Wessen Zukunftszentrum?

Ein Kommentar zum Vortrag Michael Martens an der Burg Giebichenstein

2030 soll es stehen, 2026 ist Baubeginn: Das Zukunftszentrum – an diesem öffentlichen Arbeits-, Forschungs- und Kulturort soll eine Perspektive für „Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ gestaltet werden. Das Ganze mit gesamtdeutscher Beteiligung und Wirkung. Große Pläne, über deren Umsetzung und Akzeptanz gerade viel gestritten wird. So auch beim letzten Vortrag von Michael Marten, Leiter des Teams für die Gründung des Zukunftszentrums im Bundeskanzleramt, an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.

Eine richtige Idee, was im Zukunftszentrum am Ende stattfinden soll, scheint es noch nicht zu geben. Neben vielen interpretationsoffenen Begriffen, werden an diesem Abend vor allem vage Konzepte präsentiert. Eine inhaltlich festgelegte Dimension gibt es allerdings: 1.000.000 Besucher*innen jährlich soll das Zukunftszentrum nach Halle locken. Die wirtschaftlichen Eckdaten stehen, die inhaltlichen bleiben offen. Vielleicht wird das Zukunftszentrum gerade deshalb zu einer Projektionsfläche für diverse Probleme, die die Hallenser*innen zur Zeit umtreiben. Ein Projekt, dass so viel verspricht – immerhin die Überwindung der Wendeungerechtigkeit und die ökologische Gesellschaftstransformation in einem – und gleichzeitig so viel Interpretationsspielraum in seiner Umsetzung zulässt, kann schnell als Problemlöser und -verursacher für alles Mögliche herhalten. Gerade deshalb täte der Idee etwas Konkretisierung gut. Vielleicht würde dann aber auch offensichtlich, dass das Planungsteam noch keine Idee hat, wie betroffene gesellschaftliche Gruppen in die Projekte des Zukunftszentrums integriert werden sollen. Fällt die „Prozessoffenheit“, die Marten immer wieder betont dem Zentrum am Ende auf die Füße?

Nicht ganz klar scheint auch, welche Transformation hier von wem für wen angestoßen werden soll. Es ist ein viel betontes Anliegen, die im Prozess der Wiedervereinigung sowie bei der ökologischen Transformation vernachlässigten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen mit ins Boot zu holen. Aber wie ernstgenommen können die sich fühlen, wenn im neuen Zukunftszentrum akademisch geforscht und gutbürgerlich Kunst begutachtet wird? Ihre Wünsche nach einem Sportplatz oder der Aufarbeitung von lokalen Giftmüllverbrechen im Rahmen der Wende im Planungsprozess zwar wahrgenommen, aber weggelächelt werden? Wenn das Zukunftszentrum auf breite Akzeptanz fußen und mit Bürger*innenbeteiligung gestaltet werden soll, dann müssen diese Fragen besser jetzt als gleich geklärt werden.

Betont wird dabei die Erkenntnis, dass Transformation nur in der Alltagswelt stattfinden kann – sie muss für die Menschen erlebbar und gestaltbar sein, damit sie akzeptiert und mitgetragen wird. Wie viele Bürger*innen es letzten Endes tatsächlich an den Riebeckplatz zieht, wer dort das Café und die Ausstellung besucht und welche Teile der Bevölkerung hier tatsächlich am Prozess der Transformation teilhaben werden, bleibt allerdings abzuwarten. Die starke soziale Segregation in Halle erschwert dabei die Teilhabe eben der Bevölkerungsgruppen, die sowieso schon strukturell von der Gestaltung transformatorischer Prozesse ausgeschlossen sind. Das Zukunftszentrum läuft somit Gefahr, die Ungleichverteilung von Gestaltungsmacht zu reproduzieren. Das würde auch der gesellschaftlichen Akzeptanz für die dort verhandelten, wichtigen Themen schaden. Marten betont in diesem Zusammenhang die Dezentralität. Das Zukunftszentrum dürfe nicht nur am Riebeckplatz und nicht nur von dort aus wirken, sondern müsse dezentral organisiert und aktiv sein. Aber auch hier bleibt es unkonkret. Wie sich diese womöglich richtige Analyse am Ende in die Tat umsetzt, bleibt abzuwarten.

Fragen wie: „Wie viel Vergangenheit verträgt die Zukunft?“ oder „Wie viel Demokratie verträgt der Planungsprozess?“ kommen während des Vortrages immer wieder auf. Erinnerungskultur als eine Art „Feststecken in der Vergangenheit“ abzuwerten, erscheint mir nicht nur gefährlich, sondern auch falsch. Marten betont, dass sich Akzeptanz und Anerkennung über Selbstwirksamkeit und Mitgestaltung formen sollen. Er erachte es als gefährlich, Leerstellen in der Geschichte nachträglich mit Identitätsdebatten aufzuladen. Und ja, sicherlich gibt es ein Narrativ der „Ostalgie“, welches von der Neuen Rechten missbraucht wird, um gegen die gesamtdeutsche Demokratie und „politische Eliten“ zu mobilisieren. Martens Schlussfolgerung erscheint mir allerdings als Trugschluss: Für Menschen, die die Wende erlebt haben, ist dies keine historische Leerstelle, sondern biografische Realität. Und diese Realität mit ihren Auswirkungen bis heute anzuerkennen und eben nicht als „Leerstelle“ abzutun, scheint mir zentral zu sein für das Ziel „Deutscher Einheit“. Es geht also sehr wohl darum, diese Leerstelle zu füllen – nur eben mit einer ehrlichen Auseinandersetzung, Schuldeingeständnissen und Reparationen und nicht mit nationalistischen Identitätsdebatten. Diese Anerkennung setzt den Kurs für die angestrebte Transformation. Zumindest wenn das Thema Transformation mit einer Aufarbeitung der Wendeerfahrung einhergehen soll. Von diesem Anspruch scheint allerdings das Planungsteam selbst noch nicht ganz überzeugt zu sein.


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