„Ihr habt 2019 verhauen“
Fridays for Future Halle im Gespräch über die November-Protestwoche und politische Frustration
In der letzten Novemberwoche finden deutschlandweit Public Climate Schools statt und am Freitag sind wieder zahlreiche Demonstrationen geplant. Wir sprachen mit zwei jungen Aktivisten von FridaysForFuture Halle über die Proteste und die Herausforderungen, mit denen die Bewegung vor Ort zu kämpfen hat.
Als am 20. September 2019 allein in Deutschland Millionen Menschen für einen besseren Klimaschutz auf die Straße gingen, schickte sich die Bundesregierung an, ein Klimaschutzpaket vorzulegen. Die Enttäuschung über die Inhalte war und ist bis heute groß. Doch der Klimabewegung ist die Puste damit nicht ausgegangen. Wir sprachen mit Max und Ole aus der Ortsgruppe von FridaysForFuture Halle (F4F). Beide besuchen Schulen in Halle, Max die Klassenstufe 9 und Ole Klasse 11.
Für Ende November wurde weltweit eine Protestwoche im Rahmen von F4F angekündigt. Diesmal soll es nicht nur Großdemos am Freitag geben, sondern die ganze Woche Programm. Was ist für Halle zu erwarten?
Ole: Es wird in Halle wie auch in Leipzig eine Public Climate School geben, weitestgehend von StudentsForFuture weitestgehend organisiert. In Halle wird es insgesamt über 30 Aktionen geben (zum Nachhören auch bei Radio Corax). Am Freitag gibt es zwei F4F-Demonstrationen. Die eine startet am August-Bebel-Platz und die andere am Rannischen Platz, jeweils 12 Uhr. 15 Uhr gibt es auch noch eine Fahrrad-Demo. Die startet am Riebeckplatz.
Max: Die beiden ersten Demonstrationen treffen sich am Leipziger Turm zur Abschlusskundgebung. Und in der Public Climate School wird es Vorträge, Filmvorführen, Workshops und Art Space zur Vorbereitung der Demos geben.
Ole: Der Höhepunkt der Public Climate Week an der Uni ist, abgesehen von den Demos am Freitag, die Vollversammlung, in der ein Forderungskatalog an die Universität für mehr Klimabewusstsein verabschiedet werden soll.
Ihr habt als F4F auch einen Forderungskatalog für die Stadt Halle erstellt. Was beinhaltet der zum Beispiel?
Max: Am wichtigsten ist derzeit die Forderung nach einer schrittweisen, weitgehend autofreien Innenstadt. Wir haben auch Vorschläge gemacht, womit man da anfangen kann, zum Beispiel mit der Geiststraße oder der Großen Steinstraße. Die könnte man zeitnah autofrei machen und Radfahrern mehr Platz geben.
Ole: Alle Forderungen bauen grundsätzlich auf der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens von 2015 auf. Und der Radverkehr hat da für uns derzeit Priorität. Mit der Stadtverwaltung und den Stadtwerken hatten wir bereits mehrere Gespräche, in denen wir über sehr konkrete Maßnahmen gesprochen haben, vor allem mit den Stadtwerken. Die Gespräche mit der Stadtverwaltung waren zum Teil etwas frustrierend.
Inwiefern?
Ole: Das fängt damit an, dass wir zu Gesprächen mit Oberbürgermeister Bernd Wiegand eingeladen wurden und Herr Wiegand bei diesen Gesprächen selbst nie aufgetaucht ist. So haben wir nur mit Vertretern gesprochen, was an sich kein Problem ist. Allerdings war es halt schwierig, dass wir von einer anderen Ausgangslage ausgegangen sind für diese Gespräche und dann mit völlig anderen Menschen gesprochen haben.
Max: Er hat uns auch persönlich eingeladen und somit den Eindruck erweckt, dass wir mit ihm persönlich sprechen. Das ist dann schade. Er hat zwar auch gesagt, dass er die Organisatoren von F4F in Halle am Klimaschutzkonzept mitarbeiten lässt. Das hat er uns aber gar nicht persönlich mitgeteilt, sondern wir haben das in der Presse gelesen. Das war etwas seltsam.
Ole: Herr Wiegand hat auch nicht nur versprochen, uns mit in die Planungen einzubeziehen, sondern er hat auch mehrfach betont, dass unsere Forderungen komplett übernommen werden. Es gibt jetzt einen Entwurf für das Klimaschutzkonzept der Stadt. Mit diesem sind wir nicht zufrieden. Unsere Forderungen wurden da in dem Sinne übernommen, dass sie kopiert wurden und vorne im Verzeichnis des Entwurfes stehen. Wenn man sich aber die konkrete Umsetzung im Entwurf anschaut, dann passt das nicht zusammen.
Es war ja bereits zu hören, dass die Stadt prüfen will, inwiefern die Altstadt autofrei werden kann…
Ole: Im Planungsausschuss wurde ein entsprechendes Konzept dazu abgelehnt. Der zuständige Beigeordnete Herr Rebenstorf hat uns danach mitgeteilt, dass es sich um einen Formfehler gehandelt habe, der zu der Ablehnung geführt habe.
Max: Das Problem dabei ist – wenn Herr Wiegand zusagt, dass er unsere Forderungen übernimmt, dann heißt das für uns auch, dass es eine autofreie Innenstadt geben wird. „Prüfen“ ist immer etwas sehr Ungenaues. Wir hätten uns eher eine Aussage gewünscht wie „bis 2025 machen wir die Altstadt autofrei“. Und bis dahin erarbeiten wir Konzepte dafür und setzen das schrittweise um. Zu prüfen, ob überhaupt ein Konzept möglich sei, ist für uns sehr unkonkret.
Seid ihr auch mit Stadtratsmitgliedern im Gespräch?
Max: Am Tag unserer Demo vor der Europawahl hatten wir Gespräche mit Vertreter*innen von Linken, Grünen, der FDP, verschiedenen Jugendorganisationen und jemandem von DIE PARTEI.
Ole: Wir hatten auch die anderen Fraktionen zu einem Gespräch eingeladen…
Auch die AfD?
Ole: Nein. Mit der Begründung, dass sie den Klimawandel leugnen und das keine Arbeitsebene ist. Die CDU und die SPD sind zu diesem Gespräch nicht gekommen. Vertreter von der Stadt waren da. Ansonsten waren wir bei mehreren Veranstaltungen der SPD in Halle.
Max: Und wir hatten Kontakte mit der Fraktion der Grünen zum Thema Klimaschutzkonzept.
Ole: Und wenn wir auf politischen Veranstaltungen unterwegs sind, dann sprechen wir das Thema auch immer wieder an.
Wie ist es denn für euch, in der Politik mitzumischen?
Ole: Mir wäre es lieber, wenn ich es nicht machen müsste.
Max: Ja. Also ich finde das sehr interessant und ich würde das trotzdem tun, selbst wenn es das Thema Klimakrise nicht gäbe. Es gibt ja auch noch andere Probleme. Angesichts der Klimakrise finde ich es allerdings schade, dass wir als F4F so viel Aufwand betreiben müssen, solche großen Demos zu organisieren. Klar ist das eine super Erfahrung und es bringt auch etwas. Aber es ist ziemlich kräfteraubend und es frustriert. Wenn zum Beispiel so etwas kommt wie das Klimapäckchen der Bundesregierung, bei dem wir ziemlich enttäuscht waren. Wir standen da gerade mit 1.4 Millionen Menschen auf der Straße und die Politik verabschiedet eine CO2-Bepreisung von 10€ pro Tonne.
Ole: Ich habe allgemein ein sehr starkes Interesse an Politik. Allerdings in dem Ausmaß wie ich mich derzeit engagieren muss, wäre das bis zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich nicht mein Plan gewesen. Ich habe mich auch schon vorher politisch engagiert, im bildungspolitischen Bereich. Die Art und Weise, mit welchem Zeitaufwand ich gerade Politik betreibe – da würde ich mir wünschen, dass ich das jetzt nicht machen müsste.
Max: Zusätzlich zur Schule und dann hat man noch Termine, muss Nachrichten schreiben, dann noch Plenum – das erfordert alles einen ziemlichen Zeitaufwand.
Ole: Ich glaube, ich habe seit drei Wochen keinen freien Nachmittag mehr gehabt, an dem ich mich fragen konnte, was mach ich denn jetzt. Ich fahr jetzt mal eine Runde mit dem Fahrrad und danach schau ich einen Film. Es gibt immer Sachen, die gerade anstehen.
Fühlt ihr euch da im Stich gelassen?
Max: Ich sehe halt, dass das Thema Klimawandel schon vor 30, 40 Jahren bekannt war. Und dann finde ich es traurig, dass damals schon das Problem gesehen wurde und seitdem so viel hätte passieren können. Wir könnten jetzt an einem ganz anderen Punkt stehen.
Ole: Ich finde vor allem erschreckend, wie die Reaktionen auf unsere Demonstrationen ausfallen. Dass es Menschen gibt, die den Klimawandel leugnen. Wenn man nicht gut findet, was wir machen, dann kann ich mich damit auch irgendwie abfinden. Aber wie lange wir darüber gesprochen haben, ob wir lieber zur Schule gehen sollten als zu demonstrieren, und dabei nicht über die Inhalte gesprochen haben, warum wir nicht zur Schule gehen – ich finde erschreckend, wie wenig Verständnis für das Thema vorhanden ist.
Max: Wir haben zunehmend auch Probleme mit Hass, zum Beispiel in öffentlichen Messenger-Gruppen, in die zum Teil ultrarechte Menschen reinkommen und persönlich Leute verletzen.
Ole: Es gibt Gruppen, in Halle weniger, aus denen sich Menschen zurückziehen, weil sie persönlich extrem angegangen werden. Da gibt es zum Teil auch Mobbing an der Schule und Angriffe von Lehrern. Das nervt auch sehr, weil das zusätzliche Arbeit verursacht, die wir eigentlich gar nicht haben wollen.
Habt ihr bei euch in der Gruppe einen Umgang damit?
Max: Es gibt deutschlandweit Initiativen, die sich darum gekümmert haben. Da gibt es vielfältige Unterstützungsangebote.
Ole: Wir unterstützen uns da auch gegenseitig und führen entsprechende Diskussionen gemeinsam.
Inwiefern ist die Klimakrise in der Schule denn Thema?
Max: Bei mir an der Schule ist das sehr wenig. Wir hatten im Unterricht den Treibhauseffekt in diesem Jahr. Die Folgen des Klimawandels werden zum Beispiel in Geografie immer mal beiläufig erwähnt, als wüssten alle Bescheid. Dann hatten wir Zahlen zum Energiesektor, die von 2011 waren. Damit kann man eigentlich nicht arbeiten. Und wenn dann etwas kommt, dann wird es eher von Schüler*innen organisiert. Dann stoßen wir zum Beispiel Diskussionsrunden in der Klasse oder darüber hinaus an. Aber insgesamt ist es mir zu wenig, sodass bei vielen auch einfach die Grundlagen fehlen.
Ole: An meiner Schule gehen wir fast geschlossen zu den Klimastreiks. Bei uns ist es also ein sehr starkes Thema. Wir beschäftigen uns auch im Unterricht damit. Es probieren alle, das Thema in ihren Unterricht mit einzubauen. Wir wissen allerdings, dass es im Lehrplan gar nicht so stark vorgesehen ist. Da gab es auch schon Gesprächsrunden mit Bildungsminister Tullner. Die häufigste Antwort ist dann immer „es gibt ja Angebote dazu“. Und dann werden immer mal einzelne Aktionen gemacht. Aber das sind halt einzelne Aktionen…
Max: …nicht im laufenden Unterricht, sondern mal irgendwie in einer Projektwoche. Und dann gehen sowieso nur diejenigen hin, die sich ohnehin für das Thema interessieren. Den Rest erreicht das dann nicht.
Ole: Und es sehen alle das Thema als etwas besonderes an, darüber zu reden, und eben nicht als normal. Am Ende müssen wir das aber als normales Thema betrachten, das in unserem Alltag immer eine Rolle spielen wird.
Max: Eine Sache, die ich als Erfolg der ganzen Bewegung sehe, ist, dass es jetzt halt einfach in der breiten Bevölkerung viel mehr diskutiert wird. Egal, wie die Reaktionen darauf sind – es wird immerhin darüber gesprochen.
Wie stehen denn eure Familien zu dem, was ihr macht?
Max: Der Großteil wird von den Eltern unterstützt. Vereinzelt gibt es auch welche, bei denen das nicht der Fall ist. Das macht es dann ziemlich schwierig. Das betrifft weniger unsere Ortsgruppe als Leute auf den Demos. Um so viel Zeit in der Freizeit investieren zu können, ist die Unterstützung der Eltern eine große Hilfe. Ohne stelle ich mir das sehr schwierig vor.
Die letzte F4F-Demo in Halle war ja ein sehr großer Erfolg. Warum ist es wichtig, dass nächste Woche wieder möglichst viele Menschen kommen?
Ole: Man hat ja die Reaktionen auf die Proteste am 20. September gesehen. Die Ergebnisse sind lächerlich. Deswegen wollen wir so kurze Zeit später auch nochmal zeigen, dass uns das Thema sehr wichtig ist. Wir müssen ganz klar zeigen: Ihr habt 2019 verhauen.
Max: Ein weiterer Grund ist die Klimakonferenz in Madrid. Dann kommt in Deutschland ein entscheidender Parteitag der SPD, auf dem auch über den Fortbestand der Bundesregierung diskutiert wird. Und was nun noch hinzukommt, ist, dass trotz Kohleausstieg nächstes Jahr ein neues Kohlekraftwerk ans Netz gehen soll. Trotz beschlossenem Kohleausstieg.
Ole: Das ist richtig heftig. Die Bundesregierung hat da auch gar keine Antwort darauf, warum das passiert. Die sitzen in der Pressekonferenz und dort fragen Journalisten, wie das sein kann. Und dann gibt es keine Antwort. Schweigen.
Was denkt ihr denn dann über die aktuelle Politik, wenn ihr so etwas erlebt?
Max: Wenn ich jetzt sehe, wie breit es in der Bevölkerung Zustimmung zu mehr Klimaschutz gibt, dann finde ich, dass die Bevölkerung und die zukünftigen Generationen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Im Grundgesetz steht, dass die Lebensgrundlagen erhalten bleiben sollen. Dafür braucht es einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt. Und wenn man dann das Gegenteil sieht, ist das ziemlich frustrierend, dass die Politik hier ihre Aufgaben nicht macht.
Ole: Und dann werden immer wir gefragt, wie der Klimaschutz denn umgesetzt werden soll. Und dann sagen wir halt: „Hört auf eure Experten!“ Mein Bild von der Politik hat sich dadurch sehr verschlechtert. Ich hatte eigentlich eine grundsätzlich ganz positive Einstellung. Ich frage mich aber, warum bestimmte Menschen überhaupt Politik machen – wenn zum Beispiel Sätze fallen wie „wenn wir das so machen, dann werden wir nicht wiedergewählt“. Wenn das das einzige Argument ist…
Max: Zusätzlich hat mich frustriert, dass Prozesse in der Politik sehr lange brauchen. Zum Beispiel, wie lange die Wege durch die Ebenen in einem Ministerium sind; oder wie lange es dauert, bis ein Gesetz tatsächlich fertig ist und umgesetzt wird. Ich erkenne das auch an, dass das so lange dauert, und verstehe auch den Sinn dahinter. Ich sehe aber auch: Es hätte vor 40 Jahren schon die Möglichkeit gegeben, mit dem Klimaschutz anzufangen.
Ole: Und es gibt eben auch solche Situationen, in denen die Prozesse nicht verständlich sind. Dass wir zum Beispiel den Dialog über eine autofreie Altstadt um mehrere Wochen verschieben, weil es bei der Antragstellung einen formalen Fehler gab, dafür habe ich kein Verständnis. Das ist ein falsches Signal.
Sprecht ihr bei euch in der Gruppe auch über die wirtschaftlichen Zusammenhänge?
Max: Ja, auf jeden Fall. Es gibt ja so viele neue Wirtschaftsfelder, die es Unternehmen ermöglichen, trotz Veränderungen über Wasser zu bleiben. Bei den Erneuerbaren Energien wurden in letzter Zeit 80.000 Arbeitsplätze gestrichen, zum Beispiel ganz aktuell 1.500 Stellen in Magdeburg. Den stehen 20.000 Kohlekumpel gegenüber, über die die ganze Zeit gesprochen wird, während über den Stellenabbau bei den Erneuerbaren Energien ganz wenig diskutiert wird. Eine Umstellung ist vielleicht nicht immer einfach und vielleicht auch nicht immer attraktiv, aber es ist möglich.
Ole: Im Prinzip stehen wir an der Stelle – wenn wir den wirtschaftlichen Aspekt als oberstes Ziel sehen, dann steht dieser über dem Menschenleben.