Vergessene Revolten

Die Frauen in der Novemberrevolution

von | veröffentlicht am 22.01 2020

Beitragsbild: Bundesarchiv | CC BY-SA 3.0 DE

Frauen protestierten in Massen gegen den Ersten Weltkrieg und das deutsche Kaiserreich. Ihre Streiks, Demonstrationen und Aufstände waren für die Novemberrevolution wesentlich. Doch während der Auseinandersetzungen um die Richtung der Revolution 1918 tauchten Frauen in dieser Masse nicht mehr auf.




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Die Geschichte der protestierenden Frauen ist zumeist nur indirekt überliefert in Polizeidokumenten, Berichten, Briefen und Statistiken. Das Bild ist verzerrt und unvollständig. Ein besonderes Problem der Fragmente stellt die Anonymität der agierenden Frauen dar. Auch wenn sie sich in vielen Fällen nicht persönlich identifizieren lassen, konnte die Historikerin Ute Daniel durch Polizei- und Militärberichte die protestierenden Frauen soziologisch umkreisen. Am größten war das Protestpotenzial bei arbeitenden Frauen in den Städten, die häufig ungebildet und zumeist politisch unorganisiert waren.

Für arbeitende Frauen stellte der Krieg eine Verschärfung ihrer Belastungen dar. Durch Ausnahmen in den Arbeitsschutzbestimmungen kamen die Arbeitsbedingungen einem Rückfall ins 19. Jahrhundert gleich. Das galt besonders für die Schwerindustrie, in der wegen der Abwesenheit der Männer immer mehr Frauen arbeiteten. Entgegen der verbreiteten Annahme, der Erste Weltkrieg hätte zu einer Emanzipation der Frauen wegen ihres Eintritts in Lohnarbeitsverhältnisse geführt, zeigte Ute Daniel, dass die Zahl der lohnarbeitenden Frauen nicht stieg, sondern sich von anderen Bereichen, wie Hausanstellung, Landarbeit oder Textilindustrie zur Schwerindustrie verschob. Ein emanzipatorisches Potenzial lag in der Rolle, die Frauen in den Familien einnahmen. Sie verfügten über die Familieneinkommen, was die Form der patriarchalen Kleinfamilie ins Schwanken brachte.

Allerdings war diese Rolle mit der kaum lösbaren Aufgabe der familiären Versorgung unter Kriegsbedingungen verbunden. Am größten war das Protestpotenzial bei den Frauen, die am stärksten auf die kollabierenden Märkte angewiesen waren. In den Städten stieg die Wohnungsnot, Nahrungsmittel waren immer schlechter verfügbar. Der Unmut über den Krieg und die Ablehnung der Verhältnisse drückten sich in zahlreichen Ausschreitungen, Demonstrationen und Streiks zwischen 1915 und 1918 aus, die hauptsächlich von Frauen getragen wurden. Ihre Proteste, besonders die sogenannten Hungerkrawalle, werden in der Literatur auch als unpolitische „Frauenrevolten“ bezeichnet. Selten werden sie als Teil des Ensembles der Novemberrevolution gesehen, obwohl sich in allen Protestformen mehr als Hunger ausdrückte.

Bei vielen Hungerkrawallen haben politische Entscheidungen der Verteilung wohl mehr Empörung provoziert, als die Knappheit der Nahrungsmittel selbst. Nach dem Hindenburgprogramm 1916 wurden Nahrungsmittel primär an sogenannte Fabrikküchen geliefert, um die Waffenproduktion zu steigern. Den Arbeiter*innen mussten diese Maßnahmen vor Augen führen, dass der einzige Wert, der in ihnen gesehen wurde, ihre Arbeitskraft war. Wut lösten aber auch andere Aspekte der Kriegsgesellschaft aus. Bei vielen Krawallen kam es zu Zusammenschlüssen zwischen Frauen, oftmals schlecht behandelten Invaliden und kriegsunwilligen Soldaten. Tumulte gab es aber auch wegen der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Als in Ingolstadt im Winter 1917/18 die Sonntagsarbeit eingeführt wurde, folgten stundenlange Ausschreitungen von Arbeiterinnen, da sich die Versorgung ihrer Kinder mit den Arbeitszeiten nicht vereinbaren ließ.

Es gab auch zahlreiche Streiks für eine Verkürzung der Arbeitszeit. Fast 2.100 Wäscherinnen in den oberschlesischen Erzgruben streikten vom 1. Juli bis zum 7. September 1918 gegen den dort elfstündigen Arbeitstag. Auch für eine Erhöhung der Löhne, die niedriger als die der Männer waren, wurde gestreikt. Diese Arten von Streiks werden meist als ökonomische den politischen Streiks gegenüber gestellt. Dabei kann der Blick dafür verloren gehen, dass sie sich nicht nur gegen die schlechten Arbeitsbedingungen richteten, sondern auch aus der Doppelbelastung der Frauen resultierten, die als Lohnarbeiterinnen zugleich auch Versorgungsarbeit leisteten.

Es gab aber auch eine rege Beteiligung von Frauen an explizit politischen Streiks, besonders während der Streikwelle im Januar 1918, die unter anderem in Solidarität mit den Friedensbestrebungen der russischen Revolutionär*innen stattfand. Nach einem Bericht von Cläre Derfert-Casper sollen in Berlin hauptsächlich Frauen gestreikt haben. Sie gehörte als Vertreterin der Metallarbeiterinnen dem elfköpfigen Aktionsausschuss des Arbeiterrates Groß-Berlin an. In Hannover sollen mehr Frauen als Männer in der Streikleitung gewesen sein. Für andere Orte gibt es ähnliche Berichte. Das von den Berliner Arbeiterräten beschlossene Streikprogramm umfasste auch die Forderung nach der Einführung des Wahlrechts für Frauen. Für Dresden, Kassel, Mannheim und Nürnberg ist die Frauenwahlrechtsforderung ebenfalls als Teil des Streikprogramms nachgewiesen.

Allerdings scheint es eine Kluft zwischen den Frauen der organisierten Linken/Arbeiter*innenbewegung und den massenhaft auftretenden revoltierenden Frauen gegeben zu haben. So formulierte die Kommunistin Martha Arendsee, dass der Anteil der Frauen an den Streiks und Kämpfen “stets ein mehr gefühlsmäßiger als ein Ausfluß einer sozialistischen Weltanschauung mit bewußt gewolltem Endziel” sei. Die Beteiligung vieler Organisationen der Arbeiter*innenschaft wie den Gewerkschaften am Burgfrieden, keine gesellschaftlichen Konflikte während des Ersten Weltkrieges zu führen, ließ nicht viele Bündnismöglichkeiten für die protestierenden Frauen übrig. Allerdings schien der Kontakt zur radikalen Linken ebenfalls beschränkt. Das mag an den schwierigen Organisationsbedingungen während des Krieges gelegen haben. Jedoch zeigten sich in den Protesten Konflikte, die in der spezifischen Rolle von Frauen als Versorgerinnen angelegt waren und für die es auch bei der Gruppe der Kriegsgegner*innen nur begrenzt Verständnis zu geben schien.

Als die Revolution im November 1918 ins Rollen kam, tauchten Frauen nicht mehr in demselben Maße bei den Richtungskämpfen der Revolution auf. Gleichzeitig konsolidierten sich mit der Rückkehr der Männer aus dem Krieg erneut patriarchale Strukturen. So war Cläre Derfert-Casper nicht mehr Mitglied des Aktionsausschusses, sondern Bürogehilfin des Vollzugsrates Berlin. Den meisten Frauen blieb der Zugang zu den Räten versperrt, da das Wahlrecht meist nur Personen erhielten, „die produktive, gesellschaftlich nützliche Arbeit leisteten“. Gleichzeitig wurden Frauen nach Ende des Kriegs von den „produktiven“ Industriearbeitsplätzen wieder in ihre vorherigen Beschäftigungsverhältnisse, die als „unproduktiv“ galten, abgedrängt. Neben der Initiative der Gewerkschaften gab es von Männern zahlreiche Demonstrationen, Eingaben und sogar Streiks gegen die Arbeit von Frauen. In der Zeche Victoria-Mathias im Ruhrgebiet gehörte zu den Streikforderungen vom 11. Januar 1919 die sofortige Entlassung der Arbeiterinnen. Anstelle des gemeinsamen Aufbaus einer Republik wurde die patriarchale Familienstruktur wieder eingesetzt.

Dabei haben Frauen durchaus versucht, sich Strukturen der politischen Organisation zu erkämpfen. In Jena gab es ab November 1918 einen Hausfrauenrat, der mindestens zwei Jahre lang aktiv war. Leider blieb dies eine Ausnahme. Toni Sender forderte in einer Rede, in der sie die Wahlrechtsbeschränkungen in den Räten als Ausschlusskriterium für Frauen identifizierte, die Tätigkeiten der Versorgung als produktive Arbeit anzuerkennen. Ihr Vorschlag fand keine breite Umsetzung, dafür einen Nachhall bis in die heutige Zeit. Damals wie heute hätte dies gesellschaftliche Konflikte sichtbar gemacht, die auf der unsichtbaren Ausbeutung von Frauen als Versorgerinnen beruhen.


Quellen:

Alasti, Dania (2018): Frauen der Novemberrevolution. Kontinuitäten des Vergessens. Münster: Unrast Verlag.

Daniel, Ute (1989): Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft: Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht.

Dania Alasti: Doktorandin an der Freien Universität Berlin zum Thema »Gewalt und Frieden«, Autorin von »Frauen der Novemberrevolution. Kontinuitäten des Vergessens« 2018 Unrast Verlag, und »Der Wille zum Nein. Wie die deutsche Rechtsprechung Betroffenen sexueller Gewalt den selbstbestimmten Subjektstatus verweigert hat« in »Wege zum Nein« Edition Assemblage 2016.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

Der Beitrag erschien erstmalig in der Radio Corax Programmzeitung Ausgabe Dezember 2019/ Januar 2020.