Riesenmülleimer auf dem Marktplatz

Halle ist um eine superlative Attraktion reicher

von | veröffentlicht am 14.08 2020

Seit Kurzem stehen auf dem halleschen Marktplatz neue Müllbehältnisse, die in Höhe und Umfang die bisherigen Installationen deutlich überbieten. Für kleine Erdenbürger*innen dürfte es künftig schwieriger werden, den Müll ordnungsgemäß zu platzieren. Eine Sommerloch-Glosse.




diesen Beitrag teilen

Wer mit offenen Augen durch Halle schlendert, dem dürfte jüngst nicht entgangen sein, dass die Saalestadt seit Kurzem um eine Attraktion reicher ist (die MZ berichtete). Auf dem Marktplatz steht nun Deutschlands wohl größter Mülleimer und reiht sich als jüngstes Glied in die Kette von architektonisch wertvollen Einzeldenkmälern aus allen Jahrhunderten rund um die gute Stube der Universitätsstadt ein.

Der Platzierung des neuen Entsorgungswunders ging eine europaweite Ausschreibung voraus, in der sich schließlich der umgesetzte Entwurf mit deutlichem Abstand durchsetzen konnte. Selbst die renommierte Deutsche Architekturpostille frohlockt: „Die Herstellerfirma hat es in der Tat verstanden, sich in den Geist der sächsischen Denkmäler deutscher Renaissance zu versetzen und ein Werk zu schaffen, welches den benachbarten Bauten harmonisch sich anfügen wird, doch ohne seinen modernen Ursprung zu verleugnen und jene einfach zu kopieren.“

Nichtsdestotrotz dürften Höhe und Umfang des Abfallpalastes für einige Irritationen sorgen, überragt er doch die bisherigen Müllbehältnisse um einige Meter und schließt an die mittlere Traufhöhe der Marktplatzbebauung an. Das Bauamt der Stadtverwaltung weist jede Kritik daran entschieden zurück: „Es war uns wichtig, die architektonische Balance in Halles historischer Mitte nicht zu stören und gleichzeitig dennoch eine funktionale Einrichtung zu schaffen, die den Kriterien moderner urbaner Müllentsorgung Rechnung trägt.“

So habe man in den Ausschreibungskriterien festgelegt, dass das Behältnis nicht mehr als einmal pro Jahr geleert werden dürfe und somit eine enorme Menge Müll aufnehmen können müsse. Gleichzeitig habe man aus Respekt gegenüber den historischen Gebäuden am Platz untersagt, dass der Baukörper die Höhe des Roten Turmes überschreitet. Daran hätten sich letztlich auch alle Entwürfe bis auf eine Ausnahme gehalten. Für diese wird nun ein Standort am Riebeckplatz ins Auge gefasst.

Der Clou ist, dass selbst bei überdurchschnittlicher regelmäßiger Befüllung durch ein marktübliches Passantenaufkommen eine Leerung theoretisch nur einmal alle zehn Jahre notwendig wird.

Man kann es so sehen: Das Stadtmarketing dürfte erleichtert sein, dass es künftig nicht mit sechs Türmen werben muss, sondern dass die Fünf-Türme-Marke durch den Siegerentwurf unangetastet bleibt. „Wir hätten sonst eine Menge Taschen und Tassen neu bedrucken müssen, das hätte uns in Zeiten von Corona gerade noch gefehlt“, so die Geschäftsführerin.

Und auch an anderer Stelle überzeugt die Neuerung finanziell: Zwar seien die Baukosten in zweistelliger Millionenhöhe für einen einzigen Mülleimer durchaus unüblich. Die das neue Bauwerk betreibende kommunale Müllentsorgungsgesellschaft verspricht allerdings, dass sich die Investition sehr zügig amortisieren werde: „Der Clou ist, dass selbst bei überdurchschnittlicher regelmäßiger Befüllung durch ein marktübliches Passantenaufkommen eine Leerung theoretisch nur einmal alle zehn Jahre notwendig wird. Das ist ein enormer Kostenvorteil gegenüber der bisherigen Variante. Und wir sind uns ziemlich sicher, dass sich dieser Zeitraum durch die wie üblich an der Oberkante des Müllbehälters angebrachten Einwurföffnungen noch deutlich weiter strecken lässt, weil durchschnittlich große Menschen gar nicht an die Öffnungen herankommen können“, so die Pressestelle der hundertprozentigen Tochter des Konzerns Stadt.

Weitere finanzielle Vorteile rund um dieses Kostensenkungswunder verspricht sich die Stadtverwaltung dadurch, dass in die an den mittlerweile denkmalgeschützten Kaufhof-Altbau angelehnte Fassadengestaltung der händelstädtischen Müllkathedrale eine Videoüberwachung installiert sei, die es ermögliche, Müllsünder in Halles Wohnzimmer auf frischer Tat zu ertappen. Möglich mache dies ein gemeinsam mit der Universität und der Polizeidirektion Halle entwickelter Prototyp zur Gesichtserkennung. Wer also im Bereich des Marktplatzes dringend Müll loswerden will, aber aufgrund der eigenen Körpergröße nicht an die Einwurföffnungen herankommt, der sollte den Müll nur dann einfach fallen lassen, wenn er dies mit einer Spende an das Stadtsäckel verbinden möchte.

Und die Stadt wirbt auch mit einem gesellschaftspolitischen Vorteil bei den naturgemäß sehr skeptischen Einheimischen um Zustimmung für das neue Wunder in der Mitte der zahlreichen halleschen Superlative: „Durch die selbstbewusste Raumgreifung dieser neuen Installation ist künftig schlichtweg kein Platz mehr auf dem halleschen Marktplatz für extremistische Demonstrationen, was doch für alle Seiten ein versöhnliches Ergebnis sein dürfte“, so ein Stadtsprecher. Nicht zuletzt falle dadurch auch die Notwendigkeit für die vom Stadtrat eigentlich bereits beschlossene „Fachstelle für Demokratie und gegen jeden Extremismus“ weg. Ein weiterer Kostenvorteil, der auch dadurch nicht geschmälert werde, dass von den prognostizierten Bußgeldeinnahmen pro Ordnungswidrigkeit ein Cent in den Erhalt des dürregepeinigten raumübergreifenden Großgrüns im Stadtgebiet fließen soll.

Und als seien Kostenfragen und nicht ästhetische Belange die Hauptmotive für diese Innovation der Kulturhauptstadt gewesen, wird stolz eine weitere Einnahmequelle präsentiert, die im Zusammenhang mit der für den kommenden Montag angekündigten feierlichen Eröffnung fließen könnte: So stehe ein Vertragsabschluss mit dem örtlichen Gebirgsverein über die Pachtung zur Nutzung der Westfassade als Kletterturm unmittelbar bevor. „Für geübte Kletterer dürfte es in Halles gutbürgerlicher Mitte dann weiterhin möglich sein, beim Flanieren anfallenden Müll zu entsorgen“, erklärt der zuständige Kämmerer augenzwinkernd. Die dadurch entfallenden Ordnungsgelder für eine illegale Müllentsorgung würden durch die vom Gebirgsverein aufzubringende Pacht mehr als aufgewogen.

Alles in allem scheint der Stadt hier ein optisch imposanter wie finanziell einträglicher Schachzug gelungen zu sein – die zu erwartenden touristischen Effekte noch gar nicht mit eingerechnet. Viel fußläufiges Publikum bleibt bereits anerkennend nickend stehen, was in Halle schon an Euphorie grenzt. Tauben fliegen ein und aus, was das Verkehrsaufkommen am Haupt- und Einkaufsbahnhof entlasten dürfte. Hunde pinkeln an den rostfreien Sockel. Und auch die überregionale Presse staunt: „Eine mutigere und sinnlichere Antwort auf die Hygienedemos hat man in Deutschland noch nicht gesehen.“

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.