Neofaschistisches Betriebsratstheater

EinProzent Kompetenz, Neunundneunzig Prozent Popanz

Die Betriebsratswahlen sind in vollem Gange. Erstmals treten auch rechte Kandidatenlisten unter der Führung von EinProzent zu den Wahlen an. Warum dies allerdings mehr Theater und eher eine Blaupause neurechter Politik ist und weniger die Gefahr droht, dass die rechten Listen viele Mandate holen werden, erklärt dieser Text.

Zugegeben kann die Neue Rechte derzeitig wenig falsch machen. Die mediale Aufmerksamkeit, die meist zwischen Alarmismus oder Verharmlosung wechselt, ist ihr stets gewiss. Die Strategie der Provokation, also das öffentliche Äußern von Widerwärtigkeiten, geht auf und die Erfolge im „vorpolitischen“ Raum, die Verschiebung der Grenze des Sagbaren und die Erweiterung ihres Resonanzraumes sind kaum von der Hand zu weisen. Die Reichweite ihrer Netzwerke gibt mittlerweile berechtigten Anlass zur Sorge. Auf der anderen Seite wird oft darauf hingewiesen, dass bei Nazis im Generellen und der Neuen Rechten im Besonderen die Schere zwischen Anspruch und Realität besonders weit auseinander klafft. Beide Interpretationen haben je nach Perspektive und je nach Betrachtungsgegenstand ihre Berechtigung.

Schauen wir uns die Entwicklung der sogenannten Identitären Bewegung und die lange Liste ihres Scheiterns an, wird der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit besonders deutlich. Zu erinnern sei unter anderem an ihr episches C-Star-Debakel, die Allmachtsfantasien bezüglich „ihres“ Campus in Halle, den „Vopo-Angriff“ auf zwei Zivilpolizisten in der Adam-Kuckoff-Straße oder die Blockade der geschlossenen CDU-Zentrale in Berlin. Mittlerweile taugt die IB offenbar nicht mal mehr als Internetphänomen, wie ihr Rauswurf aus dem Hallenser Irish-Pub Anny Kilkenny mit anschließenden Hausverbot und gescheitertem Shitstorm auf die social-media Präsenz des Pubs zeigt.

Volksgemeinschaft statt Klassenkampf

Ihr dunkelzivilgesellschaftliches Pendant, die „Bürgerbewegung Ein-Prozent“ rund um Götz Kubitschek, Jürgen Elsässer und Philip Stein, gibt sich nun größte Mühe an dieser Entwicklung anzuknüpfen. Gemeint ist ihre neue Kampagne „Werde Betriebsrat“, die von dem IB- und EinProzent-Kader Simon Kaupert sowie von der sich in beispielloser Hybris selbsternannten Gewerkschaft „Zentrum Automobil e.V.“ getragen wird. Deren neofaschistische Agenda spiegelt sich nicht nur in ihren sehr kärglichen Kaderstrukturen wider, die fast allesamt eine neonazistische Vergangenheit aufzuweisen haben, sondern auch in ihrer Vorstellung von Gesellschaft, die – wenig überraschend – vor allem von verkürzter Kapitalismuskritik und einem radikalen Nationalismus geprägt ist. Ihre markige und vermeintlich kämpferische Rhetorik steht mitnichten für klassenkämpferische Perspektiven, sondern viel eher für die Errichtung einer Volksgemeinschaft, die im Betrieb anfangen soll. Gemeinsam wollen Sie bei den diesjährigen Betriebsratswahlen eigene Kandidaten aufstellen und damit ihre „Selbstbestimmung zurück gewinnen und zeitgleich das Kartell der Gesinnungswächter entmachten“. Großspurig kündigen sie einen „Sturm auf die Betriebe“ an. Soso.

In Deutschland gibt es ca. 180.000 Betriebsratsmandate. Vier dieser Mandate hält das Zentrum Automobil inne, allesamt im Stuttgarter Daimler Werk. Bei BMW in Leipzig soll es angeblich eine ähnliche Initiative geben, ebenso bei Opel in Rüsselsheim. Das wars dann aber auch schon. Gemeinsam mit Simon Kaupert, der sein Organisationstalent bereits eindrucksvoll bei dem eigentlich sehr ekelhaften und letztlich unfreiwillig witzigen C-Star-Projekt unter Beweis stellte, blasen sie nun zum Kampf gegen die »etablierten« Gewerkschaften.

Nun ist es nicht so, dass der Autor dieses Textes in den Betrieben Sachsen-Anhalts keine Anschlussfähigkeit für die neofaschistische Ideologie der Initiative EinProzent sieht. Auch solche grobschlächtigen Zimmertemperatur-IQ-Typen wie der Vorsitzende des „Zentrums Automobil“ Oliver Hilburger, 20 Jahre lang Gitarrist der Neonaziband Noie Werte, der wiederum Verbindungen zum NSU nachgesagt werden, können sicherlich den ein oder anderen Hassbürger zum Hassen begeistern. Ebenso ist die Verbreitung von rassistischen und chauvinistischen Einstellungen selbst unter Gewerkschaftsmitgliedern kein Geheimnis und empirisch belegt. Und zu guter Letzt ist Sachsen-Anhalt Kernland der AfD und irgendwo müssen die 24% der letzten Landtagswahlen ja herkommen. Machen wir uns nichts vor: Die Realität in vielen Betrieben ist geprägt von Menschenfeindlichkeit, Hetze und Kälte.

Hass allein reicht nicht

Bloß: Hass und Hetze und das ein oder andere hochglanz-produzierte „EinProzent“ Video werden ganz bestimmt nicht ausreichen, um in besorgniserregender Relevanz bei den Betriebsratswahlen mitzumischen. Denn dazu fehlt es den Akteuren an allem: Verankerung in den Betrieben, Sachverstand, strategisches Denken, Erfahrung und vor allem der Wille, tatsächlich Verantwortung zu übernehmen und etwas zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen beizutragen.

Wer jemals ernstzunehmende Betriebsratsarbeit gemacht hat, wird folgenden Prototypen sicherlich kennen: Unaufhörlich am meckern und am hassen, gegen die da oben, die da unten, den Betriebsrat, die Gewerkschaft, die Ausländer, die Schwulen oder den örtlichen Fußballrivalen. Selbst niemals für irgendetwas Verantwortung übernommen, aber stolz auf seinen Job, den Niedriglohn und jede Überstunde, weiß er alles und kommentiert alles, bekommt allerdings sein Maul nicht mehr auf, wenn der Vorarbeiter vor ihm steht. Überflüssig zu erwähnen, dass er nicht nur „die Schnauze voll“ hat, sondern auch weiß, deutsch und AfD-Wähler ist und kaum abwarten kann, seine Verbalinkontinenz mit Hilfe von „EinProzent“ auf eine große Bühne zu heben.

Allerdings konterkariert seine Vorstellung, mal kurz die Hand zu heben, um zur Betriebsratswahl zu kandidieren, die Realität von Listenzusammenstellung, Stützunterschriften sammeln, Ersatzkandidaten benennen, Fristen einhalten, mit dem Wahlvorstand kommunizieren und formal-juristisch saubere Dokumente einzureichen. Die Geduld, sich mit einer Wahlordnung auseinanderzusetzen, wird er nicht aufbringen können, weil er zwar gerne „auf den Tisch haut“, aber nicht ansatzweise in der Lage ist, seinen bierseligen Sonntagsreden Taten folgen zu lassen, die über Volksmob-Aktivitäten hinaus gehen. Ebenso verhält es sich mit seiner Vorstellung, „endlich mal aufzuräumen“, weil es „so nicht weiter gehen kann“, die relativ wenig mit betrieblichen Machtkämpfen und –konstellationen, Mehrheiten organisieren, Druck aufbauen zur Durchsetzung eigener Forderungen, Kompromisse aushalten und den feinen Verästelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zu tun hat.

Gute Betriebsratsarbeit versus hassbürgerliche Verbalinkontinenz

Es darf also ernsthaft bezweifelt werden, dass die Neofaschisten überhaupt ausreichend geeignete Kandidat*innen finden werden, die nicht nur laut (aber mit vorgehaltener Hand, damit es der Chef nicht sieht) „hier“ schreien, sondern auch denken können. Und selbst wenn: Eine Betriebsratswahl ist kein Stammtisch. Die Kolleg*innen erwarten eine reale Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und damit verbundene Ideen, Konzepte und Lösungsvorschläge. Betriebsratskandidat*innen sollten nicht nur ein gutes Standing im Kollegium haben, sondern auch Verhandlungsgeschick, Fachkompetenz im Arbeits- und Sozialrecht, rhetorische Stärke, Verantwortungsbewusstsein, strategisches Denken und vor allem einen langen Atem mitbringen.

Alles Merkmale, die der Otto-Normal-Hassbürger mit schwieriger Impulskontrolle nicht mitbringt. Ja, die AfD, Trump oder Le Pen zeigen, dass poltern und hetzen allein ausreichen, um Wähler*innen zu mobilisieren. Auf die Betriebsratswahlen lässt sich dies aber nur bedingt übertragen. Und selbst wenn Sie einzelne Mandate holen werden: Eine Legislaturperiode werden sie nicht überleben. Denn dass an Verhandlungstischen tatsächlich auch verhandelt wird, dass demokratische Aushandlungsprozesse langwierig und schwierig sind und erneut langen Atem und Geschick erfordern, das wird für viele nicht überraschend sein. Für den oben beschriebenen Prototypen aber sehr wohl. Das Betriebsratsamt ist nicht umsonst ziemlich unbeliebt. Welche Kommunikationsleistungen ein guter Betriebsrat in Richtung Geschäftsführung und Belegschaft zu erbringen und welches Fachwissen er sich anzueignen hat, davon machen sich die meisten Kolleg*innen und erst recht nicht die rassistischen Berufspöbler*innen eine Vorstellung.

Selbst in die Offensive kommen 

Die funktionierenden Gewerkschaftsstrukturen in den Betrieben sollte man nicht unterschätzen, denn es gibt sie sehr wohl noch. Betriebsrät*innen mit antifaschistischer und wenigstens kapitalismuskritischer bis antikapitalistischer Haltung, die teils seit vielen Legislaturperioden einen guten Job machen, verstehen ihr Handwerk und haben sich eine Expertise angeeignet, die von vielen Kolleg*innen geschätzt wird. Sie haben sich Erfahrungswissen und Vertrauensverhältnisse aufgebaut, die für die Ausübung eines Betriebsratsamtes unverzichtbar sind. Sie haben mit den Gewerkschaften einen Apparat im Hintergrund, der nach wie vor in vielen Betrieben fest verankert ist, der der größte Bildungsträger im Bereich der Erwachsenenbildung ist und bei Streiks während der Tarifrunden nach wie vor Millionen von Menschen auf die Straße bringen kann.

Das Potenzial menschenfeindlicher Einstellungen – auch unter Gewerkschaftsmitgliedern – sollte nicht unterschätzt werden. Insofern liegt die größte Gefahr der „Werde Betriebsrat“-Kampagne nicht in der Verschiebung der Kräfteverhältnisse in den Betriebsratsgremien, sondern viel eher in der weiteren Vergiftung des gesellschaftlichen und betrieblichen Klimas. Deswegen sollten die gegenwärtigen Entwicklungen natürlich scharf beobachtet und gegebenenfalls mit allen Mitteln bekämpft werden. Am besten durch die Stärkung gewerkschaftlicher Strukturen und durch eigene gute Betriebs- und Tarifpolitik. Die letzte Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie, über die hier berichtet wurde, kann dafür als gutes Beispiel für Partizipation und Umverteilung dienen.

Daher sollte unbedingt folgende Devise gelten, wenn man dem Medienzirkus der Neuen Rechten nicht auf den Leim gehen möchte: Wer über die Kasper von „EinProzent“ unbedingt reden will, sollte von der Tarifrunde nicht schweigen.

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