Märzkämpfe 1921
Vor 100 Jahren kam es im mitteldeutschen Industriegebiet sowie in Hamburg und in Teilen des Ruhrgebiets zu einem bewaffneten Aufstand des Proletariats.
Dieses Frühjahr 2021 jährten sich die als Märzkämpfe in die Geschichte eingegangenen Arbeiter:innenaufstände, die nicht nur Industriestädte erfassten, sondern auch die Dörfer Mitteldeutschlands. Als Regierungspartei der Weimarer Republik ließ die SPD die Aufstände blutig niederschlagen. Heute wird in den Dörfern an die Ereignisse erinnert.
Im März 1921 kam es im mitteldeutschen Industriegebiet sowie in Hamburg und in Teilen des Ruhrgebiets zu einem bewaffneten Aufstand des Proletariats. Im Kontext gesehen, war dieses Ereignis eine von mehreren revolutionären Erhebungen der Arbeiter*innen im Zeitraum von 1918 bis 1923. Ausgangspunkt ist das Kriegsende 1918: die Monarchie wird abgeschafft und eine Republik (bzw. zwei) wird ausgerufen. Weite Teile der Bevölkerung hungern, frieren und sind von Wohnungsnot geplagt. Die SPD versprach als Regierungspartei die Sozialisierung der Betriebe, allerdings nur derer, die dafür bereit waren. Allerdings wartete die Basis der Sozialdemokrat:innen sowie linksradikalen Arbeiter:innen vergeblich auf diese Maßnahme. Insbesondere seit dem Lüttwitz-Kapp-Putsch 1920 kam es in Mitteldeutschland immer wieder zu Streiks und zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Die Führung der jungen Weimarer Republik versucht die organisierte Arbeiterbewegung und ihre Forderungen zu kriminalisieren. Strategie der damaligen VKPD (Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands) war es, die Staatsmacht durch Aktionen zu provozieren, um eine Gegenreaktion zu erzeugen, die die Bevölkerung empören lässt. Diese Empörung sollte genutzt werden, um die Menschen in der Breite der Gesellschaft für die Interessen und Ziele der Partei zu mobilisieren.
Der folgende Artikel soll sich lediglich auf die Region Halle beschränken und einen kurzen und verständlichen Abriss der Ereignisse bieten, um das Ausmaß der Politisierung der damaligen Arbeiter:innenschaft begreiflich zu machen und aufzuzeigen, dass der Aufstand nicht nur in Städten stattfand.
Am Anfang war das Holz
Im März 1921 verhängte die Direktion des Montanunternehmens „Mansfeld“ die Anordnung, dass Abfallholz nicht mehr von den Angestellten mit nach Hause genommen werden darf. Die Bergarbeiter waren allerdings sehr auf dieses Holz angewiesen, es war für sie und ihre Familien die Grundlage zum Kochen und zum Heizen. Daraufhin kam es zu Streiks und Ausschreitungen. Um Kontrolle über die Betriebe und eine sichere Produktion zu gewährleisten, wurden am 19. März Abteilungen der Schutzpolizei in die Region um Eisleben verlegt. Somit wurde eine hochindustrialisierte Region militärisch besetzt. Verantwortlich dafür war der damalige Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen, ein gewisser Otto Hörsing, SPD-Mitglied und erklärter Gegner der Revolution. Das Entsenden der Schutzpolizei in die Betriebe wurde als die Provokation aufgefasst, auf die die KPD gewartet hat. Am 21. März rief die KPD-Bezirksleitung den Generalstreik aus.
… dann kam der Hoelz
Am 22. März erreichte Max Hoelz das Mansfelder Land (Bezeichnung der Eisleber Region). Hoelz kam aus dem Vogtland, wo er zuvor Arbeitslose organisierte und teilweise bewaffnete, um Plünderungen o.ä. durchzuführen. Er war selbst kein KPD-Mitglied, er war Teil der KAPD (Kommunistische Arbeiter Partei Deutschlands). Diese Partei ging aus einer Abspaltung der KPD hervor, sie war sehr aktionistisch veranlagt und lehnte eine Organisierungsform nach Lenin ab.
Auf Streikversammlungen und in Form von Flugblättern und Plakaten rief Hoelz zum Widerstand gegen die Polizei auf. Im Zuge dessen organisierte er die Bewaffnung der Arbeiter sowie die der Arbeitslosen in der Region. Viele Arbeiter sind im 1. Weltkrieg Soldaten gewesen und weigerten sich, nach Kriegsende ihre Waffen und Munition abzugeben. Auf diese Waffen wurde nun zurückgegriffen.
Jetzt nahm das Geschehen seinen Lauf: Unter Hoelz wurden Stoßtrupps gebildet. Diese Truppen begannen am 23. März 1921 mit Plünderungen in der Eisleber Region. Villen wurden gesprengt, Eisenbahnschienen um Güterwaggons entgleisen zu lassen ebenso. Banken wurden überfallen und die Polizei wurde mit Waffengewalt angegriffen. Fast zeitgleich verschanzten sich Arbeiter in den Leuna-Werken, die heute noch existieren, auch sie waren bewaffnet und sie konstruierten einen eigenen Panzerzug.
Der Anfang vom Ende
Der damalige Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) verhängte am 24. März den Ausnahmezustand für die Provinz Sachsen als auch für Hamburg. Somit traten jegliche Grundrechte außer Kraft. Es wurden nochmals verstärkt Regierungskräfte in die Aufstandsgebiete entsendet, um die angebliche Ordnung wiederherzustellen.
Durch schweres Kriegsgerät gerieten die Aufständischen in Bedrängnis und gaben immer mehr Ortschaften auf, wo sie zuvor erfolgreich den Einzug der Schutzpolizei verhinderten. Das Leuna-Werk wurde mit Artillerie beschossen. Am 1. April wurde der letzte Stoßtrupp Hoelz‘ bei Beesenstedt (westlicher Saalekreis) aufgerieben, Hoelz selbst konnte nach Berlin flüchten. Dort wurde er allerdings einige Wochen später festgenommen, er war bis 1928 inhaftiert.
Was bleibt?
Es blieben viele Tote. Jeder noch so kleine Ort im heutigen Saalekreis sowie in Mansfeld-Südharz verlor Bürger durch die Märzkämpfe. Das macht deutlich, wie stark diese Region politisch organisiert war. Anhand von Ortschaftschroniken kann man davon ausgehen, dass allein in den Dörfern zwischen Halle und Eisleben im hohen zweistelligen Bereich Arbeiter ihr Leben ließen. Viele von ihnen wurden nach ihrer Kapitulation standrechtlich erschossen. Eine sehr finstere Anekdote lässt sich in der Chronik der Ortschaft Stedten (heutiges Mansfeld-Südharz) auf Seite 40 finden:
„Martin Deutsch wurde am 31. März in Schafstädt umgebracht. […]
Martin Deutsch war ein revolutionärer Arbeiter aus Stedten. Auf dem Riebeckschen Gut wurden Decken für die kämpfenden Arbeiter beschlagnahmt. Der Gutsinspektor Schonsky sollte durch eine Ohrfeige von ihm zur Räson gebracht werden. Martin Deutsch wurde festgenommen. In Schafstädt mußte er mit gefesselten Händen um den Dorfteich laufen. Der aus Stedten herbeigeholte Gutsinspektor Schonsky gab ihm nach jeder Runde ein Hieb mit dem Beil. Martin Deutsch wurde die Schädeldecke zertrümmert …“
Nicht nur die Polizei übte Vergeltung oder Rache, sondern auch Großgrundbesitzer und deren Angestellte in höherer Position.
Trotz des Scheiterns, trotz der brutalen Racheaktionen, blieb die Region weiterhin rot. Im April 1928 kam Ernst Thälmann in das Dorf Stedten, um an einer Gedenkkundgebung teilzunehmen. Selbst die Reichstagswahlen vom 05. März 1933 zeigen: fast 38% der Stimmen im Regierungsbezirk Merseburg gehen an SPD und KPD. Es zeigt zumal, dass völkische und nationale Propaganda hier auf weniger fruchtbaren Boden fiel als in anderen Teilen der Weimarer Republik.
Heutzutage zeichnet sich ein anderes Bild ab. Mittlerweile sind diese historischen Regionen Hochburgen der AfD. Bei den Landtagswahlen 2016 kam die AfD in den Landkreisen MSH und SK auf bis zu über 30%. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Einer könnte die starke Deindustrialisierung nach dem Ende der DDR sein. Der Bergbau in der Region verschwand fast komplett, was für die Umwelt zu begrüßen ist, den Leuten aber ihren Arbeitsplatz kostete und somit auch ihre politische Orientierung an Gewerkschaft oder linken Parteien. Der starke demographische Wandel, der Zusammenbruch des Kulturbereichs und die Propaganda rechter Parteien namens CDU, NPD, Republikaner und DVU taten ihr übriges. Dies soll keine Rechtfertigung dafür sein, dass Menschen in Armut automatisch rechtes Gedankengut verinnerlichen, es ist nur ein Versuch sich diese Entwicklung zu erklären.
In der DDR wurde in den meisten Orten ein Denkmal oder eine Stätte errichtet, die an die Kämpfe und ihre Opfer bis heute erinnern. Eines der größten davon befindet sich zwischen Stedten und Schraplau, auf der Landkreisgrenze zwischen dem heutigen Saalekreis und Mansfeld-Südharz. In den letzten Wochen wurde in mühevoller und ehrenamtlicher Arbeit das gesamte Denkmal restauriert. Der Ortsverband Querfurt/Weida-Land der Partei Die Linke, die Ortsbürgermeister der beiden anliegenden Gemeinden, Anwohner:innen und Passant:innen halfen finanziell oder mit ihrer Arbeitskraft die Aktion zu bewältigen. Für den 21. März diesen Jahres, ab 10 Uhr wurde zum öffentlichen Gedenken eingeladen.
Für alle, die sich intensiver mit dem Thema befassen möchten, ist Daniel Kullas Arbeit zu empfehlen. In Zusammenarbeit mit dem RATS Kulturzentrum Obhausen wurde ein ausführlicher Vortrag zum Thema produziert. Wer sich dem Thema lieber literarisch annähern möchte, denen sei das Buch „Märzstürme“ von Otto Gotsche empfohlen. Gotsche, gelernter Bergmann und später hoher SED-Funktionär, stammt aus dem Mansfelder Land und verfasste einige zeithistorische Romane, die in der Region spielen.