Klimaproteste: Die Zeit rennt!
Weltweiter Klimastreik am 20. September – Halle ist mit dabei
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass ihr sogenanntes Klimakabinett am 20. September einen Plan zum deutschen Beitrag gegen die Klimakatastrophe vorlegen wird. Gleichzeitig werden an diesem Tag erneut weltweit Menschen auf die Straße gehen, in deren Augen die Politik bislang viel zu wenig getan hat. Wir sprachen im Vorfeld mit Ole von FridaysForFuture Halle.
Geht das Jahr 2019 in die Geschichtsbücher ein als jenes Jahr, in dem der Kampf gegen die Klimakrise endgültig verloren ging? Die Schärfe, mit der aus der sich sonst so zurückhaltend gebenden Wissenschaft vor weiteren faulen politischen Kompromissen gewarnt wird, deutet zumindest auf den Ernst der Lage hin. So veröffentlichte die „ecology & evolution“-Ausgabe der weltweit renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschrift nature einen eindringlichen Appell der beiden Forscher*innen Charlie J. Gardner und Claire F. R. Wordley, demzufolge Wissenschaftler*innen gegebenenfalls auch zivilen Ungehorsam leisten sollten, wenn sie auf anderen Wegen nicht gehört werden. Mit Blick auf Bewegungen wie Ende Gelände oder Extinction Rebellion verweisen sie auf den Erfolg solcher Protestformen.
Andere Wissenschaftler*innen, wie der britische Professor Jem Bendell von der University of Cumbria, gehen sogar schon weiter und schlagen Konzepte zur Vorbereitung auf gesellschaftliche Zuspitzungen infolge der Klimakrise sowie Anpassungsmöglichkeiten vor. Bendell, der Extinction Rebellion als Strategieberater unterstützt, warnt davor, dass die Folgen der Klimakrise viel früher eintreten und auch deutlich schwerer ausfallen könnten, als es den meisten bislang bewusst ist. Er schreibt von Hungersnöten, Krankheiten, Überschwemmungen, Sturmschäden, Zwangsmigration und Krieg.
So viel zum Worst-Case-Szenario für die westliche Welt. In anderen Teilen der Erde sind solche Folgen längst eingetreten oder stehen unmittelbar bevor. Und wenn die USA sich mit einer Mauer gen Süden abschirmen, genauso wie Europa es mit dem Mittelmeer bereits grausam praktiziert, dann greifen solche und andere politische Entscheidungen sicher auch bewusst schon Krisenszenarien in einer sich klimatisch verändernden Welt voraus.
Paradox bleibt, warum trotz all der klaren wissenschaftlichen Modelle und der gleichzeitig auch vorliegenden wissenschaftlichen Vorschläge zur Eindämmung der Klimaveränderungen politisches, gesellschaftliches und individuelles Handeln weit davon wegbleiben, rational und langfristig sinnvoll mit der Bedrohung umzugehen – die Klimakrise also möglichst stark einzudämmen. Die Psychologie hat für dieses Paradoxon viele Antworten. Alle laufen darauf hinaus, dass Menschen Bedrohungen zumeist erst erkennen und angemessen handeln, wenn sie direkt vor ihrer Nase auftauchen, und dass wir ansonsten sehr gut darin sind zu verdrängen oder zu verleugnen. Die Psychologists/Psychotherapists for Future (Psych4F) fordern in diesem Wissen auch in einer aktuellen Presseerklärung mehr Akzeptanz für die Realität der Klimakrise. Diese müsse jedoch „nicht nur auf der rationalen, sondern auch auf der emotionalen Ebene geschehen, um die kollektive Verleugnung und Verdrängung überwinden zu können“ (mehr zu solchen Mechanismen in der aktuellen Ausgabe des Psychotherapeutenjournal).
Neben den Psych4F haben sich in den letzten Wochen und Monaten auch weitere Unterstützungsgruppen für FridaysForFuture gebildet, darunter ParentsForFuture oder ScientistsForFuture. Immer mehr Menschen lassen sich von „den Fridays“ anstecken und unterstützen die Kinder und Jugendlichen, die ausgehend von Greta Thunbergs Beispiel das Klimathema in diesem Jahr auf Platz 1 der wichtigsten politischen Themen katapultiert haben. Wir haben Ole von FridaysForFuture Halle gefragt, wie der aktuelle Stand der Bewegung vor Ort ist:
Transit: Ole, was passiert am 20.09. in Halle und weltweit?
Ole: Es steht der nächste Globale Klimastreik an. Gemeinsam gehen alle Generationen weltweit auf die Straße. So auch in Halle, ab 12 Uhr auf dem Hallmarkt.
Transit: Was habt ihr in den Sommerferien gemacht?
Ole: Über unsere Social-Media-Accounts haben wir zum Beispiel Tipps zu klimafreundlichem Leben im Alltag verbreitet. Neben unserer Teilnahme am Sommerkongress von FridaysForFuture haben wir die Demo am 20. September vorbereitet. Ansonsten waren wir noch bei einigen Events vertreten.
Transit: Womit der Vorwurf, ihr würdet nur zu gerne Schule ausfallen lassen, wohl endgültig widerlegt wäre. Wie bewertet ihr denn das Verhalten „der Erwachsenen“ in Bezug auf den Umgang mit der Klimakrise?
Ole: In der Politik ist noch viel zu wenig angekommen, aber im privaten Bereich haben viele verstanden, wie dringend der Handlungsbedarf und wie bedrohlich die Klimakrise ist. Endlich haben viele gemerkt, dass es wichtig ist gemeinsam auf die Straße zu gehen.
Den vielen Gesprächen mit der Politik sind bislang keine Taten gefolgt. Es gibt noch zu viel „Klimaschutz ist wichtig, aber…“. Und sie macht sich zu viel Hoffnung auf ein übermorgen zu erfindendes Gerät, das alle unsere Probleme lösen wird („Innovation“), ohne dass wir irgendwas verändern müssen. Zuzugeben, dass es ein großes Problem gibt, fällt der Politik offenbar schwer. So liegt definitiv noch viel Arbeit vor uns.
Transit: Mit welchen Gefühlen schaut ihr angesichts der angesprochenen Tatenlosigkeit der Politik auf eure Zukunft und die Zukunft unseres Planeten? Überwiegt da eher die Hoffnung oder die Sorge?
Ole: Die Hoffnung überwiegt. Wenn wir jetzt handeln haben wir noch die Möglichkeit eine Katastrophe abzuhalten.
Transit: Inwiefern merken wir in Halle, dass der Klimawandel längst da ist?
Ole: Straßenbäume und Rasenflächen vertrocknen, über die Jahre hinweg ist auch in Sachsen-Anhalt ein Temperaturanstieg zu erkennen. Außerdem gibt es auch vermehrt Dürre- und Hitzezeiten.
Transit: Welche konkreten Forderungen habt ihr vor diesem Hintergrund an die Kommunalpolitik in Halle?
Ole: Wir haben einen Forderungskatalog für Halle erstellt, der demnächst auf unserer neuen Homepage zu finden ist. Ein wichtiger Punkt aus unserem Katalog ist die Autofreie Innenstadt. Dazu gibt es ab 15 Uhr am 20. September in der Geiststraße eine Aktion zum Parking Day.
Transit: Wie wollt ihr diejenigen überzeugen, die den Klimawandel gar nicht wahrhaben wollen?
Ole: Mit wissenschaftlichen Fakten, zum Beispiel von den 28.000 Wissenschaftler*innen von Scientists for Future. Außerdem generell mit dem wissenschaftlichen Konsens: 99,7% der Wissenschaftler*innen sind der Meinung, dass der Klimawandel durch den Menschen verursacht wird. Und in Zukunft vielleicht auch mit Vorträgen von ScientistsForFuture Halle, die sich gerade gründen.
Transit: Und was sagt ihr denen, die der Meinung sind, dass Proteste nix bringen?
Ole: Die meisten, die das sagen, sind älter als wir. Wenn es etwas gibt, das mehr bringt als unsere Proteste, dann hatten diese Leute in den vielen letzten Jahren wirklich genug Zeit, das zu tun. Heute haben wir ein riesiges Problem, also ist klar, dass ohne unsere Proteste nichts oder zu wenig passiert ist.
Wem die Demos allein nicht reichen, der findet zusätzlich Gruppen mit stärkeren, aber ebenfalls friedlichen und zivilen Protestformen. Wer kreative Ideen für weitere Aktionsformen hat, der ist gern zum Plenum eingeladen, um sich und seine Vorschläge vorzustellen. Neben den Protesten stehen wir auch immer wieder im Austausch mit der Stadt zu Maßnahmen im Bereich des Klimaschutzes.