„Klatschen war gestern, Entlastung ist Morgen!“
Interview mit dem Bündnis „Gesundheit ohne Profite“ aus Halle
In der Corona-Pandemie werden die Missstände des Gesundheitssystems immer deutlicher. Die fortschreitende Privatisierung von Krankenhäusern und die miserablen Arbeitsbedingungen von Pflegekräften haben jedoch bereits eine längere Geschichte. Das Bündnis „Gesundheit ohne Profite“ hat sich gegründet um dieser Situation etwas entgegenzustellen.
Transit: Krankenhäuser stehen ja schon länger unter Profitdruck. Warum habt ihr euch gerade jetzt gegründet?
Hans A.: Es stimmt, dass die Krankenhäuser schon lange unter hohem wirtschaftlichen Druck stehen. Seit Jahren fährt unser Gesundheitssystem an der Belastungsgrenze und produziert eine Verschärfung des Pflegenotstandes nach der anderen. Die Bedingungen haben sich unter der Coronapandemie nochmal stark verschlechtert. Der wirtschaftliche und der sich daraus ergebende zeitliche Druck für den Arbeitsalltag der Beschäftigten hat mittlerweile eine Form angenommen, welche die Gesundheit der Beschäftigten aktiv schädigt. Als Reaktion darauf gibt es aus der Gesellschaft 3 Minuten Händeklatschen am Fenster und aus der Politik einen einmalig ausgezahlten Bonus. Das sind Zustände, die zum einen nicht mehr hinnehmbar sind und zum anderen das Problem noch weiter verschärfen. Schon jetzt fehlen in Deutschland knapp fünfzigtausend Stellen in der Pflege. Immer mehr Pflegekräfte kehren ihrem Beruf den Rücken zu. Und das nicht, weil sie nicht mehr in der Pflege arbeiten wollen, sondern weil sie es nicht mehr können. Mit der Einführung der Fallpauschalen vor rund zwanzig Jahren wurde die Pflege zunehmend zu einem Kostenfaktor degradiert, den es zu minimieren galt. Massenhaft wurden Pflegestellen zusammengestrichen. Die Folgen: Weniger Pfleger:innen für mehr Patient:innen. Es ist diese Belastung und diese Druck, der die Pfleger:innen aus ihrem Beruf treibt. Deswegen ist für uns klar: Klatschen war gestern, Entlastung ist Morgen! Und das ist auch möglich. Die Pflegefrage wird zunehmend politisiert. In den letzten Jahren konnten die Beschäftigten in Berlin an der Charité oder in Jena am Universitätsklinikum mit breiten Bündnissen bereits einige Erfolge erzielen. Daran wollen wir auch in Halle anknüpfen.
Transit: Wer ist Teil des Bündnisses?
Hans A.: Wir sind ein Zusammenschluss ganz unterschiedlicher Menschen und Gruppen. Bei uns sind ehemalige Pfleger:innen aktiv und kritische Medizinstudierende. Aber auch Leute aus Gewerkschaften oder aus anderen politischen Gruppen sind bei uns aktiv. Was uns verbindet, das ist der Profitdruck im Gesundheitssystem. Betroffen sind davon nicht nur die Krankenhaus-Beschäftigten, sondern auch die Patient:innen. Es ist ihre Pflege, die zwangsläufig unter dem vorherrschenden Personalmangel und Arbeitsstress leiden muss. Deswegen wollen wir den Konflikt um die Ökonomisierung im Gesundheitssektor nicht nur im Krankenhaus führen, sondern ihn auch in die Gesellschaft tragen. Denn eine gute medizinische Grundversorgung halten wir für ein Grundrecht, auf das alle ein Anspruch haben.
Transit: Die Privatisierung des Gesundheitssystems findet bundesweit statt. Wie ist denn die aktuelle Lage in Sachsen-Anhalt und in Halle?
Hans A.: Die Privatisierung des Gesundheitssystems ist ein Vorgang der vielschichtig vor sich geht. In Halle selbst hat sich noch kein Krankenhaus unter private Trägerschaft begeben. Das liegt vor allem daran, dass Halle ein Universitätsklinikum und ein Krankenhaus der Berufsgenossenschaften hat und alle weiteren Kliniken den Kirchen angehören. Allerdings gibt es in Sachsen-Anhalt bereits seit 2012 mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Das ist eine Entwicklung, die von der Politik so gewünscht ist und auch ausdrücklich unterstützt wird. Die negativen Folgen dieser Politik der Privatisierung ist vor allem im ländlichen Raum sichtbar. Dort sind die Menschen seit der Wiedervereinigung mit einem Rückbau der öffentlichen Daseinsversorgung konfrontiert. Das ist ein Thema, dass unbedingt von links politisiert werden muss, weil sonst rechte Akteure das zu ihrer Agenda machen. Bei der AfD lässt sich das in Sachsen-Anhalt bereits beobachten. Es gibt bereits Schätzungen, dass sich die Anzahl der Kliniken in Sachsen-Anhalt in den nächsten 10 Jahren um ein Drittel reduzieren wird. Da vom Bundesland bereitgestellte Mittel schon seit Jahren viel zu niedrig angesetzt sind. Das Kliniksterben wird einschneidende Konsequenzen für die Versorgung von auf dem Land lebenden Menschen haben.
Transit: Aber wieso führen die DRGs und Privatisierungen zu Krankenhausschließungen? (1)
Hans A.: Private Klinikketten sind offensichtlich ihrer Rendite und ihren Aktionären verpflichtet. Das ist wenig überraschend und erklärt den Profitdruck in privaten Kliniken. Von diesem Druck können sich aber auch öffentliche oder frei-gemeinnützige Träger wie die Kirchen nicht gänzlich lösen, weil das Gesundheitssystem insgesamt unter Profitdruck gesetzt wurde. Die Fallpauschalen machen dabei einen immensen Teil davon aus, wie im Krankenhaus gearbeitet wird. Denn für jede Diagnose gibt es eine bestimmte Pauschale. Das heißt die Pauschale bestimmt, wie lange ein:e Patient:in im Krankenhaus liegen darf, wie viele Güter zur Behandlung aufgewendet werden dürfen und am Ende auch wie viele
Pflegende/Ärzt:innen an Patient:innen arbeiten können. In der Konsequenz führt das dann zum Beispiel zu sogenannten „blutigen Entlassungen“. Patient:innen werden wieder entlassen, obwohl sie noch nicht gesund sind. Bliebe die Person auf der Station, würde sie zu einem Verlustgeschäft für das Krankenhaus werden. Hier entscheidet die Rendite und nicht mehr der medizinische Bedarf. Zum anderen gibt es seit der Einführung der Fallpauschalen rentable und verlustbringenden Diagnosen. Orthopädische Operationen oder andere spezielle Eingriffe bringen den Krankenhäuser viel Geld ein. Geburten oder die Pflege der Patient:innen kosten in der Regel dem Krankenhaus nur Geld. Das trifft kleine Krankenhäuser in der Fläche viel härter, weil sie keine oder weniger gewinnbringenden Operationen durchführen. Vor allem private Träger tendieren dann dazu, Kliniken zu schließen und sie zu zentralisieren. Sie versuchen so einerseits die Kosten zu senken und anderseits eine regionale Monopolstellung zu erlangen.
Transit: Durch die Corona-Pandemie leiden insbesondere Pflegekräfte unter einer großen Belastung. Welche Probleme seht ihr in diesem Bereich?
Hans A.: Pflegekräfte müssen aktuell ein unglaubliches Maß an Mehrarbeit leisten. Das führt nicht selten zu “Marathondiensten” von zum Teil 23 Tage Arbeit am Stück, weil es ja nicht anders gehe. Den Beschäftigten bleibt kaum Zeit sich zu regenerieren und abgegrabene Ressourcen wieder aufzubauen. Außerdem ist die Bezahlung weiterhin so schlecht, dass der Pflegeberuf eher an Attraktivität verliert. Das beeinflusst natürlich massiv den Nachzug in dieses Berufsfeld und verschärft Jahr für Jahr den Pflegenotstand.
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Transit: Am 8. März, dem internationalen Frauen*kampftag, habt ihr Statuen in Halle Kittel angezogen. Warum ist Gesundheit gerade auch ein feministisches Thema?
Hans A.: In Berufen der Pflege sind größtenteils Frauen beschäftigt. Laut statistischem Bundesamt Sachsen-Anhalt sind (Stand 15.12.2019) in Pflegeheimen 20.181 Frauen (ca. 85%) und 3.613 Männer (ca. 15%) angestellt gewesen. Dieses Verhältnis kombiniert mit der allgemeinen Bezahlungslage für Menschen in Pflegeberufen ergibt eine institutionell organisierte Gender-Pay-Gap. Hier zeigt sich einmal mehr die strukturelle Benachteiligung von FLINTA* in unserer Gesellschaft. Ganz gleich wie wichtig ihr Beitrag für unsere Gesellschaft ist. Uns geht es daher um eine Aufwertung von Pflege- und Sorgearbeiten. Wir glauben aber auch, dass wir insgesamt eine bessere und gerechtere Verteilung dieser Arbeiten in der Gesellschaft brauchen.
Transit: Wie kann Gesundheit ohne Profite aussehen? Welche konkreten Änderungen fordert ihr?
Hans A.: Wir wollen eine Finanzierung, die sich am medizinischen Bedarf orientiert und nicht an Renditeerwartungen. Das heißt, mehr Entlastung durch höhere Personalschlüssel und mehr Geld für die Beschäftigten. Das geht nur durch die Abschaffung der Fallpauschalen und durch die Vergesellschaftung der Krankenhäuser. Für uns heißt das, dass Krankenhäuser nicht gewinnorientiert arbeiten dürfen und, dass die Interessen der Beschäftigten und der Patient:innen im Mittelpunkt stehen müssen. Insgesamt wollen wir die Ökonomisierung im Gesundheitsbereich zurückdrehen. Die Kosten für das Gesundheitssystem trägt noch immer die Allgemeinheit, aber durch die Privatisierungen fließen große Teile dieser Gelder in private Taschen. Das ist im Grunde genommen eine Umverteilung von unten nach oben. Wir wollen das Gegenteil davon. Außerdem müssen wir die Bundesländer mehr in ihre Verantwortung nehmen. Die sind für die Infrastruktur der Krankenhäuser zuständig. Durch die Sparmaßnahmen der Länder ist es überall in Deutschland zu einem Investitionstau von mehreren Milliarden Euro
gekommen. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen eine vollständige Ausfinanzierung der Krankenhäuser. Um das zu finanzieren, müssen wir den gesellschaftlichen Reichtum von oben nach unten umverteilen.
Transit: Was sind eure Pläne für die nächste Zeit?
Hans A.: Wir sind ein relativ junges Bündnis. Noch sind wir dabei uns zu festigen und uns zu etablieren. Aber schon jetzt sind wir vernetzt mit anderen Gesundheits- und Krankenhausbündnissen in Sachsen-Anhalt, aber auch darüber hinaus. Uns geht es darum, in den kommenden Monaten der Pandemie und den anstehenden Wahlen, die Gesundheitsfrage weiter in die Gesellschaft zu tragen und die miserablen Bedingungen in der Pflege zu skandalisieren.
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(1) DRGs sind eine Form der Vergütung im Gesundheitssystem. Hier werden die medizinischen Leistungen pro Behandlungsfall berechnet (und nicht mehr nach Dauer der Behandlung oder Vergütung der Einzelleistungen)