“Materialengpässe führen dazu, dass wir nicht so arbeiten können, wie es angemessen wäre“
Ein Krankenpfleger berichtet vom Arbeitsalltag in der Krise und macht deutlich, was sich nach Corona ändern muss.
In der Coronakrise offenbaren sich gravierende Mängel im Gesundheitswesen – von zu niedrigen Löhnen bis hin zu fehlenden Schutzmasken. Gleichzeitig gibt es ein erhöhtes öffentliches Interesse für die Situation von Pflegekräften, das die Möglichkeit für strukturelle Verbesserungen bieten könnte. Wir haben mit Moritz, einem Pfleger, der in einem halleschen Krankenhaus arbeitet, über seine Einschätzung der Lage gesprochen.*
Transit: In was für einer Einrichtung arbeitest du?
Moritz: Ich bin Gesundheits- und Krankenpfleger und ich arbeite in der Notaufnahme eines größeren Krankenhauses in Halle.
Transit: Wie sieht dein Arbeitsalltag – ohne Coronakrise – für gewöhnlich aus?
Moritz: Ohne Krise sieht es so aus, dass ich im Dreischichtsystem arbeite. Ich hab jeweils acht Stunden lange Schichten, die immer im Wechsel morgens oder mittags anfangen und bis abends andauern oder über die Nacht gehen. Der Arbeitsalltag ist schwierig zu beschreiben, da du in der Notaufnahme relativ wenig planbare Arbeitsabläufe hast. Wir sind für die Akutversorgung von Notfällen zuständig. In der Regel werden die Fälle nach Dringlichkeit abgearbeitet. Es werden auch schwere Polytraumata versorgt z.B. schwere Verkehrsunfälle mit Patient*innen, die multiple lebensbedrohliche Verletzungen haben, die sehr schnell versorgt werden müssen. Pflegerisch bin ich in der Versorgung von Patient*innen zuständig, assistiere bei ärztlichen Tätigkeiten und überwache den gesundheitlichen Zustand von Patient*innen.
Transit: Hat sich durch die Coronakrise bei euch etwas geändert? Ist die spürbar?
Moritz: Das ist sehr stark spürbar, obwohl in diesem Krankenhaus, in dem ich arbeite, bisher keine Patient*innen oder Mitarbeiter*innen positiv auf das SARS-Virus getestet wurden. Aber geändert hat sich trotzdem sehr viel. Es wurden verschiedene Schutzmaßnahmen und Vorbereitungen getroffen. Es gibt ein Betretungsverbot für eigentlich alle Besucher*innen, außer in wenigen Ausnahmesituationen. Die Wege für Patient*innen sind sehr stark verändert, da Strukturen verändert wurden, um Patient*innenströme zu entzerren. Das heißt also, dass verschiedene Eingänge geschlossen sind. Das beeinflusst uns in der Arbeit. Patient*innen werden nicht mehr an den bisherigen Orten angenommen und abgeholt, wenn sie mit einem Rettungsdienst gebracht werden. Das bringt Mehraufwand mit sich, ist aber noch nicht so weltbewegend.
Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter die von außerhalb ins Krankenhaus kommen – also z.B. Rettungsdienste, Ärzt*innen die in einer Verlegung mitfahren oder ähnliches – und alle Patient*innen werden nach Grippesymptomen befragt werden und es findet eine Fiebermessung statt. Es wird also ein Aufnahmescreening gemacht.
Wir wurden dazu angehalten, das Einmalmaterial nicht mehr sofort zu verwerfen. Und das ist schon ein bisschen frustrierend, wenn du weißt, dass du dich und andere dadurch weniger gut schützen kannst.
Transit: Wie ist dein Stresslevel? Hat die Belastung zugenommen?
Moritz: Ich bin auf jeden Fall belasteter. Es gibt verschiedene Schwierigkeiten, z.B. Materialengpässe, die dazu führen, dass wir nicht mehr so arbeiten können, wie es angemessen wäre. Zum Beispiel bei einer möglichen Isolation – das muss gar nicht Covid19 sein. Wir benutzen ja Einmalmaterial. Das ist sehr knapp. Wir wurden dazu angehalten, das Einmalmaterial nicht mehr sofort zu verwerfen. Und das ist schon ein bisschen frustrierend, wenn du weißt, dass du dich und andere dadurch weniger gut schützen kannst und das teilweise die Isolationsmaßnahmen ad absurdum führt.
Transit: Also du bist dann auch direkt gefährdeter?
Moritz: Ja. Weil man das Einmalmaterial nicht mehr verwirft, sondern teilweise versucht, es über eine ganze Schicht lang weiter zu verwenden. Das vereinfacht, glaube ich, sehr stark eine Kontamination.
Transit: Das geschieht auf Dienstanweisung?
Moritz: Ja, und zwar aus der Not heraus weil es kaum Materialien gibt und weil es nicht so genau absehbar ist, wie sich das in Zukunft verhält. Das ist ein generelles Problem, wahrscheinlich auch weltweit. Mein Arbeitgeber, aber auch all die anderen medizinischen Einrichtungen, die können das gar nicht anders machen. Alle brauchen Isolationsmaterial. Du kannst dir die Frage stellen: Gehen wir wie gehabt mit dem Isomaterial um und werfen Masken und Kittel sofort weg und haben dann in drei Wochen kein Material mehr oder versuche ich mich so aus meinem Isolationskittel rauszupellen und hänge ihn mit meiner Schutzbrille und meinem Haarnetz so auf, dass ich ihn möglichst kontaminationsarm wieder anziehen kann?
Die Situation hat sehr viele Veränderungen hervor gebracht. Teilweise ändern sich Abläufe im Krankenhaus täglich.
Transit: Wie ist die Stimmung im Team?
Moritz: Die Belastung hat auch durch die Art und Weise der Kommunikation im Team zugenommen. Die Situation hat ja sehr viele Veränderungen hervor gebracht. Teilweise ändern sich Abläufe im Krankenhaus täglich. Entscheidungen werden ja fast täglich überdacht oder neu getroffen, so dass man mit vielem Neuen umgehen muss und das ist nicht immer einfach, das in den vorher schon nicht gerade einfachen Arbeitsalltag zu integrieren. Das schafft natürlich Frust. Da muss man keinen Schuldigen suchen.
Pflege ist auch ein sehr homogener Beruf. Du hast ein ungleiches Geschlechterverhältnis: zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer. Es gibt relativ wenig junge Leute. Die meisten Pflegekräfte sind weiße Deutsche. Es gibt kaum People of Colour in Halle, die in Pflegeberufen arbeiten. Das wirkt sich auch auf die Stimmung im Team aus. Es gibt Kolleg*innen, die jetzt mit Verschwörungstheorien kommen. Du arbeitest im Team sowieso schon in einer gestressten Situation zusammen und dann hast du eine Kollegin, die dir erzählt, dass das Coronavirus in einem amerikanischen Labor hochgezogen und von dort aus gestreut wurde. Oder es kommen bestimmte Rassismen. Das ist eine zusätzliche Komponente, die es für mich sehr schwierig macht.
Transit: Ich denke, dass so eine Krisensituation für rassistische und verschwörungstheoretische Deutungen wie ein Katalysator wirken kann. Mit besseren Arbeitsbedingungen würde es sich vielleicht ein Stück weit vermeiden lassen, dass solche Deutungen relevant werden, also dass die Leute danach handeln. Ich will damit nicht sagen, dass wir mit einem besseren Gesundheitssystem keinen Rassismus hätten, aber vielleicht gäbe es weniger Anknüpfungspunkte, sich irgendwelche Missstände damit im Alltag erklären zu können.
Moritz: In meiner Beobachtung gibt es schon Momente, wo Pflegekräfte gestresst sind, wo es Frustration gibt, die dann zu Ärgerlichkeit führt und sich das am Ende auf Patient*innen auswirkt. Dass rassistische Äußerungen weniger werden, wenn Leute weniger gestresst sind – keine Ahnung.
Transit: Lass uns mal auf die gesellschaftliche Ebene gehen. Es gibt jetzt verstärkte gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Bedeutung von Berufen im Gesundheitssektor. Die werden als systemrelevant bezeichnet und es gibt Versuche, diesen Berufen eine größere gesellschaftliche Anerkennung zuzuschreiben und auch Dank für das bereits Geleistetes auszudrücken. Zum Beispiel gab es eine Aktion, wo dazu aufgerufen wurde, zu bestimmten Uhrzeiten von den Balkonen und Fenstern aus Applaus zu spenden. Eine Reaktion darauf war ein Tweet der viral ging. Da schrieb ein Altenpfleger am 19. März: „Wir Pflegekräfte brauchen keine Klatscherei. Wir wollen auch keine Merci Schokolade & warme Wort! Wir brauchen 4000€ brutto, mehr Personal, Gefahrenzulagen und ein entprivatisiertes Gesundheitssystem! Macht mal lieber mit uns Arbeitskampf!“
Moritz: Das kann ich genauso unterschreiben. Wobei Dankbarkeit ja erstmal nichts Schlechtes ist. Es ist die Frage: Von wem kommt das? Also wenn ich von Politiker*innen, die nicht unwesentlich in den letzten Jahren die Situation mit verantwortet haben, in der das Gesundheitssystem jetzt ist, solche Dankesbekundungen höre, finde ich das quasi heuchlerisch. Wenn sich irgendeine Bürgerin denkt: „Für die Kassierer*innen und die Pflegekräfte, da können wir schon dankbar sein“, ist das schon ok. Es ist halt die Frage, wer wo in der Verantwortung ist.
Transit: Ich dachte, vielleicht könnte so eine gemeinsame Aktion wie das Klatschen ja auch ein Startpunkt sein. Die gemeinsame Aktion schafft erstmal ein Bewusstsein dafür, dass es ein Problem gibt und dass es viele andere Leute gibt, die das auch so sehen. Die Aktion kann auch eine erste gemeinsame Verständigung sein. Und dann darf es aber da nicht stehen bleiben.
Moritz: Nee, das wäre fatal. Das würde mir Hoffnungen nehmen.
Transit: Hast du Hoffnungen, dass sich etwas bewegt? In welche Richtung müsste das sein?
Moritz: Wenn es speziell um die Pflege geht, das ist schwierig, das jetzt so kurz darzustellen. Also, Bezahlung ist schon ein Thema. Die meisten Pflegekräfte arbeiten ja unter ökonomischen Zwängen und nicht jede und jeder sucht sich aus, im Dreischichtsystem zu arbeiten mit Nachtschichten und Wochenenden. Die Arbeit ist oft nicht einfach. Du hast die psychische Belastung. Du hast eine starke körperliche Belastung, musst viel unter einen Hut bringen. Es ist eine anspruchsvolle Tätigkeit. Es wäre die Frage, was eine angemessene Bezahlung ist, aber ich glaube, dass wir weit davon entfernt sind.
Transit: Wie ist das mit dem Personalstand? Es ist ja oft davon zu hören, dass es generell zu wenig Personal gibt.
Moritz: Ja, das stimmt. Es gibt zu wenige Pflegekräfte. Damit steigt die Belastung für die Einzelnen. Ich habe auch in den fünf Jahren, die ich in der Pflege arbeite, gemerkt, dass du nach und nach mehr Verantwortlichkeiten übergestülpt bekommst. Du arbeitest oft nicht mit gelernten Pflegekräften zusammen, sondern z.B. mit studentischen Hilfskräften oder Auszubildenden und musst die koordinieren. Du bist also nicht unbedingt alleine, aber alleine in der Verantwortung.
Transit: Glaubst du die gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die die Pflege im Moment bekommt, wird dazu führen, dass sich etwas ändert?
Moritz: Vor Corona habe ich gedacht, dass das nichts wird. Der gesamte öffentliche Sektor scheint desaströs und die Pflege ist da sehr weit abgeschlagen. Ich hätte erwartet, dass vor der Pflege z.B. erstmal die Polizei dran kommt. Mit der derzeitigen Aufmerksamkeit kann ich mir aber schon vorstellen, dass sich da für die Pflege was tut.
Transit: Nimmst du Gewerkschaften in dem Zusammenhang als relevanten Akteur wahr, gerade in Halle?
Moritz: Ich nehme sie als relevanten Akteur wahr, aber nicht in Halle. Ich glaube, in Halle haben die Mitarbeiter*innenvertretungen selber in den Krankenhäusern wesentlich mehr Einfluss als die Gewerkschaft.
Man kann das Gesundheitssystem anders aufbauen. Die Situation ist hausgemacht, also kann man sie auch ändern.
Transit: Was wäre für die Pflege in Halle jetzt wichtig? Was sollten Leute, die dieses Interview lesen, wissen oder mahen, auch im Hinblick auf die Zeit nach der Krise?
Moritz: Das ist eine sehr schwierige Frage. Es braucht Information und Verständnis für die Leute, die in diesem Bereich arbeiten. Dass die sich z.B. selbst auch Gefahren aussetzen. Und dann: Man kann das Gesundheitssystem anders aufbauen. Die Situation ist hausgemacht, also kann man sie auch ändern. Dafür einzutreten ist nicht verkehrt. Die Wichtigkeit wird jetzt auf jeden Fall bewusst. Ich glaube Pflege braucht einfach eine Lobby. Ob das im Rahmen von Gewerkschaft passiert oder einer anderen Organisationsform. Am besten wäre, wenn die Beschäftigten als Akteur selber Einfluss nehmen könnten.
Moritz: Ehrlich gesagt schätze ich die Leute nicht so ein. Wenn ich an die Kolleginnen und Kollegen denke, die ich über die Jahre in verschiedenen Stationen und Bereichen kennengelernt habe, denke ich, dass es da auf jeden Fall welche gibt, die das machen würden, aber sie sind in der Minderheit. Ich glaube, ein Großteil steigt aus, wenn es eine gewisse Erhöhung des Bruttolohns gibt.
Transit: Ich habe schon das Gefühl, dass sich da gerade ein Fenster öffnet. Viele Medien und Akteure sprechen jetzt davon, dass sich was ändern muss. Der erwähnte Tweet und sein Autor haben es immerhin bis in das Morgenmagazin des Deutschlandfunks geschafft.
Moritz: Das muss man jetzt auf jeden Fall irgendwie nutzen. Auch wenn es irgendwie bescheuert klingt, das aus der Notsituation heraus zu sagen, aber im Grunde genommen zielt es ja darauf ab, die gesundheitliche Situation für Patientinnen und Patienten zu verbessern.