Wolkenhimmel

Immer wenn ich in die Ferne blicke, sehe ich den Horizont. Mal ist er von einem Spätsommersonnenaufgang, mal von grauen Gewitterwolken, mal von rauen Gedankenwolken bedeckt. Hinter meinem Schlafzimmerfenster schlängelt sich die Abendröte hinein. Ich suche den Horizont, doch finde Fernweh.  Mein innerer Schmerz drängt mich in eine nichtlineare Röhre. Hier ist es dunkel, der Gang eng und kalt, weder Türen noch Fenster sind vorhanden. Kein Horizont in Sicht.  Triggerpunkte setzen wie Akkupunktur an, der Schmerz breitet sich aus, so wie Feinstaub in der Luft: ich will raus.

Ich will ihn schlucken, das scheint leichter als zu expressionieren. Aber meine Mentaltrainerin sagt ich soll Gefühle nicht unterdrücken, ich soll zulassen, soll ihnen nahe rücken. Ich aber, bin der Meinung es gibt bestimmte Gefühle, die nicht zum Fühlen bestimmt sind! Jedenfalls nicht für schwache Seelen. 

Ich war schon immer schwach, du: schon immer stark. Deshalb fangen mich deine starken Arme auf, wenn ich mal wieder Fernweh habe und einen Horizont brauche. In deinen Armen kann der Schmerz entkrampfen, wie ein Embryo, dass sich aus der Embryonalstellung löst zum autarken Atmen.

Der Schmerz fließt in flüssiger Form aus der Glandula lacrimalis. Ein Ventil, dass mich zum Loslassen forciert.

Dadurch wird die lange dunkle Röhre porös, wie Kalkgestein und Schmerz kann absickern. Durch die Löcher dringen jetzt auch gelb-leuchtende Strahlen in den vorher dunklen Gang, das macht den Horizont ersichtlich. „Lass mich nicht los“, wie ein Kind klammer ich mich immer fester an dich, lasse mich fallen, doch werde glimpflich aufgefangen. Wo ich an deiner Schulter klammer, klammerst du an den Wort-Ritualen, wo ich lieber schweige, ermutigst du zum Reden. Sich fallen zu lassen ist eine Kunst, erst in deiner Präsenz wurde ich eine Virtuosin darin. Trotzdem update ich immer wieder den gleichen Softwarefehler. Jedes Mal blinken die Fehlermeldungen in Pusteln auf meinem Körper auf. Die Schaltzentrale – außer Gefecht.

Gefühle werden durchs Aussprechen so real,

zuvor waren sie noch surreal.

Du kitzelst sie aus mir heraus.

Kann dich nicht anschweigen,

kann dich nur um deine Kommunikationskünste beneiden.

Durch den

                     freien

                               Fall

 der aneinandergereihten Buchstaben

fühle ich mich leicht –

du hast dein Ziel erreicht.

Ich sitze nach der Uni in der Denkbar und denke an dich.

Illustration: @sketching.wizard

„Danke, dass du immer da bist“, tippe ich in das Smartphone, das vor mir neben meinem Lieblingsroman „Die Glasglocke“ liegt. Die Tage vergehen in Sekundenkürze und ich versuche alle Erinnerungen analog festzuhalten in einem Zwischenraum. Zwischen Vergangenheit und Zukunft liegt so viel Gegenwart, all die Gefühle, die ich gleichzeitig fühlen muss. Alle richtig verstandenen missverstände. Alle Marmeladenglasmomente, die versehentlich in doppelter Geschwindigkeit statt in Slow Motion aufgenommen wurden. Alle Montage, an denen die Endorphine vom Wochenende noch nachwirken. All die Sorgen die heute sind und morgen waren. Alle diese Gefühle will ich bewahren.

Ein Stapel voll unerledigter Sachen.

Gewitterwolken schießen Blitze.

Die klügsten Versuche scheitern.

Ich wünschte der Frieden in mir würde länger anhalten. Der Sommer geht so schnell vorbei. Es ist Dezember und mein Herz von einem Schneesturm befallen. Er lässt mich in ein weißes Sechseck metamorphosieren. So hauchdünn und von Zartheit geprägt, dass nur eine stochastische Berührung mich zum hexagonalen Auflösen bringt. Ich habe keine Standfestigkeit, ich wechsele andauernd die Aggregatzustände von fest in flüssig, dabei wäre ich gern gasförmig – so wie der Luftsauerstoff. Das würde heißen jemand benötigt mich zum Atmen, ergo ich bin essentieller Bestandteil dieser Erde. Ich will die Atemluft sein, will sie dir nachts, bevor du die Augenlieder schließt, einhauchen und morgens beim Erwachen auch. Wenn dir die Puste ausgeht, will ich dein Energieschub sein. Selbst wenn Adams Apfel dich erstickt, bin ich die, die dich wieder zum Atmen kriegt.

Tränen fließen auf mir, wie Essig als Dextrose getarnt

Und immer bemerke ich diese Absolutheitsansprüche in mir: alles oder nichts; deinen ganzen Körper auf mir oder keine einzige Berührung; den ganzen Tag dich für mich haben oder dich lieber gar nicht sehen.

Schon oft übte ich mich der Bescheidenheitspraxis, aber meine Bedürfnisse schreien immer nach mehr und die Stimmen sind nicht mehr zu überhören. Nicht nach mehr Freiheit rufen sie, davon hatte ich so üppige Mengen in der Vergangenheit, dass mir schlecht davon wurde. Mehr von dir und allem, was dich zum holistischen Mensch macht. Nicht nur gemocht werden will ich: ich will verehrt, begehrt und unversehrt geliebt werden bis zum geht nicht mehr und mehr, immer mehr. Es hört nicht auf, ich finde kein Ende und einen Anfang sowieso nicht. Nie war ich auf der Suche, trotzdem wurde ich gefunden zwischen Alltagsbewältigung und Selbstzweifel. Hier bin ich also und kämpfe für unseren Frieden, der sich über meine Zufriedenheit definiert. Nicht weil deine mir nicht wichtig wäre, sondern weil du immer sagst du seist nur zufrieden, wenn ich es bin.

Das mit dem Frieden ist leichter gesagt als getan, denn Gedankenwolken stapeln sich immer höher, dass selbst die unschuldigen Vögel sich verfliegen- so sehr beeinträchtigen meine rauchenden Wolken ihren Orientierungssinn. Gedankenwolken gehen oft in Gewitterwolken über. Ich flüchte unter die Bettdecke, um mich zu schützen und zwinge sie nicht auszubrechen.

An manchen Tagen klappt, das ganz gut und sie ziehen mit sanftem Gehorsam vorüber. An anderen wiederum wollen sie sich für meine kalten Befehle rächen und entblößen ihr Wasser mit aller Grobheit der Naturkräfte – plitsch, platsch &alles wird nass.

Die Sehnsucht danach alles richtig zu machen.

Das Fingerspitenkribbeln kurz vor der Spitze.

Die Theatralik beim Scheitern.

Immer wirfst du mir vor, dass ich dich nicht rechtzeitig davor warne. Ich will Gedankenwolken nicht aussprechen, um ihren Eintritt in die Realität zu präventionieren. Sie sollen ein Gerücht in meinem Kopf bleiben; ein Postulat, dass noch nicht bewiesen werden konnte. Um die dunklen Wolken zu vertreiben, nehme ich morgens Schwarzkümmelöl auf nüchternen Magen. Mama sagt, dass vertreibt alles Schwarze in mir. So wie man ein von bösen Geistern befallenes Haus ausräuchert. Eine Metaanalyse meines Körpers stellt zumindest ein Placebo des morgendlichen Rituals fest und das genügt mir.

Konträr zu mir kennst du keine Gewitterwolken und darüber bin ich froh. Niemals sollten sie vor deine Sonne treiben.  Lieber würde ich alle existierenden Gewittergestalten auf mich nehmen. Mein chaotisches Blumental verträgt das Wasser besser und nach dem Regen kommt doch immer die Sonne hervor. Dann liegen Blütenblätter Kopf an Kopf nebeneinander, neue Farbpartikel bilden sich in den zarten Pflanzenarten und neues Leben kann sprießen. Als ich das letzte Mal im Wald spazieren war, hat der Wind mir zugeflüstert: „Auch wenn es abends kalt und dunkel ist, so geht die Sonne doch jeden Morgen in warmen Farbtönen wieder auf!“

Ich glaube ihm das. Du nicht auch?


Shaanthi

Ich bin eine Ernährungswissenschaftsstudentin, die in ihrer Freizeit beim Yoga tief durchatmet, beim Zumba die Hüften schwingt und den Kopf die meiste Zeit in den Wolken hat. Gefühle konserviere ich am liebsten in lyrischen Liebesbriefen oder Prosa Tagebucheinträgen.

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