Prozess über rechten Angriff auf Journalist*innen auf dem Marktplatz eingestellt

von | veröffentlicht am 06.09 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

Auf dem Marktplatz in Halle finden regelmäßig rechte Kundgebungen statt. Seit Beginn der Coronapandemie werden verstärkt kritische Beobachter*innen der Veranstaltungen von Teilnehmer*innen der Demonstrationen angegriffen. Nun sind Teilnehmer der rechten Kundgebung vor Gericht gelandet. Der Prozess wurde Ende August 2022 vom Amtsgericht Halle eingestellt. Der Fall zeigt, dass Polizei und Justiz in Halle rechte Gewalt (immer noch) nicht konsequent verfolgen.




diesen Beitrag teilen

Der Marktplatz in Halle an der Saale wird seit Jahren regelmäßig vom Neonazi Sven Liebich dominiert. Seit Beginn der Coronapandemie veranstaltet Liebich sogar wöchentlich Kundgebungen mitten in der Innenstadt. Zur „Montagsdemo“ kommt eine Kundgebung am Samstag dazu.

Konkret sieht das dann meist so aus: Sven Liebich steht auf dem Dach seines Autos und schreit in ein Mikrofon. Seine Hetze ist auf dem ganzen Platz zu hören. In der Regel nehmen nicht mehr als ein paar dutzend Menschen an den Demonstrationen teil. Dennoch sind die Kundgebungen nicht zu unterschätzen. Liebich und seine Anhänger*innen verbreiten zutiefst antisemitische und rassistische Inhalte, sie hetzen gegen politische Gegner*innen und gegen Journalist*innen. Und das seit Jahren. Mit Beginn der Coronapandemie wird auf dem Marktplatz nicht nur öfter als zuvor demonstriert, die Inhalte sind auch extremer geworden.

 

Zahlreiche Angriffe auf Journalist*innen

Nicht alle in Halle wollen das Treiben des Neonazis tatenlos hinnehmen. Seit Frühjahr 2020 sind engagierte Journalist*innen und Aktivist*innen fast jede Woche vor Ort, um die Kundgebungen zu beobachten. Sie wollen antisemitische und rassistische Aussagen dokumentieren; auch mit dem Ziel mögliche strafrechtlich relevante Inhalte bei den Ermittlungsbehörden anzuzeigen. Dabei werden sie immer wieder von Teilnehmer*innen der rechten Demonstrationen angegriffen.

So auch vor zwei Jahren. Es ist Anfang Mai 2020. Drei Vertreter*innen des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Halle gegen Rechts sind an diesem Samstag vor Ort, um die rechte Demonstration zu dokumentieren und Fotos zu machen. Ein Teilnehmer der Kundgebung um Sven Liebich formt mit seinen Fingern eine Pistole und zielt auf eine der Aktivist*innen. Kurz darauf löst er sich aus der Kundgebung und läuft auf sie zu. Er bedroht sie verbal, schubst sie und schlägt ihr vor die Brust. Ihr Kollege wird ebenfalls bedrängt. Ein anderer Teilnehmer packt die Aktivistin am Arm. Keiner der rechten Angreifer trägt eine Maske.

Die Aktivist*innen von Halle gegen Rechts haben Glück und kommen mit leichten Verletzungen davon.

Dieser Vorfall ist im Frühjahr 2020 nichts Besonderes. Regelmäßig werden Menschen angegriffen,  die von den Teilnehmer*innen der Kundgebung um Sven Liebich als politische Gegner*innen oder als Journalist*innen erkannt werden.

Valentin Hacken ist damals Teil des Sprecher*innenkreises von Halle gegen Rechts. Zusammen mit Kolleg*innen hat er zahlreiche der rechten Kundgebungen beobachtet und dokumentiert. Weit mehr als einmal ist er selbst von Versammlungsteilnehmer*innen angegriffen worden. Zu Beginn der Coronapandemie habe auf dem Marktplatz ein Klima der Einschüchterung geherrscht, erzählt er heute. Sven Liebich habe als Redner oft lange und auch in wiederkehrenden Beiträgen auf Journalist*innen und politische Gegner*innen hingewiesen, zum Teil ihre Klarnamen ins Mikrofon gerufen und auf sie gezeigt. Für Hacken hat der Neonazi so eine Dynamik ausgelöst, die in vielen Fällen Bedrohungen und Angriffe aus den Reihen der Versammlung hervorgebracht hat.

Hinter den Bedrohungen und Angriffen sieht Hacken Kalkül des Neonazis Liebich und seiner Anhänger*innen. Für Hacken braucht es dringend „eine Berichterstattung, die genau hinschaut was passiert auf diesen extrem rechten Veranstaltungen. Die also zutreffend beschreibt, was sich da tut, die in der Lage ist zu analysieren was da passiert und das dann auch zu kritisieren.“ Ebendiese Berichterstattung würden Liebich und seine Versammlungsteilnehmer*innen verhindern wollen, indem kritische Beobachter*innen bedroht, angegriffen und damit eingeschüchtert werden.

 

Angriff aus dem Mai 2020 kommt zur Anklage

Obwohl Angriffe auf Journalist*innen aus den Reihen der rechten Kundgebung regelmäßig bei der Polizei angezeigt werden, gibt es kaum Verurteilungen. Die meisten Verfahren werden von der Staatsanwaltschaft Halle eingestellt.

Anders ist das bei dem Angriff auf die Aktivist*innen von Halle gegen Rechts aus dem Mai 2020, um den es hier geht. Dieser wird zur Anklage gebracht und im August 2022, also mehr als 2 Jahre später, vor dem Amtsgericht Halle verhandelt. Zwei der angegriffenen Aktivist*innen treten als Nebenkläger*innen auf. Die Anklage lautet gefährliche gemeinschaftlich handelnde und einfache  Körperverletzung sowie Nötigung. Ein Prozesstag ist angesetzt. Am 30. August 2022 findet die Verhandlung statt.

 

Angeklagte wollen sich an nichts erinnern können

Auf der Anklagebank sitzen zwei Männer. Beide sind regelmäßig Teilnehmer der Kundgebungen von Sven Liebich. Einer der beiden sagt vor Gericht aus, dass er erst 2020 zum ersten Mal an einer Kundgebung auf dem Marktplatz teilgenommen habe. Anders ist das beim älteren der beiden Angeklagten. Der gibt zu Protokoll, schon seit 2017 bei den sogenannten „Montagsdemos“ dabei zu sein. Vor Gericht wollen beide nichts von den Vorwürfen wissen und leugnen, jemals Menschen auf dem Marktplatz angegriffen zu haben. So weit, so erwartbar.

Gemeinsam ist den beiden zudem, dass sie vage bleiben, als sie nach ihrer Motivation gefragt werden, bei der extrem rechten Veranstaltung teilzunehmen. Während der ältere der beiden darauf besteht, für „Frieden, soziale Gerechtigkeit und freie Meinungsfreiheit“ auf die Straße zu gehen, möchte der zweite nicht einmal wissen, worum es bei den Kundgebungen gegangen sei. Den Namen Sven Liebich habe er schon mal gehört, aber was der so für Meinungen vertritt, das wisse er ebenso wenig wie es ihn interessieren würde, erzählt er vor Gericht.

Konterkariert werden diese mutmaßlichen Schutzbehauptungen als der Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Phillip Köster Nachrichten aus einer Chatgruppe auf Telegram verliest. Ein Nutzer trägt den Klarnamen eines der Angeklagten. Auf Vorlage des Profilbildes bestätigt der betreffende Angeklagte, dass dieses seinen Hund zeigen würde. Rechtsanwalt Köster verliest im Gericht Nachrichten, die von diesem Profil im (öffentlichen) Kanal Sven Liebich Diskussion gepostet wurden. In diesen werden Mordfantasien gegen politische Gegner*innen kundgetan, über eine Linke-Politikerin schreibt der Account: „Da wir keine Gaskammern haben, wünsche ich mir für sie einen einfachen Strick.“

 

Staatsanwalt kündigt Ermittlungen an

Die Staatsanwaltschaft Halle ist in den vergangenen Jahren besonders dadurch aufgefallen,  Anzeigen politisch rechts motivierter Angriffe einzustellen. Daher überrascht die Reaktion des Staatsanwalts auf die Verlesung der Telegram Nachrichten durch den Nebenklagevertreter. Er beantragt eine Verhandlungspause mit der Begründung, dass er die strafrechtliche Relevanz der Nachrichten prüfen wolle. Was aus dieser Ankündigung wird, bleibt abzuwarten.

 

Verfahren wird eingestellt

Am Verhandlungstag sind drei Zeug*innen geladen, alle drei sind Betroffene des Angriffs. Schlussendlich wird nur eine der drei Zeug*innen angehört. Bevor die beiden anderen vernommen werden können, regt die vorsitzende Richterin Westerhoff ein Rechtsgespräch an. Das bedeutet, dass Richterin, Staatsanwalt, Verteidiger und Nebenklagevertretung sich zurückziehen, um einen Vorschlag des Gerichts zu besprechen.

Nach diesem Rechtsgespräch endet das Verfahren schließlich mit einer Einstellung. Gericht und Staatsanwaltschaft begründen diese damit, dass die Beweislage nicht ausreichend sei. Die Inhalte der Zeugenaussagen würden nicht für eine Verurteilung wegen gefährlicher gemeinschaftlich handelnder Körperverletzung ausreichen. Darüber hinaus läuft gegen einen der Angeklagten ein anderes Verfahren wegen eines ähnlich schweren Angriffs aus diesem Jahr. Unter der Bedingung, dass er die Geldstrafe aus diesem anderen Verfahren anerkennt, wird das Verfahren über den Angriff aus dem Mai 2020 somit eingestellt.

Die Nebenklagevertreterin Franziska Nedelmann bewertet dieses Ergebnis als „enttäuschend“. Die Einstellung des Verfahrens entspreche nicht dem schweren Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung, für den bei Verurteilung eigentlich ein Mindeststrafmaß von 6 Monaten gelte, so Nedelmann.

 

Gründe für die Einstellung

Aus Sicht der Nebenklage ist die Einstellung unter anderem Folge einer mangelhaften Ermittlungsakte. Im Regelfall übergibt die ermittelnde Polizei nach einer Anzeige ihre Ermittlungsakte der zuständigen Staatsanwaltschaft, die dann Anklage erhebt. Diese Akte sei jedoch „dürftig“ gewesen, da wichtige Informationen fehlten, so Nebenklagevertreterin Franziska Nedelmann.

Beim Angriff auf dem Markt im Mai 2020 ist die Polizei dazwischen gegangen, nur durch dazukommende Beamt*innen wurde der Angriff überhaupt beendet und die Situation aufgelöst. Davon ist allerdings in der Ermittlungsakte nichts zu lesen. In der Akte fehle jeder Vermerk über den Polizeieinsatz. Es seien keine Namen von beteiligten Polizeibeamt*innen und keine Strafanzeige der Polizei in der Akte zu finden, so die Nebenklagevertreterin. Diesen Umstand erwähnen auch die Richterin und der Staatsanwalt im Prozess. Er hat zur Folge, dass das Gericht keine Polizeibeamt*innen als Zeugen laden kann, einfach weil die Namen nicht bekannt sind. Somit bestünde die Akte nur aus den Aussagen der drei Betroffenen, erklärt die Nebenklagevertreterin. Auch diese seien jedoch als Beweise nicht allzu viel wert, da es sich nur um schriftliche Aussagen handelt.

Im Fall des Angriffs auf dem Marktplatz haben die Betroffenen selbst Anzeige erstattet. Auf eine Anzeige folgt normalerweise auf Anweisung der Staatsanwaltschaft eine Vernehmung der Geschädigten durch die Polizei. Eine mündliche Vernehmung hat es jedoch nicht gegeben und somit Raum für Unklarheiten in den Aussagen, da Nachfragen von Polizeibeamt*innen völlig fehlen. Normal sei eine solche Aktenlage nicht, die Nebenklage schätzt sie vielmehr als „total ungewöhnlich“ ein.

  

Versäumnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft Halle?

Es stellen sich Fragen. Warum sind die Betroffenen nicht mündlich befragt worden? Warum fehlen die Strafanzeige der Polizei, warum die Namen der diensthabenden Beamt*innen in der Akte? Darüber hinaus bleibt vor allem fraglich, wieso die Staatsanwaltschaft Halle die fehlenden Informationen nicht bei der Polizei Halle eingeholt hat. Schließlich hatte sie dafür zwei Jahre Zeit.

Auf Nachfrage bestätigt die Pressestelle der Polizeiinspektion Halle schriftlich, dass sie am fraglichen Tag im Mai 2020 einen Einsatz in Zusammenhang mit der rechten Kundgebung auf dem Marktplatz in Halle durchgeführt habe. Auch ein Einsatzprotokoll des Vorfalls sei angefertigt worden. Zur Beantwortung der Frage, warum diese Unterlagen nicht in der Ermittlungsakte gelandet sind, verweist die Polizei jedoch an die Staatsanwaltschaft Halle als „ermittlungsführende Behörde“.

Deren Pressestelle wiederum erklärt in ihrer schriftlich Antwort, dass sie die Entscheidung des ermittelnden Polizeireviers für eine rein schriftliche Befragung der betroffenen Zeug*innen für angemessen hält. Die schriftlichen Zeugenaussagen seien ausführlich und somit ausreichend ausgefallen, „um den für eine Anklageerhebung erforderlichen hinreichenden Tatverdacht einer Straftat zu begründen“. Weiter heißt es: „Anlass zur Feststellung und Befragung der am Einsatz zur Absicherung der Demonstration beteiligten Polizeibeamten bestand nicht.“

Die Staatsanwaltschaft erklärt die Einstellung des Verfahrens mit dem Argument, dass die eine (und einzige) Zeugenaussage vor Gericht von der schriftlichen Aussage insofern abgewichen wäre, als dass „von einem gemeinsamen Vorgehen der beiden Angeklagten keine Rede mehr“ gewesen sei. Somit sei eine Verurteilung im Sinne der Anklage einer gefährlichen gemeinschaftlich handelnden Körperverletzung nicht mehr anzunehmen gewesen.

Ob die Beweislage anders ausgesehen hätte, wenn die Betroffenen schon 2020 mündlich oder im Gerichtsprozess zusätzlich Polizeibeamt*innen als Zeugen befragt worden wären, bleibt nach diesen Antworten jedoch weiter offen.

 

Inwiefern tragen Polizei und Justiz in Halle ihren Teil zu den Angriffen gegen Journalist*innen bei?

Valentin Hacken von Halle gegen Rechts sieht den Umgang von Polizei und Staatsanwaltschaft Halle mit den Aktivitäten des Neonazis Sven Liebich und seines Umfelds kritisch. Für ihn mache sowohl die Polizei als auch die Justiz ihren Job bei der Verfolgung rechter Straftaten nicht so wie sie es könnte. Dieser Umstand würde Rechte motivieren mit ihren Aktivitäten weiterzumachen, da sie immer wieder erfahren würden, dass Angriffe auf Journalist*innen und politische Gegner*innen keine wesentlichen Folgen für sie haben.

Für Hacken ist das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft in Summe ein „Wegschauen“, in dem eine bestimmte Botschaft stecke: „‚Naja, so schlimm ist es nicht.‘ – Das ist das, was staatliche Institutionen hier kommunizieren. Das kann nicht der Anspruch sein in ‘nem Rechtsstaat, der unter anderem die Pressefreiheit schützt.“

 

Kein gutes Zeichen für die Betroffenen rechter Gewalt

Die Nebenklagevertreterin Franziska Nedelmann sieht die Einstellung des Verfahrens unter anderem als Folge von Versäumnissen der Polizei und der Staatsanwaltschaft Halle. Die beiden staatlichen Institutionen würden in Halle „nicht so ermitteln wie sie ermitteln müssten“. Gerade für die Betroffenen sei dieses Vorgehen „kein gutes Zeichen“, so die Rechtsanwältin.

Abschließend lässt sich festhalten, dass es gut ist, dass einer der zahlreichen Angriffe aus den Versammlungen um den Neonazi Sven Liebich nun überhaupt zur Anklage gekommen ist und vor Gericht verhandelt wurde. Für die Einstellung des Verfahrens gibt es verschiedene Gründe. Die Einstellung zeigt aber auch, dass die staatlichen Behörden in Halle noch immer weit davon entfernt sind, Gewalt von rechts konsequent zu verfolgen. Für die Betroffenen ist das bitter.

Lilli Neuhaus

studiert Soziologie in Halle und ist aktiv bei Radio Corax.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.