Reproduktion längst widerlegter Behauptungen
Eine Veranstaltung der AG Antifa will die Irrationalität der Klimaforschung und Umweltbewegung aufdecken, scheitert aber am eigenen Anspruch.
Anfang November hielt Bahamas-Autor Jörg Huber auf Einladung der AG Antifa seinen Vortrag „Zur Kritik der politischen Ökologie“. Huber hat den Anspruch, eine ideologiekritische Analyse der Klimabewegung, -politik und -wissenschaft zu präsentieren. Stattdessen besteht sein Vortrag aus auf die Dauer ermüdender Polemik und der Reproduktion längst widerlegter Behauptungen aus dem Umfeld von Klimawandelleugner*innen.
Der zentrale Begriff seines Vortrags, die „politische Ökologie“, wird von Huber nicht genau bestimmt. Als Vertreter*innen der politischen Ökologie nennt er unter anderem Umweltaktivist*innen, Politiker*innen aller Bundestagsparteien außer der AfD, Wissenschaftler*innen und sogar Modedesigner Wolfgang Joop. Das soll der Polemik dienen, führt aber im Laufe des Vortrags zu einigen Verwirrungen. So unterscheidet er nicht zwischen der wissenschaftlichen Definition von „Ökologie“, also der Lehre vom Naturhaushalt oder der Beziehungen von Lebewesen zu ihrer abiotischen Umwelt, und der alltagssprachlichen Verwendung des Wortes, die tatsächlich recht schwammig und bisweilen esoterisch ist und so ziemlich alles von Biogemüse bis hin zu Pauschalreisen umfassen kann.
Huber zufolge ist eine begriffliche Trennung auch gar nicht sinnvoll, weil die Wissenschaft selbst von esoterischen und wahnhaften Naturvorstellungen beeinflusst sei und umgekehrt der Klimabewegung als rationales Feigenblatt für diese Vorstellungen fungiere.
Dabei grenzt sich Huber vordergründig von Klimawandelleugner*innen ab, die seiner Meinung nach einer angemessenen Kritik am Klimaschutz im Wege stünden. Mehrfach betont er seine Kompetenz als studierter Naturwissenschaftler und erläutert die Korrelation zwischen atmosphärischer CO2-Konzentration und globaler Durchschnittstemperatur und deren mechanistische Begründung durch den Treibhauseffekt. Dennoch bedient er sich zwei bei Klimawandelleugner*innen beliebten Behauptungen, um die Klimaforschung zu delegitimieren:
Zum einen kritisiert er die sogenannte Hockeyschlägerkurve. Diese stellt eine Rekonstruktion der Temperaturen auf der Nordhalbkugel ab dem Jahr 1000 n. Chr. dar. Sie basiert sowohl auf historischen Wetteraufzeichnungen als auch auf sogenannten Klimaproxys wie zum Beispiel Eisbohrkernen oder den Jahrringen von Bäumen, die indirekt Aufschluss über vergangene Temperaturen geben. Huber argumentiert, dass methodische Fehler bei der Erstellung des Diagramms dazu geführt hätten, dass präindustrielle Klimaschwankungen geglättet und daher der Temperaturanstieg im industriellen Zeitalter überschätzt worden seien. Dieser Vorwurf wurde bereits in den Zweitausendern u.a. vom Meteorologen Hans von Storch und dem konservativen Fraser-Institut erhoben und war Teil einer langjährigen Kontroverse. Die Hockeyschlägerkurve wurde damit zu einem zentralen Bestandteil der Argumentationsstrategie von Klimawandelleugner*innen. Unabhängige Studien haben die Kritik jedoch schon vor Jahren entkräftet und die zentrale Aussage der Kurve bestätigt: Der Temperaturanstieg auf der Nordhalbkugel im 20. Jahrhundert war so hoch wie nie zuvor in den letzten 1000 Jahren. Wer heute dennoch die Hockeyschlägerkurve als Fake darstellt, tut dies daher wider besseres Wissen und macht sich mit rechten Verschwörungstheoretiker*innen gemein, die erst im September einen Gerichtsprozess zum Anlass nahmen, um der Hockeyschlägerkurve die wissenschaftliche Korrektheit abzusprechen.
Hubers zweiter Vorwurf ist noch weitaus grundlegender. Er spricht der Klimaforschung und ihren Modellen per se die Wissenschaftlichkeit ab. Denn Zukunftsmodelle seien nicht falsifizierbar im Sinne Karl Poppers. Eine solche positivistische Kritik seitens eines Bahamas-Autors mag zunächst verwundern, Huber möchte allerdings zeigen, dass die Klimaforschung noch nicht einmal ihren eigenen naturwissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Auch dieser Vorwurf wird von selbsternannten Klimaskeptiker*innen immer wieder vorgebracht, sowohl der IPCC (hier und hier) als auch andere Wissenschaftler*innen sind ausführlich darauf eingegangen.
Es ist natürlich so trivial wie korrekt, dass eine auf die Zukunft bezogene Aussage wie „Morgen wird es regnen“ nicht in der Gegenwart falsifiziert werden kann. Sie ist aber grundsätzlich falsifizierbar, denn wir können morgen empirisch überprüfen, ob es regnet oder eben nicht. Und mit dieser Falsifizierbarkeit genügt sie prinzipiell Poppers Ansprüchen an eine wissenschaftliche Aussage. Computermodelle bestehen aus einer Vielzahl von Hypothesen, die natürlich einzeln falsifiziert werden könnten. Um die Qualität eines Modells zu beurteilen, sind im wissenschaftlichen Alltag aber andere Punkte entscheidend. Zum einen die Modellvalidierung, also die Überprüfung der Vorhersagen mithilfe unabhängiger Messdaten. Bei Klimamodellen sind das zum Beispiel Temperaturdaten aus dem 20. Jahrhundert. Noch wichtiger ist aber ein zweiter Punkt: Ein Klimamodell baut auf bekannten naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten auf (wie z.B. dem Treibhauseffekt), beruht also nicht allein auf statistischen, sondern auf bereits erforschten kausalen Zusammenhängen. Damit ermöglichen Modelle Einblicke in komplexe Systeme und liefern Erkenntnisse, die gerade nicht experimentell gewonnen werden können. Denn, wie auch Huber in der Jungle World feststellt, „Das Klima passt in kein Labor“. Was Huber in diesem Artikel despektierlich als „gegenseitige freundliche Anerkennung der wissenschaftlichen Arbeiten der Kollegen“ bezeichnet, ist allerdings ein grundlegendes Prinzip wissenschaftlichen Arbeitens, das im Übrigens auch von Karl Popper eingefordert wurde: Das Prinzip der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit, dem die Modelle unterliegen müssen und das praktisch in Peer-Review-Verfahren und durch Bereitstellung von Rohdaten umgesetzt wird.
Egal, wie umfangreich ein Modell ist, es bleibt doch immer eine vereinfachte Darstellung der Realität. Deshalb kann es immer passieren, dass eine Modellvorhersage nicht mit einer empirischen Messung übereinstimmt. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass das ganze Modell fehlerhaft ist, es ist vielmehr wahrscheinlich, dass ein entscheidender Prozess noch nicht berücksichtigt wurde. So können Modelle nach und nach erweitert und verbessert werden. In der Klimaforschung werden die Grundaussagen der Modelle seit Jahrzehnten bestätigt und mit zunehmendem Erkenntnisgewinn zeichnet sich sogar ab, dass der Klimawandel dramatischer ausfallen könnte als in der Vergangenheit angenommen. Ein Beispiel hierfür sind die sogenannten Kippelemente. Damit werden Prozesse im Klimasystem bezeichnet, die „kippen“, wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten wird und damit selbstverstärkende (oder in selteneren Fällen auch abschwächende) Rückkopplungen auslösen, die zu abrupten Klimaveränderungen führen. Diese Kippelemente wurden in älteren Klimamodellen nicht abgebildet, was dazu führte, dass – entgegen Hubers Behauptung – die globale Erwärmung in den Klimamodellen tendenziell unter- und nicht überschätzt wurde. Es ist durchaus wichtig, sich bewusst zu machen, dass Zukunftsmodelle Fehler enthalten können und grundsätzlich Szenarien generieren, die eine statistische Unsicherheit beinhalten. So gibt der IPCC auch die möglichen Folgen einer Erwärmung um 1,5°C jeweils mit einer Einschätzung der Wahrscheinlichkeit ihres Eintreffens an. Dass dies in der medialen Berichterstattung oder auch auf Transpis von FFF-Demonstrant*innen verkürzt oder zugespitzt wird, liegt an den Mechanismen des öffentlichen Diskurses und ist kein Versäumnis der Forschung.
Zusammengefasst ist Hubers Wissenschaftskritik also weder originell noch zutreffend. Zwar äußert er durchaus berechtigte Kritik an romantisierenden Naturvorstellungen innerhalb der Klimabewegung und der Gesellschaft insgesamt sowie an der Scheinheiligkeit symbolpolitischer Maßnahmen. Neu ist das aber nicht – nicht zuletzt hatte Hans Magnus Enzensberger das schon mit Bezug auf die damalige Diskussion um Bevölkerungswachstum und Endlichkeit fossiler Ressourcen treffend analysiert. Von Enzensbergers Kursbuch-Essay von 1973 hat Huber nicht nur den Titel seines Vortrags, sondern auch weite Teile der Argumentation übernommen. Von seinem Vortrag in Halle bleibt also nicht viel, abgesehen von den szenetypischen Buzzwords von Regression (→ Klimabewegung) bis Restvernunft (→ Donald Trump) und einem Wiederaufwärmen alter Argumente der Klimaleugner*innen. Das ist schade, vergibt er doch damit die Chance für eine konstruktive Kritik auf Augenhöhe an einer Bewegung, die allzu oft die Produktionsverhältnisse aus dem Blick verliert und sich auf die Veränderung individueller Lebensstile und Konsumgewohnheiten beschränkt.