„Von einem Opfer zum Symbol für einen Kampf“

20 Jahre ohne Aufklärung - Teil 4

Vor zweieinhalb Jahren wurde in Dortmund der junge Geflüchtete Mouhamed Lamine Dramé von der Polizei erschossen. Radio Corax sprach am 7. Januar auf der jährlichen Gedenkdemonstration an Oury Jalloh mit der „Initiative Justice for Mouhamed“.

Dieses Interview war Teil einer Sondersendung zum 20. Todestag von Oury Jalloh bei Radio Corax und wurde für die Verschriftlichung redaktionell bearbeitet (Hier lässt sich der originale Beitrag nachhören).  

Radio Corax: Wir stehen jetzt hier mit euch beiden von der Initiative Justice for Mouhamed. Als Einstiegsfrage, warum seid ihr heute hier? 

Initiative 1: Wir sind heute aus Dortmund hierher gekommen, weil vor zweieinhalb Jahren in Dortmund der junge Geflüchtete Mouhamed Lamine Dramé von der Polizei ermordet wurde. Und wir haben jetzt ein Jahr Gerichtsprozess in Dortmund hinter uns. Nicht nur sind wir unglaublich dankbar dafür, dass wir die Arbeit der Initiative in Dessau schon vor uns hatten, es ist auch ein sehr, sehr krasser und empowernder Moment, immer anderen Initiativen und anderen Angehörigenfamilien zu begegnen. Für Sidy und Lassana die heute mit uns hier sind, zwei der Brüder von Mouhamed war es auf jeden Fall ein krasser Moment, Familie und Freund*innen von Oury kennenzulernen und auch viele der anderen Familien.

Das sind vielleicht die Hauptgründe dafür, warum es für uns so wichtig ist, auch hier zu sein. 

Initiative 2: Es ist uns vor allem total wichtig, darauf hinzuweisen, dass es ein strukturelles Problem ist. Das ist nicht dieser eine Polizist, diese eine Polizistin, sondern es ist die Institution Polizei, die komplett verrottet ist.

Und wir denken, dass die Polizei in sehr, sehr vielen Fällen einfach die falsche Ansprechpartnerin ist, beziehungsweise gehen wir eigentlich darüber hinaus, auch was unser Verständnis von Gerechtigkeit angeht. Denn Gerechtigkeit wird nicht vor Gericht erstritten. Das macht der Fall um Oury Jalloh auch sehr deutlich. Die Menschen haben 20 Jahre lang gekämpft ohne Ergebnis vor Gericht. Wir haben jetzt nach einem Jahr vor Gericht gesehen, dass es einfach fürchterlich war, wie mit den Brüdern umgegangen wurde.

Genau deswegen sind wir hier, weil wir Gegenstrukturen schaffen möchten und andere Angebote vorantreiben wollen, die soziale Gerechtigkeit forcieren und nicht eine Ordnung wie sie durch die Polizei hergestellt ist. 

Radio Corax: In einem Redebeitrag ganz am Anfang der Demonstration vom Bruder von Oury Jalloh wurde noch mal deutlich gemacht, dass es für ihn darum geht, dass Oury Jalloh nicht als Opfer dargestellt werden soll, sondern als Mensch, als außergewöhnlicher Mensch.

Wie würdet ihr denn sagen, was ist euch wichtig in der vielleicht auch Erinnerung an Mouhamed Dramé? An wen soll erinnert werden? 

Initiative 1: Ja, erstmal in Bezug auf Oury und seine Familie. Unglaublich stark, dass der Initiative in ihrer jetzt jahrzehntelangen Arbeit das gelungen ist. Als wir anlässlich der Freisprüche der fünf an der Tötung beteiligten Polizeibeamten in Dortmund demonstriert haben, hat eine Genossin beim Protest gesagt: Das ist, was wir machen müssen, das Gesicht der Getöteten von einem Opfer zum Symbol für einen Kampf zu verändern.

Und ich glaube, in Bezug auf Oury Jalloh ist das unglaublich stark geschafft worden. Das ist wirklich der unermüdlichen Arbeit der Angehörigen, der Freund*innen, der Initiative gelungen. In Bezug auf Mouhamed versuchen wir auch nicht nur seinen Namen immer wieder zu nennen, sein Gesicht präsent zu machen, sondern auch seine Geschichte zu erzählen, die nicht nur eine wunderschöne Geschichte eines tollen jungen Menschen ist, sondern auch für die Geschichten von so, so vielen anderen Menschen steht, die nach Europa fliehen müssen. Die die volle Härte des Grenzregimes in Europa abbekommen und die dann ja unter prekären Bedingungen in Deutschland untergebracht und behandelt werden.

Dem entgegen wollen wir ein paar der Geschichten stellen, die wir heute über Mohammed wissen. Der ganze Grund, warum er auf sein Zutun in Dortmund gelandet ist, war weil er ein so großer Fan des BVB war und ein sehr, sehr großer Fußballfan. Schon als er in Deutschland war, aber es noch nicht nach Dortmund geschafft hatte, ist er mehrmals aus seiner Unterbringung in Rheinland-Pfalz ausgebüchst und hat erfolgreich Spiele des BVB besucht. Was ich eine wunderschöne Geschichte finde.
Er wird überhaupt von seiner Familie und auch vielen Menschen, die ihm in Deutschland noch begegnet sind, als hilfsbereiter, unglaublich liebenswerter freundlicher Mensch beschrieben. Ein kleiner Erfolg, wenn auch nichts, angesichts der tatsächlichen Urteile vor Gericht, war, dass das Gericht endlich anerkannt hat, dass Mouhamed nicht angegriffen hat.
Es war einfach eine Lüge der Polizei, die dann vom NRW-Innenministerium gestützt wurde. Das war für die Familie und auch für uns so, so wichtig. Denn wir haben das ja von Anfang an gewusst, dass das so ein typisches Polizeinarrativ ist, um eine vermeintliche Notwehrsituation erklären zu können. Immerhin das hat uns dieses eine Jahr Gerichtsprozess gebracht und war auch so wichtig, um eben das Bild, das Mohameds Familie von ihm gehabt hat, nochmal in die Welt zu bringen. 

Initiative 2: Du hast gerade schon das Narrativ erwähnt und es ist häufig so, dass das Narrativ leider auch durch die Polizei bzw. durch die staatlichen Institutionen gesetzt wird und es ganz häufig auch so aussieht, dass Polizisten von aggressiven Angreifern sprechen, von Messertätern etc.
Das sind rassistische, ekelhafte Narrative, die dekonstruiert werden müssen. Die müssen auch dekonstruiert werden, indem man sagt, guck mal, da ist ein Mensch.

Dieser Mensch war ein sehr liebevoller Mensch. Dieser Mensch hat sehr viel Liebe für seine Familie gehabt, hat sehr viel Leidenschaft gehabt für sehr viele Dinge. Und ich finde, dass es besonders krass ist, gerade in den jetzigen Zeiten, wenn man diese Narrative einfach so stehen lässt die die Polizei da setzt, weil die spielen rechten Parteien wie der AfD in die Hände. Die wirken sich auf die gesamtgesellschaftliche Stimmung aus, deswegen gilt es in jedem Fall immer hinzuschauen und kritisch zu hinterfragen. Wenn es irgendwelche Pressemeldungen der Polizei gibt, wenn die mal wieder jemanden erschossen haben, wenn mal jemand durch den Taser getötet wurde, ob diese Person wirklich die Polizei angegriffen hat oder ob die Polizei, wie im Fall von Mouhamed, eine Notfallsituation konstruiert hat, die in dem Fall gar nicht so gewesen ist? Damit wird halt einfach nur weiter das gesellschaftliche Klima vergiftet.

Radio Corax: Ja vielen Dank. Habt ihr noch was hinzuzufügen, was ihr gerne noch sagen wollt? 

Initiative 2: Justice for Oury Justice for Mouhamed, Justice für alle von der Polizei Getöteten und alle, die Polizeigewalt erfahren. Wir stehen zusammen. No justice, no peace. 


Foto: Dani Luiz

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