Kein Schlussstrich in Halle

Demo und Videointervention zum Tag der Urteilsverkündung im NSU-Prozess

von | veröffentlicht am 09.07 2018

Beitragsbild: https://nsuprozess.net

TAG X steht fest: Am 11. Juli wird das Urteil in München im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund NSU verkündet. Die Initiative NSU-Komplex auflösen Halle ruft zu einer Demonstration am Abend des Tages der Urteilsverkündung auf.




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Vor über fünf Jahren, am 6. Mai 2013, begann vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Beate Zschäpe, André Eminger, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben und Carsten Schultze. Nach über 420 Verhandlungstagen wird nun am 11. Juli endlich ein Urteil im NSU-Prozess fallen. In diesen 420 Verhandlungstagen wurde von der Bundesanwaltschaft (BAW) das Bild eines isolierten Terror-Trios mit einigen wenigen Unterstützer*innen gezeichnet. Sie verweigerte den Blick auf die Verstrickungen staatlicher Behörden und weiterer Unterstützer*innen im NSU-Komplex. Und das, obwohl die Recherchearbeit der Nebenklage und zwölf Untersuchungsausschüsse erdrückende Hinweise zum V-Leute-Netzwerk, der vorsätzlichen Vertuschung durch Verfassungsschutzämter oder auch dem „Fall Temme“ lieferten. Ebenso wurden die rassistischen Schikanen, welchen die Angehörigen der Opfer des NSU durch Polizei und Ermittlungsbehörden ausgesetzt waren, nicht aufgearbeitet. Die Familie des ersten Opfers Enver Şimşeks wurde beispielsweise über elf Jahre lang verdächtigt den eigenen Vater ermordet zu haben. Statt die Relevanz dieser Hinweise anzuerkennen versuchte die BAW in ihrem Plädoyer mit der Forderung nach harten Strafen gegen die fünf Angeklagten, allem Zweifel an ihrem Willen zur Aufarbeitung den Wind aus den Segeln zu nehmen und weitere Nachfragen zu unterbinden. 

In Gedenken an Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter.

Auch das Gericht zeigte kein Interesse den zahlreichen Hinweisen auf ein umfassendes Netzwerk aus Neonazis, V-Leuten und staatlichen Mitarbeiter*innen nachzugehen, sondern lehnte zahlreiche Beweisanträge der Nebenklage im Verlauf des Prozesse ab. Es sollte ein schnelles Urteil her, und mit diesem Urteil soll nun am Mittwoch ein Schlussstrich gezogen werden. Ein Schlussstrich nicht nur unter den Prozess, sondern auch unter die kritische Betrachtung des rassistischen Normalzustandes innerhalb des Polizeiapparates und der gesamtdeutschen Gesellschaft. Denn nicht nur an den NSU-Tatorten, sondern auch in Sachsen-Anhalt und Halle werden nahezu täglich Menschen, die nicht in das Weltbild von Neonazis, Neurechten und Rechtspopulist*innen passen, angegriffen und bedroht. Im gesellschaftlichen Klima des Rassismus und der rückwärtsgewandten Ablehnung vielfältiger und freiheitlicher Gesellschaftsentwürfe finden rechte Täter*innen Rückhalt und Rechtfertigung. Staatliche Ermittlungsbehörden wollen meist die politische Motivation hinter diesen Taten nicht anerkennen, sondern die Angriffe auf „persönliche Motive“ reduzieren. Wir stellen uns gegen diese Ignoranz gegenüber rechter Gewalt.

In der Stadt finden sich an verschiedenen Stellen Erinnerungen an die vom NSU Ermordeten (Foto: Transit).

Deshalb unterstützen wir den Aufruf der Kampagne „Kein Schlussstrich“ zur Demonstration und weiteren Aktionen zum Tag der Urteilsverkündung in München und werden selbst auf die Straße in Halle ziehen. Gleichzeitig werden quer durch die Bundesrepublik dezentrale Aktionen stattfinden, um dem Ausruf und gleichermaßen der Forderung „Kein Schlussstrich“ Nachdruck und Öffentlichkeit zu verleihen. Gemeinsam wollen wir am Tag der Urteilsverkündung die unzureichende politische und juristische Aufklärung des NSU-Komplexes und die offensichtliche Verstrickung staatlicher Behörden anprangern. Wir wollen für einen angemessenen Umgang mit den Angehörigen der Opfer und für eine öffentliche Erinnerungskultur eintreten. Gemeinsam wollen wir an diesem Tag deutlich machen: Mit uns wird es keinen Schlussstrich geben! Viel mehr muss die Aufklärung des NSU-Komplexes, die breite gesellschaftliche Kritik an rassistischer Gewalt, institutionellem und alltäglichem Rassismus sowie der Kampf für eine Gesellschaft der Vielen über das Ende des Prozesses hinaus gehen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.