Höcke vor Gericht

Sich alles anhören, aber nicht alles glauben müssen

Vom 18. April 2024 bis zum 14. Mai 2024 fand am Landgericht (LG) Halle das erste von zwei dort anhängigen Strafverfahren gegen Björn Höcke statt.
Das Gericht verurteilte Höcke zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen á 130 €. Höcke hat Revision eingelegt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Dieser Artikel ist der Abschluss einer Serie an Berichten über das erste Verfahren gegen Höcke vor dem LG Halle und bildet eine abschließende Analyse dieses ersten Prozesses.

Die protokollarischen Berichte zum ersten, zweiten, dritten und letzten Verhandlunstag sind bereits online verfügbar.

Mit diesen Worten leitete der vorsitzende Richter seine mündliche Urteilsbegründung in diesem Verfahren ein. Ein passender und fast schon poetischer Schlusssatz nach diesen vier Prozesstagen, die von Opferinszenierungen, Wahlkampf, Rechtsakrobatik und Selbstprofilierung geprägt waren.

Höcke wurde vorgeworfen 2021 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Merseburg die von der „Sturmabteilung“ der NSDAP (SA) genutzte und verbotene Parole „Alles für Deutschland“ gesagt zu haben. Im Verfahren musste nicht nur dargelegt werden, dass Höcke diesen Satz gesagt hat, sondern auch, dass er in einem klaren Bezug zum Nationalsozialismus stand (sog. „Schutzzweckzusammenhang“) und dass Höcke wusste, dass es sich bei dem Satz um eine verbotene Parole handelt und den Zusammenhang zum Nationalsozialismus kannte.

Nachdem am zweiten Verhandlungstag durch eine Erklärung des Gerichts klar wurde, dass Höcke höchstens mit einer Geldstrafe rechnen müsse und auch nicht ein Entzug seiner politischen Wählbarkeit zu befürchten habe, schien  der Ausgang des Verfahrens – egal ob Schuldspruch oder nicht – Höcke nicht schaden zu können. Dass eine Geldstrafe einem Mann, der  angibt monatlich circa. 9000 € durch seine Arbeit als Fraktionsvorsitzender zu verdienen, keinen ernsthaften Schaden zufügt, liegt auf der Hand. Der Prozess und dessen medienwirksame Begleitung führten also leider vorwiegend dazu, dass Höcke sich weiter in seiner Opferrolle inszenieren konnte, sich selbst profilieren konnte und nebenbei noch Wahlkampf für die zeitgleich anstehenden Europa- und Kommunalwahlen machen konnte.

Strategie 1: Opferinszenierung

Schon in Höckes Einlassung zu Beginn des Verfahrens, machte er deutlich, dass er die Schuld nicht bei sich, sondern bei den „etablierten Medien“ sehe, die ihn vorverurteilt hätten. Auch dass es sich nur um einen politischen Prozess handele und er sowie die Opposition unterdrückt werden sollen, war wiederholt Thema.

Man mag bei diesen Ausdrücken nur verstört mit dem Kopf schütteln. Gleichzeitig scheint dieses Narrativ nicht ohne Wirkungen zu bleiben. über die „politische Sprachpolizei“ im Prozess um Höcke gesprochen und seine Anhänger*innen übernehmen seine Ausdrücke teils wörtlich in ihre eigene Argumentation . Während diese Opferinszenierung offensichtlich absurd ist und prozessual keinen Einfluss haben dürfte, gelingt es Höcke hierdurch, sein Narrativ der „böse Staat“ würde ihn  – und im weiteren Sinne alle seine Anhänger*innen genauso – „auf dem Kieker“ haben und man könne „dem Staat“ deshalb nicht trauen kann, weiterzuverbreiten. Das dadurch entstehende größer werdende Misstrauen in den Rechtsstaat und die Selbstdarstellung Höckes als Opfer ebendieses Rechtsstaates, wurde durch diesen Prozess verstärkt.

Es sei an dieser Stelle gesagt, dass damit in keiner Weise behauptet werden soll, dass eine rechtliche Auseinandersetzung und Aufklärung nicht notwendig oder angemessen sei. Das Verfahren hat gezeigt, dass der Rechtsstaat eben doch funktionieren kann. Die rechtliche Aufarbeitung und Verurteilung rechtsextremer Protagonisten für die von ihnen begangenen Straftaten, ist einer von vielen Bausteinen im Kampf gegen Faschismus und extremistische Bestrebungen. Dabei kann aber nicht allein auf den Rechtsstaat gesetzt werden, sondern es braucht neben rechtlichen Ansätzen einen Fokus auf politische und gesellschaftliche  Möglichkeiten.

Die rechtliche Auseinandersetzung bleibt wichtig, doch diese muss von einem faktenbasierten und aufklärenden gesellschaftlichen Diskurs begleitet werden, damit eben solche Opferinszenierungen nicht unkommentiert stehen bleiben und die Diskussion bestimmen.

Strategie 2: Strafbarkeit anzweifeln

Während die Debatte sich vor und zu Beginn des Prozesses größtenteils darum drehte, ob Höcke gewusst hat, dass die Parole strafbar ist und von der SA genutzt wurde, ging die Verteidigung im Prozess noch einen Schritt weiter und zweifelte die grundsätzliche Strafbarkeit der Parole an. Dies soll laut der Verteidigung nicht nur der Fall gewesen sein, weil die Parole schon vor und auch nach der NS-Zeit von unterschiedlichsten Akteur*innen verwendet wurde, sondern auch, weil der Spruch insgesamt unbedeutend und nicht der SA zuzuschreiben sei.

Dies versuchte die Verteidigung in diesem Verfahren durch einen „spontanen“ sachverständigen Zeugen am letzten Prozesstag noch einmal zu untermauern. Der Zeuge, Karlheinz Weißmann, ist keine unbekannte Person. Er hat gemeinsam mit Kubitschek im Jahr 2000 den „ThinkTank“ der Neuen Rechten das „Institut für Staatspolitik“ gegründet, ist Mitglied im Kuratorium der AfD-nahen „Desiderius-Erasmus Stiftung“ und schreibt nebenbei für die rechte Zeitschrift „Junge Freiheit“. Ein wahrlich objektiver und unvoreingenommener sachverständiger Zeuge also, der natürlich die Strafbarkeit und Relevanz der Parole verneinte.

Auch die Plädoyers der Verteidigung wiederholten dieses Narrativ. Der zweite Verteidiger, Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau, mag einigen durch seine Anwesenheit beim geheimen Treffen in Potsdam bekannt sein, das im November 2023 stattfand und durch eine „Correctiv“ Recherche im Januar 2024 öffentlich wurde. Außerdem ist Vosgerau weiterhin Privatdozent für Jura an der Universität Köln – trotz massiver Kritik, insbesondere der Studierenden.

Vosgerau legte in seiner Verteidigung einen besonderen Wert auf die Behauptung, dass der Spruch gar nicht verboten sei und ging so weit zu behaupten, die Strafnorm § 86a selbst sei verfassungswidrig, da sie nur eine „bestimmte politische Ausrichtung“ verbiete.

An dieser Stelle wird deutlich, dass die juristische Ausbildung anscheinend nicht genügend Wert auf (Rechts-)Geschichte legt. Sonst wäre dem Volljuristen vielleicht bewusst gewesen, dass das explizite Verbot von Symbolen, Parolen oder sonstigen Kennzeichen aus der Zeit des Dritten Reichs in keinster Weise eine „politische Ausrichtung“ verfolgt, sondern der Verhinderung einer Geschichtswiederholung der Gräueltaten des Naziregimes dient, indem von vorne herein Kennzeichen entsprechender verfassungswidriger Organisationen tabuisiert werden, damit diese weder dafür genutzt werden können nach außen für sich zu werben, noch zur Erkennung zwischen Gleichgesinnten genutzt werden können.

Strategie 3: Wahlkampf & Selbstprofilierung

Die Selbstprofilierung und die Nutzung des Prozesses als Wahlkampf scheinen zwei Seiten derselben Münze zu sein.

Höcke versuchte sich mit jeder Äußerung als „rechtstreuer Bürger“ mit Frau und Kindern zu geben, betrat den Gerichtssaal immer in Begleitung seines Verteidigerteams, und einem Grinsen im Gesicht und versuchte immer wieder zu bekräftigen, dass er alles was er tut nur aus Liebe zu seinem Land und den Bürger*innen tun würde.

Diese Selbstdarstellung – und das Auseinanderklaffen mit der Fremdwahrnehmung – könnte fast schon wieder lustig sein, wenn es dabei nicht um einen der potentiell gefährlichsten Akteure der vom Verfassungsschutz bereits in Teilen als erwiesen rechtsextrem eingeordneten und bundesweit als Verdachtsfall geltenden AfD gehen würde. Stattdessen scheint diese Selbstprofilierung ein bewusst genutztes Mittel zu sein, um sein Ansehen und sein öffentliches Bild in ihm zugeneigten Teile n der Öffentlichkeit zu verstärken und das in Kombination mit dem Narrativ der Opferrolle zu instrumentalisieren, um Aufmerksamkeit für die zeitgleich stattfindenden thüringischen Kommunalwahlen und Europawahlen zu erzeugen.

Staatsanwaltschaft kontert

Um nicht nur die negativen und beängstigenden Erzählungen von Höcke und seinem Anwaltsteam zu benennen, lohnt es sich die Leistung der Staatsanwaltschaft noch einmal hervorzuheben. Entgegen aller Vorwürfe von Seiten der Verteidigung gelang es der Staatsanwaltschaft anhand einer detaillierten Ausarbeitung von Höckes vergangenen Aussagen, Aktivitäten und seinem Umfeld, darzulegen, warum seine Angaben vor Gericht unglaubwürdig bis lebensfremd waren. Beispielsweise legte der Staatsanwalt ausführlich dar, wieso es unwahrscheinlich ist, dass Höcke als leitende Figur in der AfD trotz der  laufenden Verfahren gegen Oehme und Ziegler, nichts von der Strafbarkeit der Parole gewusst haben will.

Durch gezielte Nachfragen konnten die Staatsanwaltschaft und die beisitzende Richterin an mehreren Stellen Ungereimtheiten in Höckes Aussagen aufdecken. So gab Höcke zum Beispiel zunächst an, nie die von ihm sogenannten „etablierten Medien“ zu gucken, nur um später auf Nachfrage der Beisitzerin zuzugeben, dass er diese doch manchmal gucke.

Insgesamt legte die Staatsanwaltschaft fallbezogen dar, dass Höckes fundierter NS-Wortschatz, sein geplantes Vorgehen die „Grenzen des Sagbaren“ zu erweitern sowie seine gehobene Stellung innerhalb der AfD wie auch in weiteren  als rechtsextremistisch einzuordnenden Vereinigungen, keinen Zweifel daran lassen, dass Höcke sich in diesem Fall strafbar gemacht hat.

Dieser Einschätzung folgte das Gericht in ihrem Urteil dann auch.

Fazit

Dieses erste Verfahren vor dem LG Halle hat in vielen Kreisen für Diskussionen gesorgt. In rechten Kreisen wurde es als Beweis dafür verstanden, dass die Justiz ein politisches Verfahren gegen Oppositionelle führe, andere bezweifeln die Sinnhaftigkeit, Höcke durch ein solches Verfahren eine weitere Bühne zu bieten, auf der er seine Positionen verbreiten und sich als Märtyrer darstellen kann und wieder andere applaudieren dem Rechtsstaat und sehen diesen durch den Prozess gestärkt.

Eines ist mit Blick auf die Wahlergebnisse der Kommunal- und Europawahlen, insbesondere in Thüringen, klar: Verloren hat Höcke durch den Prozess nicht.

Wie bereits erwähnt, braucht es für den Kampf gegen Rechts mehr als eine rechtliche Aufarbeitung. Es braucht eine aktive Zivilgesellschaft, eine kritische und selbstreflektierte Medienlandschaft, politischen Zusammenhalt und ja – auch eine rechtliche Aufarbeitung.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Fälle, die vor Gericht landen, ein Bruchteil dessen abbilden, was Menschen tagtäglich an Gewalt und erleben.

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