Vom Gegenstand der Kritik

Zur Debatte um das Zukunftszentrum

Auch in der politischen Linken wird jetzt über das Zukunftszentrum diskutiert. Dabei wird zu wenig über das Zukunftszenturm an sich gesagt. Das entspricht dem Projekt, dass möglichst blumig verkauft und offen gehalten wird. Aber zu kritisieren gibt es eigentlich genug – und das ist umso notwendiger.

Im Transit-Magazin sind drei Artikel zum Zukunftszentrum erschienen, die aber fast nichts über das Zukunftszentrum an sich sagen. Das könnte man als Erfolg derjenigen verkaufen, die sich das ausgedacht und über (fast) alle politischen Lager hinweg dafür Zustimmung und Begeisterung eingeheimst haben. Je ungefährer ein Projekt gehalten wird, desto weniger Menschen können sich eben beschweren oder am Ende gar das Mitmachen verweigern. So war es möglich, für Halle Image-Botschafter*innen zu gewinnen, in Ruhe zu planen und bereits jetzt Entscheidungen zu treffen, die mit einem konkreten Inhalt deutlich schwieriger durchzusetzen wären. 

Das betrifft im Übrigen nicht nur “linke Kritik”: Nehmen wir allein die Verkehrsführung. Die soll am Riebeckplatz zukünftig ganz anders geregelt werden, sodass die Autos nicht mehr über das Rondell rauschen dürfen. Im “Normalfall” hätten die Auto-Begeisterten jedes Planungsbüro gestürmt, in dem Fall blieb es bei schwachen Protestnoten. Das Zukunftszentrum zieht also, weil niemand weiß, wofür es stehen soll.

Das findet sich auch in den drei Artikel, nur eben mit linker Kritik. Der erste Artikel aus dem Jahr 2023 weist auf die Heuchelei hin, die darin besteht, dass Halle sich ein Monument der Einheit direkt neben die enorme soziale Spaltung setzt. Das wird als zynisch, als nutzlos und als potentiell problematisch verstanden. Gleichzeitig wird sich darüber amüsiert, dass Halle meint, nun ganz nach oben zu kommen. So weit, so zustimmungswürdig. Gesagt über das Zukunftszentrum selbst wird nichts, aber das war damals auch schwierig, schließlich gab es nur den Ausschreibungstext.

Im Kommentar “Wessen Zukunftszentrum?” wird es konkreter, denn es geht um eine Veranstaltung zum Zentrum. Die hat aber selbst nur etwas zum Zweck verraten, was aber schon bekannt war: Es soll um die Gesellschaft, den Zusammenhalt und, na ja, die Zukunft gehen. Der Kommentar befürchtet und kritisiert berechtigterweise, dass der Zweck nicht erreicht werden kann, wenn – so wie im ersten Kommentar – die kritisierte soziale Ungleichheit, Machtstrukturen und insbesondere Wendeungerechtigkeiten dabei nicht angerührt und erst Recht nicht thematisiert werden. Das ist inhaltliche Kritik, aber sie bezieht sich nicht auf den Inhalt des Zukunftszentrums, sondern warnt vielmehr vor möglichen schlechten Inhalten beziehungsweise vor dem Verzicht auf notwendig zu diskutierende Themen.

Daraufhin gab es im Transit-Magazin eine Reaktion, die in dieser lokaljournalistischen Arbeit ein “Elend linker Kritik” zu erblicken glaubte. Wenn man das Zukunftszentrum derart für die fehlende Integration von zum Beispiel Ostdeutschen kritisiere, dann mache man schon einen Verbesserungsvorschlag für ein Projekt, was man eigentlich akzeptiert habe. Und dieses Projekt sei eben nationalstaatliche Propaganda, weshalb die “linken Kritiker*innen” damit auch den kapitalistischen Staat und die Eingemeindung seiner Bürger*innen in eine Erinnerungsgemeinschaft affirmieren würden. Diese Gemeinschaft würde durch die Erinnerungskultur hergestellt, dank der das Staatsvolk außenpolitische Entscheidungen mittragen würde. Damit bliebe den Linken nur, Appelle an die Herrschaft zu richten und ein wenig Zuckerguss über das Elend zu streuen.

Der letzte Kommentar illustriert am Besten die große Stärke des Zukunftszentrums, denn das, was dort kritisiert wird, ließe sich auch gegen jede andere Form linker Politik und jede andere Form staatlicher Einrichtung einwenden. Es handelt sich dabei um Meta-Kritik, die man ohne einen Satz zu ändern auch gegen Studiengänge (Jura: Verwaltung kapitalistischen Elends / BWL: Management kapitalistischen Elends / PoWi: Rechtfertigung des Staates / Geschichte: weiter zurückreichende Rechtfertigung des Staates, Chemie: Auftragsarbeit für Bayer), gegen Kitas (Kinder lernen sprechen und dann geht es in die Produktion), gegen Krankenhäuser (mit gebrochener Schulter lässt es sich schlecht arbeiten), gegen jedes Museum (die Schamanin aus Bad Dürrenberg als “unsere Vorfahrin”) und gegen jede Klimapolitik (aha, grüner Kapitalismus) formulieren könnte. Echte Linke im Sinne des Kommentars sollten sich also lieber keine Meinung zu Hochschulkürzungen, Streiks im öffentlichen Dienst oder der Frage erlauben, ob die HWG die Miete erhöhen sollte oder lieber nicht.

Das wird allerdings von fast keiner linken Gruppe gemacht, weil die Herrschaft einerseits unfassbar fest im Sattel sitzt, andererseits aber auch kommunistische Politik in der Vergangenheit nie außerhalb der real vorliegenden Themen der bürgerlichen Politik gemacht wurde und das gar nicht denkbar ist. Denn die Kritik an einem kapitalistischen Staat, der den Menschen wohl nichts Gutes will, geht nie ganz in der Abstraktion auf. Rein abstrakte Kritik braucht keine Reflexion über vermeintlich “deutsche Besonderheiten” und ob ein kapitalistischer Staat jetzt Waffen liefert und wie man das findet, sondern hat ja schon festgestellt, dass das, was der Staat macht, nicht gut sein kann. Wer unbedingt vermeiden will, an die Herrschaft zu “appellieren”, also konkrete Forderungen an Regierende zu formulieren, kann nicht wirklich sinnvoll eine Meinung zu der Frage haben, ob das Zukunftszentrum oder die deutsche Erinnerungskultur jetzt besonders schlecht oder gut seien.

Vielmehr wird die Haltung abstrakter Kritik allzu häufig eingenommen, um eine maximale Distanz auszudrücken. In dem Kommentar heißt es dann, dass die Linken leider nicht verstanden hätten, was moderne Nationalstaaten und der Kapitalismus so trieben, was offensichtlich Werbung für die eigenen Positionen in außenpolitischen Fragen machen soll. Leider kann man darüber hinaus nicht wirklich etwas darüber lernen, was denn konkret der kapitalistische Nationalstaat mit dem Zukunftszentrum treibt. Wir haben zwar gelernt, dass er das nutzen will, um seine Politik, die Wende, die Außenpolitik und die allgemeine Ausbeutung zu rechtfertigen, aber eben nicht, wozu er dann ein neues Gebäude braucht. Schließlich scheint doch das Meiste, was derzeit passiert, ziemlich gut gerechtfertigt. Vielmehr bereitet die Politik doch derzeit eine Verschlechterung der Verhältnisse ganz offen vor, hat sogar noch Schlimmeres im Wahlkampf versprochen – ganz ohne Erinnerungskultur und historische Vorbehalte soll das Asylrecht endgültig weg, der Entzug der Staatsbürgerschaft wird gefordert und ein längeres Renteneintrittsalter wird diskutiert. Bürgergeld soll natürlich noch menschenverachtender werden. Waffen werden auch so geliefert, zum Beispiel an das autoritäre türkische Regime, und auch das wird ganz ohne Erinnerungsgemeinschaft geregelt. Die beklagte Politik findet bereits jetzt statt und es müsste darum gehen, die Kritik an dieser zu begründen, gegensätzliche Positionen zu beziehen und dabei festzuhalten, dass es dazu die Überwindung des Kapitalismus braucht.

Die Beschäftigung mit dem Zukunftszentrum, wie sie in den beiden ersten Artikel passiert ist, wäre also Ausgangspunkt linker Kritik und nicht “ihr Elend”, wie es in dem letzten Kommentar heißt. Denn der Gegenstand der Kritik kann nicht der Kapitalismus im praktisch luftleeren Raum sein, sondern braucht eben überhaupt einen Ausgangspunkt, um nicht vollkommen tautologisch zu werden. Dafür ist eine kapitalismuskritische Perspektive auf das Zukunftszentrum notwendig, in der es aber auch um das Zukunftszentrum geht. Dabei müsste man sich zum ersten ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wozu der Staat das Zukunftszentrum braucht. Geht es einfach nur um die Verklärung der Wende und um das nationale Narrativ, war am Ende des Jahres Geld übrig, ist es Wirtschaftsförderung durch die Hintertür, sollen tatsächlich irgendwann alle Schulklassen einmal durch Halle geschleust werden, warum macht man es jetzt? Zum zweiten muss es um die Frage gehen, was im Zukunftszentrum, welches wohl trotz linker Kritik gebaut werden wird, tatsächlich passiert. Inzwischen wurden Stellen vergeben, gibt es den Gestaltungswettbewerb und zahlreiche Veranstaltungen, bei denen zwar wenig erzählt wird, aber sicherlich einiges abgeleitet werden kann. Zum dritten muss es um das gehen, was jetzt schon als negative Entwicklung des Zukunftszentrums abzusehen ist.

Denn für eine linke Fundamentalkritik, die sich am Gegenstand orientiert, gibt es schon seit dem Beschluss zur Bewerbung Halles mehr als genug Gründe. Schon im Transit-Artikel von 2023 wird erwähnt, dass die westdeutsche Papenburg AG mit einem Grundstückstausch beteiligt sein wird. Inzwischen ist klar, dass ein 5-Sterne-Hotel am Riebeckplatz entstehen soll. Papenburg baut parallel am ehemaligen Kapellenberg gegen den Widerstand von Anwohner*innen ein weiteres Hotel, denn man muss sich ja vorbereiten. Parallel dazu gibt es von zahlreichen Fraktionen den Wunsch, den Leipziger Boulevard aufzuwerten, also teurer zu machen. Sollte das Zukunftszentrum wirklich einmal Tourist*innen anziehen, dann war es das für günstige Geschäfte und mit der noch ganz knapp bezahlbaren Miete für die Anwohner*innen wohl auch. Schon jetzt hat die HWG am Riebeckplatz Senior*innenwohnungen gebaut, deren Quadratmeterpreise die ortsübliche Miete explodieren lassen. Das vordringlichste Thema für die Menschen in dem Quartier wird also nicht die Frage sein, ob die “deutsche Einheit” da nicht irgendwann beschönigt wird, sondern wie sich die politische Linke zur Frage der Aufwertung verhält.

Hier wird die inhaltliche Trennungslinie zwischen denjenigen, die Aufwertung richtigerweise als Methode der Verdrängung, Verwertung und Verschlechterung der Lebensverhältnisse definieren, und denjenigen, die für sich in Anspruch nehmen, die “Gesamtstadt Halle” zu vertreten und ihre Entwicklungsmöglichkeiten auszuschöpfen, verlaufen. Die politische Linke müsste die Interessen derjenigen vertreten, die bei einer Aufwertung von oben notwendigerweise abgewertet werden – und zwar bevor am Ende wirklich Tourist*innen auf dem Marktplatz stehen sollten und noch mehr Leute ausziehen mussten. Und es wird schon schwer genug, überhaupt diese Position hörbar zu formulieren. Zwar bringen Faschist*innen dem Zentrum auch einiges an Feindschaft entgegen, aber diese jammern im Wesentlichen darüber, dass die “Ostgebiete” noch nicht zurückerobert wurden oder dort zivilgesellschaftliche Positionen vertreten werden könnten. Sie sind also ohnehin disqualifiziert, aber disqualifizieren sich auch noch selbst. Damit läuft es am Ende auf vier kritische Transit-Texte, einen Text vom SDS und vielleicht ein paar bundesweite Kritiken hinaus. Das ist zur Debatte rund um einen 200-Millionen-Euro-Klotz etwas dünn, aber der steht ja auch noch nicht. Zeit haben wir also durchaus noch.

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