Streit um „Schiefes Haus“

Bewohner*innen dürfen vorerst bleiben

von | veröffentlicht am 14.04 2021

Beitragsbild: Luca von Ludwig

In der Breiten Straße befindet sich eine von Halles vielleicht ungewöhnlichsten WGs. Doch lange sah es so aus, als ob die Bewohner*innen ihr Haus bald verlassen müssten. Nun haben sie vor Gericht erst einmal Recht bekommen. Eine vorläufige Bestandsaufnahme.




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Auch über den Kreis seiner Bewohner*innen hinweg ist das „Schiefe Haus“ in der Breiten Straße bekannt, denn Küche und Wohnzimmer der WG, die sich hinter den Schaufenstern im Erdgeschoss befinden, beherbergten immer wieder auch Vorträge, Lesungen, Konzerte und ähnliche Veranstaltungen. Doch bis vor Kurzem sah es nicht gut aus für die Wohngemeinschaft: 2018 wechselte das Ge­bäude den Eigentümer. Seitdem kam es zu mehreren Streit­igkeiten zwischen den Mieter*innen und dem neuen Eigentümer*innenpaar. Vor gut einem Jahr wurde den Bewohnen­den dann gekündigt, Be­gründung: Eigen­bedarf. Die Wohn­gemein­schaft hielt dies jedoch für vor­ge­schoben und befand sich seit­dem im Rechtsstreit mit ihren Ver­mieter*innen. Und in der Tat sprach vieles gegen einen tat­säch­lichen Eigenbedarf. Was also war seit dem Eigen­tümer*innenwechsel geschehen?

Den Hausbewohner*innen zufolge kam es nach Bekanntwerden des Verkaufs Ende 2018 zu mehr­eren Treffen mit den Eigentümer*innen, wobei diese ihnen signalisiert hätten, dass an dem be­stehenden Mietverhältnis erst einmal nichts verändert werden solle und das Ehepaar plane, das Haus in fünf bis zehn Jahren als Alterswohnsitz selbst zu nutzen. Schnell jedoch sei die Sprache darauf gekommen, wie sich die Investitionskosten auf die bisher außerordentlich günstige Kalt­miete um­legen ließen. Nachvollziehbarerweise waren die Bewohner*innen nicht begeistert da­von, plötzlich ein Vielfaches an Miete zahlen zu sollen – zumal sich das Gebäude in keinem be­sonders guten Zustand befindet. So fiel bspw. im Frühjahr 2019 die Heizung aus und wurde fast zwei Monate lang nicht repariert, bald darauf kam es zu Problemen mit den Abflussrohren, wodurch Fäkalien in den Innen­hof geschwemmt wurden. Über beide Reparaturen musste sich mit den neuen Besitzern teils vor Gericht gestritten werden. Auch der Spitzname „Schiefes Haus“ kommt nicht von un­gefähr, denn seit geraumer Zeit sinkt das Gebäude einseitig ab. „Für uns ist [die niedrige Miete] gerecht­fertigt dadurch, dass das Haus nicht dem normalen Wohnstandard entspricht, sondern man halt mit vielen kaputten und halb­garen Dingen leben muss. Dazu kommen noch die hohen Neben­kosten, wo­durch man dann doch wieder auf relativ normale WG-Zimmerpreise kommt.“, so Oskar K.*, eine*r der Mieter*innen. Gekündigt worden sei ihnen dann kurz nach dem Streit um die defekte Heizung: Die Eigentümer*innen meldeten Eigenbedarf an; ihre beiden Kinder sollten in das Haus einziehen.

„[Wir denken], dass der neue Eigentümer das Haus ziemlich schnell gekauft hat, dass das eine sehr schnelle Entscheidung war. […] Und das er dann halt erst im Nachhinein gemerkt hat, nachdem er sich den Mietvertrag angesehen hat: Das rechnet sich für ihn nicht.“, sagt K. Er glaubt, dass die Be­gründung des Eigen­bedarfs konstruiert war, um sie aus dem Haus zu zwingen – auch weil die Kündigung so plötzlich nach dem Rechtsstreit um die Reparatur der Heizung erfolgt sei. Vorher sei von einem Eigenbedarf der neuen Eigentümer keine Rede gewesen.

Auch Moritz S.*, ein ehemaliger Mitarbeiter und Vertrauter des Eigentümers, glaubt nicht an einen wirklichen Eigenbedarf. Er sagt, die Eigentümer*innen habe sich zu dem Kauf entschieden, ohne das aktuelle Miet­verhältnis, den Zustand des Hauses und die damit verbundenen Eigen­tümer*innen­pflichten ausreichend ab­zuwägen. Danach seien die Mieter*innen mit ständig wechselnden Plänen zur denkmal­gerechten Sanierung des Hauses konfrontiert worden, während der neue Eigentümer gleich­zeitig kein Interesse daran gezeigt habe, akut notwendige Arbeiten durchzuführen. S. meint, der Eigentümer versuche, die Bewohner*innen loszuwerden, da „sie seiner Gestaltungsfreiheit im Wege stehen“. Dass dieser als Bauingenieur, der reichhaltige Erfahrungen mit Denkmalpflege hat, sich derart lang weigerte, geplatzte Abwasserleitungen zu reparieren, sei völlig abstrus und werde den von ihm selbst formulierten Ansprüchen an Denkmalschutz nicht gerecht.

Die Bewohner*innen sehen ausreichend Möglichkeiten, die Kinder der Eigentümer*innen in anderen Wohnungen unterzubringen. Nach der Kündigung haben sie selbst recherchiert und haben in anderen Immobilien der Eigentümer*innen mehrere leerstehende Wohnungen entdeckt. Ihnen ist unklar, warum nicht zuerst diese herangezogen werden, bevor an anderer Stelle Menschen aus ihrem Zuhause geklagt werden.

Auch vor Gericht wirkte die Argumentation für den Eigenbedarf wenig überzeugend. Bei der Ver­handlung am 18.03., bei der die Kinder der Eigentümer*innen als Zeug*innen geladen sind, ergeben sich einige Ungereimtheiten. Bspw. fiel das geringe Alter der beiden auf. Das sie un­ge­wöhnlich jung sind, um bereits ins eigene Haus zu ziehen, bemerkte auch die Richterin. Während die Ältere der beiden Personen nur ungenaue Kenntnisse über den Zustand des Hauses zu haben schien, hätte die Jüngere (noch minderjährig) es von Innen nie gesehen und kannte das Objekt nach eigenen Angaben nur aus einer WG-Anzeige. Warum als Kind des Eigen­tümers nie die Möglichkeit wahr­genommen wurde, sich das Wunsch­zuhause einmal in der Realität anzuschauen, blieb offen. Auch die geschilderte ungewöhnlich lang­fristige Lebens­planung bis hin zur Tierarztpraxis nach abgeschlos­senem Studium erschien, wenn nicht un­glaubhaft, so doch zu­mindest als unangemessener Anlass, bereits jetzt mehrere Menschen auf die Straße zu setzen.

Es waren solche Momente, die nicht nur bei den Mieter*innen den Eindruck erweckten, dass der behauptete Eigen­bedarf nicht ernsthaft bestand und hier vielmehr zwei junge Menschen für die Interessen ihrer Eltern vorgeschickt wurden. Das dies für die juristische Bewertung relevant werden könnte, glaubte damals niemand so recht. Ihr Anwalt äußerte nach der Verhandlung, dass er die Aussagen der Kinder zwar für sehr gut vorbereitet halte, aber dennoch eine 50/50-Chance sehe, dass das Gericht die Aussagen ebenfalls für unglaubhaft halte. Schlussendlich würden aber Fragen nach der Angemessenheit des Ganzen keine Rolle spielen; daher war der Ausgang trotzdem un­gewiss.

Die Eigentümer*innen selbst waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Vor der Urteilsverkündung am vergangenen Donnerstag herrschte noch Unsicherheit. Was die Bewohner*innen machen wollten, wenn dieser gegen sie ausfallen würde, wussten sie nicht. Auch nicht, was dann mit ihrem Zuhause passieren würde. „Kann sein, dass die sich in der Zwischenzeit auch wirklich überlegt haben, dass sie [hier einziehen] wollen.“, sagte Oskar K. damals dazu, „Was aber auch scheiße ist, weil sozusagen ein paar Leute den Luxus haben, dafür andere Leute rauszukicken, die hier das Haus lange Zeit warmgehalten haben und da­mit auch dafür gesorgt haben, dass es vom Verfall verschont bleibt. Auch das wär‘ blöd.“.

Doch mit dem Urteilsspruch am vergangenen Donnerstag kam die große Überraschung: Die Klage der Eigentümer*innen wird in allen wesentlichen Punkten abgewiesen. Das „Schiefe Haus“ bleibt seinen Bewohner*innen (vorerst) erhalten. Damit hatte kaum jemand wirklich gerechnet, denn Eigenbedarf gilt mehr oder weniger als Totschlagargument der Immobilieneigentümer. Und natürlich gehört das Gebäude immer noch den Eigentümer*innen, und das Gerichtsverfahren wird dem Verhältnis mit diesen kaum zuträglich gewesen sein. Auch der Anwalt der Mieter*innen sieht das so. Ob und was für weitere Schritte die Vermieter gehen werden, könne er nicht einschätzen. Das es zu einem Urteil zugunsten der Mieter*innen kam, führt er auf die wenig überzeugenden Aussagen der Kinder zurück. Aber: Schlussendlich gebe es heute keine die Verhältnismäßigkeit betreffenden Regelungen in Eigenbedarfsfällen mehr. Und solange das so bleibt, werden sich wohl noch viele Mieter*innen mit solchen und ähnlichen Verfahren herumschlagen müssen, werden auch weiter die Kinder von Immobilienbesitzenden als Vorwand herhalten müssen und weiter Menschen in Angst vor Wohnungsverlust haben müssen, weil sich jemand beim Immobilienkauf verrechnet. Und auch der Kampf ums „Schiefe Haus“ ist vermutlich nur vorläufig überstanden. Dennoch kann es für alle zur Miete Wohnenden ein Grund zur Freude sein, zu sehen, dass der so oft und gern herangezogene Eigenbedarf doch nicht immer das Totschlagargument ist, für das er oft gehalten wird. Die Bewohner*innen des „Schiefen Hauses“ freuen sich mit Sicherheit, und die gut besuchte Kund­gebung am 10.04. zeigte, dass sie nicht alleine stehen.

* Namen geändert

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.