement“ innerhalb der rechtsextremistischen Initiative „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“, die Neonazis dabei unterstützt, nach Mitteldeutschland umzuziehen. Der Spitzenkandidat der Freien Sachsen für Leisnig war im Kader der „Heimattreuen Deutschen Jugend“, eine Nachfolgeorganisation der Hitlerjugend und ist spätestens nach einer Doku des Y-Kollektivs über rechtsextreme Siedler, die in ländliche Regionen in Sachsen ziehen, auch über Leisnig hinaus bekannt.
Der Fakt, dass er vor 5 Jahren aus Westdeutschland nach Leisnig gezogen ist, könnte ihm im Wahlkampf zum Verhängnis werden. Aber er erklärt, dass seine Familie gezwungen war, von Hessen nach Leisnig zu ziehen, weil er sonst nicht hätte verhindern können, dass seine Kindern mit „Ausländern“ in Kontakt kommen. Wenn das so ist, wird natürlich gerne darüber hinweggesehen, dass es sich bei Christian Fischer um einen „Wessi“ handelt, was in anderen Kontexten nie vergessen wird.
Aktuell tritt er am liebsten mit schwarzem Hemd, Cargohose und Seitenscheitel vor die Kamera, warnt vor „linksextremen Plakatzerstörern“ und wirbt mit einem Kopfgeld von 100 € für diejenigen, die Plakatabreißer „festsetzen“, bis die Polizei eintrifft. Hinweise und Informationen dazu nehmen die Freien Sachsen Mittelsachsen dankbar unter 01747258052 entgegen. Fischer verspricht, die Wahlplakate ab jetzt abzusichern. Sein Parteikollege Steffen Trautmann, Kandidat der Freien Sachsen in Döbeln, schlägt dazu vor, sich abends doch mit Freunden in die Büsche zu hocken und ein bisschen die Plakate zu bewachen.
Lutz Gießen, der auch freundlich auf fast jedem dritten Plakat der Freien Sachsen lächelt, kandidiert für den mittelsächsischen Kreistag und hat eine ganz ähnlich rechtsradikale Karriere wie Christian Fischer hinter sich. Auch er ist vor circa 5 Jahren nach Mittelsachsen auf einen sehr schönen Hof am Rande der Dorfes Naunhof gezogen „In seiner Freizeit ist er in verschiedenen Vereinen aktiv und legt dabei besonderen Wert auf die Pflege von Kultur und Brauchtum“, heißt es auf der Website der Freien Sachsen. Beispielsweise trat er als Anmelder und Redner des Marsches anlässlich der Bombardierung Dresdens auf und ist Mitglied in verschiedenen rechtsextremen Gruppen wie der Kameradschaft Germania oder dem Heimatbund Pommern.
Die anderen Kandidaten der „grün weißen Welle“ sind Mathias König, bekannt für seine Mitgliedschaft bei den Jungen Nationalisten in Wurzen und Maik Czapska sowie Dierk Zienicke. Beide sind aus der Region und dementsprechend gut vernetzt. Czapska wohnt seit 48 Jahren in Leisnig und ihm wird nachgesagt im III. Weg organisiert zu sein, während Zienicke als altbekannter Neonazi der Region gilt. Belltower News -Netz für digitale Zivilgesellschaft- der Amadeo Antonio Stiftung beschreiben Leisnig als:
[…] Sinnbild szeneübergreifender Vernetzung der extremen Rechten. Allein in den fünf neuen Kandidaten der Freien Sachsen Leisnig vereinigen sich völkische Siedler, Kader von Neonazi-Parteien wie „Der III. Weg” oder ehemals NPD, sowie alteingesessene Neonazis mit Historien bis in die 1990er Jahre.
Während ich Dorf für Dorf immer wieder unter den Gesichtern von Christian Fischer und Lutz Gießen vorbeifahre und dann später auch an ihren Höfen, realisiere ich, dass ich seit langem gerade wieder reale Angst vor Nazis habe. Sonst habe ich vor allem Angst um Freund*innen die rein äußerlich nicht in das Normalitätsverständnis der Faschos passen, aber gerade habe ich selber wieder Angst, obwohl ich weiß, cis und blond bin. Ich steige auf meiner Tour ab und zu vom Fahrrad, um die Wahlplakate der Freien Sachsen zu fotografieren, um den Widerspruch der wunderschönen Landschaft, des beginnenden Sommers und der tiefhängenden Neonazi-Werbeplakate festzuhalten. Allein dabei fühle ich mich unsicher.
Während ich ein Wahlplakat fotografiere, werden im Garten gegenüber sofort die Hunde aus dem Haus gelassen. Die Hundebesitzerin stellt sich mit grimmiger Miene und verschränkten Armen an ihren Gartenzaun und starrt mich an. Ich steige wieder auf mein Fahrrad und denke, dass meine Angst auch sehr egoistisch ist. Denn ich möchte so gerne wieder hierherziehen. Ich mag die Gegend, richtig gerne sogar und ich mag sehr viele Leute, die hier wohnen und die hier auch nicht wegziehen wollen!
Und gerade kann ich mir zum ersten Mal vorstellen, dass es nicht mehr möglich sein wird, hier ohne Angst zu wohnen. Und dann werde ich wütend. Dann bin ich wütend auf alle Leute, die in Leipzig und Dresden wohnen und nicht hier. Es wäre so viel wichtiger, dass Leute sich hier einbringen und vor Ort sind. Immer wieder erkläre ich, dass man ja mit dem Zug in 55 Minuten von Leipzig nach Leisnig und andersherum fahren kann, dass so viele Linke wie möglich, so schnell wie möglich nach Leisnig und Umgebung ziehen müssen, dass es wunderschön ist und dass es richtig viele tolle und engagierte und linke Leute hier gibt, die schon seit Jahren kämpfen und unfassbar wichtige politische Arbeit machen.
Und dann denke ich darüber nach, warum ich nicht sofort wieder zurückziehe?
Jetzt wäre zumindest ein guter Zeitpunkt dafür.