Klimagerechtigkeit jetzt!
Ein Interview über die derzeitigen Aufgaben und Chancen der Klimabewegung
von Hauke Heidenreich | veröffentlicht am 22.09 2022
Beitragsbild: Dani Luiz
Am 23. September findet erneut ein globaler Klimastreik statt. Auch in Halle ist eine große Demonstration geplant, die 13 Uhr am Steintor startet. Wir haben im Vorfeld mit Ole Horn von der halleschen Ortsgruppe von Fridays for Future über Klimagerechtigkeit, soziale Politik und die derzeitigen Aufgaben und Chancen der Klimabewegung gesprochen.
Hauke Heidenreich: Der Sommer ist vorbei, die durch Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine verschärfte Energiekrise zeichnet sich nun klar ab, die Proteste haben begonnen. Am 23. September plant ihr erneut einen globalen Klimastreik. Wie werdet ihr im Rahmen der Proteste auf die Energiekrise eingehen? Und welche Auswirkungen auf die Klimakrise sind derzeit beim Thema Energieversorgung zu bemerken?
Ole Horn: Die aktuelle Energiekrise verdeutlicht in erbarmungsloser Stärke einen Teil der Probleme von fossilen Energieträgern. Diese sind nicht nur extrem schädlich für das Klima, sondern stellen eine große Gefahr für Demokratien und deren Unabhängigkeit von Autokrat*innen dar. Am Freitag geht es also nicht nur für eine Energiewende aus klimapolitischer Sicht auf die Straße, sondern auch für eine unabhängige, sichere und gerechtere Energieversorgung. Erneuerbare Energien sind die Antwort auf alle Fragen, die in der aktuellen Debatte der Energiekrise zu sehen sind. Es muss hier jetzt eine Offensive geben.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hat sich dafür ausgesprochen, um der Energiekrise zu begegnen, Kohle- und Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Wie bewertet ihr diese Entscheidung?
Ole Horn: Die Überlegungen zeigen, dass die Politik die Klimakrise noch immer nicht als die zentrale Bedrohung sieht, die sie ist. Weder Kohle- noch Atomkraftwerke sind eine ernsthafte Lösung für die energiepolitische Situation, in der wir uns befinden. Es braucht jetzt eine radikale Offensive im Ausbau der Erneuerbaren. Alles andere löst die Probleme nicht im Ansatz nachhaltig, sondern bringt nur neue.
Im Sommer habt ihr die Belegschaften der HAVAG und die Gewerkschaft ver.di bei ihren Streiks für höhere Löhne unterstützt. Auch Fridays for Future ist eine Streikbewegung. Warum sind Arbeitskämpfe in der Umsetzung von Klimagerechtigkeit so wichtig? Plant ihr weitere Aktionen mit anderen Gewerkschaften oder Belegschaften?
Ole Horn: Seit Jahren gehen die Menschen für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße, so auch im Bereich des ÖPNV. In den nächsten Jahren muss der Nahverkehr eine wesentliche Rolle in unseren Mobilitätskonzepten einnehmen, nur so können wir die Emissionen im Verkehr reduzieren. Damit das klappt, braucht es zum einen bessere Arbeitsbedingungen in diesem Sektor, zum anderen einen allumfassenden Ausbau der Infrastruktur. Der Verkehrssektor stellt hierbei ein hervorragendes Beispiel dar, ist jedoch nicht der Einzige, bei dem wir Arbeitskämpfe und Klimagerechtigkeit zusammendenken müssen. Aus diesem Grund werden wir auch in Zukunft gemeinsam auf die Straße gehen und für Klimagerechtigkeit kämpfen.
Die Energiekrise bedroht derzeit die Existenzgrundlagen vieler einkommensschwacher Menschen, aber auch vieler kleiner Unternehmen, wie Bäcker, Frisöre, Buchhändler, Kinobetreiber oder Theater- bzw. Kulturschaffende. Öffentliche Einrichtungen sollen ebenfalls Energie sparen. Welche politischen Forderungen muss die Klimabewegung, besonders im Kontext des sog. „Entlastungspakets“, in dieser Situation artikulieren?
Ole Horn: Die Politik darf die Krisen nicht länger gegeneinander ausspielen. Die Menschen fühlen sich alleine gelassen, weil keine der Krisen wirklich angegangen wird und nicht der Ursprung dieser angegangen wird – die fossilen Energieträger! Es braucht jetzt einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und flächendeckende Investitionen und genau das fordern wir: Ein Sondervermögen von mindestens 100 Mrd. Euro für Klima!
„Alle Krisen, die unsere Gesellschaft gerade treffen, basieren auf einem ungerechten System. Es braucht also jetzt eine Umverteilung der Gelder, um einen wichtigen Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit zu gehen.“
In ihrem Text für das Transit-Magazin betonte die Gruppe Ende Gelände Halle, dass die Klimakrise nur mit tiefgehenden gesellschaftlichen Veränderungen, etwa der Vergesellschaftung der Energielieferanten und der Demokratisierung der Wirtschaft, zu bewältigen sei. Welche Chancen für soziale Veränderungen sehr ihr, etwa durch Umverteilung oder progressive Geldpolitik?
Ole Horn: Die Klimakrise verantworten vor allem die reichen Menschen. Allein das reichste Prozent der Menschen verursacht jährlich 15 % der Gesamtemissionen. Alle Krisen, die unsere Gesellschaft gerade treffen, basieren auf einem ungerechten System. Es braucht also jetzt eine Umverteilung der Gelder, um einen wichtigen Schritt in Richtung Klimagerechtigkeit zu gehen.
Am 15. und 17. September fanden in Halle erste Demonstrationen von linken Bündnissen gegen die unsoziale Politik der derzeitigen Regierung statt. Wie bewertet ihr den Verlauf der Proteste? Bei welchen Themen müsste die Klimabewegung einhaken?
Ole Horn: Die sozialen Proteste zeigen deutlich, dass wir in einem ungerechten System leben. Die Reichen werden immer reicher, während zahlreiche Menschen ihre Heiz- und Stromkosten nicht mehr bezahlen können. Die Krisen werden durch die Weiternutzung der fossilen Energieträger nicht gelöst, sondern nur künstlich verschoben. Es braucht jetzt einen massiven Ausbau der erneuerbaren und Entlastungen für klimafreundliche Technologien und genau das fordern wir bei den sozialen Protesten auch.
„Rechte Proteste basieren immer nur auf der Benennung von Problemen, Antworten auf die Krisen haben sie keine. Linker Protest muss es also schaffen zu zeigen, dass es Lösungen gibt.“
Im derzeitigen Diskurs scheint es oft so zu sein, dass Rechte die Themen setzen, während die Linken nur reagieren oder mit sich selbst beschäftigt sind. Inwieweit könnte die Klimabewegung hier die Chance haben, dass Themen wie soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit wieder primär von Linken gesetzt werden?
Ole Horn: Rechte Proteste basieren immer nur auf der Benennung von Problemen, Antworten auf die Krisen haben sie keine. Linker Protest muss es also schaffen zu zeigen, dass es Lösungen gibt und genau das wird am Freitag wieder weltweit auf der Straße passieren. Die Lösungen sind da und die Politik muss jetzt den Weg bereiten, damit sie flächendeckend umgesetzt werden, statt weiter fossile Konzerne und Profite zu schützen. Es müssen endlich wieder Menschen im Vordergrund stehen.
„Um Ressourcen gerechter zu verteilen, muss Klimaschutz zur Realität werden. Andernfalls werden Wohlstand und Lebensgrundlagen immer weiter verloren gehen.“
Viele Politiker*innen beschwören gebetsmühlenartig, die Klimakrise könne nur bewältigt werden, wenn wir auf Wohlstand verzichten; während gleichzeitig Übergewinnsteuern hartnäckig verweigert werden und die Konzerne fette Gewinne einfahren. Nun kann man von einer Hartz-4-Empfänger*in oder einer migrantisierten Angestellten bei einem DHL-Subunternehmer wohl kaum Wohlstandsverluste verlangen. Wie könnte Klimagerechtigkeit vielleicht ein Weg sein, statt Verluste zu predigen, diese Menschen am Wohlstand zu beteiligen? Ist Klimagerechtigkeit ein Wohlstandsmodell?
Ole Horn: Das jetzige System hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun. Die Menschen verlieren gerade den so hochgehängten Wohlstand, weil vollkommen irrational an dem fossilen System festgehalten wird. Um Ressourcen gerechter zu verteilen, muss Klimaschutz zur Realität werden. Andernfalls werden Wohlstand und Lebensgrundlagen immer weiter verloren gehen.
Auch die halleschen Akteur*innen der Klimabewegung beteiligen sich am Klimastreik mit einer Demonstration, die 13 Uhr am Steintor startet.
Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.