Hurra, der Starke Mann ist zurück?
Endlich wieder ein Artikel über Männerfußball
Fußball – Der Sport, der wie kaum ein anderer für das Patriarchat steht. Grölende Männerhorden werden als essentielle Stadionatmosphäre empfunden, MeToo-Skandale sind keine Seltenheit, ebenso wenig wie Täterschutz und Schuldverschiebung. Gleichzeitig ist die Berichterstattung im Fußball emotional und durch Boulevardjournalismus geprägt – ein Ort für wirkmächtige Narrative. Eines davon scheint gerade seine Renaissance zu feiern: Der Starke Mann. Was soll das? Und warum ausgerechnet jetzt?
Die Gehaltslücke zwischen dem Bestverdiener im deutschen Profifußball (Harry Kane, 25 Mio. €) und der Bestverdienerin (Lena Oberdorf, 1,02 Mio. €) ist riesig. Auch am Spielfeldrand sind die Posten für Männer reserviert: Es gibt keine Cheftrainerin in den Europäischen Top-Ligen. Die Absolventen des 69. Pro Lizenz Lehrgangs des DFB sind alles Männer. Es sorgte schon für genug sexistische Ausfälle als Marie-Louise Eta 2023 als erste Co-Trainerin der Bundesliga auf der Bank des 1. FC Union Berlin Platz nahm. Sie könne doch gar nicht zu den Männern in die Kabine! Umgekehrt ist dies im Frauenfußball nie ein Thema. In der Bundesliga der Frauen gibt es genau eine weibliche Cheftrainerin (Theresa Merk, SC Freiburg).
Nach seinem Kommentar über Eta sah sich Spielerberater Maik Barthel mit einem immensen Shitstorm konfrontiert und verlor seinen wichtigsten Klienten. Mit Sabrina Wittmann vom FC Ingolstadt gibt es nun auch eine weibliche Cheftrainerin im Profibereich der Herren. Sie scheint sowohl im Verein als auch in einer breiten Öffentlichkeit den Rücken gestärkt zu bekommen. Ist das ein Zeichen, dass sich die Wege für Frauen im Profifußball langsam ebnen? Die Verabschiedungen von Legenden wie Bibiana Steinhaus (Schiedsrichterin) oder Sabine Töpperwien (Sport-Kommentatorin) aus dem deutschen Profifußball-Geschäft stimmen eher pessimistisch. Beide gelten als Vorreiterrinnen in ihrer Branche und setzten sich im Laufe ihrer Karrieren immer wieder für mehr Gleichstellung und gegen Diskriminierung von Frauen ein. Am Ende äußerten beide Kritik am DFB, beziehungsweise den Medienstrukturen, in denen sie gewirkt haben.
Egal, in welchem Bereich des Fußballs Frauen auftauchten – Sie wurden (und werden) unsachlich kritisiert, sexistisch diskriminiert und stets entbrannte eine Diskussion darüber, ob sie dort überhaupt etwas zu suchen hätten. Doch trotzdem schafften sie es, sich zu behaupten. Meist durch herausragende Leistungen, die selbst dem hyperkritischen Blick der maskulinen Öffentlichkeit Paroli boten. Und zunehmend teilen sich Frauen das Scheinwerferlicht mit den Männern und ernten Anerkennung und Respekt. Zeitgleich werden Männer, die in veralteten, chauvinistischen Denk- und Argumentationsmustern verhängen, immer häufiger bloßgestellt und ernten Kritik, statt Applaus. Eine Figur schien sogar mehr und mehr aus dem Profi-Fußball zu verschwinden: Der Starke Mann.
Es ist das Märchen vom Patriarch schlechthin: Ein starker Anführer, der einen Verein wieder auf Linie bringt, der alle Stricke in der Hand hält, das Zentrum der Macht ist und für große Erfolge steht, den Verein sogar international voranbringt. Eine Romantik die durchsetzt ist, von der Nostalgie frühindustrieller Familienunternehmen. Der Monarch, der Firmenvater, der Führer. Da werden Erinnerungen wach. An Uli Hoeneß zum Beispiel. Ein Schelm, wer an andere „Starke Männer“ dachte. Er galt lange als das Paradebeispiel für eine zentrale, männliche Machtfigur, die in alle Aktivitäten des Vereins involviert ist und – das muss man ihm lassen – den FC Bayern zum erfolgreichsten Verein Deutschlands machte. Aber auch für Uli hagelte es am Ende seiner Amtszeit mächtig Kritik. Die letzten Pressekonferenzen der Bayern-Bosse wurden von der großen Mehrheit als peinlich bewertet. Mittlerweile weist Jochen Breyer im EM Sportstudio Per Mertesacker und Christoph Kramer auf die Entmenschlichung durch den Begriff „Spielermaterial“ hin. Keiner von ihnen erfüllt wirklich den Stereotyp des Starken Mannes. Neben Breyer moderiert Katrin Müller-Hohenstein das Sportstudio und auch wenn die ständige Besetzung sonst nur aus Männern besteht, werden regelmäßig Vertreterinnen aus dem Sport eingeladen, so zum Beispiel Laura Freigang und Friederike Kromp von Eintracht Frankfurt.
Die Gründe dafür sind sicher vielfältig – feministische Diskurse ebenso wie der angesprochene Kampf und die Leistungen von Frauen im Fußball. Auf die Stellung des Starken Mannes in der Geschäftsführung der Vereine werden sicherlich auch moderne Managementkonzepte eingewirkt haben. In der Wirtschaft versucht man längst die gesamte Verantwortung (und Macht) auf mehrere Schultern zu verteilen.
Dennoch scheint das Bedürfnis nach Führung wieder zurück zu sein. Nicht nur in der Politik, sondern auch im Fußball. Wo auch immer zur Zeit ein neuer Posten besetzt wird (natürlich von einem Mann), schließt sich in der einschlägigen Presse die Frage an, ob er nun der neue Starke Mann im Verein sein wird. Ob er „die Zügel wieder rumreißen kann“. Ob er die Chance ergreift, das Machtvakuum zu füllen und „durchzuregieren“. Ich erinnere an die Diskussionen über Max Eberl, Thomas Tuchel oder Oliver Kahn beim FC Bayern (#machtvakuum). Jetzt gerade zur EM wieder im Rampenlicht: Ralf Rangnick bei Österreich – insgesamt eine Person, die das Narrativ des Starken Mannes mitgeprägt hat.
„König Fußball“ war stets durchsetzt von politischen und militärischen Metaphern. Der einflussreichste Fußballer Deutschlands trägt den Titel „Kaiser“, der erfolgreichste Torschütze ging als „Bomber der Nation“ in die Geschichte ein. Regelmäßig ziehen Spieler*innen in die „Schlacht“ oder attackieren gegnerische Defensivverbünde. Aber warum müssen wir mit dem Vokabular auch die Konzepte der Monarchie übernehmen? Es scheint als lebe die Fangemeinde ihr Bedürfnis nach Führung nun eben im Fußball aus. Oder eher: in einer Wunschvorstellung, die sie vom Fußball haben. Wer glaubt, eine Person käme in einen milliardenschweren Konzern und hätte qua Amt die Befugnis, alles auf den Kopf zu stellen und in jeden Bereich „hineinzuregieren“, hat nicht verstanden, wie moderne, teils börsennotierte Fußballvereine funktionieren. Dabei bietet eben jene Fangemeinde gleichzeitig so viel emanzipatorisches Potenzial, welches beispielsweise in den Protesten gegen Investorenmodelle in der Bundesliga deutlich wurde. Auch im Rahmen der EM gibt es Fanszenen, die sich der Aufarbeitung und Verurteilung von nationalistischen, rassistischen sowie homo- und transfeindlichen Vorfällen widmen, wie beispielsweise das Fanprojekt NRW.
Es geht mir nicht um eine Heiligsprechung – die angesprochenen Vorfälle sind schließlich auch von Fans begangen worden. Dennoch zeigt sich hier eins: „Fußball gehört den Fans!“ Nur sollten eben jene Fans dann auch die Sehnsucht nach zentralistischen Machtfiguren ablegen, denn die halten oft nicht so viel von Volkssouveränität.