Sonntags auf der LuWu

Wenn Inszenierungsroutine auf Selbstorganisation trifft.

von | veröffentlicht am 31.05 2021

Beitragsbild: Autor*in

Regelmäßig kommen bekannte Politiker*innen zum Kiezdöner und lassen gerne Unterstützungszusagen da. Gekommen ist danach meist wenig bis nichts. Nun nahmen die Aktivist*innen der Soligruppe um den Betreiber des Kiezdöners die Politiker*innen mal beim Wort.




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Was Solidarität alles bedeuten kann wurde erst am Sonntag live vor dem Kiezdöner (bald tekiez!) deutlich. Auf der einen Seite und mit großer Entourage, eine parteipolitische Gruppe aus Vizekanzler, einer kürzlich zurückgetretenen Familienministerin, dem lokalen Bundestagsabgeordneten und nem Kandidaten für den demnächst zu wählenden Landtag von Sachsen-Anhalt, die Solidarität in der Grundwertekommission ihrer Partei groß diskutieren. Daneben nen Haufen Kameras und wichtig dreinschauende Leute. Menschen, also mit Position, Einfluss und Möglichkeiten.

Auf der anderen Seite die engagierte Soligruppe rund um den Betreiber İsmet Tekin, die den Kiezdöner mit viel Liebe, Leidenschaft, Organisationstalent und Ausdauer als einen Ort des Gedenkens und Erinnerns von #hal0910 erhalten und zu einem Frühstückshaus umbauen möchte.

Berührungspunkte haben die beiden Gruppen dann, wenn letztere mit der kognitiven Dissonanz dealen muss, nach der die Berufspolitiker*innen sich gerne vor dem KiezDöner zeigen, sich gar inszenieren, quasi die Plattform des tragisch bekannten Ortes nutzen, um werweißschonwas zu signalisieren. Vielleicht Solidarität, vielleicht ein Zeichen von „wir haben Euch nicht vergessen“, vielleicht aber einfach auch nur, weil’s eine Person aus der Pressearbeit toll findet. Regelmäßiger Teil dieser Termine sind Unterstützungszusagen aus allen politischen Ebenen in Richtung Betreiber des Kiezdöner. Schon etliche Male wollte dieser sich darauf verlassen. Dann aber, wenn es darum geht, dass der Laden eben auch Geld benötigt, um den Erhalt des Gedenkortes zu finanzieren, sind diese Offiziellen weit weg und keine einzige Unterstützung in Sicht.

Nun ließe sich wählen, zwischen aufgeben oder selbst organisieren. İsmet Tekin entschied sich mit Unterstützung der Soligruppe für das weitermachen, um den Erhalt des Ortes zu sichern und somit auch ein Anlaufpunkt für das Gedenken an die Opfer und Betroffenen des Anschlags zu schaffen.

Ohne Geld aber geht‘s eben nicht. Und da die diesbezüglichen Zusagen bei der Soligruppe noch lange nicht vergessen sind, war’s eben auch mal genug, den Ort nur als Projektionsfläche nutzen zu lassen. Als nun der eben erwähnte Tross sich gestern dem Ort näherte, sogar einen Kranz niederlegte und bald schon wieder am Aufbrechen war, da krächzte ein Lautsprecher, die Beteiligten drehten sich dem Geräusch zu und der Gehweg vor dem Geschäft verwandelte sich, schwuppdiwupp, in ein Auktionshaus, mit Redepult, Auktionshammer und zu versteigerndem Objekt. Unter den Hammer kam, nach einleitenden Worten zweier Angehöriger der Soligruppe, ein Stück Stoff, das letzte Soli-Shirt nämlich, das einer Aktion entstammt, mithilfe derer einmal mehr aus eigenem Bemühen heraus funds für den Umbau geraised werden sollten. Natürlich aber ging es um viel mehr.

Was also war nun dieses Shirt wert? Oder passender gefragt: Was war den Anwesenden der Erhalt dieses Ortes wert (denn das symbolisierte nun einmal die Versteigerung des Shirts)? Stellvertretend für all ihre Politik-Kolleg*innen, die so gerne Zusagen trafen, an die sie sich nicht hielten, durften das nun die Teilnehmenden des oben erwähnten Trosses evaluieren. Besonders glücklich wirkten die Bietenden in ihrer Rolle nicht, das Lächeln eher gequält als mit Lust und die Bieterunde eher zäh statt mit Schwung und Freude am Support. Am Ende nahm die Bewerberin um den Rathausessel der Bundeshauptstadt das Shirt mit, auch wenn der gebotene Betrag eher übersichtlich war.

Viel wichtiger nach dieser verpassten Chance, Solidarität mal konkret zu leben, war dann auch viel mehr der Umstand, dass die Aktivistis der Soligruppe diesen Zeit/Raum aktiv gestaltet haben, nicht einfach nur Statist*innen für eine parteipolitsiche Wahlkampfinszenierung sein wollten, sondern sich Recht und Möglichkeit nahmen in diese Zeremonie zu intervenieren und darauf hinzuweisen, dass sich mit Worten kein Gedenkort erhalten und kein Frühstückslokal renovieren lässt. Allen Bekundungen zum Trotz.

Hier ein Video der Versteigerung.

Anmerkung: In einer ersten Version hatten wir den Namen des Inhabers İsmet Tekin falsch geschrieben und das nun korrigiert. Danke für den Hinweis!

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

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