Kunst in der Unterwelt
Die Premiere von „Im Berg“ nach Franz Fühmann des freien Ensembles p&s am WUK Theater
von Hauke Heidenreich | veröffentlicht am 16.01 2023
Beitragsbild: Nikita Skopincev | WUK Theater Quartier
Der Bergbau im Mansfelder Land gehört zum zentralen Selbstverständnis vieler Leute in der Region. Der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann hatte es sich zum Ziel gesetzt, den Bergbau des Mansfelder Landes und seine Effekte im Leben der Menschen dichterisch zu erkunden. Bereits zu Lebzeiten sah Fühmann das Scheitern des Projektes und starb, bevor die Arbeit beendet werden konnte. Das Ensemble p&s begibt sich in seiner neuen Inszenierung am WUK-Theater auf die Spuren Fühmanns. Ein Essay über die Rolle der Kunst untertage.
Gemeinhin wartet man darauf, dass sich die Augen auf die Dunkelheit einstellen und man mit der Zeit Umrisse und schemenhaft Gegenstände, unter Umständen sogar konkrete Formen erkennen kann. Doch untertage herrscht keine Dunkelheit, die man nach einer Wartezeit durchdringen kann. In den Bergbau-Stollen des Mansfelder Landes herrscht absolute Finsternis, die nur mit künstlichem Licht leidlich durchbrochen werden kann. Diese Finsternis zu beschreiben hat sich der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann kurz vor seinem Tod vorgenommen. Es sollten Texte dazu entstehen. Doch der Versuch scheitert und die Beschreibung bleibt ein Fragment. Fühmann stirbt und die Finsternis bleibt ohne Namen.
Im Prolog des Stücks wird Fühmanns Ringen mit der Aufgabe dargestellt. Ein Buch schreiben sei, wie in einen Schacht zu gehen, in dem ja auch alles offen sei. Wie beschreibt man etwas, das sich jeder rationalen Beschreibung entziehen will? Wie kann Kunst in einem Schacht stattfinden und wie kann sie ihn zum Thema machen? Fühmann wird letztlich mit dieser Aufgabe scheitern und die Figuren des Stücks haben es sich zur Aufgabe gemacht, am Ort des Scheiterns weiterzumachen.
Nebel und Finsternis
In der Dunkelheit philosophieren die Figuren des Stücks über verschiedene Themen, um Fühmanns Scheitern, den Schacht mit der Kunst zu bezwingen, nachzuvollziehen und an seine Arbeit anzuknüpfen. Die Inszenierung zeigt eindrucksvoll, wie das Gefangensein in der Finsternis die Figuren plötzlich dazu zwingt, ihr vergangenes Leben als eine Art Vorgeschichte des Schachtes zu verstehen. Der Stollen wird plötzlich zur geheimen Logik, hinter allem, was die Figuren bisher erlebt haben. Das bisherige Leben der Figuren erscheint als bereits vorgezeichneter ewiger Schacht.
Eine erinnert sich daran, wie sie sich gewünscht habe, im Schultheater Schneewittchen spielen zu können – die bekanntlich von Bergleuten vor der bösen Königin beschützt wurde. Zudem wurde ihr bei der Berufsberatung in der Schule geraten, mit ihren guten Noten einen ordentlichen Job zu machen, anstatt mit einer Bewerbung an einem Theater letztlich „Perlen vor die Säue“ zu werfen. Kunst sei vielleicht immer nur eine im Dunkeln tastende Suchbewegung, mutmaßt eine andere, und wieder eine andere stellt Überlegungen an, aus einem Heimatland zu kommen, das aus Nebel statt Finsternis besteht. Müsse man nicht letztlich jedes Scheitern auch als ein Gelingen betrachten, fragt eine andere Figur und versucht sich selbst in der Niederlage noch am Trost. Eine andere Figur erkennt ihre endlose Dummheit angesichts des Schachtes und es bleibt letztlich nur die Einsicht, dass der Versuch, die Finsternis mit der Kunst zu bannen, fragmentarisch und daher gescheitert bleibt. Im Schacht blüht nichts.
Am Ende der Runde des Philosophierens zeigt sich, dass auch die Figuren scheinbar vergeblich versuchen, die Kunst als Erklärung des Schachtes heranzuziehen. Die Finsternis des Schachtes scheint ewig, er hat es geschafft, sich in die Erklärungsversuche der Figuren einzuschreiben. Ihr Denken über den Schacht wird durch den Schacht selbst bestimmt, ihre eigene Vergangenheit erscheint nur noch als bloße Vorgeschichte, die bereits auf den Schacht hindeutet. Lichtblitze mit künstlichem Licht – das einzige, was einen Schacht beleuchten kann – bringen keine Klarheit, sondern nur weitere vergebliche Erklärungsansätze ans Licht.
Die Szenerie verändert sich abrupt und plötzlich besteht die Bühne aus einem in bläuliches Licht getauchtem Nebel. Die Figuren sind offensichtlich an die Oberfläche zurückgekehrt, werden dort aber von einem dichten Nebel empfangen, der die Sicht blockiert. Der Nebel ist hier paradoxerweise eine Art Rettung vor der Finsternis. Nebel kennzeichnet das Heimatland, aus dem eine der Figuren meint zu kommen, und die Figuren erkennen, „alles Gnädige hat Nebelcharakter“. Aus dem Philosophieren in der Finsternis wird die Philosophie des Nebels, die diesen in drei Arten eingeteilt – dünn, dick und undurchdringlich. Im Nebel wird vor allem darin ein Moment der Befreiung anerkannt, dass im Nebel die Dinge nicht zusammenkommen, sondern zerstreut werden. Hinter dem Nebel können Luftschlösser der Fantasie konserviert werden, die keiner Auflösung oder Erklärung bedürfen, um zu existieren. Nebel ist zudem keine Finsternis, wie eine der Figuren deklamiert. Finsternis kann durch die (kantische) Aufklärung erhellt werden, der Nebel wiederum kann durch das Licht der Aufklärung nicht zerstreut werden – im Nebel blendet das Licht.

© Nikita Skopincev | WUK Theater Quartier
Die gefesselte Kunst
Der Nebel erscheint in der Inszenierung als Ort, der im Gegensatz zur Finsternis sozusagen eine Pause vom Erklärungsdrang gewährt. Im Nebel kann sich die Kunst mit Luftschlössern, Philosophie, ja sogar mit der Gnade befassen, ohne sich einem Zweck oder Ziel unterzuordnen. Im Nebel kann die Kunst also Momente der Freiheit erringen, die gerade darin liegen, dass sie jede Form von Identität zerstreuen und darum nicht einer darüber oder darunter liegenden Rationalität entsprechen müssen. Doch der Nebel wird schließlich selbst zerstreut, und zwar eben nicht durch einen Akt der Aufklärung, sondern durch einen Akt der Konformität. Aus dem Nebel der Bühne schält sich ein staatliches Tanzlokal der DDR, wo eine Belegschaftsfeier von Bergleuten stattfindet. Um Zutritt zu dieser Art von Kunst zu bekommen, muss man eine Krawatte tragen oder von bestimmten Leuten eingeladen worden sein; man muss dazu gehören. Eine Band spielt sich, ähnlich wie im Film „Solo Sunny“ von Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase, mit routinierter Professionalität und ohne große Begeisterung einmal quer durch alle Musikgenres, um die gerade von der Arbeit Pause machenden Kolleg*innen der Bergbaubrigade angemessen zum Tanzen zu ermutigen, ohne aber über die Stränge zu schlagen. Kunst und Musik wurden durch ihren Anspruch, einen Sachverhalt rational erklären zu wollen, also die Finsternis durch Kunst zu bändigen, zu einem Rädchen in einem staatlichen System, das sich die Hoheit über die Rationalität sichert. Im Tausch für die so an das politische System abgetretene Freiheit bekommt die Kunst den Beifall des werktätigen Publikums, das durch diese Art von Kunst von seinem tristen Alltag im Stollen abgelenkt wird. Die feiernde Belegschaft soll keine Luftschlösser vorgehalten bekommen, sondern am nächsten Tag froh und munter weiter schuften. Der staatliche Kunstbetrieb liefert dazu den passenden Soundtrack.
In der DDR sollte die Kunst eben keine Grenzen sprengen – schon gar nicht die Grenze – oder Luftschlösser träumen. Sie war dazu da, die politische Autorität der SED und der Blockparteien zu festigen, das Grenzregime zu legitimieren und notfalls dem real existierenden Sozialismus eine völkische Basis zu liefern: „Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“, die „wir“ schützen, „weil sie dem Volke gehört“, wie es bei der FDJ gesungen wurde; eine Heimat, die man nicht verlassen durfte oder eben dann unfreiwillig verlassen musste, wenn man verhaftet wurde, wenn man zum Beispiel auf eine Art musiziert oder gemalt hat, die dem staatlichen Kunstbetrieb ein Dorn im Auge war. Zudem war die Heimat in der DDR buchstäblich ein Land des Staubes. Kunst sollte den passenden Überbau zu einem Weltbild liefern, das sich rational und wissenschaftlich gab. Die Kunst wurde einem politischen Zweck untergeordnet, dem sie gehorchen musste. Dadurch büßt die Kunst sozusagen ihre kritische Masse ein. Sie wird angepasst und die Anpassung wurde gerade ironischerweise auch dadurch möglich, dass Kunst sich selbst den Anspruch gesetzt hat, einen eigenen Beitrag zur Rationalisierung der bestehenden Welt beizutragen; anstatt einen Ansatz zu bieten, über die bestehende Welt hinaus zu gelangen, ein Ort der Utopie zu werden. Anstatt alle Identitäten durch die Differenz im Nebel zu erschüttern, wird sie zur Magd der Identität, von der sie sich die Themen diktieren lässt, zur Komplizin der Parteipolitik. Der Spaß wird obrigkeitlich organisiert. Die Finsternis dringt in die Kunst ein in Form des staatlichen Kulturbetriebes der DDR, setzt sich in ihrer Geschichte fest und bestimmt sowohl über ihre Ausdrucksformen als auch ihre Gegenstände.

© Nikita Skopincev | WUK Theater Quartier
Arbeitszwang und Zwangsarbeit
Und so dient die Kunst in der DDR auch noch einem weiteren Zweck: der Stabilisierung der Ausbeutung. Die Arbeit im Schacht soll das gesamte Leben und die gesamte Geschichte der Menschen bestimmen. Im Vorfeld der Premiere fand die Vernissage der Ausstellung „Mansfelder Geschrey“ des Filmemachers und ehemaligen Bergarbeiters Thomas Jeschner statt, die man noch bis zum 25. Januar bei allen Vorstellungen besichtigen kann. Jeschner hat 2013/14 Interviews mit ehemaligen Bergleuten aus dem Mansfelder Land geführt und sie nach ihrem Arbeitsalltag und ihren Selbstbildern während und nach dem Ende ihrer Tätigkeit befragt. Ein ehemaliger Brigadeführer lobte dabei besonders die herausragende Kameradschaft seiner Belegschaft im Stollen bei Röblingen, die es in der Form zum Beispiel in Sangerhausen nicht gegeben habe. Der Bergmann erwähnt bezeichnenderweise nicht den Grund dieses Umstandes. Denn historische Forschungen haben ergeben, dass Häftlinge der Strafvollzugsanstalt Volkstedt im für die Region typischen Kupferschieferbergbau im Thomas-Münzer-Schacht bei Sangerhausen als Zwangsarbeiter eingesetzt worden sind. Zwangsarbeiter wurden in vielen DDR-Betrieben eingesetzt, unter anderem im Raum Bitterfeld, wo Chemie-Kombinate auch für westdeutsche Konzerne produzierten, um besonders gefährliche Arbeiten zu erledigen. Der von Jeschner interviewte Bergmann aus Röblingen erwähnte im Interview auf das Thema Arbeitssicherheit angesprochen, dass es in Sangerhäuser Schächten mehr Arbeitsunfälle gegeben habe, weil dort das Gestein eine andere Struktur aufweise und Kontakt damit häufiger zu Verletzungen führe.
Die Arbeit sollte die ganze Identität eines Menschen in der DDR bestimmen. Sie sollten arbeiten und sie sollten es gerne und zum Wohle der „Heimat“ tun. Und wenn die Menschen sich gegen die Ideologie ihrer Heimat wandten, wurden sie verhaftet und konnten zur Zwangsarbeit eingesetzt werden. Bezeichnenderweise gab der interviewte Bergmann zu Protokoll, dass er seinen Enkeln davon abraten würde, im Bergbau zu arbeiten, und verwies dabei vor allem auf gesundheitliche Folgen der Arbeit untertage.
Franz Fühmann verlangte von seinem Kunstverständnis her, dass Kunst aufklären solle, rational erklären solle. Damit ist die Komplizenschaft der Kunst mit der Parteipolitik besiegelt. Fühmanns Versuch, eine Art vernünftige Wahrheit in der Bergarbeit durch Kunst zu entdecken, verstärkt die Ideologie des Schachtes, indem sie ihr eine künstlerische Basis verleiht. Dagegen wäre, wie bereits in einem anderen Text über ein Stück des Ensembles p&s formuliert, zu sagen: „Kunst muss die Zwischenräume zeigen und gleichzeitig die Erzählung der politischen Macht herausfordern, die sich nur allzu gern auf einfache Erklärungsmuster beruft und andere Vorgänge ausschweigt“. Dies kann sie, indem sie nicht versucht, die Rationalität der Finsternis aufzuspüren, sondern indem sie im wahrsten Sinne des Wortes im Trüben stochert und durch den Verweis auf die „Luftschlösser hinter dem Nebel“ die Begrenztheit gegenwärtiger politischer Modelle aufzeigt. Das Stück „Revolution der Stille“ des Ensembles p&s legte seinerzeit ebenfalls den Fokus auf ein Gelingen einer solchen Kunst, indem das Ensemble vorführte, wie Kunst herrschende politische Diktionen herausfordern kann, indem sie sich dem Anspruch auf Parteinahme verweigert und die jetzige Realität transzendiert. Das aktuelle Stück „Im Berg“ knüpft hier an und führt das grandiose Scheitern eines Kunstverständnisses vor, das durch seinen Versuch, sich nur dem Abbild der momentanen Wirklichkeit zu verschreiben, eben diese Realität verfestigt und die Ideologie dahinter verstetigt.
Im letzten Teil des Stücks ist die Belegschaftsfeier vorbei und die Werktätigen müssen zurück in die „Kleeche“ (Mansfelder Dialekt für schwere Arbeit) im Schacht. Mit Hilfe eines tragbaren Projektors zeigen die Figuren Szenen aus ihrem tristen und gefährlichen Arbeitsalltag. Plötzlich öffnet von oben ein Archäologe den Schacht. Langsam wird mit Hammer und Meißel ein Loch in die Stollendecke geschlagen. Durch das Loch lässt der Archäologe einen Forscher (offenbar Franz Fühmann) in Gestalt einer Puppe hinab, der die Verhältnisse untertage erforschen will, der aber bald in die Logik des Stollens integriert, seinen Halt verliert, abrutscht und zum neuen Kollegen der Brigade wird. Er muss nun die schweren Arbeitsbedingungen ertragen, das ewige Sitzen in niedrigen Loren und der ständige Kontakt zu anderen menschlichen Leibern, wo man nie allein ist und die Arbeitenden nie von ihrer Arbeit loskommen. „Das Rumpeln tötet jeden Gedanken/jede Fabel“, merkt Fühmann, der in Gestalt der Puppe langsam das Scheitern seines Unterfangens spürt, den Stollen mit Mitteln der Kunst und der Schriftstellerei zu erfassen. Der Zwang zur Arbeit in der DDR – für einige die Zwangsarbeit – integriert den Künstler und die Kunst in den (Kultur-)Betrieb und verhindert das freie Denken und Sprechen. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass Fühmann in einigen Momenten merkt, dass der Stollen mit seinen Bahnhöfen, Gleisanlagen und Transportsystemen nur ein dunkles Abbild der oberirdischen Industrie ist, nur mit dem Unterschied, dass die Arbeit eben untertage stattfindet, aus der es kein Entrinnen gibt. Der auch oberirdisch erhobene Arbeitszwang wird untertage noch durch die bedrückende Atmosphäre des Stollens verstärkt, die Belegschaften so gewaltsam integriert. Das einzige Licht, dem man begegnet, ist künstliches Licht. Fühmann resigniert und kommt zu dem Schluss: „man zerritzt nicht ungestraft den Berg“. Die Ideologie des Schachtes der DDR hat sich so tief in Fühmanns Denken eingegraben, dass die Arbeit untertage nun wie etwas Naturgegebenes erscheint und die Schufterei als Rache des Berges für das Eindringen in die Natur gesehen wird, der man sich nicht entziehen könne. Die Arbeitsabläufe wurden naturalisiert, ein Nachdenken über die Beschaffenheit der Arbeitsbedingungen wird verunmöglicht auch dadurch, dass Fühmanns literarischer Rationalisierungsversuch den Bergbau, und somit auch Zwangsarbeit und Arbeitszwang, als etwas Ursprüngliches romantisiert, das man nicht beschreiben könne und erleben müsse. Am Ende von „Im Berg“ sitzt Franz Fühmann als Puppe in seinem Arbeitszimmer und versucht vergeblich, das Erlebte niederzuschreiben. Er setzt immer wieder an, bringt ein paar Zeilen zu Papier, nur um das Blatt dann zu zerreißen und von vorn anzufangen. Die letzte Einstellung zeigt einen einsamen Schriftsteller inmitten seiner Papierfetzen. Der Anspruch seiner Art von Kunst, die Rationalität des Schachtes zu enttarnen, schlug fehl.
Am Anfang war die Finsternis. Die Inszenierung „Im Berg“ des Ensembles p&s beginnt mit ihr und sie endet auch damit. Die Arbeit bestimmt die Identität und ein staatliches System hat den Kunstbetrieb umgeformt. Aber ist das alles?
Am Ende des Schachtes
Der Bergbau, der die Identität vieler Menschen auf lange Zeit bestimmte, kommt historisch an sein Ende. Die Kombinate des Mansfelder Landes wurden im Zuge der Treuhand nach 1990 privatisiert oder abgewickelt, es kam zu Massenentlassungen. Das Ende vieler Bergbauschächte in der Region scheint von vielen nicht mit einer Befreiung der DDR, sondern mit dem Verlust des Arbeitsplatzes konnotiert zu werden. Noch heute ist vielen Menschen in der Region Mansfelder Land wichtig zu betonen, dass der Bergbau ein integraler Teil ihrer Identität sei. Doch andererseits ist es auffällig, dass die interviewten Bergleute ihren Kindern und Enkeln den Rat erteilen, lieber nicht im Bergbau zu arbeiten: weil er eben zu Ende ist und wegen der Gesundheit. Die Logik des Schachtes konnte die Bergleute also nicht völlig beherrschen.
Längst ist vielen klar geworden, dass fossile Energie keine Zukunft mehr hat, auch wenn nach wie vor um jeden Vertrag gefeilscht wird, der den Phantombesitz (Eva von Redecker) über fossile Energien wenigstens teilweise aufrechterhält. Auch die DDR ist Geschichte und heutzutage unterliegt der Kunstbetrieb keiner zentralen Deutungshoheit mehr; auch wenn einige politische Entscheider*innen dies beanspruchen. Vielmehr ist zu beobachten, dass in der heutigen Gesellschaft Kämpfe um die Deutungshoheit über die Kunst stattfinden; etwa indem Aktivist*innen der Letzten Generation den kolonialen Besitzanspruch staatlicher Akteur*innen bezüglich der Kunst infrage stellen.
Die derzeitigen Klimaproteste sind ein Ausdruck, nicht in einer vom Schacht bestimmten Welt leben zu wollen. Und dies bedeutet nicht nur das Ende fossiler Energieträger. Wie oben gezeigt, wurde der Schacht in der DDR zur alleinigen Grundlage der Identität für die Arbeitenden hochstilisiert und notfalls bei Widerspenstigen per Zwang verabreicht. Die Aktionen der Klimabewegungen richten sich daher gegen autoritäre und diktatorische Gesellschaftsmodelle, die in der Vergangenheit mit dem Abbau fossiler Energieträger einhergingen. Es ist in diesem Kontext eine Diagnose entscheidend, die Dani Luiz auf dem journalistischen Portal „LZO Media“ über die Art der Besetzung des Dorfes Lützerath gezogen hat: „Während vor den Toren Lützeraths die Klimakatastrophe wortwörtlich immer näher rückt, passiert innerhalb der Dorfgrenzen etwas, das Viele für unmöglich halten. Ein autonomes Dorf, ein anarchistischer Traum, eine Utopie.“ Die Klimaaktivist*innen haben in ihrem Protest gegen die fossile Wirtschaft eigene Formen der Selbstverwaltung und Selbstorganisation ins Spiel gebracht, in der basisdemokratische Entscheidungsprozesse zentral sind und die sich sowohl vom obrigkeitlichen Betonsozialismus der DDR als auch von der derzeitigen pragmatisch-zögerlichen Politik der Bundesregierung unterscheidet. Es ist, wenn man so will, eine politische Artikulation, nicht in den bisher erprobten Formen politischer Herrschaft regiert zu werden. Diese Art von Selbstorganisation wird dabei ausdrücklich als gesellschaftliche Alternative vorgeführt.
An dieser Stelle hakt das Stück „Im Berg“ des Ensembles p&s nachdrücklich ein. Kunst kann Luftschlösser spinnen, sie muss sich nicht den Vorgaben der Politik unterordnen, sondern sie kann Alternativen artikulieren und vor allem: sie kann durch ihre eigenen Mittel zeigen, dass Kunst notwendig scheitern muss, wenn sie sich einer politischen Vorgabe unterordnet; und sich dadurch selbst den Weg in den Nebel weisen, der sich der Finsternis des Schachtes, also einer alle möglichen Realitäten einschließenden Rationalität, verweigert. Sie kann so Bruchstellen in einer Identität zutage fördern. Wenn ehemalige Bergleute aus dem Mansfelder Land der nachfolgenden Generation, die heute zum Teil eben selbst Teil der Klimabewegung sind, selber schon den Rat geben, nicht in die fossile Energie einzusteigen, dann deutet sich hier eine Differenz an, die die vermeintlich positive Identität der gemeinsamen Arbeit erodiert. Franz Fühmann behält nicht zur Gänze Recht und sieht vor allem eines nicht, weil es durch seinen Versuch, die Bergarbeit durch seine Kunst zu rationalisieren, verdeckt wird: auch in einem System, das dazu angelegt war, jegliches Denken abzutöten, zeigten sich Risse und der letzte Rat der Bergleute legt von diesem nicht gänzlich unterbundenen Denken Zeugnis ab: lasst das lieber sein mit dem Bergbau.
Ein Theaterstück des Ensembles p&s in Kooperation mit dem WUK Theater Quartier, inszeniert von Tom Wolter.
Weitere Termine:
Mi, 18.01. – 20:30 Uhr
Fr, 20.01. – 20:30 Uhr
Sa, 21.01. – 20:30 Uhr
So, 22.01. – 18:00 Uhr
Do, 23.02. – 20:30 Uhr
Fr, 24.02. – 20:30 Uhr
Sa, 24.02. – 20:30 Uhr
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