Tiere sind keine Ware!
Demonstration gegen Tönnies in Weißenfels
von Hauke Heidenreich | veröffentlicht am 04.11 2022
Beitragsbild: Transit
Seit Anfang der 90er betreibt der Fleischproduzent Tönnies die massenhafte Produktion von Schweinefleisch in Weißenfels. Um auf die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und den grausamen Schlachtbetrieb aufmerksam zu machen, organisierte die Gruppe „Animal Rights Watch“ am 29. Oktober eine Demonstration in Weißenfels.
Bereits im Jahr 1990 hatte das Unternehmen Tönnies den seit dem 19. Jahrhundert in Weißenfels bestehenden Schlachthof durch die Treuhand übernommen und in kurzer Zeit zu einem Massenbetrieb ausgebaut. Bei Vollauslastung wurden vor der Corona-Pandemie in Weißenfels pro Tag bis zu 20.000 Schweine geschlachtet und zerlegt. Die Arbeits- und Unterbringungsbedingungen der Belegschaft sind, trotz des Anfang 2021 erlassenen Arbeitsschutzkontrollgesetzes, nach wie vor unterirdisch. Am 7. Oktober fand zu diesem Thema die Präsentation eines Buches über das „System Tönnies“ in Weißenfels statt. Näheres darüber ist in unserem Bericht nachzulesen.
Kapitalismus und Ausbeutung gemeinsam überwinden
Um noch einmal nachdrücklich auf die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und die brutalen Schlachtungen aufmerksam zu machen, hatte das Bündnis „Animal Rights Watch“ am 29. Oktober eine Demonstration organisiert. Diese führte vom Bahnhof ausgehend quer durch die Stadt über den Marktplatz zum Sitz der Firma Tönnies in Weißenfels. Unterstützt wurde das Bündnis von verschiedenen Tierrechtsaktivist*innen aus Jena, Leipzig und Dresden sowie vom halleschen Syndikat der Freien Arbeiter*innen-Union (FAU). Bereits bei der Auftaktkundgebung am Bahnhof machten die Veranstaltenden klar, dass eine Reform des Schlachtereisystems unmöglich sei und daher letztlich nur die Schließung aller Betriebe infrage komme. Die Ausbeutung der Arbeitenden und der Tiere müsse beendet werden. Auch ökologisch sei die Massenproduktion von Fleisch ein Desaster. Die CO2-Emissionen der Fleischindustrie machen einen großen Anteil an den globalen Emissionen aus und sind somit stark mitverantwortlich für die immer weiter eskalierende Klimakrise. Der Kapitalismus reduziere zudem die Arbeitskraft von Menschen auf den Status einer Ware, die man beliebig ausbeuten und auf dem Markt verkaufen könne. Die Tiere in den Betrieben seien dabei nichts anderes als Fleischlieferanten. Reformen seien daher genauso aussichtslos wie eine Umstellung des Konsums. Das System müsse als Ganzes überwunden, die Eigentumsverhältnisse neu geordnet werden. Ein bedürfnisorientiertes Versorgungssystem sei machbar, die Vergesellschaftung der Unternehmen und der Ausstieg aus der Tierindustrie machten den Weg frei für ein wahrhaft bedürfnisorientiertes Wirtschaften und eine umfassende nachhaltige Ernährungswende. Dazu sei auch eine Bodenreform notwendig, die das Land auf kleinere Agrarbetriebe aufteile und die Massenproduktion zugunsten eines solidarischen Systems der Landwirtschaft beende.
Nach einem kurzen Grußwort der stellvertretenden Vorsitzenden der Kreisgruppe Burgenlandkreis des Bundes Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Diana Harnisch, setzte sich der Demonstrationszug lautstark in Bewegung. Immer wieder waren Sprechchöre wie „No Border! No Nation! Animal Liberation!“, „One struggle, one fight – human freedom, animal rights“ oder „Menschen und Tiere sind kein Kapital!“ zu hören. Die Teilnehmenden der Demo forderten, dass der Kampf für eine befreite Gesellschaft Menschen- und Tierrechte gleichermaßen durchsetzen müsse.
Bei der Zwischenkundgebung am Markt berichtete eine Vertreterin des Bündnisses „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“ von den Kämpfen der Aktivist*innen in Nordrhein-Westfalen und nannte die Blockade einer Molkerei und den Klimastreik in Osnabrück als wichtige Meilensteine des Protestes. Die Zusagen der Fleischindustrie, die Tiere artgerecht zu halten, seien reine Ablenkungsstrategie, die nur der Absicherung des Konsums dienten. Zudem wies die Rednerin darauf hin, dass das Unternehmen Tönnies versucht habe, an der Grenze ukrainische Flüchtlinge zur Arbeit in den Fleischbetrieben anzuwerben, um gezielt Menschen in Not als Arbeitskräfte zu bekommen. Im September hatten Aktivist*innen für mehrere Stunden die Zufahrt zum Tönnies-Betrieb Badbergen blockiert. Es sei klar, dass nur ein Ende der Tierindustrie eine solidarische Agrarwende herbeiführen könne.
Im Beitrag der Gruppe „Animal Liberation Leipzig“ wurden vor allem die Milliardensummen angesprochen, die Tönnies mit dem Schlachtbetrieb in der Vergangenheit verdient habe. Die Warenlogik des Kapitalismus beute nicht nur Menschen und Tiere aus, sondern bedrohe das gesamte Ökosystem. Zur Aufrechterhaltung des Fleischsystems würden bevorzugt Geflüchtete und ausländische Arbeitskräfte angeworben, die unter menschenverachtenden und lebensgefährlichen Umständen schuften müssten. Zudem würden für die Produktion von Tierfutter riesige landwirtschaftliche Flächen vor allem im Globalen Süden benutzt. Während die Menschen in diesen Ländern hungerten, würden wertvolle Anbauflächen im großen Stil der Verwertungslogik der Fleischindustrie überantwortet. Eine Überwindung des Kapitalismus und eine Transformation der gesamten Agrarwirtschaft in ein solidarisches Miteinander seien unumgänglich.
Solidarität!
In ihrem Beitrag schloss sich die FAU Halle der Forderung nach Schließung aller Schlachthöfe an. Alfred von der FAU betonte, dass die Macht zu diesem Schritt letztlich bei den Arbeiter*innen in den Betrieben läge. Die FAU habe sich bereits länger mit Tönnies in Weißenfels befasst. Eine Zeit lang war eine Mitarbeiterin bei Tönnies Mitglied der Gewerkschaft und hatte über die Arbeitsbedingungen vor Ort berichtet. Die Belegschaft in dem Betrieb sei stark fragmentiert, die Angestellten kommen aus verschiedensten Ländern und sprechen unterschiedliche Sprachen. Eine betriebliche Organisation und die Implementierung von solidarischen Basisstrukturen seien dementsprechend schwierig. Hinzu kommen die unterschiedlich gelagerten Arbeitsverträge und die nach wie vor vorhandenen Subunternehmerstrukturen, die dazu führten, dass nicht alle Arbeitenden im Stammbetrieb angestellt sind. Seit Beginn der Corona-Pandemie seien die Angestellten zudem von Kündigungen bedroht. Die Schlachtungen seien um 40 % zurückgegangen und bereits hunderte Arbeiter*innen entlassen worden, die in den meisten Fällen Weißenfels umgehend verlassen haben. Die zurückgegangenen Schlachtzahlen seien zwar erfreulich, doch es stelle sich für die FAU als Gewerkschaft die Frage, was das für die Arbeiter*innen bedeute. Der Kapitalismus unterhalte zahlreiche Branchen, die in einer besseren Gesellschaft keine Menschen oder Tiere mehr benötige: Schlachtbetriebe, Kohlegruben oder Waffenschmieden schadeten Menschen, Tieren und Umwelt mehr, als sie irgendwem nützen. Doch es sei klar, dass viele Menschen sich nicht aussuchen können, für welchen Ausbeuter sie arbeiten. In Weißenfels arbeiteten etwa Menschen aus der Republik Moldau, die teilweise kaum mehr als 50 km von der Landesgrenze zur Ukraine entfernt gelebt hatten und bei Raketenangriffen, etwa auf Odessa, in großer Gefahr schwebten. In Moldau hatten bereits vor dem Krieg die Löhne kaum zum Überleben gereicht, seit Kriegsbeginn seien die Preise noch einmal eklatant gestiegen, weswegen die Menschen gezwungen seien, durch halb Europa zu migrieren, um einen Job zu finden, mit dem sie ihre Familien versorgen können. Es gelte, bekräftigte Alfred, sich für das Ende der Schlachtungen einzusetzen und sich trotzdem auf die Seite der Arbeiter*innen zu stellen, denn sie seien es, die letztlich die Bänder zum Stehen bringen können.
Die Chef*innen können leicht die Arbeitenden gegeneinander ausspielen. Die FAU forderte, um dem zu begegnen, gewerkschaftliche Organisierung, transnationale Solidarität und eine umfassende Verknüpfung der Kämpfe von Arbeiter*innen, Umweltaktivist*innen und Tierbefreier*innen. Tönnies solle zudem das Schlachten beenden, alle Arbeiter*innen behalten und dort, wo es zu wenig Arbeit gebe, alle Angestellten bei vollen Bezügen freistellen. Die Produktion solle unverzüglich auf die Herstellung pflanzlicher Nahrungsmittel aus regionalem Anbau umgestellt werden.
Anschließend setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Ziel war das Unternehmensgelände des Weißenfelser Tönniesbetriebes, wo eine kurze Abschlusskundgebung stattfand. Dort wurde ein vorher aufgezeichneter Text auf Rumänisch abgespielt, um den Arbeitenden bei Tönnies die Solidarität der Demonstrierenden zu zeigen und klarzumachen, dass sich die Proteste nicht gegen die Mitarbeitenden, sondern gegen die Bosse richten. Erneut riefen die beteiligten Gruppen zur Beendigung des Schlachtbetriebes und einer Umstellung der Produktion auf. Eine Tierbefreierin erzählte zudem von ihren Erlebnissen.
Eingerahmt wurde die Demo zudem von Auftritten der Jenaer Rapperin HazeL, die in einem eigenen kurzen Wortbeitrag auch die Forderung nach einer umfassenden Tierethik artikulierte. Eine befreite Gesellschaft habe die Schwachen zu schützen. Tiere müssten als moralische Individuen angesehen werden, Menschen und Natur bildeten eine „Schicksalsgemeinschaft“, so HazeL unter Bezug auf Hans Jonas.
Eine Reform des Kapitalismus würde keine Beendigung der Ausbeutung bringen. Dieser Grundkonsens wurde von allen Teilnehmenden ausdrücklich betont. Soll ein Leben in einer freien Gesellschaft mit einer nachhaltigen und solidarischen Wirtschaftsform möglich gemacht werden, müsse der Kapitalismus überwunden und die Produktions- und Eigentumsverhältnisse neu geordnet werden. Ein zentrales Moment komme dabei der Organisierung der Arbeitenden und der Verknüpfung verschiedener Kämpfe zu. Nur mit breiten politischen Bündnissen könnten Forderungen nach einem Ende der Ausbeutung durchgesetzt werden.
Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.